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VerfGBbg, Beschluss vom 15. Juli 2011 - VfGBbg 10/11 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 12, 26, 27, 52
- VerfGGBbg, § 46
Schlagworte: - rechtliches Gehör
- Subsidiarität
- Sorgerecht
- Wiederaufnahme des fachgerichtlichen Verfahrens
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 15. Juli 2011 - VfGBbg 10/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 10/11




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

       M.,

 

 

 

Beschwerdeführer zu 1),

 

 

       K.,

 

 

 

Beschwerdeführer zu 2),

 

    K.,

 

 

 

                                 Äußerungsberechtigte,

 

 

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte B.

 

 

 

 

 

wegen des Beschlusses des Amtsgerichts Potsdam vom 3. Mai 2010 (Az.: 43 F 170/10) sowie der Beschlüsse des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 2. September 2010 und 3. Januar 2011 (Az.: 15 UF 74/10)

 

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Möller, Nitsche und Schmidt

 

 

am 15. Juli 2011

 

 

b e s c h l o s s e n :

 

 

         Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

 

G r ü n d e :

 

A.

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen Entscheidungen des Amtsgerichts Potsdam und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, die im Rahmen von Streitigkeiten über das Sorgerecht der Äußerungsberechtigten und des Beschwerdeführers zu 1) für deren gemeinsamen minderjährigen Sohn, dem Beschwerdeführer zu 2), ergangen sind.

 

I.

Die  Eltern sind und waren nicht miteinander verheiratet. Der Beschwerdeführer zu 2) lebt bei der Äußerungsberechtigten, die alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge ist.

 

Im vor dem Amtsgerichts Potsdam geführten Ausgangsverfahren (43 F 73/08) beantragte der Beschwerdeführer zu 1) gemäß § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) den Entzug der elterlichen Sorge und Übertragung auf den Beschwerdeführer zu 1), hilfsweise die Begründung der Mitsorge und die Übertragung der Gesundheitssorge im Wege der einstweiligen Anordnung. Zur Begründung führte er u. a. aus, dass die Äußerungsberechtigte beim Umgang mit der Phimose des Beschwerdeführers zu 2) die Gesundheitssorge nicht dem Kindeswohl entsprechend ausübe und sie durch ihre Bindungsintoleranz das Kindeswohl gefährde. Die Anträge wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 31. März 2008 zurück. Eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Beschwerdeführer zu 1) komme – wenn Sorgerechtserklärungen nach § 1626 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht abgegeben seien – ohne ausdrückliche Zustimmung der Kindesmutter nicht in Betracht. Die Übertragung der Sorge könne auch nicht auf § 1666 BGB gestützt werden, da keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bestünden. Das Brandenburgische Oberlandesgericht verwarf mit Beschluss vom 20. Mai 2008 (15 UF 55/08) die dagegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers zu 1) mit der Begründung, dass dem Vater eines nichtehelichen Kindes kein eigenes Beschwerderecht zustehe. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Rechtsbeschwerde verwarf der Bundesgerichtshof als unzulässig mit Beschluss vom 26. November 2008 (XII ZB 103/08).

 

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. Dezember 2009 in der Sache Zaunegger (Individualbeschwerde Nr. 22028/04) beantragte der Beschwerdeführer zu 1) am 30. März 2010 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht (15 UFH 1/10) die Wiederaufnahme des Ausgangsverfahrens im Sinne einer Restitution gem. § 580 Nr. 8 der Zivilprozessordnung (ZPO). Das Brandenburgische Oberlandesgericht wies den Beschwerdeführer zu 1) darauf hin, dass es sachlich nicht zuständig sein dürfte, und leitete den Antrag an das Amtsgericht Potsdam weiter (dortiges Az.: 43 F 186/10). Daneben stellte der Beschwerdeführer zu 1) beim Amtsgericht Potsdam einen weiteren Wiederaufnahmeantrag (43 F 170/10).

 

Das Amtsgericht Potsdam hat mit Beschluss vom 3. Mai 2010 die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen 43 F 170/10 verbunden und die Anträge als unzulässig verworfen. Zum Einen habe der Beschwerdeführer zu 1) die Antragsfrist des § 586 Abs. 1 ZPO versäumt, weil ihm die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schon seit Ende des Jahres 2009 bekannt sei. Für die Fristberechnung komme es auf die Kenntnis der Tatsachen für die Wiederaufnahme und nicht deren rechtliche Einordnung an. Zum Anderen komme der Wiederaufnahmegrund des § 580 Nr. 8 ZPO nur demjenigen zugute, der in eigener Person vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein obsiegendes Urteil errungen habe.

 

Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Brandenburgische Oberlandesgericht mit streitgegenständlichem Beschluss vom 2. September 2010 zurück. Dabei könne dahinstehen, ob die Begründung des Amtsgerichts zutreffend sei. Dem Beschwerdeführer zu 1) fehle es am Rechtsschutzbedürfnis für das Wiederaufnahmeverfahren. Die zwischenzeitlich vom Bundesverfassungsgericht getroffene Entscheidung vom 21. Juli 2010 zum Aktenzeichen 1 BvR 420/09 komme einer Gesetzesänderung gleich und ermögliche dem Beschwerdeführer zu 1) die Einleitung eines neuen Sorgerechtsverfahrens. In diesem Verfahren sei am Maßstab des Kindeswohls zu prüfen, ob eine andere Gestaltung der elterlichen Sorge als das alleinige Sorgerecht der Mutter dem Kindeswohl besser entspreche; § 1696 Abs. 1 BGB stehe dem nicht entgegen. Hinsichtlich eines im Beschwerdeverfahren gestellten Antrags auf Erstattung von Kosten im Wege der Amtshaftung wies das Brandenburgische Oberlandesgericht auf seine Unzuständigkeit hin.

 

Mit seiner  Anhörungsrüge und Gegenvorstellung machte der Beschwerdeführer zu 1) geltend, dass das Brandenburgische Oberlandesgericht eine Überraschungsentscheidung getroffen habe. Es hätte eine mündliche Verhandlung durchführen und ihn darüber informieren müssen, dass es eine Kostenentscheidung zu seinen Lasten habe treffen wollen. Er meinte, für die Kostenentscheidung wäre § 83 i. V. m. § 81 FamFG anzuwenden gewesen, da die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als Antragserledigung anzusehen sei. Außerdem habe sich das Rechtsschutzbedürfnis nicht erledigt, die Kindeswohlgefährdung habe sich durch neue Tatsachen und Beweise bestätigt. Es sei nicht erkennbar, wie das neue Sorgerechtsverfahren (43 F 347/10) dem Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers im Hinblick auf das Verfahren nach § 1666 BGB, zu welchem die bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung nichts aussage, Rechnung tragen solle. Die Feststellungen im Verfahren nach § 1666 BGB seien auch für das neue Sorgerechtsverfahren von Relevanz.

 

Das Brandenburgische Oberlandesgericht wies die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 3. Januar 2011, dem Beschwerdeführer zu 1) zugestellt am 18. Januar 2011, zurück. Dem Beschwerdeführer zu 1) sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bekannt gewesen. Er habe das Verfahren nicht für erledigt erklärt, obwohl er die gleichen rechtlichen Schlüsse wie das Gericht hätte ziehen können, denn er nehme für sich in Anspruch, so rechtskundig zu sein, dass er zahlreiche Verfahren bis hin zum Verfassungsgericht ohne anwaltliche Hilfe führe. Für die Wiederaufnahme bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Die Kindeswohlgefährdung werde in dem neuen bereits unter dem Aktenzeichen 43 F 347/10 anhängigen Verfahren erneut geprüft.

 

II.

Der Beschwerdeführer zu 1) hat am 18. März 2011 im eigenen Namen und im Namen des Beschwerdeführers zu 2) Verfassungsbeschwerde gegen die den Wiederaufnahmenantrag zurückweisenden Beschlüsse des Amtsgerichts Potsdam vom 3. Mai 2010 und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 2. September 2010 sowie den auf die Anhörungsrüge ergangenen Beschluss vom 3. Januar 2011 erhoben. Er rügt eine Verletzung der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 8 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg – LV -), auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 10 LV), Gleichheit (Art. 12 Abs. 1, 2 und 3 LV), der Eltern- und Kindrechte (Art. 26 Abs. 3 und Art. 27 Abs. 1, 2, 4 und 5 LV) sowie des Rechts auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren (Art. 52 Abs. 3 und 4 LV). Daneben macht er die Verletzung von Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention geltend. Er ist der Auffassung, dass ihm nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die damit einhergehenden Grundrechte der Landesverfassung verweigert worden seien. Ebenso sei ihm keine zweite Instanz gegen die unzureichende Tatsachenaufklärung des Amtsgerichts Potsdam in der Kindeswohlangelegenheit nach § 1666 BGB eröffnet worden.

 

Das Amtsgericht Potsdam habe in dem Verfahren 43 F 73/08 den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt und unter Verletzung des Gleichbehandlungsgebots von Mann und Frau den Vortrag des Beschwerdeführers zu 1) ungeprüft gelassen. Der Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 31. März 2008 in diesem Verfahren verletzte darüber hinaus Art. 26 Abs. 3 und 27 LV, weil es an einer konkreten Begründung für die Verneinung der Kindeswohlgefährdung fehle. Diese Versäumnisse hätten zu einer Gesundheitsgefährdung des Beschwerdeführers zu 2) geführt und diesem über Jahre hinweg unnötiges Leid beschert. In dem auf Wiederaufnahme gerichteten Verfahren hätten das Amtsgericht Potsdam und das Brandenburgische Oberlandesgericht das Recht auf die wirkungsvolle Ausgestaltung des Rechtsschutzes nicht beachtet. Das Brandenburgische Oberlandesgericht habe zudem den Anspruch auf rechtliches Gehör und faires Verfahren verletzt. Insoweit verweisen die Beschwerdeführer auf die  Ausführungen in der Anhörungsrüge und Gegenvorstellung des Beschwerdeführers zu 1) und machen weiter geltend, dass das Brandenburgische Oberlandesgericht die Anträge des Beschwerdeführers zu 1) verkannt habe, mit denen er ausdrücklich Hinweise erbeten und weiteren Sachvortrag vorbehalten habe. Zudem werde der Beschwerdeführer zu 1) durch die im Beschluss über die Anhörungsrüge enthaltenen Äußerungen des Gerichts zu seinen Rechtskenntnissen in seinen Grundrechten verletzt.

 

Die Beschwerdeführer sind ferner der Auffassung, dass die Verfassungsbeschwerde dem Grundsatz der Subsidiarität genüge, da auch im erneuten Sorgerechtsverfahren eine Aufklärung des Phimoseproblems nicht zu erwarten sei. Dort sei zwar ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben worden, welches sich aber zur Phimose nicht verhalte. Auch vom Richter sei keine anderweitige Berücksichtigung zu erwarten, da dieser wegen der Entscheidung vom 31. März 2008 festgelegt sei.

 

III.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht sowie die Äußerungsberechtigte haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

 

Die Äußerungsberechtigte ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei zurückzuweisen. Sie sei aus Gründen der Subsidiarität schon unzulässig. Die vom Beschwerdeführer zu 1) gerügten Verfahrensfehler lägen nicht vor. Er habe stets und umfassend Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt.

 

IV.

Die Akten des Amtsgerichts und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts – Az: 43 F 73/08, 43 F 170/10 bzw. 15 UF 55/08 und 15 UF 74/10 – sind beigezogen worden. 

 

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.

I. Soweit die Beschwerdeführer die Verletzung von Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention geltend machen, ist das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg nicht zuständig. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 LV i. V. m. § 45 VerfGGBbg eröffnet die Verfassungsbeschwerde ausschließlich gegen behauptete Ver­letzungen der in der Verfassung des Landes Brandenburg gewährleisteten Grundrechte.

II. Die von den Beschwerdeführern behauptete Verletzung von Art. 8, 10, 12, 26 Abs. 3 und 27 LV durch die unterbliebene Aufklärung im Verfahren 43 F 73/08 kann im Rahmen der vorliegenden Verfassungsbeschwerde nicht geprüft werden. Die genannte Entscheidung ist nicht Streitgegenstand. Die Zweimonatsfrist für eine dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde (§ 47 Abs. 1 VerfGGBbg) wäre zudem längst abgelaufen.

 

III.  Die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und faires Verfahren unzulässig.

 

1. Soweit der Beschwerdeführer zu 1) sich durch die unterlassene mündliche Verhandlung und den unterlassenen rechtlichen Hinweis, dass das Gericht beabsichtige, eine auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis gestützte Entscheidung zu treffen, in seinem durch Art. 52 Abs. 3 LV verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sieht, fehlt es der Verfassungsbeschwerde an einer ausreichenden Begründung (§§ 20 Abs. 1 Satz 2, 46 VerfGGBbg). Die Beschwerdeführer haben nicht hinreichend dargelegt, dass die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf dem gerügten Gehörsverstoß beruhen könnte. Die Verletzung von Art. 52 Abs. 3 LV setzt ein Beruhen der Entscheidung auf diesem Verfahrensfehler voraus. Dies führt zu einer entsprechenden Begründungspflicht bei der Verfassungsbeschwerde (Beschlüsse vom 18. März 2010 – VfGBbg 21/09 – und vom 25. Februar 2011 – VfGBbg 46/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Den Beschwerdeführern ist als Beschwerdeführer des letztgenannten Verfahrens diese Anforderung an die Begründungspflicht auch bekannt. Sie verweisen mit der Verfassungsbeschwerde zwar auf die Anhörungsrüge. In der Anhörungsrüge hatte der Beschwerdeführer zu 1) ausgeführt, dass er eine Kostenentscheidung nach § 83 i.V.m. § 81 FamFG für gerechtfertigt erachtet hätte, weil die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einer Erledigung gleichkomme. Weiter meinte er, dass die Feststellung des Amtsgerichts zur fehlenden Kindeswohlgefährdung in Rechtskraft erwachsen und sich nachteilig auf das weiterhin angestrengte Sorgerechtsverfahren vor dem Amtsgericht Potsdam auswirken könnte, sowie, dass neue Tatsachen und Beweise das damalige Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung bestätigen würden. Dieser Vortrag ist in sich schon nicht schlüssig, da der Beschwerdeführer einerseits meint, dass eine Kostenentscheidung, die eine Erledigung(serklärung) voraussetze, zu treffen gewesen wäre. Andererseits hält er aber an seinem ursprünglichen Restitutionsantrag fest und gibt an, es lägen neue Tatsachen und Beweise vor, die die damalige Kindeswohlgefährdung bestätigten. Damit stellt er die unterschiedlichen Möglichkeiten dar, wie er auf den nach seiner Meinung zu Unrecht unterbliebenen Hinweis hätte reagieren können, jedoch nicht, welche der sich ausschließenden Erklärungen er abgegeben und welche Tatsachen und Beweismittel er angegebenen hätte.

 

Es ist zudem nicht ersichtlich, dass der Hinweis des Beschwerdeführers zu 1) auf die mögliche Rechtskraft der amtsgerichtlichen Feststellungen im Beschluss vom 31. März 2008 und die Behauptung, dass neue Tatsachen und Beweise vorliegen – unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts – dessen Entscheidung zu Gunsten der Beschwerdeführer hätte beeinflussen können. Das Vorliegen neuer Tatsachen und Beweise, zu denen sich der Beschwerdeführer zu 1) nach seiner Auffassung vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht noch Sachvortrag vorbehalten hatte, stellt nur in den streng geregelten Ausnahmefällen des § 580 ZPO einen Restitutionsgrund dar. Ein solcher Fall wird von den Beschwerdeführern indes nicht geltend gemacht, so dass er eine Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts nicht hätte beeinflussen können. Ähnliches gilt für den Verweis auf die Rechtskraft des Beschlusses vom 31. März 2008. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat in seinem Beschluss vom 2. September 2010, mit welchem es das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers zu 1) an der Wiederaufnahme des Verfahrens verneinte, die Rechtskraft des amtsgerichtlichen Beschlusses bereits berücksichtigt. Es hat darauf hingewiesen, dass wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010, die einer Änderung der Rechtslage gleichzusetzen sei, § 1696 BGB einer neuen Entscheidung über das Sorgerecht nicht entgegenstehe. Es hat damit zu erkennen gegeben, dass es trotz der von § 1696 BGB vorausgesetzten formellen Rechtskraft der Entscheidung vom 31. März 2008 von einer erneuten Überprüfung des Kindeswohls bei einer Entscheidung über das Sorgerecht im neu angestrengten Verfahren unter Einbeziehung der dort vorgetragenen Tatsachen und Beweismittel ausgeht. Dies hat das Brandenburgische Oberlandesgericht noch einmal verdeutlicht, indem es in dem Beschluss vom 3. Januar 2011 über die Anhörungsrüge ausführt, dass die Frage, ob eine Kindeswohlgefährdung bestehe, im bereits laufenden neuen Sorgerechtsverfahren „einer (erneuten) Prüfung unterzogen“ werde.

 

2. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 3. Januar 2011 wendet. Dieser ist mit der Verfassungsbeschwerde nicht angreifbar, weil er keine eigenständige Beschwer schafft. Zwar rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens im Rahmen des Anhörungs­rügeverfahrens. Eine Verletzung des Rechts auf faires Verfahren erscheint auch durch die zugespitzten Formulierungen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts zu den Rechtskenntnissen des Beschwerdeführers zu 1) möglich. Durch den Beschluss zu der Anhörungsrüge besteht jedoch allenfalls eine bereits durch die Ausgangsentscheidung eingetretene Verletzung rechtlichen Gehörs fort, indem eine Selbstkorrektur durch das Fachgericht unterblieben ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 107, 395, 411) ist mit der Anhörungsrüge die Möglichkeit zu gewährleisten, eine behauptete Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör einer einmaligen Kontrolle durch das Fachgericht selbst zu unterziehen. Dieser Vorgabe wollte der Gesetzgeber mit den Regelungen zur Anhörungsrüge nachkommen. Der Beschwerdeführer kann deshalb im Verfassungsbeschwerdeverfahren ausschließlich die Ausgangsentscheidung angreifen und auf die seiner Ansicht nach fortbestehenden Grundrechtsverletzungen hin überprüfen lassen (Beschluss vom 15. April 2010 – VfGBbg 5/10 -, www.verfassungs­ge­richt.­­­­bran­den­burg.­de). Hinsichtlich der Ausgangsentscheidung (hier: Beschluss vom 2. September 2010) wurde kein Gehörsverstoß dargelegt (siehe oben B.III.1.). Kann jedoch gegenüber der Ausgangsentscheidung kein Gehörsverstoß festgestellt werden, gibt es auch kein Interesse an einer denkbaren isolierten Aufhebung der Entscheidung über die Anhörungsrüge durch das Verfassungsgericht. Damit könnte nämlich dem Fachgericht nur die erneute Möglichkeit zur Selbstkorrektur eines etwaigen Gehörsverstoßes gegeben werden. Hat das Verfassungsgericht aber den geltend gemachten Gehörsverstoß gegenüber der Ausgangsentscheidung schon geprüft, besteht kein Interesse mehr daran, das als „Vorverfahren“ zum Verfassungsbeschwerdeverfahren gedachte Anhörungsrügeverfahren noch einmal zu eröffnen. Insoweit steht der Anhörungsrügebeschluss einer nicht anfechtbaren Zwischenentscheidung auf dem Weg zur Verfassungsbeschwerde gleich.

IV. Soweit die Beschwerdeführer die Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit aus (Art. 8 Abs. 1 LV), auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 10 LV), Gleichheit (Art. 12 Abs. 1, 2 und 3 LV) und der Eltern- und Kindrechte (Art. 27 Abs. 1, 2, 4 und 5 LV) durch die Verwerfung des Wiederaufnahmeantrags rügen, haben sie dem Gebot der Subsidiarität des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht Rechnung getragen.

 

1.   Das in § 45 Abs. 2 VerfGGBbg verankerte Prinzip der Subsidiarität verlangt von einem Beschwerdeführer, dass dieser - über eine bloße Rechtswegerschöpfung im bereits durchgeführten Verfahren hinaus - alles im Rahmen seiner Möglichkeiten Stehende getan hat, um eine etwaige Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder von vornherein zu verhindern. Vor Anrufung des Verfassungsgerichts müssen alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung ausgeschöpft werden (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 21. Januar 2011 – VfGBbg 28/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Die­sen Anforderungen sind die Beschwerdeführer nicht in vollem Umfang gerecht geworden. Der Beschwerdeführer zu 1) muss sich zunächst mit einem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge an das Familiengericht wenden. Nach seinen eigenen Angaben und den Feststellungen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts im Beschluss vom 3. Januar 2011 hat der Beschwerdeführer zu 1) ein solches Verfahren vor dem Amtsgericht Potsdam unter dem Aktenzeichen 43 F 347/10 anhängig gemacht. Die Entscheidung hierüber ist abzuwarten.

 

In diesem Verfahren ist nach der vorläufigen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 21. Juli 2010 (a. a. O.) in Ergänzung zu § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB auf entsprechenden Antrag eines Elternteils zu prüfen, ob zu erwarten ist, dass die Übertragung der elterlichen Sorge insgesamt oder von Teilen auf die Eltern gemeinsam dem Kindeswohl entspricht. Nach der ergänzenden Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zu § 1672 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht in Anlehnung an § 1671 BGB auf entsprechenden Antrag eines Elternteils dem Vater die elterliche Sorge insgesamt oder einen Teil davon zu übertragen, wenn eine gemeinsame Sorge nicht in Betracht kommt und dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

 

In dem genannten laufenden Verfahren die entsprechenden Anträge zu stellen und die Entscheidungen abzuwarten, ist der sachnächste Weg, die vermeintlichen Verfassungsverstöße zu beseitigen. Die Beschwerdeführer könnten durch die mit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde angestrebte Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen im Restitutionsverfahren nur erreichen, dass das Brandenburgische Oberlandesgericht erneut über die Zulässigkeit des Restitutionsantrages entscheidet, was im günstigsten Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über den auf Übertragung der elterlichen Sorge und der Gesundheitssorge gerichteten Antrag führen würde. Der Beschwerdeführer zu 1) ist aber gerade mit der Begründung, die er als Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens 43 F 73/08 geltend macht - nämlich die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte,  die Änderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie die angeblich neuen Tatsachen -, berechtigt, die Übertragung der elterlichen Sorge vor dem Familiengericht für die Zukunft zu beantragen. Damit verfügen die Beschwerdeführer über eine vorrangig zu nutzende Rechtsschutzmöglichkeit, um die geltend gemachten Grundrechtsverletzungen zu beseitigen. Zu keiner anderen Bewertung führt die Argumentation der Beschwerdeführer, dass ohne Restitutionsverfahren die Feststellungen des Amtsgerichts im Beschluss vom 31. März 2008 zur fehlenden Kindeswohlgefährdung in Rechtskraft erwachsen würden. Für die Frage, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder nicht bzw. welche Regelung dem Kindeswohl entspricht, ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich. Dieser Zeitpunkt wäre sowohl in dem möglicherweise wiederaufzunehmenden Verfahren 43 F 73/08 als auch in einem neu angestrengten Sorgerechtsverfahren zu Grunde zu legen. Die in die Zukunft gerichteten  Entscheidungen über die elterliche Sorge sind insoweit nicht der materiellen Rechtskraft fähig (vgl. BVerfG Beschluss vom 5. April 2005 – 1 BvR 1664/04 -, NJW 2005, 1765, 1766), da sie – wie sich auch aus § 1696 BGB und § 166 FamFG ergibt – nach Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse ebenfalls geändert werden können. Auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem  Verfahren, zu welchem der Beschwerdeführer zu 1) die Wiederaufnahme begehrt hatte (43 F 73/08), um ein Verfahren nach § 1666 BGB gehandelt hat, gilt nichts anderes. Der Beschwerdeführer zu 1) hatte mit dem damaligen Antrag die Übertragung der elterlichen Sorge insgesamt oder in Teilen auf sich bzw. auf sich und die Äußerungsberechtigte gemeinsam begehrt und damit ein von Amts wegen zu betreibendes Verfahren nach § 1666 BGB angeregt. Sein Ziel – die Übertragung der elterlichen Sorge auf sich – ist das gleiche wie er es mit dem unter dem Aktenzeichen 43 F 347/10 bereits anhängigen Sorgerechtsverfahren erreichen kann. Der Prüfungsmaßstab ist in beiden Verfahren das Kindeswohl. Im Rahmen der Anordnung nach § 1666 BGB ist eine Gefährdung des Kindeswohls erforderlich. Im Rahmen der nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu prüfenden Übertragung des Sorgerechts auf den Vater eines nichtehelichen Kindes ist dem gegenüber ein für den Beschwerdeführer zu 1) günstigerer Maßstab anzulegen und zu prüfen, was dem Kindeswohl am besten entspricht. Insoweit ist der Anwendungsbereich des § 1666 BGB verengt, da § 1671 bzw. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 und § 1672 Abs. 1 BGB nach der vorläufigen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts bereits eine Kindeswohlprüfung verlangen und sich eine Anwendung des § 1666 BGB erübrigt (vgl. Olzen in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2008, § 1671 Rdnr. 9; Veit in Beck´scher Online-Kommentar BGB, Stand 1. März 2011, § 1666 Rdnr. 70).

 

2. Den Beschwerdeführern entsteht dadurch auch kein  schwerer und unabwendbar Nachteil, der in analoger Anwendung des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg geeignet sein könnte, vor Erschöpfung aller anderen fachgerichtlichen Möglichkeiten ausnahmsweise eine Entscheidung des Verfassungsgerichts zu rechtfertigen. Vielmehr ist die vorherige Durchführung und Beendigung des familiengerichtlichen Verfahrens auch deswegen sachgerecht und den Beschwerdeführern zuzumuten, weil die nach dem Vortrag der Beschwerdeführer entstanden neuen Tatsachen und Beweismittel in dem bereits laufenden Sorgerechtsverfahren (43 F 347/10) unmittelbar einer fachgerichtlichen Prüfung unterzogen werden können. Bei einer Zurückverweisung durch das Verfassungsgericht an das Brandenburgische Oberlandesgericht hätte dies zunächst erneut über den Restitutionsantrag und ggf. erst dann in der Sache zu entscheiden. Bei akuter Gefährdung der Gesundheit des Beschwerdeführers zu 2), kann im Wege von Eilverfahren Rechtsschutz vor dem Familiengericht gesucht werden.

 

Die mit der Verfassungsbeschwerde geäußerte Befürchtung der Beschwerdeführer, dass der für das Sorgerechtsverfahren zuständige Richter am Amtsgericht das „Phimoseproblem“ nicht - abweichend von seinen im Beschluss vom 31. März 2008 getroffenen Feststellungen - berücksichtigen werde, rechtfertigt ebenfalls kein Eingreifen des Verfassungsgerichts. Allein die Tatsache, dass der Richter bereits mit der Problematik befasst war und eine aus Sicht der Beschwerdeführer für sie ungünstige Entscheidung getroffen und eine andere Sachverhaltsbewertung als gewünscht vorgenommen hat, genügt nicht, um eine Unzumutbarkeit zu begründen.

 

3. Dass der Beschwerdeführer zu 1) durch die in den Beschlüssen vom 3. Mai 2010 und 2. September 2010 getroffenen Kostenentscheidungen weiter belastet wird, genügt für sich genommen nicht, um ein Rechtsschutzbedürfnis für die verfassungsrechtliche Prüfung der gesamten Entscheidung und deren Aufhebung zu begründen (vgl. zum Bundesrecht BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2007, - 1 BvR 1423/07 -, www.bundesverfassungsgericht.de).

V. Sollten sich die Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde – auch – direkt gegen die Kostenentscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts wenden wollen, fehlte es an einer den Anforderungen des § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg entsprechenden Darlegung der Rechtsverletzung. Danach sind in der Begründung neben dem (Landes-)Grundrecht, das verletzt sein soll, die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen. Im Einzelnen ist darzulegen, welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme nicht genügt und inwieweit dadurch das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll. In Betracht käme insoweit nur eine Verletzung des aus Art. 12 Abs. 1 LV folgenden Willkürverbots. Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung erst dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und sich deshalb der Verdacht aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen (Beschluss vom 18. März 2011 – VfGBbg 58/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt, dass die Kostenentscheidung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt tragbar ist; hierfür bestehen auch keine Anhaltspunkte. In Folge der getroffenen Hauptsacheentscheidung liegt die getroffene Kostenentscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vielmehr nahe. Ebenso folgt der Hinweis des Brandenburgischen Oberlandesgerichts für die mit dem im Restitutionsverfahren unter Nummer 5 gestellten Anträgen auf die Landgerichte den einschlägigen Vorschriften des § 839 BGB, Art. 34 Satz 3 GG.

 

VI. Da die  Verfassungsbeschwerde bereits aus den genannten Gründen unzulässig ist, kann dahinstehen, ob die für den minderjährigen Beschwerdeführer zu 2) erhobene Verfassungsbeschwerde auch unter dem Gesichtspunkt mangelnder Prozessfähigkeit unzulässig ist. Aus den gleichen Gründen kam die Bestellung eines Ergänzungspflegers für den Beschwerdeführer zu 2) nicht in Betracht, weil ein Interessenkonflikt zwischen der sorgeberechtigten Mutter, der grundsätzlich die Vertretung des Beschwerdeführers zu 2) und damit auch die Vertretung im verfassungsgerichtlichen Verfahren noch zukommt, und dem Beschwerdeführer zu 2) bereits im Hinblick auf die Erfolglosigkeit der eingelegten Beschwerde nicht zu erwarten stand (Beschluss vom 25. Februar 2011 - VfGBbg 46/10 -, www.verfassungsgericht. brandenburg.de).

 

 

 

C.

 

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

Postier Dr. Becker
       
Dr. Lammer Dr. Fuchsloch
   
Nitsche Möller
   
Schmidt