VerfGBbg, Beschluss vom 22. März 2019 - VfGBbg 38/18 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1; VerfGGBbg, § 46 |
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Schlagworte: | - Verfassungsbeschwerde unzulässig - unzureichende Begründung - Beruhenszusammenhang - rechtliches Gehör - übergangener Beweisantritt - Beweisangebot - beweiserheblich - Glaubwürdigkeit |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 22. März 2019 - VfGBbg 38/18 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 38/18
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
W.
Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte: RAin L.
wegen | Urteil vom 26. Januar 2018 und Beschluss vom 28. Februar 2018 des Amtsgerichts Eberswalde (2 C 243/17 [2]) |
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
am 22. März 2019
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dresen, Dr. Finck, Kirbach, Partikel und Dr. Strauß
beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
A.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen Entscheidungen des Amtsgerichts Eberswalde in einer Verkehrsunfallsache.
I.
Im Januar 2016 ereignete sich zwischen den Pkw des Beklagten zu 1. des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Unfallgegner) und der Beschwerdeführerin ein Verkehrsunfall nach dem Anfahren der Fahrzeuge an einer auf Grün umgeschalteten Lichtzeichenanlage.
Die Beschwerdeführerin erhob Zahlungsklage, nachdem ihr außergerichtlich nur ein Teil der geltend gemachten Schäden ersetzt worden war. Sie behauptete, an der roten Ampel gestanden zu haben, woraufhin sich der Unfallgegner innerhalb derselben Fahrspur rechts neben sie gestellt habe. Der Unfallgegner sei beim Umspringen der Ampel auf Grün schneller angefahren als sie selbst, habe zunächst begonnen, rechts abzubiegen, sei dann nach links gezogen und mit ihrem Fahrzeug kollidiert.
In der in das gerichtliche Verfahren eingeführten polizeilichen Ermittlungsakte zu dem Vorgang ist nach den Angaben der Beschwerdeführerin eine Äußerung des Unfallgegners im Rahmen der vor Ort erfolgten Unfallaufnahme vermerkt, wonach er auf der rechten von zwei Fahrspuren an der roten Ampel gestanden habe. Nach dem Anfahren bei Grün habe das Fahrzeug vor ihm plötzlich gehalten, er habe nach links in die zweite Fahrspur gelenkt, ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten und sei dabei mit dem Fahrzeug der Beschwerdeführerin kollidiert.
Die Beschwerdeführerin bot schriftsätzlich vor der mündlichen Verhandlung als Beweismittel u. a. das Zeugnis des den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten an.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hörte das Amtsgericht die Parteien persönlich an. Der Unfallgegner erklärte u. a., die Beschwerdeführerin sei plötzlich links neben ihm gewesen. Da er an einem Baufahrzeug auf der rechten Seite habe vorbeifahren müssen, könne es sein, dass er leicht nach links ausgeschwenkt sei. Vor Ort sei er nicht von den Polizeibeamten befragt worden.
Zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und der Urteilsverkündung reichte die Beschwerdeführerin beim Amtsgericht einen weiteren Schriftsatz ein, mit dem sie eine Klageerweiterung beabsichtigte.
Das Amtsgericht wies die Klage mit Urteil vom 26. Januar 2018 unter der Annahme einer jeweils hälftigen Haftung teilweise ab und setzte den Streitwert des Verfahrens auf 392,50 Euro fest. Die Quote begründete es mit einer Unaufklärbarkeit des Unfallgeschehens. Eine Überzeugung zugunsten einer der beiden Darstellungen habe es sich nicht bilden können. Die Schilderungen beider Parteien seien lebensnah und schlüssig gewesen und Widersprüche innerhalb der jeweiligen Angaben nicht aufgetreten. Unter Glaubwürdigkeitsaspekten sei keiner der Angaben der Vorzug einzuräumen. Der Unfallgegner habe in seiner persönlichen Anhörung angegeben, zunächst geradeaus gefahren zu sein und dann aufgrund eines vor ihm fahrenden Fahrzeugs etwas nach links ausgeschwenkt zu haben. Die Beschwerdeführerin habe selbst bestätigt, dass sie sich nicht sicher gewesen sei, ob der Unfallgegner habe abbiegen wollen. Eine weitere Beweisaufnahme durch Vernehmung der die Unfallanzeige aufnehmenden Polizeibeamten sei nicht angezeigt gewesen; die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht veranlasst. Die Beamten seien bei dem Unfallgeschehen nicht unmittelbar am Ort gewesen. Es sei nicht ersichtlich, welchen Erkenntnisgewinn ihre Vernehmung bringen solle, insbesondere da der Unfallgegner im Rahmen seiner persönlichen Anhörung ein leichtes Ausschwenken nach links eingeräumt habe.
Die Beschwerdeführerin erhob Anhörungsrüge gegen das Urteil u. a. mit der Begründung, der als Zeuge angebotene Polizeibeamte habe vernommen werden müssen. Er hätte jedenfalls bestätigen können, dass der Unfallgegner die im Unfallprotokoll wiedergegebenen Angaben getätigt habe.
Das Amtsgericht wies die Anhörungsrüge am 28. Februar 2018 als unbegründet zurück. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit die Polizeibeamten, die keine eigenen Wahrnehmungen von dem Unfallhergang gehabt hätten, nach Ablauf von über einem Jahr in der Sache Angaben machen könnten. Soweit die Beschwerdeführerin angeführt habe, die Beamten hätten jedenfalls bestätigen können, dass der Unfallgegner die im Unfallprotokoll wiedergegebenen Aussagen getätigt habe, habe dies für die Entscheidung in der Sache keine Bedeutung. Das Amtsgericht habe die Aussagen der Parteien im Rahmen der persönlichen Anhörung gewürdigt. Ausgehend davon sei der Unfallhergang nicht aufklärbar gewesen.
Der Anhörungsrügebeschluss wurde der Beschwerdeführerin nach eigenen Angaben unter dem 17. Mai 2018 übersandt.
II.
Mit ihrer am 26. Juni 2018 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 Landesverfassung - LV). Das Amtsgericht sei dem Beweisangebot zur Vernehmung des Polizeibeamten, der die Unfallaufnahme übernommen hatte, nicht nachgekommen. Es habe fehlerhaft unterstellt, der Beamte könne an den Unfall nach Ablauf von mehr als einem Jahr keine konkrete Erinnerung mehr haben. Angesichts der Abweichungen des Vortrags des Unfallgegners bei der Unfallaufnahme und im streitigen Verfahren hätte die Aussage des Polizeibeamten Einfluss auf die Beweiswürdigung haben müssen. Mit den Widersprüchen in den Aussagen des Unfallgegners habe sich das Amtsgericht nicht beschäftigt, sondern sei stattdessen von einer lebensnahen und nachvollziehbaren Aussage ausgegangen.
B.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig.
I.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil vom 26. Januar 2018 richtet, genügt sie nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung.
1. Erforderlich ist nach § 20 Abs. 1, § 46 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) eine Begründung, welche schlüssig die mögliche Verletzung des geltend gemachten Grundrechts des Beschwerdeführers aufzeigt. Sie muss umfassend und aus sich heraus verständlich sein. Mit der Begründung müssen der entscheidungserhebliche Sachverhalt und die wesentlichen rechtlichen Erwägungen nachvollziehbar dargelegt werden, um dem Gericht eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Begehren zu ermöglichen. Hierzu gehört in formaler Hinsicht, dass die angegriffenen Entscheidungen sowie die zugrundeliegenden Rechtsschutzanträge und andere Dokumente, ohne deren Kenntnis sich nicht beurteilen lässt, ob Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers verletzt wurden, vorzulegen oder wenigstens durch inhaltliche Wiedergabe zur Kenntnis zu bringen sind. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und ihrer konkreten Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein soll und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen sie kollidiert (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 30. November 2018 - VfGBbg 23/17 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.).
2. Dies leistet die Beschwerdeschrift nicht. Sie lässt eine mögliche Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör vor Gericht gemäß Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV nicht erkennen.
a. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts gewährt Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV gebietet in Verbindung mit den Grundsätzen der dem jeweiligen Verfahren zugrundeliegenden Prozessordnung zudem die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Norm gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts - etwa wegen sachlicher Unerheblichkeit - ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt; der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur verletzt, wenn die Nichtberücksichtigung von Vortrag oder von Beweisanträgen im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. Beschluss vom 16. März 2018 - VfGBbg 56/16 - m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Der Anspruch einer Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann auch verletzt sein, wenn das Gericht Zeugen nicht anhört, die von der Partei zur Erschütterung der Glaubhaftigkeit der Aussagen vernommener Zeugen bzw. zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen benannt worden sind (VerfGH Berlin, Beschluss vom 16. Dezember 2015 - 116/15 -, juris Rn. 19; BGH, Beschluss vom 4. Juli 2013 - VII ZR 165/12 -, Rn. 9, juris). Ob dies auch für die Entkräftung von Parteivortrag zu gelten hat, kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls ist unter Zugrundelegung des genannten Maßstabs eine Gehörsverletzung nicht dargetan.
b. Das Übergehen eines erheblichen Beweisantritts lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Denn die Beschwerdeführerin legt bereits nicht dar, zu welchem Beweisthema sie den Polizeibeamten in ihrem prozessual rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag als Zeugen benannt hat. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass sie ihn, was sie in der Sache mit ihrer Verfassungsbeschwerde geltend macht, für Fragen der Beweiswürdigung angeboten hat.
Selbst wenn ein Antrag mit diesem konkreten Beweisthema vor der mündlichen Verhandlung gestellt worden sein sollte, fehlt es für eine Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde immer noch an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Entscheidungsbegründung des Amtsgerichts. Das Amtsgericht hat die Vernehmung des Polizeibeamten nicht mehr für entscheidungserheblich gehalten, nachdem der Unfallgegner im Rahmen der persönlichen Anhörung eingeräumt hatte, vor der Beschwerdeführerin gegebenenfalls nach links ausgeschert zu sein. Das Amtsgericht hat insofern die von der Beschwerdeführerin angeführte Aussage des Unfallgegners am Unfallort, er sei nach links ausgeschert, als wahr unterstellt und eben diese Tatsache in seinem Urteil im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ist nicht zu entnehmen, inwieweit darüber hinaus die Äußerungen des Unfallgegners gegenüber dem Polizeibeamten streitige Tatsachen enthalten, deren Erwiesenheit für die Beschwerdeführerin rechtlich günstig sein könnte.
Soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, dass das Amtsgericht einen angebotenen Zeugenbeweis mit der fehlerhaften Begründung nicht erhoben habe, der benannte Polizeibeamte könne keine Erinnerung mehr an den Unfall haben, geht dies am Inhalt des Urteils vorbei. Das Amtsgericht hat maßgeblich darauf abgestellt, dass der benannte Polizeibeamte keine eigenen Wahrnehmungen vom Unfallgeschehen hatte.
Weiterhin legt die Beschwerdeführerin den erforderlichen Beruhenszusammenhang zwischen der beanstandeten Gehörsverletzung und dem angegriffenen Urteil nicht schlüssig dar. Zwar ergibt sich aus der Begründung der Verfassungsbeschwerde, dass das Amtsgericht einen Teil der Klage der Beschwerdeführerin abgewiesen hat. Dass das Urteil nach gerichtlicher Vernehmung des Polizisten wahrscheinlich anders ausgefallen wäre, wird hingegen nicht ausreichend begründet.
II.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde nach Auslegung des Begehrens der Beschwerdeführerin, die ihre Anfechtung nicht auf das Urteil beschränkt hat, auch gegen den die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss vom 28. Februar 2018 richtet, ist sie wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, dass Anhörungsrügen zurückweisende gerichtliche Entscheidungen grundsätzlich nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können, weil sie keine eigenständige Beschwer schaffen. Die Beschwerdeführerin hat auch nicht behauptet, dass der Ausnahmefall einer eigenständigen Beschwer durch Zurückweisung der Anhörungsrüge gegeben wäre (vgl. hierzu Beschluss vom 16. März 2018 - VfGBbg 56/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dresen | Dr. Finck |
Kirbach | Partikel |
Dr. Strauß | |