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VerfGBbg, Urteil vom 24. Januar 2014 - VfGBbg 2/13 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 12 Abs. 1; LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2
- EMRK, Art. 6 Abs. 1 Satz 1
- StrRehaG, § 10; StrRehaG, § 11; StrRehaG, § 13; StrRehaG, § 16 Abs. 2; StrRehaG, § 17; StrRehaG, § 17a; StrRehaG, § 25
Schlagworte: - rechtliches Gehör
- effektiver Rechtsschutz
- Willkürverbot
- Amtsermittlungsgrundsatz
- persönliche Anhörung
- DDR-Akten
- Beweiskraft
- Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit
- Spitzeltätigkeit
- Freiwilligkeit
- Inhaftierung
- Kapitalentschädigung
- Besondere Zuwendung für Haftopfer
- Rückforderung
nichtamtlicher Leitsatz: Im Rahmen der nach § 11 Abs. 3 StrRehaG zu treffenden Ermessensentscheidung, ob eine mündliche Erörterung anberaumt wird, haben die Gerichte maßgeblich die prozessualen Grundrechte in den Blick zu nehmen. Dabei ist auch die Mündlichkeitsgarantie aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu berücksichtigen, wenn das Verfahren die Aufhebung und Zurückforderung sozialer Ausgleichsleistungen i. S. d. § 16 Abs. 1 StrRehaG betrifft.
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Urteil vom 24. Januar 2014 - VfGBbg 2/13 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 2/13




IM NAMEN DES VOLKES

U r t e i l

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

     O.,

 

                                          Beschwerdeführer,

 

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Z.,

                           

 

wegen des Beschlusses des Landgerichts Potsdam vom 11. November 2011 – BRH (OP) 13/10 – und des Beschlusses des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 29. August 2012 (1 Ws 6/12)

 

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Ver­­­fassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt

 

auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2014

 

für  R e c h t  erkannt:

 

1. Der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 11. Nov­em­ber   2011 – BRH (OP) 13/10 – verletzt den Beschwerdeführer in   sei­nen Grundrechten auf rechtliches Gehör und effekti­ven      Rechts­schutz. Der Beschluss des Branden­burgi­schen Oberlan- des­gerichts vom 29. August 2012 (1 Ws 6/12) verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grund­rech­ten auf rechtliches      Gehör, effektiven Rechtsschutz und Gleichheit vor dem       Gesetz. Soweit in diesen Beschlüssen nicht die Ver­jährung   bis zum 9. Dezember 2006 geltend gemachter Zins­­ansprüche fest­gestellt wird, werden sie auf­gehoben und die Sache zur   erneuten Ent­­scheidung an das Landgericht Pots­­dam zur­ück­­    verwiesen. Damit ist der Beschluss des    Bran­­­denbur­­­gi­schen      Ober­lan­des­gerichts vom 3. Jan­uar 2013 gegen­­­stands­los.

 

2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine not­wendigen Auslagen zu ersetzen.

 

3. Der Gegenstandswert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

 

 

G r ü n d e :

 

A.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Entscheidungen über die Rücknahme von Bescheiden über Entschädigungs­lei­st­un­gen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG).

 

I.

1. Der seinerzeit siebzehnjährige Beschwerdeführer wurde im Juni 1972 wegen des Verdachts des ver­­­­­such­ten ungesetzlichen Grenz­übertritts in der Deutschen Demo­­­­­kra­ti­schen Republik (DDR) fest­­genommen und befand sich bis zum 25. Oktober 1972 in Unter­suchungshaft. Im Zuge einer Amnestie wurde das Ermittlungsver­fahren ein­ge­stellt und der Beschwerdeführer aus der Untersu­chungshaft ent­las­sen. Mit Urteil des Kreis­­­gerichts Brandenburg vom 19. Sep­tem­­­ber 1973 wurde der mittlerweile 18-Jährige wegen eines weiteren versuchten ungesetzlichen Grenz­­übertritts zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Mona­­ten verurteilt, die er bis zum 23. Dezember 1974 in der Strafvollzugseinrichtung (StVE) Cottbus verbüßte.

 

Am 23. Mai 1975 ver­hängte das Kreis­ge­richt Bran­­den­burg gegen den Beschwer­de­füh­rer eine Frei­heits­strafe von 2 Jah­­ren und   10 Mo­na­ten wegen Diebstahls und Erpres­sung. Während der Vollstreck­ung dieser Frei­heitsstrafe in der StVE Berlin-Rummelsburg ver­­pflichtete sich der Beschwer­de­füh­rer, als inof­­fi­ziel­ler Mit­­arbeiter die Abteilung K 1 der Kriminalpolizei zu unter­stüt­zen (31. August 1976), und wiederholte dies später mit Blick auf die Zeit nach der Haftentlassung. In der handschrift­­lichen Erklärung vom 12. September 1977 verpflichtete sich der Beschwerdeführer, nach seiner Entlassung aus dem Straf­­vollzug mit „der Kriminalpolizei“ zusammenzuarbeiten. In ei­nem Bericht über die Anwerbung des Beschwer­de­füh­rers vom   1. Sep­­tem­­­ber 1976 heißt es u. a., dass dieser in dem mit ihm geführ­ten Wer­­bungs­ge­spräch „den Sachverhalt einer noch offe­nen, von ihm began­­genen Straftat“ niederlegte. In diesem hand­schrift­­lich ver­fass­ten, auf den 30. August 1976 datierten Sach­verhalt führt der Beschwerdeführer aus, für den Flucht­versuch aus dem Juni 1973 im Frühjahr des Jahres eine Schusswaffe (Kalasch­­ni­kow) vom Schießplatz Hohen­stücken ent­wen­det und vergraben zu haben. Er habe die später allein in Angriff genommene Flucht zunächst mit einem Bekannten geplant und diesem auch gezeigt, wo er die Waffe ver­steckt hatte. Kurz danach habe er die Waffe nicht mehr in dem Versteck vorgefunden. Wie sich spä­ter heraus­ge­stellt habe, habe sein Bekannter sie an sich genommen.

 

Nach seiner Verpflichtung als inof­­fizieller Mitarbeiter berich­­­tete der Beschwerdeführer über Vor­komm­nis­se und Äuße­run­gen in der Haft­an­stalt. Auch nach der Haft­ent­­las­sung im Sep­tem­ber 1977 berichtete er der Polizei weiter.

 

Ende 1979 versuchte der Beschwerdeführer erneut, aus der DDR zu fliehen, und wurde deshalb vom Kreisgericht Potsdam am   20. De­z­­em­­ber 1979 zu einer Freiheits­strafe von 4 Jahren und 6 Mona­­­t­en verurteilt, die er in den StVE Cottbus und Torgau ver­­büßte. Mit erneuter Inhaftierung endete die Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei wegen „Unehrlichkeit und Dekon­spi­ra­tion“. Im November 1982 kaufte ihn die Bun­des­republik aus der Haft frei. Dort engagierte er sich u. a. in der Internationalen Gesell­schaft für Menschenrechte.

 

Das Bezirksgericht Potsdam rehabilitierte den Beschwerdeführer mit Beschluss vom 7. Juli 1993 und hob die gegen ihn im Jahre 1972 ergriffenen Zwangsmaßnahmen (Untersuchungshaft von Juni bis 25. Oktober 1972) und die beiden wegen Repub­lik­flucht­ver­suchs ergangenen Urteile als recht­staats­widrig auf­. Ihm wur­­den für die erlittene Frei­heits­ent­zie­hung durch Bescheide des Prä­si­­­­­­denten des Landgerichts Potsdam vom 25. Mai 1994 und      27. Sep­­­tember 2000 Kapi­talentschädigungen in Höhe von jeweils 18.000,00 DM sowie durch Bescheid vom 28. Oktober 2008 eine beson­­dere (noch nicht zur Auszahlung gelangte) Zuwen­dung in Höhe von 250,00 Euro monatlich (sog. Opfer­­pen­sion) zuerkannt.

 

2. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2009 hob der Präsident des Land­­gerichts nach schriftlicher Anhörung des Beschwerdeführers die genannten Bescheide auf und forderte die Kapitalentschädigungen in Höhe von 18.406,50 Euro zuzüglich 13.720,68 Euro Zinsen zurück. Nach Auskunft der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staats­­­sicherheits­dien­stes der ehemaligen DDR (BStU) sei in den Akten eine intensive Zusam­­­menarbeit des Beschwer­de­füh­rers mit den Sicher­heits­or­ga­nen der DDR doku­men­tiert. Er habe über eine beab­sichtigte Repu­­­blikflucht, West­kon­takte bestimmter Personen und (angeb­li­ches) verdächtiges Ver­halten gegen eine Ein­rich­tung der Sow­jet­­armee berichtet. Seine Infor­ma­tionen seien als stets zuver­läs­­sig und konkret ein­geschätzt wo­r­den und er habe Zuwen­dungen in Höhe von insgesamt 70,00 Mark und ein Präsent erhal­ten. Damit hätten hinsicht­lich der Ent­­­­­­­­schä­di­gungs­lei­st­un­gen die Vor­­aussetzungen eines Aus­schluss­grun­des nach § 16  Abs. 2 StrRehaG (Verstoß gegen die Grund­sätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit) vor­­gelegen, so dass sie rechtswidrig bewil­ligt worden und zurück­zufordern seien.

 

Gegen diesen am 18. Januar 2010 zugestellten Bescheid stellte der Beschwerdeführer bald darauf Antrag auf gericht­li­che Ent­schei­dung, wobei er anregte, ihn persönlich anzuhören; zudem legte er eine Stellungnahme der Beauftragten des Landes Bran­den­­burg zur Aufarbeitung der Folgen der kom­mu­ni­stischen Dik­ta­tur vom 14. Juni 2010 vor. Von einer freiwilligen und gezielten Mitarbeit könne nicht ausgegangen werden. Er sei damals gerade einmal 22 Jahre alt gewesen und habe davon mehr als drei Jahre in DDR-Haftanstalten verbracht. Wegen des Waffendiebstahls habe eine Freiheitsstrafe von 10 Jahren wie ein Damoklesschwert über ihm geschwebt. Mit Beschluss vom 11. November 2011 wies das Landgericht den Antrag als unbe­grün­det zurück. Es gebe „keine Anhaltspunkte“, dass der Beschwer­deführer durch konkrete Dro­hun­gen mit unzumutbaren Fol­­gen unter Druck ge­setzt worden sei, und zwar weder in sei­nem Vorbrin­gen noch in den vorliegenden Unter­lagen der BStU.

 

Nachdem der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt hatte, bat er erneut vergeblich, ihn per­­­sönlich anzuhören. Hin­sicht­­lich eines Teils der Zins­­fo­r­de­rung (Verjährung bis zum 9. De­z­­ember 2006 entstandener Zinsansprüche) war die Beschwerde erfolg­­­­reich; im Übri­gen und damit ganz überwiegend wies sie das Ober­­landesgericht mit Beschluss vom 29. August 2012 zurück. Die Zusam­men­ar­beit des Beschwer­de­füh­rers mit den Sicher­­­­­­­­­heits­or­ganen sei, so das Oberlandesgericht, nicht un­frei­­­­­­­­­willig erfolgt; ins­be­son­dere sei den Unter­lagen nicht zu ent­­­­­­nehmen, dass ihm über den Vor­wurf des Waffen­dieb­stahls bzw. –be­­­­sitzes eine Verlängerung der Straf­haft oder eine neuer­liche Bestra­­­­fung angedroht worden sei. Mit der Inhaf­­­­tierung selbst und deren Belastungen sei eine die Frei­wil­­ligkeit der Verpflichtungs­erklärung aus­schließende Zwangslage des Beschwerdeführers nicht verbunden gewesen, weil er wegen – auch in einem Rechts­staat verfolgter - Straftaten allgemeiner Kriminalität und nicht aus politischen Gründen ins Gefängnis gekommen sei; ihn hätten daher „erhöhte Anforderungen“ getroffen, sich der Anwer­bung durch die Kriminalpolizei zu widersetzen. Eine Anhö­rungs­­rüge wurde mit Beschluss vom 3. Januar 2013 (1 Ws 6/12) zu­rück­gewiesen.

 

II.

1. Mit der am 22. Januar 2013 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, durch die gerichtlichen Ent­schei­dungen in seinem Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 der Landesverfassung (LV) verletzt zu sein.

 

Die Gerichte hätten die Umstände sei­ner Anwerbung und seine dama­lige persönliche Lebens­si­tu­a­­t­ion nicht berücksichtigt. Er habe sich keineswegs freiwillig zur Zusammenarbeit mit der Kri­minalpolizei ver­­­pflich­tet. Vielmehr sei ihm eine (zusätz­liche) lang­jäh­rige Haftstrafe wegen des Waffendieb­stahls aus dem Jahre 1973 angedroht worden. Dieser Dieb­­stahl einer Maschinenpistole sei den Behör­den im Zusammenhang mit einem geschei­ter­ten Flucht­ver­such sei­nes Bekannten zur Kenntnis gelangt, bei dem dieser die „Kalaschnikow“ verwendet habe. Hier­auf beruhe seine „Sach­­­ver­­halts­dar­stel­­lung“ vom 30. August 1976, die er – mit teil­­weise vor­ge­ge­be­nen Formulierungen – unmit­telbar vor seiner Ver­­­­pflichtungs­erklä­rung habe verfassen müs­sen und ein jeder­zeit gegen ihn verwendbares Geständnis bein­halte. Dieses nach den zeit­lichen Abläufen, der Aktenlage, aber auch der Stel­lung­­nahme der Beauftragten des Landes Branden­burg zur Auf­ar­bei­tung der Fo­lgen der kom­mu­ni­stischen Diktatur vom 14. Juni 2010 plau­sible Vorbringen hät­ten die Gerichte prak­tisch gar nicht gewür­digt. Soweit das Ober­lan­­des­ge­richt mit wenigen Worten darauf abstelle, eine Drohung im Hinblick auf den bekannt gewordenen Diebstahl der Maschinenpistole sei „den Unter­­lagen“ „nicht zu ent­nehmen“, verkenne es, dass derlei seinerzeit nun einmal nicht akten­kun­dig gemacht worden sei. Schließ­lich hät­ten die Gerichte seinen - für die Frage des ihm mög­li­chen Widerstands gegen die Anwer­bung durch die Kri­­­mi­nalpolizei - ebenfalls relevanten Vor­­trag nicht berück­sich­­tigt, dass er zum Zeit­punkt der Anwer­bung ein unsicherer, ja labiler junger Erwach­s­ener gewe­sen sei, der schon in Kinder- und Jugend­jah­ren in Kinderheimen bzw. bis kurz vor Erreichen der Voll­jäh­rig­keit in einem Jugend­­werk­hof habe leben müssen.

 

Der Beschwerdeführer beantragt

 

festzustellen, dass der Beschluss des Landgerichts Potsdam   vom 11. Novem­­ber 2011 – BRH (OP) 13/10 – und der Beschluss des Brandenbur­­gi­schen Oberlandesgerichts vom 29. August     2012 (1 Ws 6/12) ihn in seinem Grundrecht aus Art. 52 Abs. 3       Alt. 2 LV verletzen,

 

sowie

 

     die Entscheidungen aufzuheben.

 

2. Die Präsidenten des Landgerichts und des Oberlandesgerichts hat­­ten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Aus­gangs­ver­­­­fahrens wurden beigezogen.

 

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet. Die ange­­griffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV und effektiven Rechtsschutz. Der Beschluss des Oberlan­desgerichts vom 29. August 2012 verletzt ihn darüber hinaus in seinem Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz aus Art. 12 Abs. 1 LV.

 

I.

Land– und Oberlandesgericht sind in ihren angegriffenen Entscheidungen der verfassungsrechtlichen Ver­pflich­­tung zur Gewährung rechtlichen Gehörs und effektiven Rechts­­schutzes nicht ausreichend nach­ge­kom­men.

 

1.a. Das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV verpflichtet das Gericht u. a., die Ausführungen der Ver­fah­­rens­be­­­tei­ligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Ent­schei­­dung in Erwägung zu ziehen (st. Rspr., vgl. nur Beschluss vom 25. Januar 2013 – VfGBbg 16/12 -, www.verfassungs­ge­richt.bran­den­­burg.de; zum Bun­des­recht: Bundesverfassungsgericht – BVerfG - E 42, 364, 367 f.). Eine Verletzung dieser Pflicht ist anzu­neh­men, wenn das Gericht in den Entscheidungsgrün­den auf den wesentlichen Kern des nicht offensichtlich unsub­­stan­tiier­ten Tat­sachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht ein­geht, die - auf der Grund­­lage der Rechtsauffassung des Gerichts - für das Ver­fah­ren von zentraler Bedeu­tung ist (Beschluss vom 25. Januar 2013, a. a. O.; BVerfGE 86, 133, 146); oder wenn die Nicht­­­­­­­­be­rück­­sichtigung bzw. Zurück­wei­sung von Vor­­­­­­brin­­gen oder von Beweis­anträgen im jeweils anzuwendenden Pro­­zess­­recht keine Stütze mehr findet und sich hierin eine Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Gehörsgrundrechts mani­fe­st­iert (vgl. Beschluss vom 13. April 2012 – VfGBbG 43/11 -, www.ver­fas­­sungs­gericht.brandenburg.de; BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2012 - 2 BvR 1013/11 -, zitiert nach juris Rn. 32).

 

b. In einem engen funktionalen Zusammenhang mit dem Recht auf recht­liches Gehör steht die Garantie effektiven Rechts­­schutzes (vgl. BVerfGE 119, 292, 295 f; 107, 395, 409). Sie gibt dem Ein­­­zel­nen ei­nen Anspruch auf eine umfas­sende tat­säch­liche und recht­­­liche Prü­­­fung im Sinne einer wirk­samen gericht­­­li­chen Kon­trolle des Ver­­­­­fahrensgegenstandes (Iwers, in: Lieber/Iwers/ Ernst, Kommentar zur Landesverfassung Bran­­den­burg, Art. 6 Nr. 1.1; zum Bun­des­­recht vgl. BVerfGE 54, 277, 291). Ein wesentliches Element bei der Verwirklichung dieses Anspruchs ist die Berück­sichtigung der tatsächlichen und rechtli­chen Aus­­füh­run­gen der Verfahrensbeteiligten, mithin die hin­rei­­chende Gewährung rechtlichen Gehörs (BVerfGE 81, 123, 129; BVerfG, Beschluss vom 18. August 2010 – 1 BvR 3268/07 -,  BVerfGK 17, 479, 486 f). Dessen Verletzung bedeutet danach regel­mäßig auch eine Einbuße an effektivem Rechtsschutz (vgl. BVerfK 17, 479, 487). Darüber hinaus ist die Rechts­schutz­ga­ran­­­tie beein­träch­tigt, wenn die Gerichte die pro­zess­recht­li­chen Mög­lich­keiten zur Sach­­­­verhaltsfeststel­lung so eng aus­le­gen, dass ihnen eine ange­­­­­messene sachliche Prüfung der zur Ent­­­­­­scheidung anstehenden Fra­gen nicht möglich ist (vgl. BVerfGE 53, 115, 127 f; 101, 275, 294 f).

 

2.a. Das Landgericht hat die Dar­­stellung des Beschwerdeführers, die eine kon­krete Dro­hung für den Fall der Ablehnung einer Zusam­menarbeit mit den Sicherheitsorgangen nach­ge­rade zum Kern seines Vortrages macht, bei der Ent­schei­dung ersicht­­­lich nicht in Erwä­­gung gezogen und damit sein Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt. Die Schilderung des Beschwer­­deführers zu den Umstän­­­­den sei­ner Anwerbung, er sei als Strafgefangener im Zusammenhang mit dem Dieb­stahl einer sowjetischen Maschinenpistole mit einer drakonischen weiteren Haftstrafe bedroht worden, ist vom Gericht übergangen worden. Dies ergibt sich aus seinem Beschluss vom 11. November 2011. Weder gibt das Land­ge­richt den Vor­trag wieder, noch geht es in der Ent­­­schei­dungs­be­gründung an irgendeiner Stelle näher auf das (behauptete) Geschehen ein. Vielmehr stellt es im Rah­­­men der Beur­­­­tei­­lung der Beweg­gründe des Beschwerdeführers für die inof­­­­fi­zielle Mit­­arbeit mit der Kriminalpolizei aus­drück­lich fest, es gebe aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers „keine Anhaltspunkte“, durch kon­krete Dro­hun­­gen unter Druck gesetzt worden zu sein. Dies trifft offensichtlich nicht zu.

 

b. Das Oberlandesgericht hat zwar ausweislich seines Beschlus­ses vom 29. August 2012 diesen Vortrag des Beschwerdeführers zu sei­ner Anwerbung zur Kenntnis genommen. Es hat jedoch das Recht auf rechtliches Gehör dadurch ver­letzt, dass es diesen Vor­­­trag allein unter Hinweis auf die von der BStU über­mit­tel­ten Unterlagen zurückgewiesen hat. Zugleich ist das Ober­lan­des­­gericht damit sei­ner Ver­pflich­­­­tung zur Gewäh­­rung effek­­tiven Rechts­­­schutzes nicht gerecht gewor­den.

 

aa. Das Verfahren der gerichtlichen Entscheidung über das Vor­lie­­­gen der Vor­aus­set­zungen des § 16 Abs. 2 StrRehaG richtet sich nach den Vorschriften des 2. Abschnitts des Straf­recht­li­chen Rehabilitierungsgesetzes (§§ 7 – 15 StrRehaG), § 25 Abs. 1 Satz 4 StrRehaG. Danach bestimmt das Gericht im Rahmen des Amts­­­er­mitt­­­­­lungs­grundsatzes seine Ermittlungen nach pflicht­­­­ge­mä­­ßem Ermessen (§ 10 Abs. 1 StrRehaG), wobei Beweise nicht im Streng-, sondern im Freibeweisverfahren erhoben werden. Es ent­­­­­scheidet durch Beschluss (§ 12 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG) und in der Regel ohne eine mündliche Erörterung; es kann eine sol­che – wie auch das persönliche Erscheinen des Antrag­stel­lers – jedoch jederzeit anordnen, wenn es dies zur Sach­­­­ver­halts­auf­klä­­rung oder aus anderen Gründen für erfor­der­lich hält (§ 11 Abs. 3, 4 StrRehaG). Für die Beschwerde (§ 13 StrRehaG) gegen die erstinstanzliche gericht­liche Entscheidung gilt im Ergeb­nis nichts anderes (vgl. Pfister, in: Pfister/ Mütze, Reha­­bilitierungs­recht, Stand August 1993, § 13 StrRehaG Rn. 39 f; Mütze, a. a. O., § 25 StrRehaG Rn. 55). § 15 StrRehaG verweist insoweit auf §§ 306 bis 309 Strafprozessordnung (StPO). Nach die­sen, im Lichte der Ver­fah­rens­ord­nung des Straf­­­recht­­lichen Reha­bilitierungsgesetzes zu hand­ha­ben­den Best­im­­­mun­gen hat das Beschwerdegericht die erst­in­stanz­li­che Ent­­­­­schei­­dung in tat­säch­­licher und rechtlicher Hin­sicht voll­­stän­­dig zu über­prüfen. Soweit für die Beur­tei­lung der Begrün­­det­heit der Beschwerde erfor­­derlich, muss es alle zur Auf­­klä­rung des Sachverhalts not­­w­endigen Ermitt­­­lungen von Amts wegen nach pflichtgemäßen Ermes­sen und ohne Bindung an Anträge durch­­­­­führen (vgl. § 308 Abs. 2 StPO), wobei wiederum das Frei­be­weis­verfahren zur Ver­fü­gung steht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2008 – 2 BvR 325/06 -, BVerfGK 13, 218, 226 f m. N.). Deshalb ist schon nach dem Strafrechtlichen Reha­­­bi­li­tie­rungsgesetz ggf. auch im Beschwerdeverfahren eine münd­­li­che Er­ör­terung mit per­sön­­­licher Anhörung des Antragstellers nach  § 11 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 StrRehaG durchzuführen (vgl. Wende, in: Herz­ler/Lad­ner/Peifer/Schware/Wende, Reha­bi­li­tie­rung, Pots­­­da­mer Kom­men­­tar, 2. Aufl. 1997, § 13 StrRehaG Rn. 20).

 

bb. Dass das Oberlandesgericht dem Vorbringen des Beschwer­de­füh­­­­rers allein unter Hinweis auf die Aktenlage nicht gefolgt ist, findet in dem Ver­fahrensrecht keinerlei Rechtfertigung mehr. Das Gericht durfte den Vor­­­­trag des Beschwerdeführers nicht (ausschließlich) mit der Begrün­­­­dung zurückweisen, dass das Geschehen so nicht in den aus der DDR überkommenen Unter­­­­­­­la­gen dokumentiert ist.

 

Der Beschwerdeführer hat plau­sibel dargelegt, dass er durch die Drohung mit einer weiteren Haft­­strafe wegen Waf­fen­dieb­­­stahls zur inoffiziellen Zusam­men­ar­beit mit der Kri­mi­nal­po­li­zei genötigt worden sei. Dieser Vor­­­trag wider­spricht nicht nur nicht den von der BStU übermittelten Unter­lagen, sondern es fügt sich sogar in den schriftlich dokumentierten Gesche­hens­ab­lauf ein. Zwischen der Verpflichtungserklärung vom 31. August 1976 und der auf den 30. August 1976 datierten Sach­­ver­halts­­dar­stel­lung, die das zur Ausübung von Druck auf den Beschwer­deführer taugliche Eingeständnis des Waf­fen­dieb­stahls ent­­­hält, besteht neben dem engen zeitlichen auch ein unmit­­tel­ba­­rer sach­li­cher Zusam­­­­menhang. Es wird offenkundig auf die­se Sach­­­ver­halts­dar­­­stellung Bezug genommen, wenn im Bericht über die Werbung des Beschwerdeführers vom 1. September 1976 aus­ge­führt wird, er habe den „Sachverhalt einer noch offenen, von ihm began­genen Straftat schriftlich“ niedergelegt. Aus den Akten ergibt sich schließlich auch nicht, dass der Beschwer­de­führer mit seinem Vorbringen, die Behörden hätten von dem Waf­­fen­­­­­dieb­­stahl infolge des gescheiterten Fluchtversuchs sei­nes Bekannten gewusst und auf dieser Kenntnis beruhten seine damali­gen schriftlichen Angaben, die Unwahrheit behauptet.

 

Wie sich von selbst verstehen dürfte, sind die DDR-Unterlagen nicht allein maß­geb­lich für die Prüfung, ob ein Antragsteller nach § 16 Abs. 2 StrRehaG gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, sondern hierbei lediglich als eine von mehreren Erkennt­­­­­­­­­­nis­­­quellen heran­­zu­zie­hen (Mütze, a. a. O., § 16 StrRehaG Rn. 68). Die zen­trale Verfah­rensregelung des § 10 Abs. 1 StrRehaG redu­­ziert die Ermitt­­lun­gen und Beweis­er­he­bun­gen des Gerichts nicht auf die Ver­wer­tung der durch die „Sicher­­­­­­­heits­or­gane“ ge­fer­­­tig­ten Auf­­zeich­nungen. Diese sind – soweit sie nicht zu Gunsten des Antragstel­lers für eine rechts­­­staats­wi­dri­ge strafrecht­li­che Ver­ur­tei­lung im Sinne von § 1 StrRehaG strei­ten – im Gegenteil einer kri­­ti­schen Wür­di­gung zu unter­­­­­zie­hen, weil Auf­ga­ben­stel­lung und Arbeits­weise der sog. „Sich­er­­­­­­­­­heits­organe“ rechts­staat­li­chen Erforder­nis­­sen der objektiven Sach­­ver­­halts­­aufklärung in kei­ner Weise ent­­spro­chen haben. Dies übersieht das Oberlandesgericht, wenn es den Unterlagen unkritisch einen exklusiven Beweis­wert beimisst. Den Aufzeichnungen staat­licher Stellen kommt indes keine negative Beweis­­­­­kraft in dem Sinne zu, dass bestimmte vom Antrag­steller behaup­tete Umstände nicht vor­gele­gen haben kön­nen, weil sich in den Akten keine Bestä­ti­gung für sie findet (vgl. Pfi­ster, a. a. O., § 10 StrRehaG Rn. 82 f). § 10 Abs. 2 StrRehaG offen­bart dem­ge­gen­über die Bedeu­tung, die im Rahmen der Sach­auf­klä­rung gerade dem Vor­trag des Antrag­­stel­­­­­lers zukommt. Die an die richterliche Über­­zeu­gungs­bil­­dung zu stellenden Anfor­derungen werden der systembedingt entstandenen beson­­deren Beweisnot der Betreffenden wegen und mit Rück­­­sicht auf die Schwierigkeit, länger zurück­liegendes Gesche­­­­hen zuver­lässig zu ermitteln, vom Gesetz sogar vermindert, indem die Abgabe einer eides­­­­­­­­statt­li­chen Ver­­si­­che­­rung ausreichen kann. Dabei ist den nach­­­voll­­zieh­­ba­ren und wider­spruchs­frei­en Anga­ben des Antrag­­stel­lers umso mehr Gewicht im Verhält­nis zu den behörd­­­­li­­chen Unter­­­­­lagen bei­­zu­­mes­sen, je weniger diese Akten eine neutrale Sach­­­­ver­halts­­­­darstellung ver­spre­­chen. Letz­­­teres ist jeden­falls im Hin­blick auf Umstände vor­­aus­zu­se­t­zen, welche – wie vor­­lie­gend - die Frei­wil­lig­­keit der Mit­ar­beit in Frage zu stel­len geeig­­net wären, weil sie sich auf straf­­­rech­t­lich rele­van­­tes Ver­­­­hal­ten der Sicher­­heits­­­be­hör­den zum Nachteil des Ange­wor­­­be­nen (etwa Nöti­­gung) bezie­hen; die Annahme einer negativen Beweis­­­kraft der Akten­lage liegt hier beson­­ders fern, worauf im Ergebnis auch die Beauf­tragte des Lan­d­es Brandenburg zur Auf­ar­bei­tung der Folgen der kom­mu­ni­st­i­schen Diktatur als mit den Verhältnissen vertraute Fachbehörde in ihrer Stellungnahme hingewiesen hat (s. S. 3: „Dro­hungen und Erpressungen … wurden in den Berich­ten des MfS unter­schlagen, denn die Einhaltung der gesetz­lichen Vor­schrif­ten galt auch für die IM-Werbung“). In der­­­ar­­ti­­gen Fäl­­­len dürfte der eigene, ggf. glaubhaft gemachte Vor­­­trag regel­­mäßig die einzige Möglichkeit sein, die Gerichte von einem Zwang zur Mit­ar­­beit zu überzeugen.

 

3. Davon unabhängig haben das Landgericht und in der Folge das Oberlandesgericht gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör ver­stoßen, weil sie den Beschwerdefüh­rer zu keinem Zeitpunkt münd­lich angehört haben. Die Entscheidungen genügen auch in die­­ser Hinsicht nicht rechtsstaatlichen Mindestanforderungen.

 

Die Modalitäten der Gehörsgewährung sind weitgehend der Ausgestal­tung durch den Gesetzgeber in einfachrechtlichen Verfahrens­­ord­nun­gen überlassen (zu Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz: BVerfGE 89, 381, 391). Sehen diese eine mündliche Verhandlung vor und wird den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zur Äußerung in der Ver­­­handlung dadurch versagt, dass das Gericht geset­­zes­wi­drig ohne mündliche Verhandlung entscheidet, so begrün­­­­­det dies einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Garantie rechtlichen Gehörs (Beschluss vom 14. Februar 2002 – VfGBbg 65/01 -, LVerfGE Suppl Bbg. zu Bd. 13, 51, 56; BVerfG, Beschluss vom 5. April 2012 – 2 BvR 2126/11 -, NJW 2012, S. 2262, 2263 zu § 495 S. 2 Zivilprozessordnung; vgl. Ort­loff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, Kommentar zur Ver­­wal­­tungs­­ge­richts­ord­nung - VwGO -, Stand April 2013, § 101 Rn. 25a). Nur wenn ent­­spre­chende gesetz­liche Rege­lun­gen fehlen, besteht von Verfassungs wegen kein gene­­rel­ler Anspruch der Ver­­­­fah­­rens­­beteiligten auf eine münd­­­li­che Verhandlung oder per­­sön­­­li­che Anhörung (BVerfGE 112, 185, 203 f; st. Rspr.). Gleichwohl kann auch dann im Ein­zel­fall eine per­­­­­­­­­­sön­­li­che Anhörung ver­fas­sungs­recht­lich geboten sein (vgl. Degenhart, in: Sachs, Kom­men­­tar zum Grund­gesetz, 6. Aufl., Art. 103 Rn. 22).

 

Einfachgesetzlich hat der Bun­­des­­gesetzgeber in § 11 Abs. 3 StrRehaG die Durch­füh­­­­­rung einer münd­­­­­li­chen Erör­te­rung nicht als Regelfall vor­ge­schrie­­­­ben, aber – mit Blick auf das Erfor­der­­nis der Sach­ver­hälts­­aufklärung oder sonstiger Gründe - in das pflicht­ge­mäß aus­­­­­zuübende Ermessen des Gerichts gestellt. Für die ge­richt­lichen Anfechtungsverfahren gegen die Rücknahme von Bescheiden nach § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) bzw. § 45, § 48 Sozialgesetzbuch X (SGB X) über das Vor­liegen der Vor­­­­aus­­set­zun­gen von § 16 Abs. 2 StrRehaG kommen pro­­­­­z­ess­-  ök­­­o­­­­­no­mi­­sche Gesichts­­punkte nicht in gleicher Weise zur Gel­tung wie in den frü­he­ren Rehabilitie­­rungsverfahren. Denn es geht hier um den Ent­zug bereits bewil­lig­ter so­­zi­­a­­ler Ausgleichslei­stungen; diese Ver­­­­­­fah­ren sind gerade nicht darauf ge­rich­­­­­­­tet, dem Antrag­­steller möglichst schnell Genug­tu­ung für ihm zugefügtes Unrecht, also eine Vergünstigung, zu ver­­­­schaf­­fen. Zudem führt der Leistungsentzug nicht nur zu einer materiellen Einbuße, sondern ist auch mit einer gewissen ideellen Entwertung des dem Antragsteller durch die Reha­bi­li­tierung zuerkannten Sta­­tus verbun­den. Bei ihrer Ent­schei­­­dung, ob mündlich erörtert wer­den soll, haben die Gerichte dabei maßgeblich auch die prozes­­sualen Grundrechte in den Blick zu nehmen (zur möglichen Ermes­­­sens­re­­du­zierung im Rah­men von § 11 Abs. 3 StrRehaG vgl. auch Wass­muth, ZOV 2009, 168, 172). Dabei ist die Mündlichkeits­­­­garantie aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrecht­sk­onvention (EMRK) vorrangig zu berück­sichtigen. Anders als die primäre Reha­­b­ilitie­rungs­ent­schei­dung betreffen die Auf­­­­­hebung und Zurückfor­derung von Leist­un­­gen nach § 48 VwVfG, § 45 SGB X oder § 48 SGB X nämlich Ansprüche im Sinne des  Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, sie ziehen unmittelbare wirtschaftliche Fol­gen nach sich (vgl. zur konventionsrechtlich gebotenen weiten Auslegung des Begriffs „zivilrechtliche“ Ansprüche in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK: Dolderer, in: Sodan/Ziekow, Kommentar zur VwGO, 3. Aufl., § 101 Rn. 9; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 6 Rn. 17; s. auch Clau­sing, in: Schoch/Schnei­der/Bier, a. a. O., § 84 Rn. 6).

 

Vorliegend durften danach das Landgericht und im Weiteren das Oberlandesgericht dem Beschwer­­­­de­füh­rer die – sogar wiederholt aus­­drücklich begehrte - persönliche Schil­­­derung der Umstände sei­ner Werbung in der Strafvollzugsein­­richtung nicht verwehren. Die angemessene Berücksichtigung sei­nes entsprechenden Vor­­­­trags im Rahmen der gebotenen gericht­­lichen Sachaufklärung war für die Gewährung recht­lichen Gehörs und effektiven Rechts­­­­­schutzes von entscheidender Bedeutung (s. zu 2.b.bb.). Im Hin­­blick darauf hätte dem in nicht übersehbarer beson­derer Beweisnot befind­lichen Beschwer­­­­­de­füh­­rer die Gele­­­gen­heit gegeben werden müssen, insbesondere die Umstände seiner Verpflichtung in der Strafvollzugseinrichtung Rummelsburg und den weite­ren Gang der Dinge bis zum Ende seiner Zuarbeit wegen „Unehr­lichkeit und Dekon­spiration“ münd­­lich dar­zu­­­legen und zu erläu­­tern. Auch hätte es nahegelegen, auf das zwischenzeitliche (akten­kundige) Bemühen des Beschwerdeführers einzugehen, sich von der Zusam­menarbeit mit der Abteilung K 1 der Kriminalpolizei zu lösen. Ob das Gericht bislang von falschen Annahmen aus­­gegangen ist, weiteren Ermittlungsbedarf über­sehen oder auch bestimmte Umstände nicht angemessen berück­sichtigt oder bewer­­­tet hat, muss sich jedenfalls an einer per­sönlichen Schil­derung der Verhältnisse im DDR-Straf­vollzug messen lassen kön­­nen; die dialogische Gesprächs­si­­­tu­­ation einer Erörterung eig­­­net sich am besten, die notwendige Erkennt­­nisgrundlage für die Entscheidung zu gewährleisten. Nicht zuletzt verschafft eine mündliche Anhö­rung dem Gericht einen unmit­telbaren Eindruck vom Antragsteller und seiner Glaubwürdigkeit.

 

II.

Das Oberlandesgericht hat mit seiner Entscheidung außerdem gegen Art. 12 Abs. 1 LV in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür verstoßen, indem es im Hin­blick auf die Haftsituation bei Abgabe der Ver­pflich­­tungs­er­klä­rung eine die Freiwillig­keit aus­­­­schließende Zwangslage des Beschwerdeführers mit der Begrün­­­­dung verneint hat, dessen Inhaftierung habe auf Straf­­­­­taten allgemeiner Krimi­nalität beruht.

 

1. Objektiv willkürlich ist eine Entscheidung erst dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist. Sie muss Ausdruck einer Rechtsanwendung sein, die jeden Ausle­gungs- und Bewertungsspielraum überschreitet und damit sach­lich unhaltbar erscheint (vgl. Beschluss vom 19. Juni 2013 – VfGBbg 61/12 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

 

2. Nach diesem Maßstab ist die Entscheidung des Oberlandes­ge­richts objektiv willkürlich. Ob die Ver­pflich­­tungs­er­klä­rung zur Zusammenarbeit mit der Krimi­­nalpolizei „freiwillig“ war und welches Maß an Wide­r­stand gegen das Ansinnen zur ver­deck­ten Zusammenar­beit mit den „Sicher­heitsorganen“ erwartet werden konnte, kann unter Geltung des Gleichheitssatzes – entgegen der Annahme des Ober­landesgerichts - nicht vom damaligen Haft­grund abhängen. Das Gesetz knüpft allein an eine Zwangslage an, nicht daran, auf welcher Art Straf­ta­ten die eine Zwangs­­lage begründende Inhaf­tierung beruhte (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Ds 12/1608, S. 24).

 

Der Ansatz des Oberlandesgerichts, den vom DDR-Straf­voll­zu­g Betroffenen ein unterschiedliches Maß an Abwehr abzu­­verlangen, ist mit der lebensfremd anmutenden Vor­stel­lung verbun­den, einzel­­ne Gefäng­­­nisinsassen seien zu einem Mehr an Wider­­stand allein des­halb in der Lage gewe­­sen, weil sie „her­kömm­­­liche“ Straf­­­­­­ta­ten began­­­­gen haben. Für diese Differenzierung gibt es kei­­­­nerlei Anknüpfungspunkt im Gesetz. Das Oberlandesgericht hat auch nicht den Versuch unternommen, eine solche Ungleichbe­handlung mit den herkömmlichen und anerkannten Auslegungsmethoden in vertretbarer Weise aus dem Gesetz abzuleiten (vgl. zu diesem, auch aus kom­petenzrechtlichen Gründen bestehenden Erfor­­dernis BVerfGE 128, 193, 210 f; 122, 248, 257 f; BVerfG, Be­schluss vom 8. Nov­ember 2010 – 1 BvR 1595/10 -, zitiert nach juris Rn. 8). Zudem wäre die vom Ober­lan­des­­­ge­richt vor­ge­nom­mene Unter­schei­dung zwischen Strafta­ten all­­­­­ge­­mei­­ner Delin­­­­­quenz und politisch­er moti­vierter Defi­ni­tion in der gebo­te­nen Klarheit auch gar nicht möglich. Ein normativ zumut­­bares Maß des von dem Ange­wor­be­nen zu leist­en­den Wider­stands dürfte im Übrigen willkürfrei kaum zu ermitteln sein, wenn der Haft verschie­­dene, ggf. sogar in Tateinheit begangene, Straf­taten zugrunde lagen - wie zum Bei­­spiel im Fall der ersten Verurteilung des Beschwer­deführers wegen versuchter Republikflucht und Dieb­stahls – oder wenn trau­matische Folgen, psychische Beeinträch­tigungen oder körper­liche Schä­den einer Inhaftierung aus poli­­tischen Gründen bei einer spä­teren Haft aus anderen Gründen fortwirkten.

 

III.

Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den dar­ge­leg­ten Grund­rechts­verstößen (vgl. zu diesem Erfordernis: Beschluss vom 15. März 2013 – VfGBbg 42/12 -, www.ver­fas­sungs­ge­richt. bran­­­den­burg.de).

 

C.

Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung folgt aus § 50 Abs. 3 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg     (VerfGGBbg). Das Gericht ver­weist die Sache nach § 50 Abs. 3 Halb­satz 2 VerfGGBbg an „ein“ zustän­di­ges Gericht zurück. Danach waren die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen auf­zu­­­he­­­ben, soweit sie nicht den Beschwerdeführer begünstigen, und die Sache an das Lan­dge­richt zurückzuverwei­sen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts über die Anhö­­rungs­­rüge vom    3. Janu­­ar 2013 ist gegen­stands­­­­los.

 

Die Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1       VerfGGBbg. Der Gegenstandswert ist nach § 33 Abs. 1, § 37  Abs. 2 Satz 2 Rechts­­­­an­waltsvergütungsgesetz auf 10.000,00 Euro fest­­­­­­­­­­­­­zu­set­­­­zen.

 

D.

Das Urteil ist hinsichtlich des festgestellten Gleichheitsverstoßes mit 8 zu 1 Stimmen und im Übrigen einstimmig ergangen. Es ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dresen
   
Dr. Fuchsloch Dr. Lammer
   
Nitsche Partikel
   
Schmidt