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VerfGBbg, Beschluss vom 17. August 2012 - VfGBbg 64/11 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 46
Schlagworte: - unzureichende Begründung der Verfassungsbeschwerde
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. August 2012 - VfGBbg 64/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 64/11




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

     S.,

      

                                          Beschwerdeführerin,

 

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt B.,

                           

                           

Präsident des Landgerichts Potsdam,

Jägerallee 9 – 12,

14469 Potsdam,

 

                                  Äußerungsberechtigter zu 1,

 

Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts,

Gertrud-Piter-Platz 11,

14770 Brandenburg an der Havel,

        

                                  Äußerungsberechtigter zu 2,

wegen des Beschlusses des Landgerichts Potsdam vom 16. März 2011, Az. BRH (OP) 24/10, und des Beschlusses des Bran­den­bur­gi­schen Oberlandesgerichts vom 31. Mai 2011, Az. 1 WS (Reha) 21/11

 

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

 

durch die Ver­­­fassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz,    Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt

 

am 17. August 2012

 

b e s c h l o s s e n :

 

 

     Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

 

 

G r ü n d e :

 

A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit der Ver­fas­sungs­be­schwerde gegen die Rücknahme von Bescheiden, aufgrund derer sie wegen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zu Unrecht erlittener Strafhaft ent­schä­digt wurde.

 

Die Beschwerdeführerin verbüßte vom9. Juli 1971bis zum13. Nov­­­e­m­ber 1972eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Mona­­ten, zu der sie wegen ver­­suchten ungesetzlichen Grenz­über­tritts verurteilt worden war. Mit Beschluss des Bezirks­ge­richts Potsdam vom18. Oktober 1991wurde sie für die erlit­tene Strafhaft rehabilitiert. Aufgrund der Bescheide des Prä­si­denten des Landgerichts Potsdam vom14. Sep­­tember 1994und23. Oktober 2001erhielt sie eine Kapi­tal­ent­­schädigung nach    § 17 des Gesetzes über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (StrRehaG) in Höhe von insgesamt 10.200,- DM sowie aufgrund eines weiteren Bescheides vom 26. März 2008 eine Opferpension nach § 17a StrRehaG in Höhe von 250,- € monat­lich; für den Zeitraum von Oktober 2007 bis ein­schließ­lich März 2009 damit insgesamt 4.500,- €.

 

Mit Bescheid vom 14. Juni 2010 nahm der Präsident des Land­ge­richts Potsdam die genannten Bewilligungsbescheide nach § 48 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz, § 16 Abs. 2 StrRehaG zurück, und zwar unter Bezugnahme auf die von der Bun­des­be­auf­trag­­ten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehe­­ma­­li­gen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) übermit­tel­ten Unter­­­­lagen. Gleichzeitig for­derte sie die aufgrund der Bescheide gewährten Beträge zurück. Die Rückforderung sei berech­tigt, weil die Beschwer­­deführerin infolge Zusammenarbeit mit dem Mini­­ste­rium für Staats­si­cher­heit (MfS) nach der Haft­ent­lassung gegen die Grund­­­sätze der Rechts­­staat­lich­keit und Mensch­lich­­keit im Sinne von § 16 Abs. 2 StrRehaG ver­stoßen habe. Ins­be­so­n­dere habe sie dem MfS über einen Ingenieur berichtet, der über Deckadressen Kon­takt zu sei­­ner aus der DDR in die Bun­­de­s­republik Deut­sch­land geflo­he­nen Schwester gehalten habe, und die­sen hiermit der Über­wa­ch­ung und Ver­fol­gung durch das MfS aus­gesetzt.

 

Die Beschwerdeführerin beantragte gegen diesen Bescheid die ge­richt­­­l­iche Entscheidung nach § 25 Abs. 1 Satz 3 StrRehaG. Die Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Pots­­­­­­­dam wies den Antrag mit Beschluss vom 16. März 2012 zurück. Die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde wies das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 31. Mai 2011 zurück. Auch die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin blieb erfolglos (Beschluss vom 17. Oktober 2011).

 

B.

Die Beschwerdeführerin rügt mit der am 25. November 2011 erhobenen Verfassungsbeschwerde die Ver­­letzung der Grundrechte auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV), auf ein faires Verfahren (Art. 52 Abs. 4 LV) und auf effek­tiven Rechtsschutz (Art. 10 LV i.V.m. dem Rechts­staats­­prin­­zip).

 

Land­gericht und Oberlandesgericht hätten sich in ihren for­mel­haften Ausführungen und Bezugnahmen auf die jeweils voran­ge­gan­gene Entscheidung mit ihrem Vor­brin­gen nicht auseinan­der­gesetzt. Sie hätten ihren Prüfungs­spiel­­­raum durch unreflek­tierte Übernahme des MfS-Akteninhalts uner­­­laubt verengt. Die MfS-Akten seien unvollständig gewesen bzw. hätten auf nicht exi­stente Berichte verwiesen. Die Gerichte hätten den Akten­in­halt daher vor dem Hintergrund ihres Vorbringens kritisch wür­di­gen und den Sachverhalt weiter auf­­­klären müssen, etwa durch Ver­nehmung des betroffenen Inge­nieurs. Die Gerichte hätten mit ihren Entscheidungen den Grund­­­­satz missachtet, dass ein Ver­stoß gegen die Mensch­lich­­keit hätte nachgewiesen werden müs­sen.

 

C.

Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen. Die Äuße­rungs­­berechtigten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

 

D.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungs­ge­richts­­­gesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen.

 

 

Die Beschwerdeführerin hat die Verfassungsbeschwerde nicht in einer § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg entsprechenden Weise begrün­­det. Nach diesen Bestimmungen hat der Beschwerdeführer im Einzelnen darzutun, welchen verfassungsrechtlichen Anfor­de­run­gen die angegriffenen Maßnahmen nicht genügen und inwie­weit dadurch seine Grundrechte verletzt sein sollen. Es muss sich aus dem Vortrag die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ergeben (st. Rechtsprechung, Beschluss vom 25. Mai 2012 – VfGBbg 50/11 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Dieser Begrün­­­­­­dungs­last ist die Beschwerdeführerin nicht gerecht gewor­­­den.

 

I.

Das Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV ver­­­pflich­tet die Gerichte u.a. dazu, den Vortrag der Ver­fah­­rens­­­be­tei­ligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Ent­schei­dung in Erwägung zu ziehen (st. Rechtsprechung, Beschluss vom 13. April 2012 – VfGBbg 43/11 -, www.verfassungsge­richt. Bran­denburg.de). Eine Verletzung des Grund­rechts setzt voraus, dass die Entscheidung des Gerichts auf einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör beruht (Beschluss vom 16. Juni 2012 – VfGBbg 69/11 –, www.verfassungs­ge­richt.bran­den­burg.de). Die Beschwer­de­füh­re­rin behauptet mit der Ver­fas­sungs­­beschwerde nur pau­­­schal, Landgericht und Oberlan­des­ge­richt hätten sich mit ihrem Vor­bringen nicht ausein­an­der­ge­setzt und es nicht gewür­digt, und zeigt dies nicht im Ein­zel­nen auf. Auch legt sie nicht dar, dass die gerichtlichen Ent­schei­­dungen auf dem gel­tend gemachten Gehörsverstoß beruhen, inwie­weit also ohne die­sen die angegriffenen Entscheidungen anders hätten aus­fal­len kön­nen.

 

II.

Das Grundrecht auf ein faires Verfahren aus Art. 52 Abs. 4 LV ver­bietet es, den Men­schen zum bloßen Objekt eines Verfahrens zu machen und ihm als Ver­­­fah­rens­­beteiligten die ausreichende und angemessene Gele­gen­heit zur Stellungnahme in tatsächlicher und rechtlicher Hin­sicht zu ver­weigern (Lieber/Iwers/Ernst-Ernst, Kommentar zur Landes­ver­fas­sung Brandenburg, Art. 52 Nr. 5). Die Beschwer­­­­deführerin hat nicht dargetan, infolge eines Mangels an Möglichkeiten zur Stel­lungnahme nur Objekt eines Ver­­fah­rens gewe­sen zu sein. Aus der Verfahrensakte ergibt sich im Gegen­teil, dass ihr vor Rück­­­­­­nahme der Bewilligungsbescheide der Prä­sident des Land­ge­richts ihre sich aus den Akten der BStU erge­­bende Zusamm­en­ar­beit mit dem MfS konkret zur Kenntnis gebracht und ihr die Gele­­­genheit zur Stellungnahme eingeräumt hatte. Auch darüber hin­aus ist nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführerin in der Wahr­­­nehmung und Begründung ihrer Rechts­mittel und -behelfe (Antrag auf gericht­­liche Ent­schei­dung, Beschwerde und Anhö­rungs­rüge) durch die Gerichte beein­­träc­h­tigt worden sein könnte.

 

Im Zusammenhang mit der Rüge, die Gerichte hätten gegen die Garan­­tie verstoßen, der Einzelne dürfe nicht bloßes Objekt des Ver­fahrens sein, macht die Beschwerdeführerin geltend, sie habe ihre Rechtsmittel nur formelhaft ausüben können, um eine immer gleiche Entscheidung zu erhalten, die sich zu den Sach­pro­­­blemen nicht verhalte. Dieses Vorbringen betrifft jedoch nicht den Schutzbereich des Grundrechts auf ein faires Ver­fah­ren, sondern hebt auf die Nichtberücksichtigung ihres Vor­brin­gens durch die Gerichte und damit auf das Grundrecht auf recht­­­­­­liches Gehör ab, dessen Verletzung die Beschwerdeführerin nicht ausreichend begründet hat (s. zu I.)

 

III.

1. Das aus Art. 6 Abs. 1 LV bzw. dem Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 10 LV abge­lei­tete Grundrecht auf effektiven Rechts­­­schutz gewährt dem Ein­zel­nen einen Anspruch auf eine umfas­sende tat­säch­liche und recht­liche Prüfung im Sinne einer wirksamen gericht­­­lichen Kon­trolle des Verfahrensgegenstandes (Lieber/Iwers/Ernst-Iwers, Kommentar zur Landesverfassung Bran­­denburg, Art. 6 Nr. 1.1; zum Bun­des­­recht vgl. BVerfGE 54, 277, 291). Verletzt ist das Grund­recht, wenn die Gerichte die prozessrechtlichen Mög­lich­keiten zur Sachverhaltsfeststel­lung so eng auslegen, dass sie die ihnen vorgelegten Fragen nicht sach­­lich prüfen können (vgl. BVerfGE 53, 115, 127 f.; 101, 275, 294 f.).

 

Ein solches Ver­hal­ten des Landgerichts oder des Ober­lan­des­ge­richts hat die Beschwer­deführerin nicht dargetan, es ergibt sich auch nicht aus den ange­griffenen Entschei­dun­gen. Diese bezie­hen und stützen sich auf umfangreiche schrift­­­­liche Berichte des MfS über die von der Beschwer­­de­füh­re­­rin ins­be­son­dere über den ihr bekannten Inge­­­nieur und dessen Betei­­­ligung an einer Republikflucht sei­ner Schwester mit­ge­teil­­ten Informa­tio­nen. Die Gerichte haben Anhaltspunkte für eine Erfindung der Informationen bzw. Fäl­schung oder Manipulation dieser Berichte nicht erkennen kön­nen und deshalb im Rahmen ihrer Amts­­­­ermittlungspflicht eine wei­tere Sachverhalts­auf­klä­rung, etwa durch Einvernahme des Inge­nieurs, nicht für erfor­­der­­lich gehal­­­ten. Es könne, so das Landgericht, nicht grund­sätzlich von der Unrich­­­tigkeit des in MfS-Berich­ten Doku­men­tierten aus­ge­­gan­gen wer­den; vielmehr seien die Akten des MfS bei der Prü­fung, ob ein Entschädigungsaus­schluss­tatbestand nach § 16 Abs. 2 StrRehaG vorliegt, in erster Linie als Erkenntnisquelle her­an­­zu­­ziehen. Dies ist von Verfassung wegen nicht zu bean­stan­den. Auch sind im kon­kreten Fall gewichtige Anhalts­­punkte dafür, dass der Inhalt der MfS-Berichte im Kern unzu­­treffend oder ver­fälscht sein könnte, nicht zu Tage getre­ten.

 

2. Die Rüge der Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechts­­­­­schutz ist ferner unter dem Gesichtspunkt der Subsidia­rität der Verfassungsbeschwerde insoweit unzulässig, wie die Beschwer­­­de­füh­rerin sie mit der Nichteinvernahme des ihr bekann­­­­­­­­­ten Inge­nieurs begründet. Die Beschwerdeführerin hat zu kei­­­­­­­­nem Zeit­punkt die Einvernahme dieses Ingenieurs als Zeugen zu einem bestimmten Sachverhalt bean­tragt oder auch nur ange­regt. Damit hat sie entgegen den Anfor­de­run­gen des Sub­sidia­ri­­tätsgrund­sat­zes nicht alle ihr im Reha­bi­li­tierungs­ver­­­f­­ahren zur Ver­fügung ste­henden und zumutbaren Mög­­lich­kei­ten aus­­­­­­­ge­­­­schöpft, um den Ein­­tritt der behaup­te­ten Grund­­­rechts­ver­let­­­zung zu ver­hindern; die Geltung des Amts­er­mit­t­­lungs­grund­sat­­­zes hat keinen Einfluss auf diesen Befund (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. September 2005 – 1 BvR 620/01 -, NZA 2005, 1401, 1402; BVerfG, Beschluss vom 28. Januar 2002 – 2 BvR 1563/01 -; BVerfG, Beschluss vom 21. August 1996 – 2 BvR 1304/96 -, NJW 1997, 999).

 

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dr. Fuchsloch
   
Dr. Lammer Nitsche
   
Partikel Schmidt