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VerfGBbg, Beschluss vom 19. Februar 2021 - VfGBbg 9/20 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 1 Satz 2; LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 1; LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2
- VerfGGBbg, § 32 Abs. 7 Satz 1; VerfGGBbg, § 45 Abs. 1; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 47 Abs. 1 Satz 1; VerfGGBbg, § 50 Abs. 3;
- Staatsvertrag, Art. 10 Abs. 1 Satz 1
- BbgRiG, § 26 Nr. 2; BbgRiG, § 32 Satz 1
- VwGO, § 52 Nr. 5; VwGO, § 81 Abs. 1 Satz 1; VwGO, § 83 Satz 1; VwGO, § 83 Satz 2; VwGO, § 85; VwGO, § 90 Abs. 1 Satz 1; VwGO, § 152a Abs. 1 Satz 1
- GVG, § 17 Abs. 1 Satz 1; GVG, § 17a Abs. 2 Satz 3
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde begründet
- Richterrecht
- Landesrecht
- Wahlanfechtung
- Präsidialrat
- gemeinsames OVG
- Konstituierung
- Gesamtwahlvorstand
- Verweisung
- VG Berlin
- Zwischenentscheidung
- örtliche Zuständigkeit
- Sitzprinzip
- Rechtsträgerprinzip
- gesetzlicher Richter
- Willkür
- Perpetuatio fori
- Anhörungsrüge
- Subsidiarität
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 19. Februar 2021 - VfGBbg 9/20 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 9/20




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 9/20

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

P.,

Beschwerdeführer,

beteiligt:

  1. Präsident
    des Verwaltungsgerichts Potsdam,
    Friedrich-Ebert-Straße 32,
    14469 Potsdam,
  2. Präsidentin
    des Verwaltungsgerichts Berlin,
    Kirchstraße 7,
    10557 Berlin,
  3. Präsidialrat beim
    Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg,
    vertr. d. d. Präsidenten des
    Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg,
    Hardenbergstraße 31,
    10623 Berlin,
wegen

Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 27. Dezember 2019 (VG 11 K 2881/19)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 19. Februar 2021

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dresen, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Kirbach, Dr. Lammer, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

 

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 27. Dezember 2019 (VG 11 K 2881/19) verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg und in seinem Anspruch auf eine willkürfreie Entscheidung aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 Verfassung des Landes Brandenburg. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an das Verwaltungsgericht Potsdam zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde teils verworfen und teils zurückgewiesen.

 

Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

 

 

Gründe:

A.

Der Beschwerdeführer ist Lebenszeitrichter der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes Brandenburg. Er wendet sich gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam, der ein die Präsidialratswahl betreffendes Anfechtungsverfahren an das Verwaltungsgericht Berlin verweist.

I.

Durch Staatsvertrag über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg (im Weiteren Staatsvertrag genannt) wurde das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Sitz in Berlin errichtet. Gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsvertrag besteht der Präsidialrat bei dem gemeinsamen Oberverwaltungsgericht aus dem Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts als Vorsitzenden sowie aus je zwei Richtern des Landes Brandenburg und des Landes Berlin, die von den Richterinnen und Richtern der Verwaltungsgerichtsbarkeiten der Länder Brandenburg und Berlin jeweils nach deren Landesrecht gewählt werden. Die Richter des gemeinsamen Fachobergerichts sind bei den Wahlen zum Präsidialrat im Sitzland Berlin aktiv und passiv wahlberechtigt, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Staatsvertrag, d. h. die Richterinnen und Richter des gemeinsamen Oberverwaltungsgerichts wählen in der Gesamtheit der Verwaltungsrichterschaft des Landes Berlin die zwei von Berlin zu stellenden Präsidialratsmitglieder nach dem Recht des Landes Berlin mit. Die Wahl der Brandenburger Präsidialratsmitglieder wird im Brandenburgischen Richtergesetz, in der Wahlordnung zum Brandenburgischen Richtergesetz und ergänzend gemäß § 90 Abs. 2 Brandenburgisches Richtergesetz (BbgRiG) in den materiellen Wahlvorschriften des Landespersonalvertretungsgesetzes geregelt.

Die Wahl der aus dem Land Brandenburg in den Präsidialrat zu entsendenden Mitglieder fand am 22. Oktober 2019 an allen Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg statt. Der Beschwerdeführer und zwei weitere Wahlberechtigte fochten die Wahl an. Der Wahlanfechtungsantrag des Beschwerdeführers ging beim Verwaltungsgericht Potsdam am 13. November 2019 ein. Da sich der neue Präsidialrat noch nicht konstituiert hatte, stellte das Verwaltungsgericht die Wahlanfechtung unter dem 18. November 2019 dem „Gesamtwahlvorstand für die Wahlen in Brandenburg zum Präsidialrat“ mit Sitz beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) zu. Das Verwaltungsgericht Potsdam informierte vorab den künftigen Vorsitzenden des neu gewählten Präsidialrates, den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, von dem Wahlanfechtungsantrag und kündigte an, das Passivrubrum auf den Präsidialrat umzustellen, sobald sich dieser konstituiert habe. Zudem stellte das Gericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung am 3. März 2020 in Aussicht.

Die Wahl der Berliner Mitglieder des Präsidialrats fand in Berlin am 27. November 2019 statt.

Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg teilte dem Verwaltungsgericht Potsdam unter dem 28. November 2019 mit, dass die konstituierende Sitzung des Präsidialrats voraussichtlich nicht vor Januar oder Februar 2020 erfolgen werde. Weiterhin nahm er Stellung zu Fragen der Verfahrensart, der Passivlegitimation und der örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts. Er führte im Ergebnis aus, dass das Verwaltungsgericht Berlin gemäß § 52 Nr. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nach dem maßgeblichen Sitz des Beklagten in Berlin für das Wahlanfechtungsverfahren zuständig sei.

Das Verwaltungsgericht Potsdam gab dem Beschwerdeführer Gelegenheit, zur Frage der örtlichen Zuständigkeit und einer etwaigen Verweisung an das Verwaltungsgericht Berlin Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer machte mit seiner Stellungnahme vom 23. Dezember 2019, eingegangen am selben Tag, geltend, dass eine Verweisung an das Verwaltungsgericht Berlin nicht in Betracht komme, da sich das Verfahren allein gegen das Land Brandenburg als Rechtsträger der handelnden Behörde richte. Diesem sei das Handeln des Gesamtwahlvorstandes zuzurechnen. Es habe allein eine Wahl nach dem Recht des Landes Brandenburg stattgefunden.

Das Verwaltungsgericht Potsdam erklärte sich mit Beschluss vom 27. Dezember 2019 gemäß § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Verwaltungsgericht Berlin, das gemäß § 52 Nr. 5 VwGO zuständig sei, da sich der Sitz des Präsidialrats in Berlin befinde. Eine weitere Begründung enthielt der Beschluss nicht. Das Passivrubrum führt den „Gesamtwahlvorstand für die Wahlen in Brandenburg zum Präsidialrat“, bestehend aus benannten Richterinnen und Richtern, mit Sitz beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) auf. Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 7. Januar 2020 bekanntgegeben. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer am selben Tag Anhörungsrüge.

Er trug unter anderem vor, dass die Wahlanfechtung gemäß § 52 Nr. 5 VwGO an das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) habe verwiesen werden müssen, wenn sie gegen den Gesamtwahlvorstand zu richten sei. In keinem Fall sei die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Berlin begründet. Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2019 habe er vorgetragen, dass sich das Verfahren gegen den Rechtsträger des handelnden Gesamtwahlvorstandes richte und deshalb eine Verweisung an das Verwaltungsgericht Berlin nicht in Betracht komme. Dies sei ignoriert worden. Stattdessen stelle das Gericht auf den angeblich maßgeblichen Sitz des Präsidialrats ab, der kein Verfahrensbeteiligter sei und auch nicht sein könne. Der Beschwerdeführer verwies auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Mai 2017 - 7 K 423/16 - zur Anfechtung der Wahl des Präsidialrats des Kammergerichts. Hier habe das Verwaltungsgericht Berlin entschieden, dass passivlegitimierter Beklagter das Land Berlin vertreten durch den Präsidenten des Kammergerichts sei.

Das Verwaltungsgericht Potsdam wies die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 23. Januar 2020 zurück. Die Anhörungsrüge sei zulässig, aber unbegründet. Das Gericht habe den Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 23. Dezember 2019 zur Kenntnis genommen, folge der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers jedoch nicht. Es begründe keinen Gehörsverstoß, dass das Gericht an seiner anderslautenden Rechtsauffassung festgehalten habe. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichte die Gerichte lediglich, das Vorbringen einer Partei zur Kenntnis zu nehmen, nicht aber, sich dieses auch inhaltlich zu eigen zu machen.

II.

Der Beschwerdeführer hat am 29. Januar 2020 Verfassungsbeschwerde erhoben.

Er rügt, dass der Justizgewährungsanspruch, die Rechte auf Zugang zum zuständigen Gericht, auf effektiven Rechtsschutz, auf den gesetzlichen Richter und auf eine willkürfreie Entscheidung sowie die Ansprüche auf rechtliches Gehör und auf ein faires und zügiges Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht des Landes Brandenburg verletzt seien.

Das Verwaltungsgericht Potsdam habe das rechtliche Gehör verletzt. Es habe den Vortrag des Beschwerdeführers weder erwähnt noch sei ersichtlich, warum es auf diesen nicht ankommen solle. Das lasse nur den Schluss zu, dass sich das Gericht mit dem Vortrag überhaupt nicht befasst habe. Der Verweisungsbeschluss sei grob willkürlich und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar und habe zur Folge, dass nicht der gesetzliche Richter über die Wahlanfechtung entscheide. Da das Passivrubrum den Gesamtwahlvorstand beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) aufführe, richte sich die örtliche Zuständigkeit nach § 52 Nr. 5 VwGO, was eine Verweisung an das Verwaltungsgericht Berlin ausschließe. Es bestehe keine gesetzliche Regelung, die das Verfahren dem Verwaltungsgericht eines anderen Bundeslandes übertrage. Es sei nicht ersichtlich, warum Berliner Gerichte über die Anfechtung einer in Brandenburg durchgeführten Wahl entscheiden sollten dürfen. Die Richter des Verwaltungsgerichts Berlin seien nicht auf die Verfassung des Landes Brandenburg vereidigt.

Der Beschwerdeführer beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 27. Dezember 2019 (VG 11 K 2881/19) aufzuheben.

III.

Der Gesamtwahlvorstand für die Wahlen in Brandenburg zum Präsidialrat, der Präsident des Verwaltungsgerichts Potsdam und die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Berlin haben Gelegenheit zu Stellungnahmen erhalten. Die Verfahrensakten sind beigezogen worden. Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg hat am 7. Februar 2020 telefonisch mitgeteilt, dass sich der Präsidialrat nunmehr konstituiert habe. Daraufhin hat auch dieser Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg trägt als Vorsitzender des Präsidialrats unter anderem vor, dass für das Recht der Richtervertretung einschließlich der Wahl zu richterlichen Gremien gemäß § 32 Satz 1 Brandenburgisches Richtergesetz (BbgRiG) die Verwaltungsgerichtsordnung gelte. Aus § 52 VwGO ergebe sich abschließend die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Berlin. Der Staatsvertrag ändere diese bundesrechtliche Regelung nicht. Das Verwaltungsgericht Potsdam habe zur Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts gemäß § 52 Nr. 5 VwGO auf den Sitz des Präsidialrats in Berlin abgestellt.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg.

1. Sie ist in wesentlichen Teilen zulässig.

a) Die Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 45 Abs. 1, § 46 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft, da sie sich gegen den Verweisungsbeschluss als Maßnahme der öffentlichen Gewalt des Landes Brandenburg richtet.

b) Sie ist innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 VerfGGBbg eingelegt worden.

c) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde insoweit nicht entgegen, als es sich nicht um eine Endentscheidung handelt, sondern um eine Zwischenentscheidung. Eine Zwischenentscheidung kann nur dann ausnahmsweise selbstständig mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden, wenn sie einen bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen zur Folge hat, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 10. Mai 2019 ‌‑ VfGBbg 7/18 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.). Zwischenentscheidungen können zu solchen bleibenden rechtlichen Nachteilen führen, wenn sie Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfalten, über eine wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden können (vgl. Beschluss vom 10. Mai 2019 - VfGBbg 7/18 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.). Dies ist hier der Fall. Die Verweisung hat bindende Wirkung für das weitere Verfahren und ist nicht mehr in einer weiteren Instanz nachprüfbar und korrigierbar. Verweisungsbeschlüsse sind hinsichtlich der Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit gemäß § 83 Satz 2 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG in entsprechender Anwendung bindend für das Gericht, an das verwiesen wurde, und gemäß § 83 Satz 2 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 1 GVG analog bindend auch für die Instanzgerichte.

d) Durch die Erhebung der gemäß § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaften Anhörungsrüge gegen den gemäß § 83 Satz 2 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG in entsprechender Anwendung unanfechtbaren Verweisungsbeschluss ist der Rechtsweg erschöpft, § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg.

e) Aus dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ergibt sich, dass alle gerügten Grundrechtsverletzungen, die sich mit einem Gehörsverstoß in Zusammenhang bringen und vortragen lassen, zunächst vollständig mit der Anhörungsrüge vorzubringen sind, um vorrangig im fachgerichtlichen Verfahren Abhilfe zu erreichen (vgl. Beschlüsse vom 15. Februar 2019 - VfGBbg 4/19 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, und vom 22. März 2019 - VfGBbg 1/18 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 1468/11 -, www.bverfg.de, Rn. 6). Der Beschwerdeführer rügt in der Anhörungsrüge ausdrücklich die Verletzung der Ansprüche auf den gesetzlichen Richter und rechtliches Gehör und inzident die Verletzung des Willkürverbots. Er rügt nicht, dass der Justizgewährungsanspruch, die Rechte auf Zugang zum zuständigen Gericht, auf effektiven Rechtsschutz sowie der Anspruch auf ein faires und zügiges Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht des Landes Brandenburg verletzt seien. Mit diesen Rügen ist er daher nach dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität in der Verfassungsbeschwerde ausgeschlossen. Hinsichtlich dieser Rügen ist die Verfassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

f) Der Beschwerdeführer ist beschwerdebefugt, da nach seinem Vortrag die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass er durch den Verweisungsbeschluss selbst, unmittelbar und gegenwärtig in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), das Willkürverbot (Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV) und den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV) verletzt ist.

g) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht es nicht entgegen, dass die Verletzung von Landesgrundrechten im Rahmen eines bundesrechtlich - hier durch die Verwaltungsgerichtsordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz - geordneten Verfahren gerügt wird, wenn die als verletzt gerügten Rechte der Landesverfassung inhaltsgleich mit den entsprechenden Rechten des Grundgesetzes sind (vgl. für die Anwendung von Verfahrensrecht des Bundes: Beschluss vom 16. Mai 2002 ‌‑ VfGBbg 46/02 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.,; BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1997 - 2 BvN 1/95 -, BVerfGE 96, 345, 345 f., www.bverfg.de). Dies ist hier der Fall. Das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV entspricht dem wortgleichen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) und garantiert denselben Schutz. Das allgemeine Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG, das auch vor Gericht gilt, wird im Land Brandenburg im Ergebnis inhaltsgleich in Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV speziell auch vor Gericht gewährt. Dies gilt auch für den Anspruch auf rechtliches Gehör.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist im Wesentlichen begründet.

a) Der Verweisungsbeschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV.

aa) Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter, der sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergibt. Ziel dieser Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte. Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtssuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit des Gerichts gesichert werden (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 20. Juli 2018 ‌‑ VfGBbg 110/17 -,  https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.). Eine „Entziehung“ des gesetzlichen Richters kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden. Andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß angesehen werden. Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV grundlegend verkennt. Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV grundlegend verkennt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 20. Juli 2018 ‌‑ VfGBbg 110/17 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.).

bb) Die Verweisung des Wahlanfechtungsantrags an das Verwaltungsgericht Berlin erfolgte willkürlich und verkannte die Verfassungsgarantie des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV grundlegend. Der Verweisungsbeschluss verstößt mit der Begründung, das Verwaltungsgericht Berlin sei gemäß § 52 Nr. 5 VwGO zuständig, da der Sitz des Präsidialrats in Berlin sei, in rechtlich nicht zu begründender Weise gegen § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG, wonach die örtliche Zuständigkeit durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt wird („Perpetuatio fori“). Denn das Verwaltungsgericht hat zunächst selbst angenommen, dass der in Frankfurt (Oder) sitzende Gesamtwahlvorstand Verfahrensbeteiligter sei.

aaa) Gemäß § 32 Satz 1 BbgRiG ist für Rechtsstreitigkeiten anlässlich der Bildung der Richtervertretungen, zu denen gemäß § 26 Nr. 2 BbgRiG der Präsidialrat gehört, der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte bestimmt sich über § 83 Satz 1 VwGO nach § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG. Danach wird die örtliche Zuständigkeit durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt. Die Rechtshängigkeit, die für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts somit allein maßgeblich ist, tritt gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch die Erhebung, d. h. durch den Eingang des Wahlanfechtungsantrags beim Verwaltungsgericht (§ 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ein. Die Rechtshängigkeit trat hier am 13. November 2019 ein.

bbb) Gemäß § 85 VwGO ist der Wahlanfechtungsantrag von Amts wegen einem passivlegitimierten Beteiligten (Satz 1) mit der Aufforderung, sich schriftlich zu äußern (Satz 2, 1. Hs.), zuzustellen. Das Verwaltungsgericht Potsdam hat seiner ständigen Praxis folgend den Wahlanfechtungsantrag dem für die Wahl verantwortlichen Wahlvorstand zugestellt.

Dem liegt die Rechtsauffassung zugrunde, dass erst mit der Konstituierung des gewählten Gremiums der Wahlvorstand aufgelöst ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. November 1973 - VII A 7.72 -, juris, Rn. 20; VG Potsdam, Beschluss vom 22. Januar 2003 - 16 K 2353/02.PVL -, juris, Rn. 18). An die Stelle des Wahlvorstandes tritt im Wahlanfechtungsverfahren das gewählte Gremium als Beteiligter (vgl. VG Potsdam, Beschluss vom 22. Januar 2003 ‌‑ 16 K 2353/02.PVL -, juris, Rn. 18). Dementsprechend stellt die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung im Land Brandenburg das Passivrubrum nach der Konstituierung des gewählten Gremiums vom vorläufig zu beteiligenden Wahlvorstand auf das neu gewählte Gremium, dessen Wahl und damit Zusammensetzung angefochten ist, um (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. April 1978 - 6 P 34/78 -, juris, Rn. 17).

ccc) Für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts sind gemäß § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG die Umstände zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit maßgeblich.

Zu diesem Zeitpunkt war der neue Präsidialrat noch nicht konstituiert und war damit auch noch nicht existent. Der neu zu wählende Präsidialrat konnte daher nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts am Wahlanfechtungsverfahren zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit noch nicht beteiligt werden. Sein Sitz in Berlin konnte damit auch nicht zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts maßgeblich sein.

ddd) Eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Berlin ließe sich auch nicht mit dem Rechtsträgerprinzip begründen. Rechtsträger für den Wahlvorstand der im Land Brandenburg durchzuführenden Wahl der von diesem Land zu entsendenden Präsidialratsmitglieder ist das Land Brandenburg. Zu beteiligen wäre dann bei der Wahlanfechtung für das Land Brandenburg das Ministerium der Justiz mit Sitz in Potsdam. Gemäß § 52 Nr. 5 VwGO wäre dann das Verwaltungsgericht Potsdam zuständig. Stellt man auf den Rechtsträger des Präsidialrats ab, ist zu berücksichtigen, dass zwar beide Länder Berlin und Brandenburg Rechtsträger des Präsidialrats bei dem gemeinsamen Oberverwaltungsgericht sind, dass bezüglich der Angelegenheiten des Landes Brandenburg jedoch allein das Land Brandenburg verantwortlicher Rechtsträger ist.

cc) Mit dem Verweisungsbeschluss wurde dem Beschwerdeführer der gesetzliche Richter entzogen. Der Verweisungsbeschluss war rechtlich nicht vertretbar begründet. Obwohl sich die Wahlanfechtung gegen den „Gesamtwahlvorstand für die Wahlen in Brandenburg zum Präsidialrat“ mit Sitz in Frankfurt (Oder) richtete, wurde sie, „da sich der Sitz des Präsidialrats in Berlin befindet“, an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen. Der Beschluss ist damit bereits nach seiner äußeren Form in sich widersprüchlich und erscheint willkürlich.

Bei seiner Entscheidung verkannte das Verwaltungsgericht Potsdam das prozessuale Grundprinzip des § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG, wonach die örtliche Zuständigkeit durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt wird („Perpetuatio fori“). Das Gericht hatte den Wahlanfechtungsantrag als gegen den „Gesamtwahlvorstand für die Wahlen in Brandenburg zum Präsidialrat“ mit Sitz in Frankfurt (Oder) gerichtet angesehen, diesen für passivlegitimiert erachtet und ihm den Antrag zugestellt. Der Gesamtwahlvorstand hatte auch bereits im Verfahren seine Passivlegitimation anerkannt, eine Stellungnahme zur Zulässigkeit und Begründetheit der Wahlanfechtung abgegeben und Wahlunterlagen vorgelegt. Eine Verweisung an das für den Sitz des Gesamtwahlvorstands in Frankfurt (Oder) gemäß § 52 VwGO nicht zuständige Verwaltungsgericht Berlin kam nicht in Betracht. Das Gericht hätte wissen müssen, dass die im weiteren Verlauf des Verfahrens beabsichtigte Umstellung auf den sich noch zu konstituierenden Präsidialrat mit Sitz in Berlin nicht zu einer Änderung der örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts führen konnte, § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG. Eine Abweichung von der Grundregel der „Perpetuatio fori“ hätte jedenfalls einer ausführlichen Begründung bedurft.

b) Mit der Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter fällt auch eine Verletzung des Willkürverbots aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV zusammen, da der Verweisungsbeschluss unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar und damit schlechthin unhaltbar ist.

c) Der Verweisungsbeschluss verletzt nicht das Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV.

Besondere Umstände, wonach das Vorbringen des Beschwerdeführers entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht mit in Betracht gezogen worden sind, liegen nicht vor.

C.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 27. Dezember 2019 (VG 11 K 2881/19) ist aufzuheben und die Sache zur weiteren Entscheidung an das Verwaltungsgericht Potsdam zurückzuverweisen, § 50 Abs. 3 VerfGGBbg.

Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.

D.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

 

Möller

Dr. Becker

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Dr. Lammer

Sokoll

Dr. Strauß