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VerfGBbg, Beschluss vom 13. September 2024 - VfGBbg 40/21 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 2 Abs. 1; LV, Art. 5; LV, Art. 10; LV, Art. 52 Abs. 4 Satz 1
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, 47 Abs. 1
- StrRehaG, § 10
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde begründet
- Stattgabe
- prozessuale Überholung
- Anhörungsrüge
- Frist
- Begründungsanforderungen
- effektiver Rechtsschutz
- Erziehungsvereinbarung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 13. September 2024 - VfGBbg 40/21 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 40/21




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 40/21

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

L.,

Beschwerdeführerin,

beteiligt:

1.      Präsident
des Brandenburgischen Oberlandesgerichts,
Gertrud-Piter-Platz 11,
14770 Brandenburg an der Havel,

2.      Präsident
des Landgerichts Potsdam,
Jägerallee 10-12,
14469 Potsdam,

3.      Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg,
Steinstraße 61,
14776 Brandenburg an der Havel,

4.      Die Beauftragte des Landes Brandenburg
zur Aufarbeitung der Folgen
der kommunistischen Diktatur,
Hegelallee 3,
14467 Potsdam,

wegen

Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 26. Mai 2020 ‌‑ BRH 54/17 -‌und Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. September 2020 ‌‑ 2 Ws (Reha) 6/20

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 13. September 2024

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Dr. Koch, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. September 2020 (2 Ws (Reha) 6/20) verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 2 Abs. 1, Art. 5 i. V. m. Art. 10 Verfassung des Landes Brandenburg. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.

Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Gründe:

A.

I.

Die am XX.XX.1974 geborene Beschwerdeführerin wendet sich im Kern gegen einen ihre Beschwerde zurückweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts Brandenburg, mit dem dieses die Zurückweisung ihres Antrags auf strafrechtliche Rehabilitierung wegen ihrer Unterbringung in einem Spezialkinderheim der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) durch das Landgericht Potsdam bestätigt hat.

Sie wuchs als jüngstes von drei Geschwistern bis zu ihrer Heimunterbringung in ihrem Elternhaus auf. Ihr Vater hatte sich von 1961 bis 1965 wegen einer Verurteilung durch das Bezirksgericht Potsdam vom 25. November 1961 in Haft befunden, die unter anderem wegen Verleitung und Vorbereitung zum „ungesetzlichen Grenzübertritt" erfolgte. Er wurde insoweit mit der Feststellung, dass er für einen Zeitraum von zwei Jahren und sechs Monaten zu Unrecht in Haft war, strafrechtlich rehabilitiert.

In den Akten befindet sich eine auf den „17.6.87" datierte Vereinbarung gemäß §§ 49, 50 Familiengesetzbuch der DDR zwischen den Eltern der Beschwerdeführerin als Erziehungsberechtigte und dem Rat des Kreises P. - Referat Jugendhilfe -, in der insbesondere Folgendes geregelt wurde:

„1. Zur Überwindung der festgestellten Fehlentwicklung von T. wird in Übereinstimmung mit der Jugendhilfekommission T. und der OS I T. das Mädchen in einem Heim der Jugendhilfe untergebracht.

2. Die Erziehungsberechtigten verpflichten sich, eng mit dem Heim und den Organen der Jugendhilfe zusammenzuarbeiten und die Umerziehung zu unterstützen.

3. Die Entlassung aus dem Heim bedarf der vorherigen Abstimmung der an der Vereinbarung Beteiligten.

4. Die Beteiligten können von der Vereinbarung zurücktreten, wenn die Gründe, die zur Heimeinweisung führten, wegfallen bzw. die Erziehung und Entwicklung durch die Erziehungsberechtigten anderweitig abgesichert werden.

5./6. […]“

Die Erziehungsvereinbarung enthält eine handschriftliche Unterschrift des Vaters. Die Unterschrift der Mutter war maschinenschriftlich mit „gez. I. M.“ ersetzt.

Nach der Einschätzung der Schule (Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule I „B.“) vom 18. Juni 1987 sei nach dem 1. Halbjahr ein starker Leistungsabfall der Beschwerdeführerin deutlich geworden. Die Eltern hätten zugegeben, keinen Einfluss mehr auf ihre Tochter zu haben. Die Schülerin orientiere sich außerschulisch an Schülern oder Jugendlichen im Alter von 16 bis 20 Jahren. Sie werde in Diskotheken eingeschleust, die sie mehrmals in der Woche besuche. Aufgrund obszöner Briefe eines jungen Mannes werde vermutet, dass die Beschwerdeführerin schon intime Beziehungen zum anderen Geschlecht habe. Die Beschwerdeführerin bestreite dies zwar, was jedoch „Gerüchten in der T. Bürgerschaft und unter Schülern“ widerspreche. Nach Ansicht der Schule sei es von Vorteil, wenn sie einem geregelten Leben zugeführt werde.

Die Familie der Beschwerdeführerin habe nach den „Pädagogische[n] Hinweise[n]“ des Referats Jugendhilfe beim Rat des Kreises P. vom 24. Juni 1987 bereits wegen Problemen mit der inzwischen volljährigen verheirateten Schwester und dem Bruder in Kontakt mit der Jugendhilfe des Rates der Stadt P. gestanden. Der Vater habe in der Vergangenheit häufig dem Alkohol zugesprochen. Die Mutter sei in der Vergangenheit wenig konsequent gewesen. Der Bruder sei 1985/86 im Spezialkinderheim untergebracht gewesen. Probleme seien auch im Zusammenhang mit der Beschwerdeführerin aufgetreten. Diese habe eine „negative schulische Entwicklung“ genommen, was zu ihrer Umschulung zu Beginn des Schuljahres 1986/87 geführt habe. Nachdem sie dort „anfangs gute Ansätze“ gezeigt habe, sei sie seit Beginn des 2. Schulhalbjahres, massiv aber ab Mai/Juni 1986 (Anmerkung: gemeint ist wohl 1987) dem Einfluss der Eltern „völlig entglitten“. Die Eltern hätten um Unterstützung bei der Erziehung der Tochter gebeten.

Aufgrund einer vom Referat Jugendhilfe unter dem 24. Juni 1987 beantragten Einweisung war die Beschwerdeführerin seit dem 28. August 1987 in dem als Spezialkinderheim geführten Kinderheim „A. R." in P. untergebracht. Im Erziehungsbericht des Kinderheims vom 26. August 1988 ist festgehalten, dass sie während Beurlaubungen bei ihren Eltern nach wie vor Kontakt zu ihrer „Clique" gehalten und in der Zeit danach im Heim stets ein auffälliges lautes und prahlerisches Verhalten an den Tag gelegt habe.

Der Vater der Beschwerdeführerin hatte bereits im Februar 1988 den Wunsch geäußert, sie in das Elternhaus zurückzunehmen. Das Heim unterstützte diesen wohl wiederholt geäußerten Wunsch nicht. Seit Frühjahr 1989 gab es jedoch Gespräche zwischen der Jugendhilfekommission und den Eltern der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Verlegung in ein Normalkinderheim. Am 1. Juli 1989 wurde die Beschwerdeführerin aus dem Kinderheim „A. R." beurlaubt. Zum 1. September 1989 wurde sie in das Normalkinderheim „W. S." in T. verlegt.

Mit ihrem Antrag vom 4. September 2017 begehrte die Beschwerdeführerin die strafrechtliche Rehabilitierung wegen ihrer Unterbringung in einem Spezialkinderheim in der Zeit vom 28. August 1987 bis zum 30. Juni 1989 sowie in einem Kinderheim im Zeitraum vom 1. September 1989 bis zum 4. Januar 1990. Hinsichtlich ihrer dortigen Lebensverhältnisse trug sie wie folgt vor: „große Gruppen, keine Privatsphäre, viele Strafen, Zwang politischer Einstellung, Strafarbeiten, Putzzwänge, keine Menschlichkeit, seelische Vergewaltigung“. Strafen seien häufig durch Einsperren erfolgt.

Mit einer Stellungnahme vom 4. Mai 2018 beantragte die Beschwerdeführerin ausdrücklich die Heranziehung der „Stasiakten“ ihrer Eltern sowie ihres Bruders. Im Anhörungstermin am 20. September 2018 teilte sie mit, dass es für sie selbst keine, aber für ihren Bruder eine „Stasiakte“ gebe. Ausweislich des Protokolls vereinbarten Gericht und Beschwerdeführerin, dass das Gericht die Rehabilitierungsakten des Vaters und des Bruders anfordern wolle. Der genaue Akteninhalt war jedoch offenbar nicht mehr in Erfahrung zu bringen, insbesondere nicht, ob „Stasiakten“ angelegt worden waren.

Mit Beschluss vom 26. Mai 2020 verwarf das Landgericht Potsdam den Rehabilitierungsantrag als unzulässig, da es an einer der Rehabilitierung zugänglichen Entscheidung eines Gerichts oder einer Behörde fehle. Es habe eine Erziehungsvereinbarung zwischen den Eltern und der zuständigen Jugendhilfebehörde der damaligen DDR vorgelegen. Anhaltspunkte dafür, dass diese nur scheinbar freiwillig geschlossen, tatsächlich aber erzwungen worden sei, lägen nicht vor. Vorsorglich wies das Landgericht Potsdam darauf hin, dass der Antrag im Falle seiner Zulässigkeit auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Die Vermutung des § 10 Abs. 3 Satz 1 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) sei widerlegt. Bei der Beschwerdeführerin sei ein Sachverhalt festgestellt worden, der eine Gefährdung des Kindeswohls habe besorgen lassen. Die mildere Maßnahme der Umschulung habe keinen durchschlagenden Erfolg gezeigt. Damit stelle sich die Unterbringung im Spezialheim als - weitreichende und nach heute geltenden Maßstäben möglicherweise in der Sache nicht gebotene - durch erzieherische Erwägungen veranlasste, nicht rechtsstaatswidrige Maßnahme der Jugendhilfe dar, die keine sachfremden Zwecke verfolgt habe.

Gegen diesen Beschluss erhob die Beschwerdeführerin am 9. Juni 2020 Beschwerde. Die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen kommunistischer Diktatur rügte mit Stellungnahme vom 3. September 2020, die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens mit Einverständnis der Beschwerdeführerin dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vorgelegt wurde, u. a. die nicht im erforderlichen Maße erfolgte Aufklärung durch das Gericht. Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Freiwilligkeit lägen durchaus Anhaltspunkte vor, dass die Erziehungsvereinbarung nicht freiwillig abgeschlossen worden sei. Die Vorerfahrung der Eltern mit dem Spezialheimaufenthalt des Bruders verbunden mit dem Antrag auf dessen vorzeitige Entlassung lasse es unwahrscheinlich erscheinen, für die noch zwei Jahre jüngere Tochter freiwillig eine Spezialheimeinweisung zu erwirken. Zudem seien die Erziehungsschwierigkeiten recht pauschal beschrieben, und auch die bereits 20 Jahre zurückliegende Verurteilung des Vaters habe für das Vorgehen gegen die Familie mit besonderer Härte mitursächlich gewesen sein können, denn die Stigmatisierung als ehemaliger Häftling sei man „in der DDR in der Regel nicht so schnell los“ geworden.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 10. September 2020 aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung, die auch durch das Beschwerdevorbringen und die Stellungnahme des Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur nicht entkräftet worden seien, als unbegründet.

Im Rahmen der mit Schreiben vom 27. November 2020 erhobenen Anhörungsrüge verbunden mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragte die Beschwerdeführerin ausdrücklich, ihr und ihrem Bruder zur Frage der Freiwilligkeit beim Abschluss der Erziehungsvereinbarung rechtliches Gehör zu gewähren.

Zu der Anhörungsrüge nahm die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg mit Schreiben vom 20. Januar 2021 Stellung. Sodann verwarf das Brandenburgische Oberlandesgericht die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 8. April 2021 unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft mit der Begründung fehlender Gehörsverletzungen. Nach Angaben der Beschwerdeführerin ging ihr der Beschluss am 16. April 2021 zu.

II.

Mit ihrer am 15. Juni 2021 erhobenen Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 26. Mai 2020 sowie den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. September 2020.

Die Beschwerdeführerin beantragt:

1. Die Beschlüsse des Landgerichts Potsdam vom 26. Mai 2020 (BRH 54/17) und des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 10. September 2020 (2 Ws (Reha) 6/20) verletzen die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2, Art. 52 Abs. 3 2. Alt. sowie Art. 52 Abs. 4 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg, soweit sie die Unterbringung der Beschwerdeführerin im Spezialkinderheim „A. R." in P. betreffen. Die genannten Entscheidungen werden insoweit aufgehoben.

2. Die Sache wird an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen.

Dabei macht sie die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf ein faires und zügiges Verfahren geltend sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot und das Gebot effektiven Rechtsschutzes.

Die Entscheidung beider Gerichte, der Rehabilitierungsantrag sei unzulässig, da es wegen der getroffenen Vereinbarung an einer der Rehabilitierung zugänglichen Entscheidung eines Gerichts oder einer Behörde fehle, verstoße gegen das Willkürverbot. Der Gegenstand der Erziehungsvereinbarung, nämlich die Einweisung in ein Spezialheim, sei mit den wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar und könne daher keine Rechtswirksamkeit im Rehabilitierungsverfahren entfalten. Selbst bei Rechtswirksamkeit der Erziehungsvereinbarung verletzten die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung. Es gebe keinen nachvollziehbaren Differenzierungsgrund, weshalb ihr eine Rehabilitierung allein deshalb versagt werden solle, weil sie innerhalb der Gruppe der in Spezialheimen Untergebrachten nicht aufgrund einer behördlichen Entscheidung den dortigen Torturen ausgesetzt gewesen sei. Soweit die Gerichte die Vermutung des § 10 Abs. 3 StrRehaG hilfsweise als widerlegt angesehen hätten, sei dies durch die positive Feststellung des Vorliegens von Fürsorgegründen nicht möglich, da dies in einem unauflösbaren Widerspruch zu den vom Gesetzgeber in Auseinandersetzung mit dem System der Spezialheime getroffenen Bewertungen stehe.

Eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör liege darin, dass die Gerichte ihre Zweifel an der Freiwilligkeit der geschlossenen Erziehungsvereinbarung nicht gehört hätten. Zudem habe zur Widerlegung der Vermutung des § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG dargelegt werden müssen, dass die Einweisung in ein Normalheim nicht ausgereicht hätte und die Einweisung in ein Spezialheim quasi unvermeidbar gewesen wäre. Dass die Landesbeauftragte auf diese Rechtsansicht zuvor nicht näher eingegangen sei, sei dem Inkrafttreten der Novellierung vom 22. November 2019, mit der die Vermutung zugunsten der Einweisung in Spezialheime eingeführt worden sei, geschuldet. Dass das Brandenburgische Oberlandesgericht in der Frage der Widerlegbarkeit der Vermutung des § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG unbegründet von seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung abweicht und hinter seine vor der Novellierung vertretene Rechtsprechung zurückfällt, sei für die Beschwerdeführerin überraschend gewesen.

Ein Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes liege darin, dass die Gerichte hinsichtlich der vorgetragenen Zweifel an der Freiwilligkeit der geschlossenen Erziehungsvereinbarung die gebotene Aufklärung des Sachverhalts unterlassen hätten. Insbesondere das Oberlandesgericht habe es unterlassen, den zahlreichen Hinweisen nachzugehen, die auf eine erzwungene Erziehungsvereinbarung und auf sachfremde Zwecke, wenn nicht gar auf politische Motive der Unterbringung der Beschwerdeführerin im Spezialkinderheim hindeuten. Ebenso wie das Landgericht habe sich das Oberlandesgericht offensichtlich lediglich an den noch vorhandenen Unterlagen der DDR-Jugendhilfe orientiert und diese zudem fehlinterpretiert. Zwar habe das Landgericht die Beschwerdeführerin angehört, allen von ihr vorgetragenen Hinweisen auf sachfremde Gründe sei jedoch nicht weiter nachgegangen worden. Es hätte versucht werden müssen ‑ aufgrund des Todes der Eltern der Beschwerdeführerin ‑ jedenfalls den Klassenlehrer und den Direktor des OS I sowie Zeugen aus dem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis zu ermitteln und anzuhören. Auch wäre es erforderlich gewesen, beim Jugendamt nachzufragen, um welche Person es sich bei der anhand der Unterlagen nicht näher bestimmbaren Vertretung, die die Erziehungsvereinbarung vom 17. Juni 1987 für das Referat Jugendhilfe unterzeichnet habe, handele und sie zu den Hintergründen des damaligen Geschehens zu vernehmen.

III.

Die Äußerungsberechtigten haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg.

I.

1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 26. Mai 2020 richtet, ist sie wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses aufgrund prozessualer Überholung unzulässig, denn dieser Beschluss ist durch die nachfolgende Beschwerdeentscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig überprüft worden (vgl. Beschlüsse vom 16. Februar 2018 ‌‑ VfGBbg 12/17 ‑,‌ und vom 16. März 2018 ‌‑ VfGBbg 56/16 -,‌ https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

2. Des Weiteren genügt das Vorbringen nicht den Begründungsanforderungen nach § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg), soweit die Verfassungsbeschwerde im Antrag Bezug auf das Grundrecht aus Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) nimmt. Notwendig ist eine Begründung, welche schlüssig die mögliche Verletzung des geltend gemachten Grundrechts aufzeigt. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und ihrer konkreten Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein soll und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen sie kollidiert (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 20. Juli 2018 ‌‑ VfGBbg 182/17 ‑,‌ m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Dies leistet die Beschwerdeschrift nicht. Sie zeigt einen Verstoß gegen das Grundrecht eines fairen und zügigen Verfahrens (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV) nicht auf. Weder trägt die Beschwerdeführerin ausdrücklich vor, wodurch die angegriffenen Beschlüsse dieses Grundrecht verletzt haben könnten, noch ist dies der Beschwerdeschrift sinngemäß zu entnehmen, da sich die Ausführungen der Beschwerdeführerin nur auf die Verletzung der Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör sowie des Willkürverbots beziehen.

3. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.

Der Rechtsweg wurde erschöpft (§ 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg). Die bei behaupteten Gehörsverstößen erforderliche Anhörungsrüge (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 17. Juni 2022 ‌‑ VfGBbg 82/20 ‑,‌ Rn. 9, m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de) hat die Beschwerdeführerin nach § 33a Strafprozessordnung (StPO) i. V. m. § 15 StrRehaG erhoben, das Oberlandesgericht hat hierüber mit Beschluss vom 8. April 2021 entschieden.

Die Rüge der Verletzung der Grundrechte auf rechtliches Gehör und auf effektiven Rechtsschutz ist ferner auch unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zulässig, soweit die Beschwerdeführerin dies mit der Unterlassung weiterer Ermittlungen, insbesondere der Nichteinvernahme ihres Bruders, begründet. Sie hat im Antragsverfahren ausdrücklich die Heranziehung der „Stasiakten“ ihrer Eltern sowie ihres Bruders beantragt und im Anhörungstermin vor dem Landgericht Potsdam am 20. September 2018 nochmals auf die „Stasiakte“ ihres Bruders hingewiesen. Im Beschwerdeverfahren hat sie die nicht im erforderlichen Maße erfolgte Aufklärung durch das Gericht gerügt und im Rahmen der Anhörungsrüge ausdrücklich die Anhörung ihres Bruders beantragt. Damit hat die nicht vertretene Beschwerdeführerin entsprechend den Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes alle ihr im Rehabilitierungsverfahren zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft, um den Eintritt der behaupteten Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. für das Rehabilitierungsverfahren Beschluss vom 17. August 2012 ‌‑ VfGBbg 64/11 ‑‌ m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Auch hat die Beschwerdeführerin die Erhebungsfrist von zwei Monaten aus § 47 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) eingehalten. Als fristauslösendes Ereignis ist hier die Zustellung des Beschlusses des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 8. April 2021, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin nach § 33a StPO i. V. m. § 15 StrRehaG verworfen wurde, anzusehen. Die im Falle einer Rüge der Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör grundsätzlich vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde im fachgerichtlichen Verfahren erforderliche Anhörungsrüge war nicht offensichtlich unzulässig (vgl. Beschluss vom 20. November 2020 ‌‑ VfGBbg 49/19 ‑,‌ Rn. 18, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Zwar wurde die Gehörsrüge der Beschwerdeführerin seitens des Brandenburgischen Oberlandesgerichts mit Beschluss vom 8. April 2021 verworfen, wobei das Oberlandesgericht den Unzulässigkeitserwägungen der Generalstaatsanwaltschaft beitrat. Die Prüfung, ob eine Anhörungsrüge die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde offenhalten kann, nimmt das Verfassungsgericht jedoch ohne Bindung an die Entscheidung des Fachgerichts selbst vor (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 20. November 2020 ‌‑ VfGBbg 49/19 ‑,‌ Rn. 18 m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de ). Die Anhörungsrüge war vorliegend nicht offensichtlich unzulässig. Die Beschwerdeführerin hat nicht nur einen als "Anhörungsrüge" deklarierten Rechtsbehelf eingelegt und dabei ihre abweichende rechtliche Beurteilung erklärt, sondern tatsächlich die unzureichende Aufklärung durch das Gericht gerügt und im Rahmen der Anhörungsrüge ausdrücklich die zuvor nicht erfolgte Anhörung ihres Bruders beantragt.

II.

Soweit sie zulässig ist, ist die Verfassungsbeschwerde auch begründet.

1. Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. September 2020 verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz.

a. Das Rechtsstaatsgebot der Landesverfassung (Art. 2 Abs. 1, Art. 5 LV) gewährleistet in Verbindung mit Art. 10 LV effektiven Rechtsschutz im Sinn eines Anspruchs der Bürger auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle in allen gesetzlich vorgesehenen Verfahrensarten. Die Gerichte dürfen insbesondere die von der Rechtsordnung eröffneten Rechtsschutzmöglichkeiten nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer „leerlaufen“ lassen (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 21. Januar 2011 ‌‑ VfGBbg 35/10 -,‌ vom 21. Oktober 2011 ‌‑ VfGBbg 35/11  -,‌ vom 16. Dezember 2016 ‌‑ VfGBbg 33/16 -,‌ und vom 19. Mai 2017 ‌‑ VfGBbg 2/16 -,‌ https://www.verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinn einer lückenlosen, tatsächlich wirksamen Kontrolle begründet die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Akte der öffentlichen Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen (vgl. Urteil vom 24. Januar 2014 ‌‑ VfGBbg 2/13 -,‌ https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Das schließt eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen und Wertungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall rechtens ist, im Grundsatz aus. Das Grundrecht ist demnach unter anderem dann verletzt, wenn die Gerichte die prozessrechtlichen Möglichkeiten zur Sachverhaltsfeststellung so eng auslegen, dass ihnen eine sachliche Prüfung derjenigen Fragen, die ihnen vorgelegt worden sind, nicht möglich ist und das vom Gesetzgeber verfolgte Verfahrensziel deshalb nicht erreicht werden kann (Beschluss vom 16. März 2018 ‌‑ VfGBbg 56/16 ‑,‌ https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de; m. w. N.).

§ 10 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG verpflichtet die Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen. Dies erschien dem Gesetzgeber nicht nur wegen der Nähe zum Strafverfahren notwendig, sondern auch im Hinblick auf die besondere Fürsorgepflicht des Gerichts gegenüber den Antragstellern und wegen der Schwierigkeit, die häufig in ferner Vergangenheit liegenden Sachverhalte zu ermitteln. Das Gericht muss deshalb die für seine Entscheidung erheblichen Tatsachen selbst prüfen. Es muss Hinweisen auf eine mögliche politische Verfolgung oder sonstige sachfremde Gründe unter Ausnutzung aller ihm im Freibeweisverfahren zur Verfügung stehenden Mittel nachgehen. Da es hierzu von Amts wegen verpflichtet ist, sind an die Darlegung durch die Antragsteller im Rehabilitierungsverfahren keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Das Gericht hat von sich aus - im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens - die zur Aufklärung des Sachverhalts notwendigen Maßnahmen zu treffen. Es hat - unterstützt von der Staatsanwaltschaft und durch die in § 10 Abs. 2 StrRehaG normierte Mitwirkungspflicht der Antragsteller - sämtliche Erkenntnisquellen zu verwenden, die erfahrungsgemäß dazu führen können, die Angaben eines Betroffenen zu bestätigen (vgl. Beschluss vom 16. März 2018 ‌‑ VfGBbg 56/16 ‑,‌ https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Hält sich ein Rehabilitierungsgericht für an die Tatsachenfeststellungen der Gerichte oder Behörden der ehemaligen DDR gebunden, so verweigert es dem Betroffenen die von Rechtsstaats wegen geforderte Überprüfung erheblicher Tatsachen und verfehlt damit schlechterdings das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, zur Rehabilitierung politisch (Straf-)Verfolgter die fortdauernde Wirksamkeit von Urteilen dieser Gerichte oder Entscheidungen dieser Behörden zu durchbrechen. Ein solchermaßen ineffektives Rehabilitierungsverfahren steht in Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip (vgl. Beschluss vom 16. März 2018 ‌‑ VfGBbg 56/16 ‑,‌ https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Erst wenn das Gericht alle Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft hat, entscheidet es in freier Beweiswürdigung. § 10 Abs. 2 StrRehaG fordert insoweit nicht den vollen Beweis, sondern lässt die Glaubhaftmachung genügen. Damit wird für das Rehabilitierungsverfahren ausdrücklich klargestellt, dass der Richter sich für seine Überzeugungsbildung mit einem geringeren Maß an Wahrscheinlichkeit begnügen kann. Es genügt eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Die Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen geht allerdings zu Lasten des Antragstellers. Die Rehabilitierungsgerichte sind von Verfassungs wegen nicht gehalten, im Zweifel für die Antragsteller zu entscheiden. Der Grundsatz in dubio pro reo gilt nicht (vgl. Beschluss vom 16. März 2018 ‌‑ VfGBbg 56/16 ‑,‌ m. w. N., ‌ https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). 

b. Nach diesem Maßstab hat das Oberlandesgericht seine Aufgabe zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verfehlt, indem es der ihm obliegenden Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend nachgekommen ist. Erheblich für die Rehabilitierungsentscheidung war hier u. a. die Frage, aus welchen Gründen es zur Heimeinweisung der Beschwerdeführerin gekommen ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StrRehaG). Das haben das Landgericht und ihm folgend das Oberlandesgericht nicht ausreichend aufgeklärt. Das Landgericht hat zunächst auf die geschlossene Erziehungsvereinbarung als Grundlage für die erfolgte Einweisung der Beschwerdeführerin in ein Spezialheim abgestellt. Darüber hinaus hat es die Auffassung vertreten, dass eine Gleichsetzung einer solchen Vereinbarung mit einer Anordnung der Jugendhilfeorgane der DDR und damit einer der Rehabilitierung zugänglichen Entscheidung erfolgen könne, nämlich wenn die Erziehungsvereinbarung nur scheinbar freiwillig geschlossen, tatsächlich aber erzwungen worden sei. Dafür fehle jedoch „jeder Anhaltspunkt“. Das Oberlandesgericht hat sich dem angeschlossen. Insoweit haben Landgericht und Oberlandesgericht der Beschwerdeführerin die von Rechtsstaats wegen geforderte Überprüfung erheblicher Tatsachen verweigert.

Die Beschwerdeführerin hatte die Vermutung geäußert, dass Auslöser für ihre Heimeinweisung im Jahr 1987 die Verurteilung ihres Vaters wegen Verleitung und Vorbereitung eines „unerlaubten Grenzübertritts“ aus dem Jahr 1961 gewesen sein könnte. Das entsprechende Urteil hatte sie im Anhörungstermin vorgelegt. Zwar kann die Beurteilung des Oberlandesgerichts zutreffen, die Verurteilung über 20 Jahre zuvor habe für sich genommen den DDR-Behörden im Jahr 1987 keinen Grund für eine erzwungene Erziehungsvereinbarung gegeben. Eine Gesamtschau des Vorbringens der Beschwerdeführerin lässt es aber nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen, dass die Erziehungsvereinbarung gerade nicht freiwillig abgeschlossen wurde.

aa. Einen möglichen Anhalt dafür gab der Hinweis der Beschwerdeführerin im Anhörungstermin vom 20. September 2018, ihre Eltern hätten sie niemals freiwillig in ein Heim stecken wollen. Sie habe in einem intakten Elternhaus gelebt. Leider seien beide Eltern verstorben, so dass diese dazu nichts mehr sagen könnten. Auch den Bericht aus der Schule halte sie nicht für zutreffend, sie sei vielmehr gern in die Schule gegangen. Darüber hinaus seien auch die Kinder ihrer Schwester ins Heim gekommen, als diese erst zwei oder drei Jahre alt gewesen seien.

bb. Zudem drängte es sich auf, dass die Gründe für die Heimeinweisung, die näheren Umstände und das dabei beachtete Verfahren durch andere Familienmitglieder der Beschwerdeführerin, die die maßgebliche Zeit als Erwachsene erlebt haben, näher hätten geschildert werden können. Es hätte deshalb nahegelegen, der anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 StrRehaG aufzugeben, solche Personen zu benennen und deren Darstellung beizubringen, sowie gegebenenfalls diese Personen als Zeugen zu vernehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. September 2014 ‌‑ 2 BvR 2782/10 ‑,‌ Rn. 59, juris).

cc. Einen weiteren Ermittlungsanhalt bot der Hinweis, dass die Beschwerdeführerin zu Beginn des 7. Schuljahres „umgeschult“ wurde. Es hätte nahegelegen, zuvor ausgestellte Zeugnisse anzufordern und weitere Ermittlungen im Schulumfeld zum Schulwechsel vorzunehmen.

dd. Auch hätte es nahegelegen zu klären, ob andere in Betracht kommende Zeugen aus der Familie der Beschwerdeführerin mit der Anforderung und Sichtung ihrer bei den Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR bzw. dem Bundesarchiv (möglicherweise) vorhandenen Unterlagen einverstanden sind, ob solche existieren und ob sich aus ihnen Hinweise auf sachfremde Gründe für eine Heimeinweisung der Beschwerdeführerin ergeben. Dies war notwendig, weil die Beschwerdeführerin auf die „Stasiakten“ der Eltern und des Bruders in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 4. Mai 2018 ausdrücklich hinweist. Zudem gab die Beschwerdeführerin im Anhörungstermin vom 20. September 2018 an, dass die Stasi ihre Familie permanent beobachtet habe.

ee. Weitergehende Ermittlungen drängten sich auch deshalb auf, weil - wie das Landgericht selbst feststellte - die Erziehungsvereinbarung zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, an dem die dort in Bezug genommenen Darstellungen der „festgestellten Fehlentwicklungen […] in Übereinstimmung mit der Jugendhilfekommission T. und der OS I T.“ noch gar nicht vorlagen. Während die Erziehungsvereinbarung das Datum 17. Juni 1987 trägt, datieren die Einschätzung der Schule (OS I „B.“) vom 18. Juni 1987 und die „Pädagogischen Hinweise“ des Referates Jugendhilfe des Rates des Kreises P. vom 24. Juni 1987. Nur schwer nachvollziehbar ist die ohne diesbezügliche Sachaufklärung erfolgte Deutung des Landgerichts, dass die Erziehungsvereinbarung demnach später, erst nach dem 24. Juni 1987, abgeschlossen worden sein dürfte - dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Referat Jugendhilfe bereits mit Schreiben vom 24. Juni 1987 bei dem Aufnahmeheim der Jugendhilfe in E. einen Spezialheimplatz für die Beschwerdeführerin unter Beifügung dieser Vereinbarung beantragte. Es liegt daher näher, dass die Erziehungsvereinbarung zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, an dem weder die Einschätzung der Schule noch die „Pädagogischen Hinweise“ des Referats Jugendhilfe vorlagen. Anhaltspunkte für eine unfreiwillig zustande gekommene Erziehungsvereinbarung bestanden darüber hinaus auch deshalb, weil die Erziehungsvereinbarung lediglich die Unterschrift des Vaters trägt. Die Unterschrift der Mutter ist mit „gez. I. M.“ ersetzt. Auch der Umstand, dass bereits kurze Zeit nach der Heimaufnahme der Beschwerdeführerin die Eltern (und hier explizit der unterzeichnende Vater) die Rückkehr der Beschwerdeführerin begehrten, ist Anhaltspunkt für einen unfreiwilligen Abschluss der Erziehungsvereinbarung.

2. Mit der Verwerfung ihrer Beschwerde als unbegründet und der Verwerfung der Gehörsrüge der Beschwerdeführerin hat das Oberlandesgericht die Anforderungen an den Zugang der Beschwerdeführerin zu der gesetzlich als Amtsermittlung (§ 10 Abs. 1 StrRehaG) ausgestalteten umfassenden Überprüfung der Ablehnung des Rehabilitierungsantrags in verfassungswidriger Weise überspannt.

Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. September 2020 (2 Ws (Reha) 6/20) ist wegen des Verstoßes gegen das Verfahrensgrundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1, Art. 5 i. V. m. Art. 10 LV) aufzuheben, und die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 50 Abs. 3 VerfGGBbg).

3. Ob der Umgang des Oberlandesgerichts mit der Vermutungsregelung in § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG die Grenzen des Willkürverbots überschreitet, kann offenbleiben. Ebenfalls keiner Entscheidung bedarf, ob der Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzt wurde.

C.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Dr. Koch

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß