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VerfGBbg, Beschluss vom 17. Februar 2017 - VfGBbg 39/16 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2
- FGO, § 137 Satz 1
Schlagworte: - finanzgerichtliche Kostenentscheidung
- rechtliches Gehör
- Überraschungsentscheidung
- (keine) Heilung des Gehörsverstoßes im Anhörungsverfahren
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. Februar 2017 - VfGBbg 39/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 39/16




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

Sch.-Z.,

Beschwerdeführerin,

 

Verfahrensbevollmächtigte:              Rechtsanwälte
B.

wegen Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. April 2016 (2 K 2248/15) und Beschluss des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. Juni 2016 (2 K 2123/16)

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

 

am 17. Februar 2017

 

durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch und Dr. Lammer

 

beschlossen: 

 

Das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. April 2016 (2 K 2248/15) verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 Verfassung des Landes Brandenburg. Das Urteil wird hinsichtlich des Kostenausspruchs aufgehoben. Die Sache wird insoweit zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

 

Damit wird der Beschluss des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. Juni 2016 (2 K 2123/16) gegenstandslos.

 

Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

 

 

Gründe:

 

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine finanzgerichtliche Kostenentscheidung.

 

A.

I.

Mit Bescheid vom 15. August 2013 hob die Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse Berlin-Brandenburg (nachfolgend: Beklagte des Ausgangsverfahrens) gegenüber der Beschwerdeführerin die Festsetzung von Kindergeld für deren im September 1991 geborenen Sohn ab Juli 2013 auf, da das Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet habe, die Berufsausbildung beendet habe und sich nicht mehr in einer Ausbildung befinde.

 

Im Rahmen des Einspruchsverfahrens machte die Beschwerdeführerin geltend, dass sich ihr Sohn weiterhin in einer Ausbildung befinde. Zwar habe er die Abschlussprüfung im Sommer 2013 nicht bestanden. Er bereite sich jedoch ernsthaft und nachhaltig auf die Wiederholungsprüfung im Januar 2014 vor. Außerdem habe er im Oktober 2013 seinen Grundwehrdienst angetreten. Sie verwies auf die Bestimmung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) EStG.

 

Nachdem die Familienkasse den Einspruch zurückgewiesen hatte, erhob die Beschwerdeführerin Klage beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg, die sie unter Vertiefung ihres Einspruchsvorbringens begründete.

 

Nachdem die Klage im Hinblick auf ein Revisionsverfahren gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 29. Januar 2015 (2 K 44/14) von April bis Oktober 2015 ausgesetzt worden war, erklärte die Beklagte des Ausgangsverfahrens mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2015, dass sie aufgrund der eindeutigen Rechts- und Weisungslage keinen Anlass sehe, von der bisher getroffenen Entscheidung abzuweichen. Die Übergangszeit zwischen der Ausbildung und dem freiwilligen Wehrdienst könne vorliegend nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) EStG berücksichtigt werden. Aufgrund der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 liege eine Übergangzeit im Sinne dieser Vorschrift zwischen einem Ausbildungsabschnitt und dem gesetzlichen Wehrdienst in 2013 nicht mehr vor. Erst mit Wirkung vom 1. Januar 2015 sei durch Art. 5 Nr. 15 des Zollkodexanpassungsgesetzes eine Änderung eingetreten. Da somit von entscheidender Bedeutung sei, ob der abgeleistete Wehrdienst als Ausbildung gewertet werden könne, sei es notwendig, dass eine Bescheinigung über die Ausbildung eines Soldaten bei der Bundeswehr vorgelegt werde. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens übersandte zugleich einen entsprechenden Vordruck.

 

Die Beschwerdeführerin legte die unter dem 30. November 2015 ausgefüllte Bescheinigung vor, aus der sich ergab, dass ihr Sohn vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2013 die Grundausbildung absolviert hatte.

 

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens erklärte darauf mit Schriftsatz vom 21. Januar 2016, dass eine Berufsausbildung nicht ersichtlich sei, denn die Bescheinigung sage nichts darüber aus, ob und inwieweit das Kind der Beschwerdeführerin in dem angegebenen Zeitraum eine Ausbildungsmaßnahme in Anspruch genommen haben wolle.

 

Auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2016, in der die Beklagte des Ausgangsverfahrens die Abweisung der Klage beantragt hatte, änderte das Finanzgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom selben Tag (2 K 2248/15) den Aufhebungsbescheid vom 15. August 2013 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung dahingehend ab, dass bis einschließlich Dezember 2013 Kindergeld zu gewähren sei. Die Kosten des Verfahrens erlegte das Finanzgericht der Beschwerdeführerin auf. Im Rahmen der Begründung führte das Gericht aus, dass § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) EStG nicht anwendbar sei und sich der Sohn nicht in einer Übergangszeit vor Ableistung eines gesetzlichen Wehrdienstes befunden habe. Jedoch sei aus dem während des gerichtlichen Verfahrens übersandten Fragenbogen ersichtlich, dass eine Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG in Form der dreimonatigen Grundausbildung erfolgt sei. Für die Zeit ab Nichtbestehen der ersten Prüfung und Antritt der Grundausbildung sei davon auszugehen, dass das Kind als ausbildungsplatzsuchend zu berücksichtigen sei. Die Kostenentscheidung beruhe auf § 137 Satz 1 FGO. Die Beschwerdeführerin hätte im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht bereits im außergerichtlichen Verfahren die Bescheinigung der Bundeswehr beantragen und vorlegen können und müssen.

 

Die Beschwerdeführerin erhob unter dem 24. Mai 2016 Anhörungsrüge, mit der sie geltend machte, dass die Auferlegung der Verfahrenskosten eine Überraschungsentscheidung darstelle und somit ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Weder im Vorfeld zur Entscheidung über die Kosten noch im Nachgang zur mündlichen Verhandlung habe das Gericht darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, ihr die Kosten aufzuerlegen. Wäre dies erfolgt, hätte sie geltend gemacht, dass die Bestimmung des § 137 Satz 1 FGO keine Anwendung finden könne. Denn nach der Rechtsprechung lägen die Voraussetzungen der Norm dann nicht vor, wenn der Kläger zwar erstmals im gerichtlichen Verfahren Ausführungen mache oder entscheidungserhebliche Unterlagen vorlege, der Beklagte dies aber nicht für ausreichend halte, um dem Klagebegehren zu entsprechen. Hier beruhe die streitgegenständliche gerichtliche Entscheidung nicht auf dem nachträglichen Nachweis der Berufsausbildung ihres Sohnes bei der Bundeswehr. Vielmehr wäre das gerichtliche Verfahren auch erforderlich gewesen, wenn sie die Bescheinigung über die Grundausbildung ihres Sohnes bei der Bundeswehr bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht und nachgewiesen hätte. Dies ergebe sich aus dem Schriftsatz der Beklagten des Ausgangsverfahrens vom 21. Januar 2016 sowie ihrer Reaktion in der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2016, in der sie den Erlass eines Abhilfebescheides abgelehnt und eine gerichtliche Entscheidung verlangt habe.

 

Das Finanzgericht wies die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 1. Juni 2016 (2 K 2123/16) zurück. Das Vorbringen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung sei umfassend zur Kenntnis genommen worden. Im Termin habe es der Beschwerdeführerin freigestanden, auch Ausführungen zur Kostentragungspflicht zu machen. Dies hätte sich umso mehr aufgedrängt, als dass die entscheidende Bescheinigung der Bundeswehr unstreitig erst im gerichtlichen Verfahren eingereicht worden sei. Der Einwand, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens auch bei früherer Einreichung dieser Bescheinigung ihren Einspruch nicht abgeholfen hätte, sei zum einen die Beschreibung eines hypothetischen Kausalverlaufes und führe zum anderen nicht dazu, dass sich die Beschwerdeführerin dazu in der mündlichen Verhandlung nicht hätte positionieren können. Aufgrund der Einreichung des streitentscheidenden Belegs erst während des gerichtlichen Verfahrens könne zudem von einer Überraschungsentscheidung für die von einer Berufsträgerin vertretenen Beschwerdeführerin keine Rede sein.

 

II.

Die Beschwerdeführerin hat 2. August 2016 Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der sie die Verletzung ihrer Grundrechte auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz geltend macht.

 

Das Finanzgericht habe zur Begründung der Kostenentscheidung die Tatsache, dass die Bescheinigung über die Ausbildung bei der Bundeswehr im gerichtlichen Verfahren vorgelegt worden sei, zu ihren Ungunsten herangezogen. Damit habe sie nach dem Verfahrensverlauf nicht rechnen können. Dies sei während des gesamten Verfahrens zu keinem Zeitpunkt erörtert oder auch nur angesprochen worden. Insbesondere nachdem das Finanzgericht nach der Aussetzung des Verfahrens die Familienkasse aufgefordert habe mitzuteilen, ob sie noch an ihrer Rechtsauffassung festhalte, sei sie davon ausgegangen, mit ihrer Klage Erfolg zu haben. Sie sei ferner davon ausgegangen, dass die Familienkasse dann auch die Kosten des Verfahrens gemäß § 135 FGO zu tragen habe. Das Gericht habe seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt, zu welchem sie sich nicht habe äußern können. Es hätte eines Hinweises des Gerichts bedurft, dass dieses davon ausgehe, dass die Kosten der Beschwerdeführerin gemäß § 137 Satz 1 FGO aufzuerlegen seien, da die Bescheinigung erst im gerichtlichen Verfahren eingereicht worden sei. Zu diesem Hinweis hätte sie sich, wie schließlich in der Anhörungsrügeschrift getan, äußern können und müssen. Die Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör sei auch im Anhörungsrügeverfahren nicht geheilt worden. Der Beschluss des Finanzgerichts vom 1. Juni 2016 lasse eine ausreichende und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit ihrem Vortrag nicht erkennen.

 

III.

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg und die Beklagte des Ausgangsverfahrens erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens verteidigt in ihrer Stellungnahme die gerichtliche Kostenentscheidung.

 

B.

I.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. Juni 2016 (2 K 2123/16) richtet, mit dem die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin verworfen wurde. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, dass Anhörungsrügen zurückweisende gerichtliche Entscheidungen mangels Rechtsschutzbedürfnisses grundsätzlich nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können, weil sie keine eigenständige Beschwer schaffen. Sie lassen allenfalls mit der Ausgangsentscheidung bereits eingetretene Verletzungen des rechtlichen Gehörs fortbestehen, indem eine Selbstkorrektur durch das Fachgericht unterbleibt. Ein schutzwürdiges Interesse an einer - zusätzlichen - verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Gehörsrügeentscheidung besteht nicht (vgl. Beschlüsse vom 9. September 2016 - VfGBbg 24/16 -, vom 9. Oktober 2015 - VfGBbg 39/15 -, vom 12. Dezember 2014 - VfGBbg 23/14 - und vom 15. Juli 2011 - VfGBbg 10/11 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

 

2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.

 

a. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Beschwerdeführerin lediglich die gerichtliche Kostenentscheidung angreift. Denn eine solche kann selbständiger Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, wenn sich der geltend gemachte Verfassungsverstoß ausschließlich auf die Kostenentscheidung und nicht auch auf die Entscheidung in der Sache bezieht. In einem solchen Fall besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für dessen verfassungsgerichtliche Überprüfung. Anderenfalls wäre der verfassungsgerichtliche Rechtsschutz lückenhaft, denn der Betroffene hätte keine Möglichkeit, sich gegen eine selbständig in einer Kostenentscheidung enthaltene Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte zur Wehr zu setzen. Dies gilt unabhängig davon, ob die beanstandete Kostenentscheidung - wie bei Rücknahme einer Klage, Erledigung der Hauptsache oder Vergleich - isoliert oder ob sie in Zusammenhang mit einer Sachentscheidung ergangen ist (vgl. Beschluss vom 17. April 2015 - VfGBbg 56/14 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 74, 78, 89 f; BVerfGK 5, 10, 12; BVerfG NJW 2010, 1349, 1350; NJW 2016, 861, 862). Gemessen daran besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde. Der von der Beschwerdeführerin behauptete Verfassungsverstoß bezieht sich unabhängig von der Entscheidung zur Sache ausschließlich auf die zu ihren Lasten ergangene Kostenentscheidung.

 

b. Auch ist der Rechtsweg ausgeschöpft (§ 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg). Gegen die Kostenentscheidung des Finanzgerichtes vom 26. April 2016 stand ein weiteres Rechtsmittel nicht zur Verfügung (§ 128 Abs. 4 Satz 1 FGO). Vom Rechtsbehelf der Anhörungsrüge nach § 133a FGO hat die Beschwerdeführerin Gebrauch gemacht.

 

c. Die Beschwerdefrist nach § 47 Abs. 1 VerfGGBbg ist gewahrt.

 

d. Schließlich steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, dass das Urteil, gegen das sie sich richtet, auf der Grundlage von Verfahrensrecht des Bundes ergangen ist. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. LVerfGE 8, 82, 84; Beschluss vom 16. Dezember 2010 - VfGBbg 18/10 -, LKV 2011, 124 f) sind erfüllt.

 

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.

 

1. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat mit der im Urteil vom 26. April 2016 getroffenen Kostenentscheidung zu Lasten der Beschwerdeführerin deren Grundrecht auf rechtliches Gehör nach Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV verletzt.

 

Der in Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV enthaltene, mit Art. 103 Abs. 1 GG inhaltsgleiche Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des gerichtlichen Verfahrens sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 84, 188, 190; 89, 28, 35). Die Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren müssen Gelegenheit erhalten, sich zu den entscheidungserheblichen Fragen vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Dies gilt nicht nur für den zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch für Ausführungen zur Rechtslage.

 

An einer solchen Gelegenheit fehlt es nicht erst dann, wenn ein Beteiligter gar nicht zu Wort gekommen ist oder wenn das Gericht seiner Entscheidung Tatsachen zugrunde legt, zu denen die Beteiligten nicht Stellung nehmen konnten. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt auch voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, worauf es für die Entscheidung ankommen kann. Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV verlangt zwar grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist. Ihm ist auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen. Gleichwohl kann es in besonderen Fällen verfassungsrechtlich geboten sein, einen Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will. Es kommt im Ergebnis einer Verhinderung des Vortrags gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. Beschlüsse vom 16. März 2000 - VfGBbg 6/00 -, vom 18. April 2002 - VfGBbg 7/02 -, vom 21. November 2002 - VfGBbg 99/02-, vom 18. März 2010 - VfGBbg 21/09 - und vom 17. Juni 2016 - VfGBbg 79/15 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144 f; BVerfG NVwZ-RR 2016, 521, 526; BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 1 BvR 3522/08 -, juris Rn. 44).

 

Ausgehend hiervon verstößt das angegriffene Urteil in der Kostenentscheidung gegen Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV. Denn auch eine gewissenhafte Prozesspartei brauchte nach dem Gang des Verfahrens nicht von sich aus in Betracht zu ziehen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 137 Satz 1 FGO durch das Gericht bejaht werden könnten. Gemäß dieser Bestimmung können die Kosten eines finanzgerichtlichen Verfahrens einem Beteiligten ganz oder teilweise auch dann auferlegt werden, wenn er obsiegt hat, die Entscheidung aber auf Tatsachen beruht, die er früher hätte geltend machen oder beweisen können und sollen. Es entspricht der - soweit ersichtlich - einhelligen Auffassung der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur, dass die Regelung des § 137 Satz 1 FGO nicht anwendbar ist, wenn das verspätete Vorbringen nicht ursächlich für die Entstehung der aufzuerlegenden Kosten geworden sind, also das schuldhafte Verhalten hinweggedacht werden kann, ohne dass die Kosten entfallen. Maßgeblich ist hier der Zweck der Bestimmung, einer Verfahrensverschleppung dadurch vorzubeugen, dass die durch Verschulden entstandenen Mehrkosten dem Verursacher zugewiesen werden (vgl. BFH, Urteile vom 18. Dezember 1963 - I 352/61 -, BeckRS 1963, 21007714; vom 29. Oktober 1981 - I R 89/80 -, juris Rn. 39; vom 22. April 2004 - V R 72/03 -, juris Rn. 30; FG Hamburg, Urteile vom 1. Oktober 1993 ‑ I 213/91 ‑, juris Rn. 98 und vom 29. November 2004 - III 493/01 -, juris Rn. 97; FG Baden-Würt­temberg, Urteil vom 27. März 1998 - 9 K 315/96 -, juris Rn. 49 und Beschluss vom 24. August 1999 - 4 Ko 4/98 -, EFG 1999, 1154; FG Berlin-Branden­burg, Beschluss vom 16. September 2008 - 5 V 5085/08 -, juris Rn. 3; Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Oktober 2016, FGO § 137 Rn. 4; Schwarz, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: September 2016, FGO § 137 Rn. 20; Brandt, in: Beermann/Gosch, AO/FGO, Stand: September 2005, FGO § 137 Rn. 31; Starke, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: September 2016, FGO § 137 Rn. 2; Ratschow, in: Gräber, FGO, 8. Aufl. 2015, § 137 Rn. 5; Bartone, in: Kühn/von Wedelstädt, AO/FGO, 21. Aufl. 2015, FGO § 137 Rn. 2; Lemaire, AO-StB 2009, 374, 376 f; Lemaire, EFG 2009, 42; Eppers, EFG 2009, 142).

 

Vor diesem Hintergrund lag es im Ergebnis des bisherigen Verfahrens und insbesondere der mündlichen Verhandlung keineswegs nahe, auf die im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens erfolgte Vorlage der "Bescheinigung über die Ausbildung eines Soldaten/einer Soldatin bei der Bundeswehr" vom 30. November 2015 eine Kostenentscheidung zulasten der Beschwerdeführerin zu stützen. Ungeachtet der durchaus offenen Frage, ob vorliegend überhaupt von einer schuldhaften Säumnis der Beschwerdeführerin auszugehen wäre, ist jedenfalls eine Kausalität der späten Vorlage der Bescheinigung für die Entstehung der Gerichtskosten nicht ersichtlich. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hat mit Schriftsatz vom 21. Januar 2016 ausdrücklich erklärt, dass das vorgelegte Formular inhaltlich nicht ausreiche, eine Berufsausbildung zu belegen, die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG somit nicht nachgewiesen seien. Ihre ablehnende Haltung hat sie überdies durch den Klageabweisungsantrag in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hätte auch in einem Einspruchsverfahren, unterstellt die Bescheinigung hätte ihr bereits seinerzeit vorgelegen, keinen anderen Standpunkt eingenommen. Es spricht alles dafür, dass das gerichtliche Verfahren auch bei früherer Beschaffung und Vorlage des Formulars durch die Beschwerdeführerin nicht hätte vermieden werden können.

 

Angesichts dieser Prozesslage brauchte die Beschwerdeführerin auch bei Einbeziehung aller Eventualitäten nicht damit zu rechnen, dass das Finanzgericht ohne entsprechenden Hinweis einen von der dargestellten allgemein in Rechtsprechung und Kommentarliteratur vertretenen Rechtsauffassung abweichenden Standpunkt einnimmt, dass es nach seiner (offenbar vertretenen) Wertung im Rahmen des § 137 Satz 1 FGO keiner Kausalitätserwägungen bedarf, und eine Kostenentscheidung zu Lasten der Beschwerdeführerin treffen wird.

 

2. Das angegriffene Urteil beruht in Bezug auf die Kostenentscheidung auf dem festgestellten Verfassungsverstoß.

 

Eine gerichtliche Entscheidung kann nur dann wegen Verstoßes gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aufgehoben werden, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beachtung der sich aus dem Grundrecht auf rechtliches Gehör ergebenden Anforderungen zu einer anderen, dem Beteiligten günstigeren Entscheidung geführt hätte; nur dann beruht die Entscheidung darauf, dass der Beteiligte nicht gehört wurde.

 

Ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör kann geheilt werden, wenn das Gericht in der Lage ist, das nunmehr zur Kenntnis genommene Vorbringen zu berücksichtigen. Dies ist im Verfahren der Anhörungsrüge jedenfalls dann der Fall, wenn das Gericht durch Ausführungen zur Rechtslage den gerügten Gehörsverstoß beseitigen kann, insbesondere indem es rechtliches Vorbringen nunmehr (erstmals) zur Kenntnis nimmt und bescheidet oder auch an einer in der vorangegangenen Entscheidung überraschend eingenommenen Rechtsposition unter Angabe von Gründen festhält. Hat sich das Gericht in einem solchen Fall eine abschließende Meinung gebildet, kann das Verfassungsgericht davon ausgehen, dass eine für den Beteiligten günstigere Lösung ausgeschlossen ist, die Entscheidung also nicht auf der Gehörsverletzung beruht (vgl. zum Bundesrecht: BVerfG, Beschlüsse vom 24. Februar 2009 - 1 BvR 182/09 -, juris Rn. 27; vom 7. Oktober 2009 - 1 BvR 178/09 -, juris Rn. 10; vom 14. Oktober 2010 - 2 BvR 409/09 -, juris Rn. 26; vom 29. Juli 2016 - 1 BvR 1225/15 -, juris Rn. 12).

 

Eine derartige Heilung scheidet hier jedoch aus. Denn das Finanzgericht hat im Beschluss vom 1. Juni 2016 den Gehörsverstoß in Abrede gestellt und sich daher mit der Stellungnahme der Beschwerdeführerin zum Erfordernis einer Kausalität im Rahmen des § 137 Satz 1 FGO und den Gründen, aus denen eine solche zu verneinen sei, inhaltlich nicht auseinandergesetzt.

 

3. Da das angegriffene Urteil im Kostenausspruch schon wegen des Verstoßes gegen Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV aufzuheben ist, bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, ob die Kostenentscheidung des Finanzgerichts im Urteil vom 26. April 2016 darüber hinaus auch die aus dem Rechtsstaatsgebot des Art. 2 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 10 LV abgeleitete Garantie effektiven Rechtsschutzes verletzt.

 

4. Das Urteil vom 26. April 2016 ist hiernach bezüglich der Kostenentscheidung gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zurückzuverweisen.

 

Der Beschluss über die Anhörungsrüge vom 1. Juni 2016 ist mit dieser Entscheidung gegenstandslos geworden.

 

III.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfG­GBbg.

 

Der Gegenstandswert ist nach § 33 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Satz 2 Rechtsanwaltsvergü­tungsgesetz auf 10.000,00 € festzusetzen. Dies entspricht der ständigen Praxis des Verfassungsgerichts bei erfolgreichen Verfassungsbeschwerden (vgl. Beschluss vom 9. Oktober 2015 - VfGBbg 41/15 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

 

IV.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dresen
   
Dr. Fuchsloch Dr. Lammer