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VerfGBbg, Beschluss vom 17. November 2017 - VfGBbg 22/17 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2
- VerfGGBbg, § 20 Abs. 1; VerfGGBbg, § 46
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde unzulässig
- mangelnde Begründung
- rechtliches Gehör
- (kein) Übergehen von Vorbringen
- (keine) Überraschungsentscheidung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. November 2017 - VfGBbg 22/17 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 22/17




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

F.,

Beschwerdeführer,

wegen            Beschlüsse des Amtsgerichts Bad Freienwalde (Oder) vom 19. Mai 2015 und 31. März 2017 (22 C 37/13)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 17. November 2017

durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt

beschlossen: 

 

 

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

 

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen amtsgerichtliche Entscheidungen in einem kostenrechtlichen Erinnerungsverfahren.

 

I.

In einem vom Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht Bad Freienwalde geführten Zivilrechtsstreit (22 C 37/13), in dem er von einer Versicherungsgesellschaft (im Folgenden: Beklagte) die Herausgabe von Ersatzurkunden zum Versicherungsvertrag verlangte, erklärte die Beklagte den Rechtsstreit nach Aushändigung der Unterlagen für erledigt sowie ihre Bereitschaft zur Übernahme der Kosten des Rechtsstreits.

 

Das Amtsgericht beraumte für den 10. Juni 2014 Termin zur mündlichen Verhandlung an, zu dem der Beschwerdeführer nicht erschien. Gegen das daraufhin ergangene klageabweisende Versäumnisurteil legte er Einspruch ein und erklärte den Rechtsstreit für erledigt.

 

Mit Beschluss vom 2. Oktober 2014 erlegte das Amtsgericht daraufhin der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auf mit Ausnahme der durch die Säumnis des Beschwerdeführers verursachten Kosten; diese habe der Beschwerdeführer vorab zu tragen. Die Kosten des Rechtsstreits seien in analoger Anwendung des § 307 ZPO der Beklagten aufzuerlegen. Sie habe bereits mit Schriftsatz vom 3. Juli 2013 die Zustimmung zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache erklärt und bei verständiger Würdigung ihrer Erklärung zugleich die Kostenpflicht anerkannt. Die Kosten der Säumnis seien dem Beschwerdeführer nach § 344 ZPO trotz seines Obsiegens aufzuerlegen. Diese habe er dadurch verursacht, dass er trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zu dem Termin vom 10. Juni 2014 erschienen sei. Die hierdurch verursachten Kosten seien nicht vom Anerkenntnis der Kostentragung der Beklagten umfasst.

 

Unter dem 5. Januar 2015 erging an den Beschwerdeführer eine Kostenrechnung des Amtsgerichts über 90,00 Euro. Grundlage war eine zweifache Gebühr nach Nr. 1210 KV GKG bezogen auf den Streitwert von 749,41 Euro, die als durch die Säumnis verursachte Kosten vom Beschwerdeführer zu tragen seien. Weiter ist ein Betrag von 45,00 Euro mit der Anmerkung „Prozessverfahren ermäßigt, §§ 3, 34 GKG, Kosten des Rechtsstreits (Erledigungsverfahren = 1-Gebühr) für Beklagten“ ausgewiesen.

 

Der Beschwerdeführer legte mit Schreiben vom 19. Januar 2015 gegen die Kostenrechnung Erinnerung ein. Die Differenz zwischen der nach Nr. 1210 KV GKG entstandenen gerichtlichen Verfahrensgebühr und einer ohne das vorausgegangene Urteil nach Nr. 1211 KV GKG zu ermäßigenden gerichtlichen Verfahrensgebühr gehöre nicht zu den Kosten der Säumnis im Sinne von § 344 ZPO. Es habe hierüber eine vergleichsweise Einigung zwischen der Beklagten und ihm bestanden. Säumniskosten im Sinne des § 344 ZPO seien nur solche Kosten, die kausal auf die Säumnis der Partei zurückzuführen seien. Der Anfall von drei Gerichtsgebühren lasse diese nicht zu Säumniskosten werden, wenn nach dem Einspruch ein Ermäßigungstatbestand nach Nr. 1211 KV GKG erfüllt werde. Die Säumnis habe selbst nicht die Entstehung neuer Gerichtskosten verursacht. Vielmehr seien die drei Gerichtsgebühren schon mit der Klageerhebung angefallen.

 

Das Amtsgericht wies die Erinnerung mit Beschluss vom 19. Mai 2015 zurück. Mangels Eingreifens eines Ermäßigungstatbestandes sei eine dreifache Verfahrensgebühr in Ansatz zu bringen. Die sich daraus ergebenden Kosten habe die Beklagte zu tragen, mit Ausnahme der durch die Säumnis des Beschwerdeführers entstandenen Kosten. Diese Kosten stellten die Differenz zwischen der dreifachen Verfahrensgebühr und der einfachen Verfahrensgebühr gemäß Nr. 1211 Nr. 4 KV GKG dar. Da sie infolge der Säumnis des Beschwerdeführers entstanden seien, seien sie nicht von der Beklagten zu tragen. Denn die Beklagte habe diese Kosten nicht zu verantworten. Da der Beschwerdeführer im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen sei und in dieser der Prozess nicht durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet worden sei, habe sich die dreifache Verfahrensgebühr infolge des Versäumnisurteils nicht auf eine einfache Verfahrensgebühr ermäßigt.

 

Mit Anhörungsrüge vom 26. Mai 2015 machte der Beschwerdeführer maßgeblich geltend, es sei ihm weder Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, noch sei er auf die vom Amtsgericht vertretene Rechtsauffassung hingewiesen worden. Die allein vom Amtsgericht vertretene Auffassung zu den Kosten der Säumnis entbehre in Anbetracht des sehr ausführlichen Vortrages im Erinnerungsschriftsatz jedweder Rechtsgrundlage und stelle sich zugleich als offensichtlich widersprüchlich dar. Eine Differenz zwischen einer dreifachen Verfahrensgebühr und einer einfachen Verfahrensgebühr könne es im vorliegenden Fall schon deshalb nicht geben, da kein Ermäßigungstatbestand eingreife. Zudem gehöre die Differenz zwischen der entstandenen dreifachen Verfahrensgebühr und einer ohne das vorausgegangene Versäumnisurteil zu ermäßigenden einfachen Verfahrensgebühr mangels Kausalität nicht zu den Kosten der Säumnis.

 

Das Amtsgericht verwarf die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 31. März 2017 als unzulässig. Es fehle an der Darlegung einer eigenständigen entscheidungserheblichen Verletzung des rechtlichen Gehörs. Vielmehr wiederhole die Begründung im Wesentlichen die Erinnerung vom 19. Januar 2015. Es hätte vorgetragen werden müssen, was ohne den behaupteten Verstoß ergänzend vorgetragen worden wäre und weshalb dies die Entscheidung beeinflusst hätte. Die Wiederholung einer Rechtsauffassung, der das erkennende Gericht gerade nicht gefolgt sei, reiche nicht aus, um der Gehörsrüge zum Erfolg zu verhelfen.

 

II.

Der Beschwerdeführer hat am 9. Mai 2017 Verfassungsbeschwerde erhoben und rügt einen Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör nach Art. 52 Abs. 3 LV.

 

Mit der Kostenerinnerung habe er angeführt, dass nach Literatur und Rechtsprechung die Differenz zwischen der dreifachen Verfahrensgebühr und einer ohne das vorausgegangene Versäumnisurteil zu ermäßigenden einfachen Verfahrensgebühr nicht zu den Kosten der Säumnis gehöre. Damit habe sich das Amtsgericht nicht auseinander setzen wollen. Es habe in den Beschlussgründen lediglich behauptet, zwei Drittel der Verfahrensgebühren seien Säumniskosten, weil es in der mündlichen Verhandlung zu keiner übereinstimmenden Erledigung des Rechtsstreits gekommen sei. Jedwede Auseinandersetzung mit seinen Ausführungen in der Kostenerinnerung fehle in den Beschlussgründen. Das Amtsgericht habe damit evident gegen das Berücksichtigungsgebot verstoßen. Auch sei das Amtsgericht nicht berechtigt gewesen, ihm mit erneuter Kostenrechnung zwei Drittel der Verfahrensgebühren aufzuerlegen. Denn Verfahrensgebühren in dreifacher Höhe entstünden bereits mit der Klageerhebung und könnten aufgrund des Wortlauts des § 344 ZPO nicht nachträglich in Kosten der Säumnis umqualifiziert werden. Ebenso wenig sei das Amtsgericht berechtigt gewesen, die Anhörungsrüge als unzulässig zu verwerfen.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Bran­denburg (VerfGGBbg) als unzulässig zu verwerfen.

 

Soweit mit der Verfassungsbeschwerde der Beschluss des Amtsgerichts vom 31. März 2017 über die Zurückweisung der Anhörungsrüge angegriffen wird, ist die Beschwerde wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, dass Anhörungsrügen zurück­weisende gerichtliche Entscheidungen mangels Rechtsschutzbedürfnisses grund­sätzlich nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kön­nen, weil sie keine eigenständige Beschwer schaffen. Sie lassen allenfalls mit der Ausgangsentscheidung bereits eingetretene Verletzungen des rechtlichen Gehörs fortbestehen, indem eine Selbstkorrektur durch das Fachgericht unterbleibt. Ein schutzwürdiges Interesse an einer - zusätzlichen - verfassungsgerichtlichen Über­prüfung der Gehörsrügeentscheidung besteht nicht (vgl. Beschlüsse vom 19. Mai 2017 - VfGBbg 15/17 - und vom 15. September 2017 - VfGBbg 57/16 -, www.verfas­sungs­gericht.brandenburg.de, m. w. Nachw.).

 

Im Übrigen genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen. Nach § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg ist eine Begründung notwendig, die schlüssig die mögliche Verletzung des geltend gemachten Grundrechts des Beschwerdeführers aufzeigt. Sie muss somit umfassend und aus sich heraus verständlich sein. Mit der Begründung müssen neben einem substantiierten Vortrag des entscheidungserheblichen Sachverhalts die wesentlichen rechtlichen Erwägungen unter Berücksichtigung einschlägiger verfassungsrechtlicher Rechtsprechung dargelegt werden, um dem Gericht eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Begehren zu ermöglichen. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es einer argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und ihrer konkreten Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein soll und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen sie kollidiert (vgl. Beschlüsse vom 17. Juni 2016 - VfGBbg 95/15 - und vom 19. Mai 2017 - VfGBbg 9/17 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, jeweils m. w. Nachw.). Dies leistet die Beschwerdeschrift nicht. Sie lässt eine mögliche Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör vor Gericht nach Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV nicht erkennen.

 

Der in Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV enthaltene An­spruch auf rechtliches Gehör gewährt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich vor Erlass einer gerichtlichen Ent­scheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen bei seiner Ent­scheidung in Erwägung zu ziehen. Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Gericht dieser Pflicht nachkommt, und es von Verfassungs wegen nicht jedes vorge­brachte Argument ausdrücklich bescheiden muss, bedarf es besonderer Umstände für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV (vgl. Beschluss vom 19. Mai 2017 - VfGBbg 32/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. Nachw.). Nach der Beschwerdebegründung ist nicht erkennbar, dass das Amtsgericht relevantes Vor­bringen des Beschwerdeführers außer Betracht gelassen hätte.

 

Allein der Umstand, dass das Amtsgericht nicht ausdrücklich die Rechtsausführungen des Beschwerdeführers referiert hat, belegt nicht, dass es einen den Kern des Erinnerungsvorbringens darstellenden Vortrag des Beschwerdeführers nicht beachtet hat. Denn die Erwägungen des Amtsgerichts im Beschluss vom 19. Mai 2015 lassen sehr wohl erkennen, dass es das zentrale Argument des Beschwerdeführers, die infolge des Versäumnisurteils ausgeschlossene Gerichtsgebührenermäßigung nach Nr. 1211 des Kostenverzeichnisses zum GKG mit der Folge eines bleibenden dreifachen Gebührensatzes nach Nr. 1210 KV GKG führe nicht zu „durch die Versäumnis veranlasste Kosten“ im Sinne des § 344 ZPO, wahrgenommen und hierzu Stellung genommen hat. Der Hinweis des Amtsgerichts, die Differenz zwischen der tatsächlich entstandenen und zu erstattenden dreifachen Verfahrensgebühr gemäß Nr. 1210 KV GKG und der einfachen Verfahrensgebühr gemäß Nr. 1211 Nr. 4 KV GKG sei „infolge der Säumnis des Klägers“ trotz der späteren übereinstimmende Erledigung der Hauptsache nicht entfallen und die Beklagte habe diese Kosten nicht zu verantworten und könne dafür insofern nicht haftbar gemacht werden, lässt hinreichend deutlich erkennen, dass es sich zu dem nach der Erinnerung des Beschwerdeführers maßgeblichen Begriff der Veranlassung gemäß § 344 ZPO verhalten hat. Die Tatsache, dass das Amtsgericht hierzu offensichtlich einen anderen rechtlichen Standpunkt als der Beschwerdeführer eingenommen hat, führt nicht zu einem Gehörsverstoß. Denn das Grundrecht auf rechtliches Gehör schützt die Verfahrensbetei­ligten nicht davor, dass das Gericht ihre Rechtsauffassungen und rechtlichen Beurteilungen nicht teilt und zu einer abweichenden (womöglich auch unzutreffen­den) Rechtsauffassung gelangt (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 19. Mai 2017 - VfGBbg 2/16 -, www.verfassungsgericht.branden­burg.de, m. w. Nachw.).

 

Das Amtsgericht ist auch nicht gehalten gewesen, auf seine Auffassung vorab hinzuweisen. Aus der Gewährleistung des rechtli­chen Gehörs ergeben sich grundsätzlich keine Frage-, Aufklärungs- oder Hinweispflichten des Gerichts. Insbesondere ist es grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet. Nur wenn das Gericht bei seiner Entscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte, wird diesem rechtliches Gehör versagt (vgl. Be­schlüsse vom 20. Februar 2015 - VfGBbg 66/13 -, vom 29. August 2014 - VfGBbg 8/14 - und vom 18. März 2010 - VfGBbg 21/09 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Für letzteres fehlt es an tragfähigen Anhaltspunkten. Hiervon kann angesichts des Umstands, dass der rechtliche Ausgangspunkt des Amtsgerichts auch in der Kommentarliteratur durchaus geteilt wird (vgl. Herget, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 344 Rn. 4; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 344 Rn. 3), nicht ausgegangen werden.

 

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, das Amtsgericht sei nicht berechtigt gewesen, ihm mit erneuter Kostenrechnung zwei Drittel der Verfahrensgebühren aufzuerlegen, lässt dies einen Bezug zum Grundrecht nach Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV nicht erkennen.

 

II.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dr. Fuchsloch
   
Dr. Lammer Nitsche
   
Partikel Schmidt