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VerfGBbg, Beschluss vom 26. August 2022 - VfGBbg 50/21 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2
- VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 32 Abs. 7 Satz 1; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 47 Abs. 1; VerfGGBbg, § 50 Abs. 1 Satz 1; VerfGGBbg, § 50 Abs. 3
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde, teilweise zulässig und begründet
- Ablehnungsgesuch
- Beschwerdefrist
- Zwischenentscheidung
- Begründungserfordernisse
- Rechtliches Gehör
- Kostenfestsetzung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 26. August 2022 - VfGBbg 50/21 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 50/21




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 50/21

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

G.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigter:              Rechtsanwalt
                                                                 L.,

 

wegen            Beschlüsse des Sozialgerichts Cottbus vom 11. August 2016 -
S 30 SF 983/16 E – und – S 30 SF 1125/16 AB - und vom 24. Mai 2021 – S 56 SF 557/18 E RG

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 26. August 2022

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Finck,
Heinrich-Reichow, Kirbach, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 


 

1.        Der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 11. August 2016 zu Az. S 30 SF 983/16 E verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Erinnerung des Beschwerdeführers vom 30. März 2016 an das Sozialgericht Cottbus zurückverwiesen.

         Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.

2.         Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

3.         Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10. 000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe:

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen Entscheidungen des Sozialgerichts Cottbus bezüglich einer Erinnerung, eines Befangenheitsantrags sowie einer Anhörungsrüge im Verfahren zur Festsetzung seiner erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten.

I.

Der Beschwerdeführer führte bei dem Sozialgericht Cottbus ein Klageverfahren
(S 27 AS 5999/12) gegen einen Erstattungsbescheid des Jobcenters Oberspreewald-Lausitz (im Folgenden: Beklagter) vom 26. Juni 2012. Die Beteiligten beendeten den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2015 durch Vergleich. Nach Ziffer 3 dieses Vergleichs erklärte sich der Beklagte bereit, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers zu tragen.

Der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers beantragte daraufhin am 21. April 2015 die Erstattung der Kosten des Vorverfahrens in Höhe von insgesamt 309,40 Euro; der Beklagte trage die Hälfte der Kosten. Der Beklagte nahm zu dem Kostenantrag dergestalt Stellung, dass er nur die Erstattung von insgesamt 42,84 EUR für angemessen hielt.

Mit Beschluss vom 24. Februar 2016 setzte der Urkundsbeamte des Sozialgerichts Cottbus die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf insgesamt 42,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) seit dem 21. April 2015 fest.

Gegen die Kostenfestsetzung legte der Beschwerdeführer am 30. März 2016 Erinnerung ein und lehnte zugleich den für die Erinnerungsentscheidung zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Richter werde von dem Beklagten im Rahmen einer gewerblichen Nebentätigkeit für sogenannte Inhouse-Seminare zum Gebührenrecht bezahlt. Er sei somit nicht in der Lage, in Kostensachen unvoreingenommen zu entscheiden, weil er damit rechnen müsse, bei Entscheidungen gegen die Behörde von dieser keine Aufträge mehr zu erhalten. Zudem habe das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in einem anderen Verfahren klargestellt, dass der abgelehnte Richter seine richterliche Unabhängigkeit offenbar mit blanker Willkür verwechsle und das geltende Prozessrecht wissentlich beuge. Hinsichtlich der Erinnerung führte er aus, das Gericht habe bislang die Kriterien des § 14 Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG) unzutreffend berücksichtigt.

Mit Beschluss des abgelehnten Richters vom 11. August 2016 (S 30 SF 1125/16 AB) verwarf das Sozialgericht Cottbus das Ablehnungsgesuch; es sei offensichtlich unzulässig und rechtsmissbräuchlich. Das Gesuch stelle auf Ablehnungsgründe ab, die wiederholt Gegenstand von Befangenheitsverfahren gewesen seien und bereits mehrfach durch verschiedene Kammern als unzureichender Grund für die Besorgnis einer Befangenheit eingestuft worden seien. Die Wiederholung gleicher Befangenheitsgründe, deren Unbeachtlichkeit bereits mehrfach festgestellt worden sei, werde nicht mehr vom Rechtsschutzbedürfnis gedeckt.

Mit weiterem Beschluss des abgelehnten Richters, ebenfalls vom 11. August 2016
(S 30 SF 983/16 E), wies das Sozialgericht Cottbus die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zurück. Die Erinnerung sei gegen einen nicht näher bezeichneten Kostenfestsetzungsbeschluss eingereicht worden. Dies sei unzulässig. Die Erinnerung müsse die eindeutige Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung beinhalten.

Beide Beschlüsse sind dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers am 6. März 2017 zugestellt worden.

Gegen den zurückweisenden Beschluss bezüglich der Erinnerung erhob der Beschwerdeführer am 9. März 2017 Anhörungsrüge. Der für befangen erachtete Richter sei verpflichtet gewesen, auf seine Rechtsauffassung bezüglich der Bezeichnung des Beschlusses hinzuweisen. Kein halbwegs klar denkender Mensch könne damit rechnen, dass ein Richter nicht in der Lage sei, die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss zuzuordnen, wenn das gerichtliche Aktenzeichen zu diesem Beschluss angegeben worden sei und es in dem benannten Verfahren nur einen Kostenfestsetzungsbeschluss gebe. Der Richter sei vielmehr in der Lage gewesen, die Erinnerung einem Verfahren zuzuordnen, denn er habe im Rubrum seiner Entscheidung genau das Aktenzeichen des Verfahrens angegeben. Darüber hinaus lehnte der Beschwerdeführer den Richter erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab; er sei offensichtlich weder bereit noch in der Lage, die Verfahren prozessordnungsgemäß zu betreiben.

Mit Beschluss vom 24. Mai 2021 (S 56 SF 557/18 E RG) verwarf das Sozialgericht Cottbus die Anhörungsrüge durch den für befangen erachteten Richter als unzulässig. Der Beschluss wurde dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers am
14. Juni 2021 zugestellt.

II.

Mit der am 10. August 2021 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), von Art. 52 Abs. 3 2. Alt. LV sowie von Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV.

Der Beschluss über die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs sei mit Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV unvereinbar. Denn über das Gesuch sei willkürlich und entgegen den einschlägigen verfahrensrechtlichen Vorschriften durch den abgelehnten Richter selbst entschieden worden. Eine offensichtliche Unzulässigkeit eines Befangenheitsgesuches lasse sich nicht mit dem bloßen Verweis auf nicht näher bezeichnete Entscheidungen anderer Kammern des Sozialgerichts begründen. Das Gericht habe bei einem Befangenheitsantrag stets die Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Damit sei ein Verweis auf andere Entscheidungen, die nicht den Beschwerdeführer beträfen, nicht zu vereinbaren. Eine Abweichung vom ausdrücklich geregelten Grundsatz, dass die Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters zu erfolgen habe, könne allenfalls in krassen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Daran fehle es hier ersichtlich. Überdies habe das Gericht über die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers entschieden, ohne zuvor erneut über den Befangenheitsantrag zu entscheiden.

Die Entscheidung des Sozialgerichts über die Erinnerung beruhe zudem auf einer Gehörsverletzung im Sinne von Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV. Es handele sich um eine Überraschungsentscheidung. Der Kern der Rügebegründung bestehe in dem Vorwurf, das Gericht habe einen Hinweis hinsichtlich seiner Auffassung, die Erinnerung sei mangels konkreter Bezeichnung des Beschlusses unzulässig, unterlassen. Ein solcher Hinweis sei zwingend erforderlich gewesen. Zwar sei das Gericht nicht grundsätzlich gehalten, Hinweise bezüglich der Rechtslage bzw. seiner Rechtsauffassung zu erteilen. Das Sozialgericht weiche damit aber nicht nur von Entscheidungen anderer Gerichte, sondern auch von seiner eigenen Rechtsprechung ab. In anderen Fällen habe das Sozialgericht, auch unter Beteiligung desselben Richters, Erinnerungen unter Angabe des sozialgerichtlichen Aktenzeichens für zulässig gehalten. Dem Beschwerdeführer sei bis heute nicht klar, welche Art der Konkretisierung im vorliegenden Fall hätte erfolgen sollen. Der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers habe bei der Einlegung der Erinnerung das gerichtliche Aktenzeichen angegeben, unter dem der Kostenfestsetzungsbeschluss erlassen worden sei. Richtig sei zwar, dass er den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss nicht mit einem Datum (als einzige denkbare Möglichkeit der Konkretisierung) bezeichnet habe; dies dürfte unschädlich sein, weil es sich um den einzigen in dem Verfahren ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss gehandelt habe. Hätte das Sozialgericht einen entsprechenden Hinweis auf die von ihm angenommene Unzulässigkeit der Erinnerung gegeben, hätte der Beschwerdeführer Gelegenheit gehabt, die vom Gericht angenommenen formalen Mängel zu beheben, also zum Beispiel nachträglich das Datum des Kostenfestsetzungsbeschlusses angegeben.

Zuletzt habe das Sozialgericht mit der Zurückweisung der Anhörungsrüge als unzulässig gegen das Gebot des fairen Verfahrens gemäß Art 52 Abs. 4 LV verstoßen. Das Gericht habe sich in seinem ablehnenden Beschluss in keiner Weise dazu geäußert, welche Anforderungen an die Konkretisierung des angefochtenen Beschlusses der Beschwerdeführer nicht erfüllt habe. Es verweise - wie in vielen anderen, gleichlautenden Entscheidungen - pauschal darauf, die Anhörungsrüge müsse den angefochtenen Beschluss konkret bezeichnen, was im vorliegenden Fall erfolgt sei.

III.

Das Sozialgericht Cottbus hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verfahrensakten S 27 AS 5999/12, S 30 SF 983/16 E, S 30 SF 1125/16 AB sowie S 56 SF 557/18 E RG sind beigezogen worden.

B.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise zulässig.

1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss vom 11. August 2016 (S 30 SF 1125/16 AB) bezüglich seines Ablehnungsgesuchs wendet, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die am 10. August 2021 erhobene Verfassungsbeschwerde wahrt hier nicht die Frist des § 47 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg), wonach die Verfassungsbeschwerde binnen zweier Monate nach der Zustellung oder formlosen Bekanntgabe der Entscheidung zu erheben ist. Der Beschluss vom 11. August 2016 ist dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers bereits am 6. März 2017 zugestellt worden.  

Bei dem Beschluss über das Ablehnungsgesuch handelt es sich zwar um ein der Sachentscheidung vorangegangenes Zwischenverfahren, dessen selbstständige Anfechtung mit der Verfassungsbeschwerde grundsätzlich ausgeschlossen ist. Der Grund für den Ausschluss fehlt allerdings, wenn bereits die Zwischenentscheidung zu einem bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen führt, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann. Soweit Entscheidungen der Fachgerichte über Ablehnungsgesuche zu bleibenden rechtlichen Nachteilen führen können, sind sie daher auch als Zwischenentscheidungen selbständig angreifbar. Dies gilt, wenn sie Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfalten, über eine wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren Instanzen nicht mehr nachprüfbar und korrigierbar sind (vgl. z. B. Beschluss vom 15. September 2017 - VfGBbg 43/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111, 307-332, juris, Rn. 25).

Bei dem Richterablehnungsverfahren im Rahmen der sozialgerichtlichen Kostenerinnerung nach § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) handelt es sich um ein derartiges selbständiges Zwischenverfahren, dessen abschließende Entscheidung mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden kann. Diese Entscheidungen sind für das weitere Erinnerungsverfahren bindend. Sie können angesichts der Unanfechtbarkeit des Beschlusses über die Erinnerung im Falle der Verfassungswidrigkeit der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs dazu führen, dass ein Beschwerdeführer hinnehmen müsste, dass das weitere Verfahren vor dem Sozialgericht von einem Richter betrieben würde, der nicht der gesetzliche im Sinne des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV wäre. Es besteht deshalb ein Rechtsschutzinteresse an einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung über die in diesem Zwischenverfahren getroffenen Entscheidungen (vgl. z. B. Beschluss vom 18. Mai 2018 - VfGBbg 84/17 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Der Beschwerdeführer hätte den Beschluss vom 11. August 2016 (S 30 SF 1125/16 AB) selbstständig mit der Verfassungsbeschwerde anfechten müssen. In Bezug auf den Beschluss über das Ablehnungsgesuch liegt damit keine fristgemäße Erhebung der Verfassungsbeschwerde vor.

2. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Sozialgerichts über die Erinnerung vom 11. August 2016 (S 30 SF 983/16 E) wendet, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.

a. Insbesondere erfüllt der Beschwerdeführer die sich aus dem Grundsatz der Subsidiarität ergebenden Anforderungen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg, welche von einem Beschwerdeführer verlangen, dass dieser vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde über die formale Erschöpfung des Rechtswegs hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ergreift, um eine etwaige Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden Verfahren zu verhindern oder zu beheben (vgl. z. B. Beschluss vom 19. März 2021 - VfGBbg 11/21 -, Rn. 18, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Ist Gegenstand der Verfassungsbeschwerde auch die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV, so ist diese regelmäßig im Wege der Anhörungsrüge zur fachgerichtlichen Überprüfung zu stellen, bevor Verfassungsbeschwerde erhoben wird (st. Rspr., vgl. z  B. Beschlüsse vom 22. März 2019 -  VfGBbg 1/18 -, vom 19. Juni 2015 - VfGBbg 43/15 -, vom 17. April 2015 ‌‑ VfGBbg 56/14 -, und vom 29. August 2014 - VfGBbg 1/14 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Diese Voraussetzung hat der Beschwerdeführer erfüllt. Er hat Verfassungsbeschwerde erst nach der ablehnenden Beschlussfassung im Anhörungsrügeverfahren erhoben.

b. Soweit der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeschrift auch eine Verletzung des Gebots des fairen Verfahrens aus Art. 52 Abs. 4 LV rügt, genügt sein Vortrag insoweit nicht den Begründungserfordernissen der § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg. Erforderlich ist danach eine Begründung, welche umfassend und aus sich heraus verständlich die mögliche Verletzung der geltend gemachten Grundrechte des Beschwerdeführers hinreichend deutlich aufzeigt (st. Rspr., Beschlüsse vom 20. August 2021 ‌‑ VfGBbg 68/20 ‑‌, Rn. 20 m. w. N., vom 19. Juni 2020 ‌‑ VfGBbg 10/19 ‑‌, Rn. 7, und vom 19. März 2021 ‌‑ VfGBbg 83/19 ‑‌, Rn. 10 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht. Der Beschwerdeführer wiederholt in seinem diesbezüglichen Vortrag lediglich inhaltsgleich seine Ausführungen zum Gehörsverstoß ohne auf spezifische Besonderheiten zum Gebot des fairen Verfahrens konkret einzugehen.

3. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind zuletzt nicht erfüllt, soweit die Verfassungsbeschwerde gegen den - die Anhörungsrüge verwerfenden - Beschluss vom 24. Mai 2021 (S 56 SF 667/18 E ER) gerichtet ist.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, dass Anhörungsrügen zurückweisende gerichtliche Entscheidungen mangels Rechtsschutzbedürfnisses grundsätzlich nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können, weil sie keine eigenständige Beschwer schaffen, da sie allenfalls mit der Ausgangsentscheidung bereits eingetretene Verletzungen des rechtlichen Gehörs fortbestehen lassen, indem eine Selbstkorrektur durch das Fachgericht unterbleibt (vgl. z. B. Beschlüsse vom 9. September 2016 - VfGBbg 24/16 -, vom 9. Oktober 2015 - VfGBbg 39/15 -, vom 12. Dezember 2014 - VfGBbg 23/14 - und vom 15. Juli 2011 - VfGBbg 10/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV besteht kein schutzwürdiges Interesse des Beschwerdeführers an einer zusätzlichen verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Gehörsrügeentscheidung, weil diesbezüglich keine weitergehende Beschwer als bei der Ausgangsentscheidung gegeben ist.

Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, eine eigenständige Beschwer im Anhörungsrügeverfahren ergebe sich daraus, dass der für befangen erachtete Richter über die Anhörungsrüge entschieden hat, ohne dass vorab über das erneute Befangenheitsgesuch des Beschwerdeführers im Anhörungsrügeverfahren entschieden worden war, genügt sein Vortrag insoweit nicht den Begründungserfordernissen der § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg. Es obliegt dem Beschwerdeführer, dem Verfassungsgericht alle Gesichtspunkte zu unterbreiten, die für die Beurteilung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde maßgeblich sind (st. Rspr., z. B. Beschlüsse vom 19. November 2021 - VfGBbg 29/21 -, Rn. 16, vom 20. Mai 2021 ‌‑ VfGBbg 61/19 ‑‌, Rn. 20, und vom 9. Februar 2021 ‌‑ VfGBbg 15/19 ‑‌, Rn. 17, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Der Beschwerdeführer zeigt diesbezüglich bereits nicht den maßgeblichen Gewährleistungsrahmen von Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV auf, zumal umstritten ist, ob ein Befangenheitsantrag für ein Verfahren der Anhörungsrüge nach § 178a SGG grundsätzlich (noch) statthaft ist und noch nach Abschluss der Instanz zulässigerweise geltend gemacht werden kann (vgl. Beschluss vom 21. Januar 2022 - VfGBbg 57/21 -, Rn. 63, 64, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist - soweit sie zulässig ist - begründet.

1. Der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 11. August 2016 zu Az. S 30 SF 983/16 E verletzt den Beschwerdeführer in entscheidungserheblicher Weise in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts ist der in Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV enthaltene Anspruch auf rechtliches Gehör eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des gerichtlichen Verfahrens sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. z. B. Beschluss vom 17. Februar 2017 - VfGBbg 39/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Die Verfassungsbestimmung soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV gewährt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. z. B. Beschluss vom 16. März 2018 - VfGBbg 56/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet, dass ein Gericht nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen Gesichtspunkt abstellen darf, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (st. Rspr., z. B. Beschluss vom 21. Januar 2022 - VfGBbg 57/21 -, m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Die Norm gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts - etwa wegen sachlicher Unerheblichkeit - ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt; der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur verletzt, wenn die Nichtberücksichtigung von Vortrag im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV ergibt sich kein Anspruch darauf, dass sich das Gericht der Bewertung eines Beteiligten anschließt, also „auf ihn hört“. Das Grundrecht schützt die Verfahrensbeteiligten nicht davor, dass das Gericht ihre Rechtsauffassungen und rechtlichen Beurteilungen nicht teilt und zu einer abweichenden (womöglich auch unzutreffenden) Rechtsauffassung gelangt (st. Rspr., vgl. z. B. Beschlüsse vom 19. Mai 2017 - VfGBbg 2/16 -, vom 17. November 2017 - VfGBbg 22/17 -, und vom 19. Januar 2018 - VfGBbg 81/17 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Das Sozialgericht hat einen Verstoß gegen die Pflicht gemäß § 178, § 173 SGG zur Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung angenommen, da Erinnerung „gegen einen nicht bezeichneten Kostenfestsetzungsbeschluss eingereicht“ worden sei. Dies ist nicht nachvollziehbar. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Bezeichnung einer angefochtenen Entscheidung sind bei den Rechtsmitteln der Prozessordnungen solche Angaben, anhand derer sich das angerufene Gericht über die Identität der angegriffenen Entscheidung Gewissheit verschaffen kann. Dies geschieht beispielsweise durch die Angabe des Gerichts, des Aktenzeichens, des Datums der Entscheidung und der Beteiligten. Unvollständige oder gar falsche Angaben zu diesen Daten sind unschädlich, wenn im Wege der Auslegung aufgrund der sonstigen Umstände, namentlich des Gesamtinhalts der Rechtsmittel- bzw. Rügeschrift oder der aus den Verfahrensakten erkennbaren Informationen für das Gericht unzweifelhaft erkennbar ist, welche Entscheidung angefochten wird (vgl. zu § 178a SGG: Beschluss vom 20. Oktober 2017 - VfGBbg 16/17 -, m. w. N.; Beschluss vom
20. Juli 2018 - VfGBbg 171/17 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Gemessen hieran kann von einem „nicht bezeichneten Beschluss“ ersichtlich keine Rede sein. Der Schriftsatz des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers vom 30. März 2016 enthielt genügend klare Angaben, die eine zuverlässige Identifizierung desjenigen Beschlusses ermöglichte, gegen den sich die Erinnerung richtete. In dem Erinnerungsschriftsatz sind das Aktenzeichen des Ausgangsverfahrens S 27 AS 5999/12 sowie der Name des Beschwerdeführers aufgeführt. Zudem ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen es der Geschäftsstelle des Gerichts ohne weiteres möglich gewesen ist, ein Erinnerungsheft zum Verfahren S 27 AS 5999/12 anzulegen und damit den anwaltlichen Schriftsatz einem Kostenfestsetzungsbeschluss exakt zuzuordnen, der zur Entscheidung berufene Richter dazu aber nicht in der Lage gewesen sein soll. Dem erkennenden Richter musste sich der Bezug zu der hier in Rede stehenden Entscheidung aufdrängen.

Insoweit liegt durch den Beschluss vom 11. August 2016 eine sogenannte Überraschungsentscheidung vor. Diese ist dann gegeben, wenn die gerichtliche Entscheidung auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen braucht (vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 3. Mai 2021 – 2 BvR 1176/20 -, juris, Rn. 21 und 28; BSG, Beschluss vom 7. November 2017 – B 13 R 153/17 B -, juris, Rn. 14).

Ein gewissenhafter und prozesskundiger Beteiligter in der Situation des Beschwerdeführers musste nicht damit rechnen, dass sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf den Gesichtspunkt stützen würde, es läge ein Verstoß gegen die Pflicht gemäß § 178, § 173 SGG zur Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung vor.

III.

Der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus S 30 SF 983/16 E ist hiernach gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Cottbus zurückzuverweisen.

IV.

Die Entscheidung bezüglich der Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.

V.

Der Gegenstandswert ist nach § 33 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG entsprechend der ständigen Praxis des Gerichts in erfolgreichen Verfahren über Individualverfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen auf 10.000,00 Euro festzusetzen.

 

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

Möller

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß