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VerfGBbg, Beschluss vom 22. September 2023 - VfGBbg 34/21 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2; LV, Art. 6 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 46
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde unzulässig
- Begründungsanforderungen
- rechtliches Gehör
- effektiver Rechtsschutz
- Ablehnung Beweisantrag
- Insulinpumpe
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 22. September 2023 - VfGBbg 34/21 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 34/21




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 34/21

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

H.
gesetzlich vertreten durch die Mutter
K.,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter:              Rechtsanwalt
                                                                 G.,

 

beteiligt:

  1. Bundesrepublik Deutschland,
    vertr. d. d. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat,
    dieses vertr. d. d. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
    Außenstelle Eisenhüttenstadt,
    Georg-Quincke-Straße 1,
    15236 Frankfurt (Oder),
  2. Präsident
    des Verwaltungsgerichts Cottbus,
    Vom-Stein-Straße 27,
    03050 Cottbus,
  3. Präsident
    des Oberverwaltungsgerichts
    Berlin-Brandenburg,
    Hardenbergstraße 31,
    10623 Berlin,
wegen

Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 10. Januar  2020 ‑ VG 1 K 2650/17.A -; Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. März 2021 - OVG 12 N 45/20

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 22. September 2023

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dresen, Heinrich‑Reichow, Kirbach, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen aufenthaltsrechtliche Verwaltungsgerichtsentscheidungen im Zusammenhang mit der Ablehnung von Beweisanträgen.

I.

Die in E. geborene Beschwerdeführerin ist russische Staatsangehörige. Sie ist an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt und diesbezüglich mit einer sensorunterstützten Insulinpumpe versorgt.

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2017 versagte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: das Bundesamt) hinsichtlich des von der Mutter der Beschwerdeführerin für sie gestellten Asylantrags die Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), versagte den subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) und stellte insbesondere fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorlägen (Ziffer 4). Die Erkrankung der Beschwerdeführerin an Diabetes mellitus Typ 1 sei im Herkunftsland der Mutter behandelbar, es bestünden Behandlungsmöglichkeiten in der gesamten Russischen Föderation. Die Abgabe von Medikamenten erfolge hierbei für Krankenpflichtversicherte kostenfrei.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Bescheid des Bundesamts vom 9. Oktober 2017 Klage vor dem Verwaltungsgericht Cottbus (VG 1 K 2650/17.A). In der mündlichen Verhandlung vom 10. Januar 2020 stellte ihr Prozessbevollmächtigter drei Beweisanträge: Zunächst beantragte er, eine Auskunft des Auswärtigen Amts einzuholen zum Beweis der Tatsache, dass in der Russischen Föderation Diabetespatienten nicht im Rahmen der staatlichen Heilbehandlung mit Insulinpumpen, Sensoren und dem Zubehör, nämlich Kathetern und Insulinbehältnissen, versorgt würden, sondern dort für eine Pumpe wie das von der Beschwerdeführerin genutzte Modell Minimed 640 G der Firma Medtronic umgerechnet 5.000,00 Euro, für den Sensor ebenfalls 5.000,00 Euro und monatlich für die Katheter und Insulinbehältnisse 500,00 Euro aufzuwenden seien. Des Weiteren beantragte er das Zeugnis des behandelnden Arztes sowie die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin, bevor sie im September 2019 mit einem Sensor versorgt worden sei, einmal monatlich infolge Unterzuckerung einen Anfall erlitten habe, der zu Schaum vor dem Mund, lautem Schreien sowie dazu geführt habe, dass ihr Gesicht blau angelaufen sei und sie den ganzen Körper versteift habe und dass sie, seit sie mit dem Sensor versorgt sei, keine derartigen Anfälle mehr erleide, weil über den Sensor ständig der Blutzuckerspiegel gemessen werde und sich deshalb Anfälle so frühzeitig ankündigten, dass sie noch abgewendet werden könnten. Zuletzt beantragte er das Zeugnis des behandelnden Arztes sowie die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass Anfälle, wie sie die Beschwerdeführerin bis September 2019 regelmäßig erlitten habe, zu Hirnblutungen oder einem Koma jeweils mit tödlichen Folgen führen könnten und außerdem das Gehirn schädigten. Das Verwaltungsgericht lehnte die drei gestellten Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung wegen Unerheblichkeit ab. Diabetes sei in der Russischen Föderation nach den vorliegenden Erkenntnissen behandelbar und Medikamente würden im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung kostenfrei zur Verfügung gestellt. Im Hinblick auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots aus gesundheitlichen Gründen könne nicht allein auf eine Therapie mit einer Insulinpumpe abgestellt werden. Zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 1 stünden grundsätzlich auch andere Möglichkeiten wie Injektionen und Insulinpens zur Verfügung. § 60 Abs. 7 AufenthG diene nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern und biete insbesondere keinen allgemeinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard der medizinischen Versorgung in Deutschland. Die Beschwerdeführerin müsse sich auf den Standard der Gesundheitsversorgung in ihrem Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem Niveau in Deutschland möglicherweise nicht bzw. nicht überall vollständig entspreche. Es fehle auch an einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG. Der ärztlichen Bescheinigung vom 13. Dezember 2019 sei nicht zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin aus medizinischen Gründen ausschließlich mit einer Insulinpumpe versorgt werden könne und müsse. Vielmehr sei ihre gesundheitliche Problematik darauf zurückzuführen, dass ihre Mutter mit der genauen Kontrolle der Blutzuckerwerte überfordert gewesen sei und die neuen technischen Möglichkeiten eine Entlastung der Mutter darstellten. Dass bei sorgfältiger Kontrolle der Blutzuckerwerte eine Behandlung des Diabetes mit konventionellen Methoden wie Insulinpens oder Injektionen nicht möglich wäre, ergebe sich aus der ärztlichen Stellungnahme nicht.

Die gegen die Ablehnung der Beweiserhebung noch in der mündlichen Verhandlung erhobene Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin wies das Verwaltungsgericht zurück.

Nachdem die Beschwerdeführerin ihre schriftsätzlich gestellten Anträge, sie als Asylberechtigte und als Flüchtling anzuerkennen und ihr subsidiären Schutz zuzuerkennen, zurückgenommen und beantragt hatte, das Bundesamt unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 9. Oktober 2017 zu verpflichten, in ihrem Fall das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG festzustellen, wies das Verwaltungsgericht die Klage, soweit sie die Beschwerdeführerin nicht zurückgenommen hatte, ab. Anhaltspunkte, die für ein Abschiebungsverbot aus medizinischen Gründen sprechen könnten, seien nicht ersichtlich. Für eine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben biete das Vorbringen der Beschwerdeführerin keinerlei Anhaltspunkte. Diabetes mellitus Typ 1 stelle in der Russischen Föderation ebenso wie in Deutschland eine Volkskrankheit dar und sei in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Medikamente gegen Diabetes würden in der Russischen Föderation im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung kostenfrei zur Verfügung gestellt. Für Kinder existierten mehrere Kliniken und Polikliniken in Tschetschenien, welches direkt an die Nachbarrepublik Inguschetien grenze. Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar sei, gebe es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar sei, überwiesen werde. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, ob Insulinpumpen im Rahmen der staatlichen Gesundheitsversorgung in der Russischen Föderation zur Verfügung gestellt würden. Zum einen verfüge die Beschwerdeführerin über eine solche Pumpe einschließlich Sensor und sei somit in absehbarer Zukunft nicht auf eine Neubeschaffung in der Russischen Föderation angewiesen. Zum anderen widerspreche es der gesetzlichen Regelung der Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen, allein auf eine Therapie mit einer Insulinpumpe abzustellen. Zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 1 stünden grundsätzlich auch andere Möglichkeiten wie Injektionen und Insulinpens zur Verfügung. Ein Anspruch allein auf die optimale Therapie im Rahmen der Prüfung von Abschiebungsverboten bestehe nicht. § 60 Abs. 7 AufenthG diene nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Insbesondere biete diese Vorschrift keinen allgemeinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und an einem Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland. Die Beschwerdeführerin müsse sich auf den Standard der Gesundheitsversorgung in ihrem Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem Niveau in Deutschland möglicherweise nicht bzw. nicht überall vollständig entspreche. Dies sei auch mit europäischem Recht vereinbar. Der ärztlichen Bescheinigung vom 13. Dezember 2019 sei gerade nicht zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin aus medizinischen Gründen ausschließlich mit der Insulinpumpe versorgt werden könne und müsse. Vielmehr sei die gesundheitliche Problematik der Beschwerdeführerin ausweislich der Stellungnahme darauf zurückzuführen, dass ihre Mutter mit der genauen Kontrolle der Blutzuckerwerte ihrer Tochter überfordert gewesen sei. Laut Stellungnahme stellten die neuen technischen Möglichkeiten eine Entlastung der Mutter dar. Dass bei sorgfältiger Kontrolle der Blutzuckerwerte eine Behandlung des bestehenden Diabetes mit konventionellen Methoden wie Insulinpens oder Injektionen nicht möglich wäre, ergebe sich aus der ärztlichen Stellungnahme gerade nicht. Soweit die Mutter der Beschwerdeführerin nicht ausreichend auf die Einhaltung der Ernährungs- und Medikamentenpläne achten sollte und es dadurch zu Entgleisungen des Diabetes der Tochter komme, sei dieser Gefahr im Übrigen durch entsprechende Schulungen oder gegebenenfalls durch Maßnahmen der Jugendhilfe zu begegnen, die auch in der Russischen Föderation möglich seien.

Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 10. Januar 2020 von der Beschwerdeführerin beantragte Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 24. März 2021 (OVG 12 N 45/20) ab. Der Zulassungsantrag zeige keinen Gehörsverstoß auf. In Bezug auf den Beweisantrag zu 1. Sei ein Zusammenhang zwischen dem Beweismittel und dem von der Beschwerdeführerin behaupteten Beweisthema nicht zu erkennen. Auch die Ablehnung der Beweisanträge zu 2. und 3. als nicht entscheidungserheblich sei prozessual nicht zu beanstanden. Dass für die Prüfung eines nationalen Abschiebungsverbots aus gesundheitlichen Gründen nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin auf eine „sensorgestützte Insulinpumpentherapie“ abzustellen sei, habe das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die gesetzlichen Anforderungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. § 60 Abs. 7 AufenthG gerade verneint, ohne dass der Zulassungsantrag dem mit zulassungsrelevanten Einwänden entgegengetreten sei. Soweit das Verwaltungsgericht angenommen habe, die vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 13. Dezember 2019 genüge nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG und lasse nicht erkennen, dass die Beschwerdeführerin aus medizinischen Gründen ausschließlich mit einer Insulinpumpe versorgt werden könne und müsse, biete das Zulassungsvorbringen keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. Der Einwand, es sei eine Selbstverständlichkeit, dass eine ärztliche Behandlung auch notwendig sei, jedenfalls dann, wenn die Kosten von einem staatlichen Leistungsträger getragen würden, gebe dafür nichts her. Er rechtfertige nicht die Annahme, dass die Ausführungen in dem vorgelegten Arztbericht „zwingend" so zu verstehen seien, dass „zumindest konkludent“ die medizinische Notwendigkeit der Versorgung gerade mit einer sensorgestützten Insulinpumpe bestätigt werde. Zu einem Ausschluss konventioneller Behandlungsmethoden und der „medizinischen Notwendigkeit“ der durchgeführten Therapie verhalte sich der Arztbericht nicht. Vielmehr lasse sich dem Bericht nach den zutreffenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts entnehmen, dass die Mutter der Beschwerdeführerin mit der kontinuierlichen Kontrolle der Blutzuckerwerte überfordert gewesen sei und die Therapie mit einer Insulinpumpe für sie eine große Entlastung im Alltag darstelle. Dass diese Art der Therapie zur Vermeidung einer konkreten Gefährdung von Leib und Leben der Klägerin auch unabhängig von diesem Entlastungseffekt medizinisch zwingend geboten sei, lasse sich dem Bericht dagegen nicht, auch nicht konkludent, entnehmen.

II.

Am 31. Mai 2021 hat die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 10. Januar 2020 (VG 1 K 2650/17.A) und den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. März 2021 (OVG 12 N 45/20) Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt eine Verletzung ihres Grundrechts auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), weil das Verwaltungsgericht die in der mündlichen Verhandlung gestellten drei Beweisanträge ohne tragfähige Begründung abgelehnt und den angebotenen Beweis nicht erhoben habe. Darüber hinaus sei sie in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 6 Abs. 1 LV verletzt.

Bereits die erste dem ablehnenden Beschluss beigegebene Begründung gehe an der Beweisbehauptung vorbei. Soweit das Verwaltungsgericht argumentiere, reklamiert werde nur eine im Vergleich zu den Behandlungsmöglichkeiten in Russland bessere Versorgung als auf dem in Deutschland erreichten medizinischen Niveau, verkenne die Einzelrichterin, dass es darum gehe, dass die Beschwerdeführerin jetzt, da sie mit einer sensorgestützten Insulinpumpe ausgestattet sei, keine schweren durch Unterzuckerung verursachten Anfälle mehr erleide, so dass ihre Gesundheit und ihr Leben einerseits jetzt nicht mehr ständig in Gefahr seien, andererseits wieder akut gefährdet wären, wenn sie in die Russische Föderation abgeschoben würde. Da sich die Einzelrichterin bei der Abfassung der Begründung ganz offensichtlich nicht bewusst gewesen sei, welche Beweisbehauptung aufgestellt worden sei, habe sie den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Die zweite Begründung sei ebenfalls nicht tragfähig, weil sie auf einer unvertretbar weiten Auslegung des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG beruhe. Die Vorschrift sehe zwar vor, dass in der ärztlichen Bescheinigung auch „die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben“, angegeben würden. Damit sei aber in erster Linie gemeint, dass über die Behandlung des Ausländers in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Auskunft gegeben werden solle. Keinesfalls könne man von einem Arzt verlangen, die medizinische Notwendigkeit einer von ihm verordneten Behandlung vor dem Hintergrund etwaiger Behandlungsalternativen darzulegen. Dass eine verordnete Therapie medizinisch indiziert sei, verstehe sich von selbst und müsse nicht noch ausdrücklich ausgesprochen werden, auch nicht in einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung. Die Frage dagegen, ob die gewählte Behandlung unbedingt medizinisch notwendig sei oder ob es vielleicht doch gleichwertige oder zumindest aus medizinischer Sicht vertretbare Alternativen gebe, sei in aller Regel außerordentlich schwer zu beantworten. Dazu müssten zunächst alle anderen Behandlungsmöglichkeiten bekannt sein, was jedenfalls dann ausgeschlossen sei, wenn ein Vergleich mit der Gesundheitsversorgung im Herkunftsland des Ausländers anzustellen wäre. So habe auch hier der die Bescheinigungen ausstellende Arzt gar nicht wissen können, wie Diabetes in Russland behandelt werden könne. Selbst wenn die Alternativen bekannt seien, werde kein praktizierender Arzt bereit sein, zunächst hypothetisch alle Behandlungsalternativen zu durchdenken, um sich dann ausführlich schriftlich dazu zu äußern, welche gesundheitlichen Nachteile und Gefahren jede einzelne Variante im Vergleich mit dem von ihm eingeschlagenen Weg mit sich brächte. Letztlich dränge sich der Verdacht auf, dass die Einzelrichterin die zweite Begründung bewusst gewählt habe, um das Risiko einer Berufungszulassung durch das Oberverwaltungsgericht zu minimieren. Subjektiv scheine sie den Eindruck gehabt zu haben, die neue Behandlung sei medizinisch nicht notwendig und diene nur dazu, die mit der regelmäßigen Blutzuckermessung überforderte Mutter zu entlasten. Hätte sie aber mit dieser Begründung die Beweisanträge abgelehnt, hätte sie das Ergebnis der erst noch durchzuführenden Beweisaufnahme vorweggenommen, was in aller Regel unzulässig sei. So habe sie es wohl vorgezogen, auf § 60a Abs. 2c AufenthG zurückzugreifen, eine Vorschrift, die ihr eher dem materiellen als dem Prozessrecht zugehörig erschienen sei.

Die Beschwerdeführerin sei auch in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Es sei in aller Regel schlicht unmöglich, eine ärztliche Bescheinigung beizubringen, die unter Berücksichtigung aller etwaiger Behandlungsalternativen die medizinische Notwendigkeit der verordneten Behandlung bestätige. Werde eine Beweisaufnahme an Bedingungen geknüpft, die der Beweisführer gar nicht erfüllen könne, sei der Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz so erschwert, dass das Recht aus Art. 6 Abs. 1 LV verletzt sei.

III.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der Präsident des Verwaltungsgerichts Cottbus sowie der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verfahrensakte VG 1 K 2650/17.A ist beigezogen worden.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden steht zwar nicht entgegen, dass der Ausgangsbescheid von einer Bundesbehörde stammt, da die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Prozessgrundrechten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltend macht (vgl. z. B. Beschlüsse vom 23. Oktober 2020 - VfGBbg 84/19 -, und vom 17. Juli 2015 - VfGBbg 53/15 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Weiterhin ist unproblematisch, dass die Verletzung von Landesgrundrechten im Rahmen eines bundesrechtlich - durch das Aufenthaltsgesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung - geregelten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen liegen vor (vgl. dazu Beschlüsse vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -; vgl. in jüngerer Zeit z. B. Beschlüsse vom 19. Februar 2021 ‌‑ VfGBbg 9/20 ‑,‌ Rn. 23, vom 24. Januar 2014 - VfGBbg 13/13 -, und vom 16. Dezember 2010 ‌‑ VfGBbg 18/10 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Es geht der Beschwerdeführerin um die Verteidigung von Prozessgrundrechten aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV (rechtliches Gehör) und Art. 6 Abs. 1 LV (effektiver Rechtsschutz), die den entsprechenden Rechten des Grundgesetzes inhaltsgleich sind. Die geltend gemachte Beschwer beruht auf Entscheidungen von Gerichten des Landes Brandenburg. Ein Bundesgericht war nicht befasst.

Die Verfassungsbeschwerde genügt aber nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung.

Erforderlich ist nach § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg eine Begründung, welche schlüssig die mögliche Verletzung der geltend gemachten Grundrechte des Beschwerdeführers aufzeigt. Sie muss umfassend und aus sich heraus verständlich sein. Mit der Begründung müssen der entscheidungserhebliche Sachverhalt und die wesentlichen rechtlichen Erwägungen nachvollziehbar dargelegt werden, um dem Gericht eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Begehren zu ermöglichen. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und ihrer konkreten Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein soll und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die Entscheidung kollidiert. Es bedarf einer umfassenden einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Aufarbeitung der Rechtslage. Demnach muss der Beschwerdeführer ausgehend vom Entscheidungsinhalt aufzeigen, worin der Grundrechtsverstoß aus seiner Sicht im Einzelnen liegt (st. Rspr., vgl. z. B. Beschlüsse vom 18. November 2022 - VfGBbg 51/21 -, Rn. 18, vom 21. Januar 2022 ‌‑ VfGBbg 57/21 ‑,‌ Rn. 35, und vom 19. Februar 2021 ‑ VfGBbg 28/20 -, Rn. 9, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de, m. w. N.).

Diesen Vorgaben wird die Beschwerdeschrift nicht gerecht. Es fehlt bereits an einer Darlegung des Gewährleistungsumfangs von Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV sowie eines substantiierten Vortrags hinsichtlich der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (1.). Gleiches gilt bezüglich der Ausführungen der Beschwerdeführerin zu Art. 6 Abs. 1 LV (2.).

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts gewährt Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. Beschluss vom 16. März 2018 ‌‑ VfGBbg 56/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.). Hierzu gehört auch, erhebliche Beweisanträge im Rahmen des jeweils geltenden Prozessrechts zu berücksichtigen (vgl. Beschluss vom 16. Dezember 2010 - VfGBbg 18/10 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das ihm unterbreitete Vorbringen zur Kenntnis nimmt und in Betracht zieht. Es ist nicht verpflichtet, sich mit jeglichem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen, sondern kann sich auf die Bescheidung der ihm wesentlich erscheinenden Punkte beschränken. Insbesondere verwehrt es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht, den Vortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts, zum Beispiel wegen sachlicher Unerheblichkeit, ganz oder teilweise außer Betracht zu lassen (vgl. Beschluss vom 10. Mai 2007 - VfGBbg 8/07 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV ergibt sich kein Anspruch darauf, dass sich das Gericht der Bewertung eines Beteiligten anschließt, also „auf ihn hört“. Das Grundrecht schützt die Verfahrensbeteiligten nicht davor, dass das Gericht ihre Rechtsauffassungen und rechtlichen Beurteilungen nicht teilt und zu einer abweichenden Rechtsauffassung gelangt (vgl. Beschluss vom 16. März 2018 - VfGBbg 56/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur verletzt, wenn die Nichtberücksichtigung eines Vortrags oder Beweisantrags keine Stütze mehr im Prozessrecht findet (vgl. Beschluss vom 16. März 2018 - VfGBbg 56/16 - m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfG, Beschluss vom 22. November 2004 - 1 BvR 1935/03 -, Rn. 11, juris). Hierzu müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (Beschluss vom 20. Mai 2021 ‌‑ VfGBbg 72/19 ‑‌, Rn. 36, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Gemessen an diesen Voraussetzungen arbeitet die Beschwerdeführerin weder den Gewährleistungsumfang des geltend gemachten Grundrechts verfassungsrechtlich auf noch legt sie die durch die Ablehnung ihrer Beweisanträge behauptete Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör nach Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV substantiiert dar.

Das Verwaltungsgericht hat die in der mündlichen Verhandlung am 10. Januar 2020 gestellten Beweisanträge mangels Entscheidungserheblichkeit abgelehnt. Es ist von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass es die Frage der Erheblichkeit auf der Grundlage seiner eigenen Rechtsauffassung, und nicht derjenigen der Beschwerdeführerin, beantwortet hat. Wie bereits aufgezeigt, verpflichtet der Anspruch auf rechtliches Gehör die Gerichte nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen. Wann ein Beweisantrag entscheidungserheblich ist, ist daher grundsätzlich von den Fachgerichten im Rahmen der konkreten Verfahrenssituation und auf der Grundlage des einfachen Rechts zu beurteilen. Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen wird erst dann überschritten, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird (vgl. zum Bundesrecht: BVerfG, Beschluss vom 8. November 2006 - 2 BvR 194/05 -, BVerfGK 9, 412-420, Rn. 22, juris).

Eine derartige willkürliche Bewertung hat die Beschwerdeführerin nicht dargetan.

Im Hinblick auf den Beweisantrag zu 1. fehlt es bereits an der Substantiierung eines Zusammenhangs zwischen der behaupteten Gehörsverletzung und dem in der Beschwerdeschrift umschriebenen Beweisthema, worauf auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss hingewiesen hatte. Darüber hinaus setzt sich die Beschwerdeführerin nicht mit der Tatsache auseinander, dass sie bereits mit einer Insulinpumpe einschließlich Sensor versorgt ist (vgl. Seite 8 des Urteils des Verwaltungsgerichts Cottbus) und die angefallenen Kosten von etwa 4.000,00 Euro durch die Krankenkasse der Beschwerdeführerin übernommen wurden (vgl. Seite 3 der Niederschrift über die öffentliche Sitzung der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 10. Januar 2020).

Auch bezüglich der Beweisanträge zu 2. und 3. hat die Beschwerdeführerin nicht dargetan, dass deren Ablehnung im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK und § 60 Abs. 7 AufenthG die mangelnde Entscheidungserheblichkeit der Beweisanträge damit begründet, dass für die Prüfung der Abschiebeverbote aus gesundheitlichen Gründen nicht allein auf eine Therapie mit einer Insulinpumpe abzustellen sei, da zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 1 in der Russischen Föderation grundsätzlich auch andere Möglichkeiten wie Injektionen und Insulinpens zur Verfügung stünden, und es zudem an einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung gemäß § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG fehle, da sich aus der vorgelegten ärztlichen Stellungnahme gerade nicht ergebe, dass die Beschwerdeführerin aus medizinischen Gründen ausschließlich mit einer „sensorgestützten Insulinpumpentherapie“ behandelt werden könne und müsse. Die Beschwerdeführerin hat demgegenüber vorgetragen, unter Beweis sei die Tatsache gestellt worden, dass sie jetzt, da sie mit einer sensorgestützten Insulinpumpe ausgestattet sei, überhaupt keine schweren durch Unterzuckerung verursachten Anfälle mehr erleide, so dass ihre Gesundheit und ihr Leben einerseits jetzt nicht mehr ständig in Gefahr seien, andererseits wieder akut gefährdet wären, wenn sie in die Russische Föderation abgeschoben würde. Hierdurch setzt sich die Beschwerdeführerin nicht mit den maßgeblichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Entscheidungserheblichkeit der Beweisanträge im Zusammenspiel mit der Frage einer ausschließlichen Insulinpumpenversorgung auseinander. Für die Prüfung eines nationalen Abschiebungsverbots aus gesundheitlichen Gründen hatte das Verwaltungsgericht maßgeblich auf die vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 13. Dezember 2019 Bezug genommen und festgestellt, dass diese nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und Satz 3 AufenthG entspreche, insbesondere weil sie sich nicht zu einem Ausschluss konventioneller Behandlungsmethoden verhalte und nicht belege, dass neben dem unbestrittenen Alltagsentlastungseffekt die „Insulinpumpentherapie“ zur Vermeidung einer konkreten Gefährdung von Leib und Leben medizinisch zwingend geboten gewesen wäre. Soweit die Beschwerdeführerin hierzu behauptet, darin liege eine unvertretbar weite Auslegung von § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG, stellt sie ihre einfach-rechtliche Würdigung gegen diejenige des Verwaltungsgerichts, was jedoch keine Verletzung rechtlichen Gehörs zu begründen vermag. Eine sachlich unhaltbare Nichtberücksichtigung der Beweisanträge im Sinne eines Gehörverstoßes zeigt sie hierdurch nicht auf.

Zu den Ausführungen in den Gründen des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg verhält sich die Beschwerdeschrift nicht.

2. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde ergibt darüber hinaus nicht, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 10. Januar 2020 und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. März 2021 den Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz im Sinne von Art. 6 Abs. 1 LV verletzt haben könnten.

Ausführungen zum Schutzbereich und Gewährleistungsumfang von Art. 6 Abs. 1 LV fehlen. Im Übrigen führt die Beschwerdeführerin dem geltend gemachten Verstoß gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 6 Abs. 1 LV keine eigenständige, über ihre Ausführungen zu Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV hinausgehende, Begründung hinzu. Soweit sie vorträgt, die Beweisaufnahme sei an unerfüllbare Bedingungen geknüpft worden, weil es in der Regel schlicht unmöglich sei, eine ärztliche Bescheinigung beizubringen, die unter Berücksichtigung aller etwaiger Behandlungsalternativen die medizinische Notwendigkeit der verordneten Behandlung bestätige, berücksichtigt sie mit diesem Vorbringen erneut nicht, dass das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht darauf abgestellt haben, dass keine den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG entsprechende ärztliche Bescheinigung vorgelegen habe, wonach die Beschwerdeführerin aus medizinischen Gründen ausschließlich mit einer Insulinpumpe versorgt werden könne und müsse.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

 

Möller

Dresen

Heinrich-Reichow

Kirbach

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß