VerfGBbg, Beschluss vom 19. Februar 2021 - VfGBbg 28/20 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 1 Satz 2; LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 - SGB II, § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 |
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Schlagworte: | - Verfassungsbeschwerde unzulässig - Sozialgericht - Jobcenter - Nichtzulassung der Berufung - grundsätzliche Bedeutung - Vier-Jahres-Frist - gesetzlicher Richter - Willkür - unzureichende Begründung |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 19. Februar 2021 - VfGBbg 28/20 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 28/20
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
VfGBbg 28/20
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
H.,
Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt
L.,
beteiligt:
- Präsidentin
des LandessozialgerichtsBerlin-Brandenburg,
Försterweg 2-6,
14482 Potsdam, - Jobcenter Oberspreewald-Lausitz
vertr. d. d. Geschäftsführer,
Adolfstraße 1-3,
01968 Senftenberg,
Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Januar 2020 - L 5 AS 149/19 NZB
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
am 19. Februar 2021
durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dresen, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Kirbach, Dr. Lammer, Sokoll und Dr. Strauß
beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
A.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen einen Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, mit dem die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung zurückgewiesen wurde.
I.
Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schreiben vom 10. Juni 2016 die Überprüfung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids von August 2007 für einen Gewährungszeitraum von 1. Februar bis 30. September 2005 in Höhe von insgesamt 518,36 Euro. Das Jobcenter lehnte eine Prüfung in der Sache mit Bescheid vom 27. Juni 2016 mit der Begründung ab, der Überprüfungsantrag sei verfristet und daher unzulässig.
Die nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhobene Klage wies das Sozialgericht Cottbus mit Urteil vom 13. Dezember 2018 ab. Zur Begründung wies es darauf hin, dass eine Überprüfung von vermeintlich rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakten aufgrund einer Gesetzesänderung zum 1. August 2016 nur noch innerhalb von vier Jahren nach Ablauf des Jahres möglich sei, in dem der Verwaltungsakt erlassen wurde. Da der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aus dem Jahr 2007 datiere, sei ein Überprüfungsantrag nur bis Ende 2011 zulässig gewesen. Der Überprüfungsantrag aus dem Jahr 2016 sei außerhalb dieser Frist gestellt worden und daher unzulässig. Die Gesetzesänderung zum 1. August 2016 sei auch auf den vorliegenden Überprüfungsantrag vom 10. Juni 2016 anwendbar gewesen. Die Berufung gegen das Urteil ließ das Sozialgericht nicht zu.
Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Berufung und begründete diese damit, dass die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung habe, ob die Vier-Jahres-Frist des § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in der seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung auch für Überprüfungsanträge Geltung beanspruche, die vor dem 1. August 2016 gestellt worden seien. Die Rechtslage sei insoweit klärungsbedürftig. Das Sozialgericht Mainz und das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz gingen - anders als das Sozialgericht Cottbus - davon aus, dass für entsprechende Altanträge keine Frist gelte.
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wies mit Beschluss vom 9. Januar 2020 - L 5 AS 149/19 NZB - die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung zurück. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung lägen nicht vor. Die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg habe bereits zweimal entschieden, dass die Rechtsfrage unmittelbar anhand des Gesetzes beantwortet werden könne. An dieser Rechtsauffassung halte es ungeachtet der Tatsache, dass das Bundesozialgericht die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz zu dieser Frage zugelassen habe, fest. Die Rechtsfrage sei so gut wie unbestritten.
II.
Die Beschwerdeführerin hat am 5. März 2020 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt, dass der Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Januar 2020 - L 5 AS 149/19 NZB - ihr den gesetzlichen Richter entziehe und damit Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 i. V. m. Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) verletze. Ihr sei die Möglichkeit der Berufung und gegebenenfalls daran anschließend der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht genommen. Das Bundesverfassungsgericht habe zu Art. 101 Grundgesetz (GG) entschieden, dass ein Rechtsmittelgericht gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters verstoße, wenn die Entscheidung, ein Rechtsmittel nicht zuzulassen, sachlich nicht zu rechtfertigen sei, sich als objektiv willkürlich erweise und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwere. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Es sei willkürlich, dass das Landessozialgericht die grundsätzliche Bedeutung und Klärungsbedürftigkeit verneine. Die These, die Rechtsfrage könne unmittelbar anhand des Gesetzes beantwortet werden, werde nicht weiter begründet. Die Begründung des Urteils des Sozialgerichts Cottbus liege im Rahmen des rechtlich Vertretbaren, sei jedoch nicht zwingend. Die Rechtsfrage sei keineswegs so gut wie unbestritten. Eine Kammer des Sozialgerichts Cottbus vertrete die gleiche Meinung wie das Sozialgericht Mainz. Die Senate des Landessozialgerichts seien nicht einer Auffassung. Auch die Auffassung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz sei nicht zwingend. Für die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit spreche auch die große Anzahl von anhängigen Fällen.
III.
Die Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg und der Geschäftsführer des Jobcenters Oberspreewald-Lausitz haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verfahrensakten sind beigezogen worden.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung und ist daher unzulässig.
1. Erforderlich ist nach § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg eine Begründung, welche schlüssig die mögliche Verletzung des geltend gemachten Grundrechts der Beschwerdeführerin aufzeigt. Sie muss umfassend und aus sich heraus verständlich sein. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und ihrer konkreten Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein soll und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die Entscheidung kollidiert (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 22. März 2019 - VfGBbg 38/18 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Es bedarf einer umfassenden einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Aufarbeitung der Rechtslage. Demnach muss der Beschwerdeführer ausgehend vom Entscheidungsinhalt aufzeigen, worin der Grundrechtsverstoß aus seiner Sicht im Einzelnen liegt (vgl. Beschlüsse vom 19. Mai 2017 - VfGBbg 9/17 - und vom 16. Dezember 2016 - VfGBbg 33/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, jeweils m. w. N.).
2. Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht. Die Beschwerdeschrift zeigt eine mögliche Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV durch Verletzung des Willkürverbots aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV nicht auf. Das Landessozialgericht weist zutreffend darauf hin, dass der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung das Vorliegen einer klärungsbedürftigen Frage erfordert. Soweit das Landessozialgericht ausführt, es liege keine klärungsbedürftige Frage vor, weil die Frage, die sich unmittelbar anhand des Gesetzes beantworten lasse, durch das Gericht bereits früher entschieden worden sei, bedarf es, um dem Substantiierungsgebot zu genügen, einer Darlegung in der Begründung der Verfassungsbeschwerde, warum diese Rechtsansicht unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar ist. Dies leistet die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht. Prinzipiell können auch von der Rechtsprechung bereits beantwortete Fragen wieder klärungsbedürftig werden, etwa wenn gewichtige Stimmen in Literatur oder Rechtsprechung die bisherige Rechtsprechung mit erheblichen Argumenten in Frage stellen. Hierzu trägt die Beschwerdeführerin allerdings nichts vor. Allein der Umstand, dass ein anderes Landessozialgericht in einer seinerzeit nicht rechtskräftigen Entscheidung die vom Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vertretene Rechtsauffassung zum Anwendungsbereich von § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II n. F. nicht teilt, macht die Annahme des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, es liege keine grundsätzlich bedeutsame Frage vor, nicht willkürlich.
Dass insoweit der Zulassungsgrund der Divergenz nicht trägt, und (auch) insoweit kein Willkürvorwurf gegen die angegriffene Entscheidung erhoben werden kann, räumt die Beschwerdeführerin selbst ein.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller |
Dr. Becker |
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Dresen |
Dr. Finck |
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Heinrich-Reichow |
Kirbach |
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Dr. Lammer |
Sokoll |
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Dr. Strauß |
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