VerfGBbg, Beschluss vom 29. August 2014 - VfGBbg 1/14 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
|
entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 - VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1 - GKG, § 68; GKG, § 69a |
|
Schlagworte: | - Anspruch auf rechtliches Gehör - Rechtswegerschöpfung - Subsidiarität - Streitwert - Beschwerde - Anhörungsrüge |
|
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 29. August 2014 - VfGBbg 1/14 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 1/14
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
H.,
Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt H.,
wegen des Beschlusses des Landgerichts Potsdam vom 30. Oktober 2013 (2 T 73/13)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt
am 29. August 2014
b e s c h l o s s e n :
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
G r ü n d e :
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Zurückweisung einer Streitwertbeschwerde durch das Landgericht in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.
I.
1. Im Juni 2013 erhielt der Beschwerdeführer eine Werbemail. Mit deren Versand hatte der Vertreiber der beworbenen Produkte eine in der Rechtsform der Ltd. organisierte Gesellschaft beauftragt. Mit Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nahm der Beschwerdeführer das Vertriebsunternehmen vor dem Amtsgericht Potsdam sowie die Ltd. und deren Vorstand vor dem Landgericht Potsdam auf Unterlassung in Anspruch. Mit Beschluss vom 2. August 2013 erließ die 2. Zivilkammer des Landgerichts (durch eine Beisitzerin als Einzelrichterin) die einstweilige Verfügung und setzte den Gegenstandswert auf 6.000,00 Euro fest (2 O 361/13). Das Amtsgericht gab dem bei ihm gestellten Antrag mit Urteil vom 27. September 2013 statt und bestimmte den Gegenstandswert mit 1.200,00 Euro. Hiergegen wandte sich der Beschwerdeführer und beantragte, den Streitwert auf 3.000,00 Euro je Unterlassungsschuldner festzusetzen, wie dies insbesondere in dem dieselbe Werbemail be- treffenden Verfahren 2 O 361/13 erfolgt sei und der jüngeren Praxis der 2. Zivilkammer des Landgerichts in auf Unterlassung von Werbeanrufen und Werbemails gerichteten Eilverfahren entspreche, die im Übrigen im Einklang mit der Auffassung des Bundesgerichtshofs sei.
2. Die 2. Zivilkammer des Landgerichts durch ihre Vorsitzende als Einzelrichterin wies die Beschwerde durch Beschluss vom 30. Oktober 2013 zurück. Die Streitwertbemessung des Amts-gerichts sei zutreffend. Wenn das Unterlassungsinteresse des Klägers nicht in nachvollziehbarer Weise durch einen Geldbetrag ausgedrückt werden könne, diene der Streitwert allein als Grundlage für eine angemessene Festsetzung der Gerichtsgebühren und der Rechtsanwaltsvergütung, die sich nach der in vergleichbaren Fällen üblichen Vergütung richte. Die regelmäßige Festsetzung des Streitwerts auf 3.000,00 Euro durch die Kammer gelte für unerwünschte Telefonwerbung, die den Empfänger stärker belästige als eine ohne sein Einverständnis übersandte Werbemail; im letzteren Fall sei der Streitwert daher niedriger anzusetzen. Der Beschluss ging dem Beschwerdeführer am 7. November 2013 zu.
II.
Mit der am 2. Januar 2014 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, der Beschluss vom 30. Oktober 2013 verstoße gegen das Willkürverbot aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 der Landesverfassung (LV). Das Landgericht sei in dem Beschluss überraschend und unvorhersehbar von seiner bisherigen – sogar an derselben Werbemail vorgenommenen (Verfahren 2 O 361/13) - Übung der Streitwertfestsetzung abgewichen, ohne dies überhaupt erkannt, geschweige denn nachvollziehbar begründet zu haben. Das Fehlen einer solchen Begründung mache die Entscheidung, die isoliert betrachtet vertretbar sein mag, objektiv willkürlich, und zwar auch für den Fall, dass das Gericht mit ihr eine Änderung seiner Spruchpraxis habe einleiten wollen.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) als unzulässig zu verwerfen.
Der Beschwerdeführer hat das Gebot der Rechtswegerschöpfung aus § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg bzw. den hieraus abgeleiteten Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht beachtet. Nach diesem Grundsatz muss der Beschwerdeführer über die Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zur Korrektur der behaupteten Grundrechtsverletzung ergreifen (st. Rspr., vgl. zuletzt Beschluss vom 15. Mai 2014 – VfGBbg 61/13 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
I.
Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg nicht ausgeschöpft, indem er es unterlassen hat, gegen den Beschluss des Landgerichts vom 30. Oktober 2013 die Anhörungsrüge nach § 69a Gerichtskostengesetz zu erheben.
Die Anhörungsrüge gehört zum Rechtsweg im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg, wenn Gegenstand der Verfassungsbeschwerde (auch) die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV ist. Dies ist sowohl bei der ausdrücklichen Rüge einer Gehörsverletzung der Fall als auch, wenn sich eine solche Rüge aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers objektiv ergibt; denn maßgeblich ist nicht, welches Grundrecht der Beschwerdeführer benennt oder zum Bezugsrahmen seiner verfassungsrechtlichen Ausführungen macht, sondern welche grundrechtliche Gewährleistung mit der Beschwerdeschrift der Sache nach als verletzt gerügt wird (Beschluss vom 24. Januar 2014 – VfGBbg 21/13 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; zum Bundesrecht vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. Juli 2013 – 1 BvR 3057/11 -, NJW 2013, 3506 f und vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 1468/11 -, BVerfGK 19, 23, 24).
Der Beschwerdeführer hat in der Verfassungsbeschwerde ausdrücklich zwar nur auf den Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot abgestellt; in der Beschwerdeschrift trägt er jedoch Umstände vor, aus denen sich objektiv der Sache nach (auch) die Rüge eines – möglichen - Gehörsverstoßes ergibt. Mit der Beschwerde zum Landgericht habe er u. a. ausgeführt, dass im Verfahren 2 O 361/13, in dem es (allein) um dieselbe Werbemail wie im Beschwerdeverfahren gegangen sei, wie auch in anderen Werbeanrufe und Werbemails betreffenden Verfahren vor der 2. Zivilkammer der Streitwert in jüngerer Vergangenheit auf 3.000,00 Euro (je Unterlassungsschuldner) festgesetzt worden sei. Demgegenüber habe dieselbe Kammer in dem angegriffenen Beschluss darauf hingewiesen, den Streitwert nur in solchen Verfahren auf 3.000,00 Euro zu veranschlagen, die unerwünschte Telefonwerbung zum Gegenstand hätten, und die Beschwerde für ihn “völlig überraschend” zurückgewiesen. Nach diesem Vortrag erscheint es jedenfalls möglich, dass das Landgericht in der Beschwerdeentscheidung auf einen (neuen) rechtlichen Gesichtspunkt abgestellt hat, mit dem ein gewissenhafter Prozessbeteiligter auch in Anbetracht der Vielzahl der zu dieser Frage vertretenen Auffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl. zur Überraschungsentscheidung als Erscheinungsform der Gehörsverletzung: Ernst, in Lieber/Iwers/Ernst, Kommentar zur Landesverfassung, Art. 52 Nr. 4.3). Immerhin trägt der Beschwerdeführer selbst vor, die Entscheidung des Landgerichts sei für ihn “völlig überraschend” gewesen.
Da nichts dafür ersichtlich ist, dass eine Anhörungsrüge von vornherein offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, war es dem Beschwerdeführer auch zumutbar, sie zu erheben und damit den Rechtsweg auszuschöpfen.
II.
Die unterbliebene Erhebung der statthaften Anhörungsrüge hat zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf eine etwaige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern – nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde - insgesamt unzulässig ist (st. Rspr., vgl. etwa Beschluss vom 21. März 2014 – VfGBbg 43/13 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Fuchsloch | Dr. Lammer |
Nitsche | Partikel |
Schmidt |