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VerfGBbg, Beschluss vom 18. Februar 2022 - VfGBbg 48/20 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 6 Abs. 1; LV, Art. 52 Abs. 1 Satz 2; LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2; LV, Art. 52 Abs. 4 Satz 1
- VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 47
- OWiG, § 62 Abs. 1 Satz 1
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde, teilweise unzulässig
- Verfassungsbeschwerde unbegründet
- Begründungsmangel
- Faires Verfahren
- Garantie effektiven Rechtsschutzes
- Gesetzlicher Richter
- Rechtliches Gehör
- Subsidiarität
- Antrag auf gerichtliche Entscheidung
- Bußgeldverfahren
- Standardisiertes Messverfahren
- Ordnungswidrigkeitenverfahren
- Reduzierte Sachverhaltsaufklärungs- und
Darlegungspflichten der Fachgerichte
- Prüfungserfordernis im Zulassungsverfahren der Rechtsbeschwerde
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 18. Februar 2022 - VfGBbg 48/20 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 48/20




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 48/20

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

H.,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte:               Rechtsanwälte L.,

 

beteiligt:

1.      Direktorin
des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel,
Magdeburger Straße 47,
14770 Brandenburg an der Havel,

2.      Präsident
des Brandenburgischen Oberlandesgerichts,
Gertrud-Piter-Platz 11,
14770 Brandenburg an der Havel,

Äußerungsberechtigte,

 

wegen

Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 21. Mai 2019 ‌‑ 23 OWi 4101 Js‑OWi 3296/19 (120/19) ‑‌; Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. März 2020 ‌‑ (1B) 53 Ss‑OWi 712/19 (59/20)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 18. Februar 2022

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dresen, Dr. Finck, Heinrich-Reichow, Kirbach, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

Die Verfassungsbeschwerde wird teilweise verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.

 

Gründe:

A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen Entscheidungen des Amtsgerichts Brandenburg und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in einem Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung.

I.

Die Zentrale Bußgeldstelle des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg (im Folgenden: Bußgeldstelle) setzte mit Bußgeldbescheid vom 21. November 2018 wegen des Vorwurfs einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße fest und ordnete ein Fahrverbot von einem Monat an. Der Beschwerdeführerin wurde vorgeworfen, am 4. September 2018 auf der BAB 2 in Fahrtrichtung W. als Führerin eines Personenkraftwagens die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h nach Toleranzabzug um 41 km/h überschritten zu haben. Dem lag eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ES 3.0 des Herstellers ESO GmbH zugrunde.

Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin nahm Akteneinsicht und legte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein. Zur Begründung rügte sie unter anderem die Ordnungsmäßigkeit der Geschwindigkeitsmessung. Diese sei anhand des ihr übermittelten Akteninhalts nicht nachvollziehbar. Es fehle die Anlage Messprotokoll und ein Beschilderungsplan. Das Schulungszertifikat des Polizeivollzugsbeamten für das Geschwindigkeitsmessgerät sei veraltet.

Die Bußgeldstelle hielt den Bescheid aufrecht und teilte der Beschwerdeführerin mit, der Beschilderungsplan habe nach der obergerichtlichen Rechtsprechung keinen Beweiswert. Die Bußgeldstelle sei auch nicht aktenführende Stelle für Beschilderungspläne. Für die Bedienung und den Gebrauch des Geschwindigkeitsmessgerätes ES 3.0 würden vom Hersteller bzw. der Zulassungsbehörde (Physikalisch-Technische Bundesanstalt - PTB) grundsätzlich keine Auflagen im Hinblick auf die Qualifikation des Messpersonals gestellt. Letzteres habe der Entwicklungsleiter des Herstellers gegenüber der Bußgeldstelle auch für alle bisherigen Softwareupdates bestätigt.

Mit Schriftsatz vom 19. März 2019 an das hiernach mit der Sache befasste Amtsgericht Brandenburg an der Havel bestritt die Beschwerdeführerin, gefahren zu sein. Hilfsweise rügte sie die Ordnungsgemäßheit der Messung und wiederholte ihr Vorbringen aus der Einspruchsbegründung.

In der Hauptverhandlung vom 21. Mai 2019 machte sie ihre schriftliche Einlassung vom 19. März 2019 zum Gegenstand der Verhandlung und stellte unter anderem Antrag auf Beweis durch Sachverständigengutachten für die Tatsache, dass die Messung nicht ordnungsgemäß durchgeführt sei. Es fehle die Auswertung der Messreihe, so dass Auffälligkeiten im Messverlauf nicht nachvollziehbar seien. Das Protokoll enthalte keine Feststellungen. Ferner beantragte sie die Herbeiziehung der Rohmessdaten zum Nachweis der Ordnungsmäßigkeit. Das Amtsgericht lehnte die Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) ab, da die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei.

Mit eingehend begründetem Urteil vom 21. Mai 2019 (23 OWi 4101 Js‑OWi 3296/19 [120/19]) setzte das Amtsgericht Brandenburg an der Havel wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gegen die Beschwerdeführerin eine Geldbuße von 195,00 Euro fest und ordnete ein Fahrverbot von einem Monat an. In der Urteilsbegründung führte das Amtsgericht aus, das Gericht habe nach der Beweisaufnahme keinen Zweifel, dass die Beschwerdeführerin den Verkehrsverstoß begangen habe. Die Einlassung der Betroffenen bezüglich der Fahrereigenschaft sei widerlegt. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung seien für das Gericht nicht ersichtlich. Konkrete mögliche Messfehler habe die Beschwerdeführerin auch nicht behauptet, so dass das Gericht im Anschluss an die entwickelte Rechtsprechung zum so genannten standardisierten Messverfahren keine Anhaltspunkte gesehen habe, die Richtigkeit der Messung in Zweifel zu ziehen. Soweit der Verteidiger rüge, dass nicht die vollständige Messreihe vorgelegen habe, so sei der Gehalt dieses Einwands bereits nicht erkennbar. Die vollständige Messreihe sei nicht Bestandteil der Verfahrensakte. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung zur Vorlage der Messreihe zur Erstellung eines Privatgutachtens lasse sich der Akte nicht entnehmen.

Die Beschwerdeführerin legte gegen das Urteil des Amtsgerichts Rechtsbeschwerde zum Brandenburgischen Oberlandesgericht ein.

Das Amtsgericht habe ihren Beweisantrag auf Beiziehung der Rohmessdaten des verwendeten Messgeräts, um die Ordnungsgemäßheit der Messung überprüfen zu können, unzulässigerweise abgelehnt (§ 244 Abs. 2, 3 Strafprozessordnung (StPO), § 77 Abs. 2 OWiG). Diesbezüglich verweise sie auf die Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17). Danach schließe das Grundrecht auf wirksame Verteidigung in einem Bußgeldverfahren über eine Geschwindigkeitsüberschreitung ein, dass Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung einer Überprüfung überhaupt zugänglich seien. Soweit dies nicht der Fall sei, sei die Messung nicht verwertbar. Das Amtsgericht habe auf den Beweisantrag hin die Rohmessdaten beiziehen müssen. Sollten diese nicht mehr vorhanden sein, wäre die Messung nicht (mehr) zu überprüfen mit der Folge eines Beweisverwertungsverbots. Das angefochtene Urteil leide an einem Aufklärungsmangel. Die Feststellungen trügen die Verurteilung nicht. Hierauf beruhe das Urteil. Das Amtsgericht sei auch ohne den fehlerhaft abgelehnten Beweisantrag aufgrund seiner richterlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG) gehalten gewesen, die Rohmessdaten jedenfalls zugänglich zu machen, diese mithin beizuziehen. Die Beweisaufnahme habe sich von Amts wegen auf alle Beweismittel zu erstrecken, die der Sachaufklärung dienten und die Entscheidung beeinflussen könnten. Die Notwendigkeit der Beweiserhebung ergebe sich aus der genannten Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs. Die Feststellungen im Urteil beruhten auch auf der fehlerhaft unterlassenen Beweiserhebung. Aus den vorgenannten Gründen erhebe die Beschwerdeführerin auch Sachrüge. Es habe aufgrund der fehlenden Rohmessdaten ein Verwertungsverbot bestanden.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg nahm mit Schreiben vom 17. Februar 2020 Stellung. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts sei nicht begründet. Das Gericht habe den Antrag auf Einholung der Rohmessdaten in zulässiger Weise nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgewiesen. Es bestehe auch keine Veranlassung zu weiterer Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen. Die Aufklärungsrüge sei daher ebenfalls unbegründet. Auch die Sachrüge sei unbegründet. Rechtsfehler oder Fehler in der Beweiswürdigung zum Nachteil der Beschwerdeführerin seien nicht ersichtlich. Fehler in der Feststellung des Messergebnisses lägen ebenfalls nicht vor.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht verwarf die von der Beschwerdeführerin gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegte Rechtsbeschwerde mit dem ihr am 26. März 2020 zugestellten Beschluss vom 23. März 2020 ([1B] 53 Ss‑OWi 712/19 [59/20]) gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet. Zur Begründung bezog es sich auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 17. Februar 2020.

II.

Mit ihrer am 26. Mai 2020 erhobenen Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 21. Mai 2019 (23 OWi 4101 Js‑OWi 3296/19 [120/19]) sowie den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. März 2020 ([1B] 53 Ss‑OWi 712/19 [59/20]). Sie rügt eine Verletzung ihres Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz, das sie aus Art. 2 Abs. 3 und Abs. 4 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) i. V. m. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), Art. 101 Abs. 1 GG, Art. 103 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 LV und Art. 52 Abs. 4 LV herleitet.

Das Verfassungsgericht habe in Fällen der vorliegenden Art eine Verletzung des Grundrechts nur festzustellen, wenn der zuständige Richter entweder nicht erkannt habe, dass es sich um eine Abwägung widerstreitender Grundrechtsbereiche handele oder wenn seine Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des einen oder der anderen Grundrechte beruhe. Dies sei nach der Rechtsprechung der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung einer Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtige oder ein Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führe.

Daran gemessen habe das Oberlandesgericht verkannt, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes zu einem Beweisverwertungsverbot habe führen müssen. Aus dem Urteil des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17) ergebe sich, dass das Grundrecht des Betroffenen - hier der Beschwerdeführerin - auf wirksame Verteidigung in einem Bußgeldverfahren über eine Geschwindigkeitsüberschreitung einschließe, dass die erwähnten Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung einer Überprüfung überhaupt zugänglich seien. Soweit dies nicht der Fall sei, sei die Messung nicht zu verwerten. Das Amtsgericht habe daher auf Antrag des Bevollmächtigten die Rohmessdaten beiziehen müssen. Sollten diese - wie hier - tatsächlich nicht mehr vorhanden sein, wäre die streitgegenständliche Messung nicht (mehr) zu überprüfen, mit der Folge eines Verwertungsverbots. Als Befund ergebe sich, dass das angefochtene Urteil an einem Aufklärungsmangel leide. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen trügen die Verurteilung der Beschwerdeführerin nicht. Darauf habe sich die Rechtsbeschwerde gestützt. Das Oberlandesgericht habe gemeint, dass ein Verwertungsverbot nicht in Betracht komme. Es habe keine Veranlassung gesehen, sich mit den verfassungsgerichtlichen Vorgaben effektiven Rechtsschutzes auseinanderzusetzen. Dies betreffe auch die Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs.

Zwischenzeitlich habe sich auch der Verfassungsgerichtshof des Landes Rheinland‑Pfalz mit der Entscheidung vom 15. Januar 2020 (VGH B 19/19) dem Saarländischen Verfassungsgerichtshof in wesentlichen Punkten angeschlossen.

III.

Das äußerungsberechtigte Brandenburgische Oberlandesgericht hat zu dem Verfahren Stellung genommen. Es hat unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Bremen vom 6. April 2020 (1 SsRs 10/20) und vom 3. April 2020 (1 SsRs 50/19) erklärt, der Senat habe sich der - soweit ersichtlich außerhalb des Saarlandes in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte weitgehend einheitlich vertretenen - Auffassung angeschlossen, dass die Verwertbarkeit der Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens nicht von dessen nachträglicher Überprüfbarkeit anhand von aufzuzeichnenden, zu speichernden und an den Betroffenen auf Verlangen herauszugebenden Rohmessdaten abhängig sei, und durch die fehlende Reproduzierbarkeit der zum einzelnen Messwert führenden Berechnung weder der Anspruch auf ein faires Verfahren noch der auf eine effektive Verteidigung berührt werde. Das äußerungsberechtigte Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat von einer Stellungnahme abgesehen.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 GG, Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 52 Abs. 4 LV durch das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 21. Mai 2019 und den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. März 2020 geltend gemacht wird.

a. Sie genügt insofern nicht den Anforderungen an die Begründung.

Erforderlich ist nach § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg eine Begründung, welche umfassend und aus sich heraus verständlich die mögliche Verletzung der geltend gemachten Grundrechte des Beschwerdeführers hinreichend deutlich aufzeigt. Dabei ist darzulegen, inwieweit die bezeichneten Grundrechte durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein sollen und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die Entscheidung kollidiert. Dazu bedarf es einer umfassenden Aufarbeitung der einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Rechtslage. Demnach muss der Beschwerdeführer ausgehend vom Entscheidungsinhalt aufzeigen, worin der Grundrechtsverstoß aus seiner Sicht im Einzelnen liegt (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 19. November 2021 ‌‑ VfGBbg 31/20 ‑‌, Rn. 8, vom 20. August 2021 ‌‑ VfGBbg 68/20 ‑‌, Rn. 20 m. w. N., und vom 19. März 2021 ‌‑ VfGBbg 83/19 ‑‌, Rn. 10 m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Dies ist hinsichtlich der genannten Rügen nicht der Fall. Die bloße Benennung von Artikeln des Grundgesetzes genügt den genannten Erfordernissen nicht. Die Beschwerdeschrift lässt nicht erkennen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen des in der Landesverfassung inhaltsgleich zu Art. 101 Abs. 1 GG bzw. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisteten Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV) bzw. des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3, 2. Alt. LV) die angegriffenen Beschlüsse kollidieren sollen. Es fehlt bereits insgesamt an Darlegungen zu dem Inhalt dieser Gewährleistungen. Soweit die Beschwerdeführerin die fehlerhafte Rechtsanwendung des Verfahrensrechts rügt, übersieht sie, dass die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall Sache der dafür zuständigen Fachgerichte und daher der Nachprüfung durch das Verfassungsgericht grundsätzlich entzogen sind (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 19. Februar 2021 ‌‑ VfGBbg 49/20 ‑‌, Rn. 61, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Für einen davon ausgenommenen Verstoß gegen das Willkürverbot ist nichts vorgetragen. Auch im Hinblick auf Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV ist nichts ausgeführt.

b. Es kann dahinstehen, ob der Verweis auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17) als Rüge des Rechts auf ein faires Verfahren verstanden werden kann. Soweit das Vorbringen, der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes habe ausgeführt, dass das Grundrecht des Betroffenen auf wirksame Verteidigung in einem Bußgeldverfahren über eine Geschwindigkeitsüberschreitung einschließe, dass die erwähnten Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung einer Überprüfung überhaupt zugänglich seien, als hinreichende Rüge des Rechts auf ein faires Verfahren ausgelegt würde, hätte die Beschwerdeführerin insofern jedenfalls nicht dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde genügt.

Nach dem aus § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg abgeleiteten Subsidiaritätsgrundsatz hat ein Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde über die formale Erschöpfung des Rechtswegs hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten zu ergreifen, um eine etwaige Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden Verfahren zu verhindern oder zu beheben (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 19. März 2021 ‌‑ VfGBbg 11/21 ‑‌, Rn. 18, und vom 11. Dezember 2020 ‌‑ VfGBbg 84/20 ‑‌, Rn. 10, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Zwar folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Betroffenen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. Mai 2021 ‌‑ 2 BvR 868/20 ‑‌, Rn. 5, vom 28. April 2021 ‌‑ 2 BvR 1451/18 ‑‌, Rn. 5, und vom 12. November 2020 ‌‑ 2 BvR 1616/18 ‑‌, Rn. 44 ff. und Rn. 62, juris). Der Betroffene hat aber zur Wahrung des verfassungsprozessualen Grundsatzes materieller Subsidiarität seinen Anspruch auf Herausgabe bzw. Zugänglichmachung der von ihm zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens für erforderlich gehaltenen Daten grundsätzlich bereits gegenüber der Verwaltungsbehörde geltend zu machen und bei dessen Ablehnung einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 OWiG zu stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2020 ‌‑ 2 BvR 1616/18 ‑‌, Rn. 60 a. E., BayVerfGH, Entscheidung vom 13. Januar 2022 ‌‑ Vf. 61-VI-19 ‑‌, Rn. 40, juris; VerfGH RP, Beschluss vom 21. Juni 2021 ‌‑ VGH A 39/21 ‑‌, Rn. 27, juris).

Es ist nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführerin vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren einen solchen Antrag gestellt hat. Darauf hat das Amtsgericht im Urteil vom 21. Mai 2019 verwiesen. Ausweislich der Verfahrensakte hat der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin zwar Akteneinsicht genommen und moniert, dass „die Anlage zum Messprotokoll“, daneben ein Beschilderungsplan fehle, einen Zugangsanspruch zu den Rohmessdaten hat er jedoch im behördlichen Verfahren nicht geltend gemacht (vgl. zum Erfordernis der hinreichend konkreten Benennung der begehrten Informationen: BVerfG, Beschluss vom 12. November 2020 ‌‑ 2 BvR 1616/18 ‑‌, Rn. 57, VerfGH RP, Beschluss vom 13. Dezember 2021 ‌‑ VGH B 46/21 ‑‌, Rn. 48, juris).

c. Die vom Verfassungsgericht des Landes Brandenburg bisher nicht entschiedene Frage, ob das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt wird, wenn die Rohmessdaten von dem eingesetzten Messgerät von vornherein nicht gespeichert werden, stellt sich vorliegend nicht. Die Beschwerdeführerin hat weder vorgetragen, dass die Rohmessdaten vorliegend grundsätzlich nicht gespeichert worden sind, noch ist dies ersichtlich. Ausweislich der Herstellerinformationen zu dem eingesetzten Messgerät in der ausgelieferten und verfahrensgegenständlich eingesetzten Softwareversion 1.008 für das Messgerät ES 3.0 (vgl. Urteil, Seite 5 und 6) stehen seit März 2016 die Rohmessdaten unverschlüsselt zur Verfügung.

2. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, hat sie keinen Erfolg.

a. Das amtsgerichtliche Urteil hat die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 LV verletzt, indem es die Ordnungsgemäßheit des Messverfahrens unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zum standardisierten Messverfahren nicht weiter aufgeklärt hat.

Die Garantie effektiven Rechtsschutzes gewährleistet nicht nur den Zugang zu den Gerichten sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter aufgrund einer grundsätzlich umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Streitgegenstands (Beschlüsse vom 19. März 2021 ‌‑ VfGBbg 62/19 ‑‌Rn. 52 m. w. N., und vom 23. Oktober 2020 ‌‑ VfGBbg 84/19 ‑‌, Rn. 65, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Die Gerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten. Daraus folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Die fachgerichtliche Überprüfung kann die rechtsstaatlich gebotene Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten materiellen Rechte nur gewährleisten, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht (BVerfG, Beschluss vom 17. März 2021 ‌‑ 2 BvR 194/20 ‑‌, Rn. 51, vom 19. Juni 2019 ‌‑ 2 BvR 2299/15 ‑‌, Rn. 23, und vom 20. April 2017 ‌‑ 2 BvR 1754/14 ‑‌, Rn. 44, juris). Das Maß dessen, was wirkungsvoller Rechtsschutz ist, bestimmt sich entscheidend auch nach dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. April 2018 ‌‑ 2 BvR 2435/17 ‑‌, Rn. 18, juris).

Dass die Fachgerichte von einer reduzierten Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflicht der Gerichte im Fall eines standardisierten Messverfahrens ausgehen, solange sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses ergeben, ist im Grundsatz verfassungsgerichtlich nicht zu beanstanden (vgl. grundlegend: BVerfG, Beschluss vom 12. November 2020 ‌‑ 2 BvR 1616/18 ‑‌, Rn. 39 ff., juris). Der Anspruch des Betroffenen, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden, bleibt gewahrt, wenn ihm die Möglichkeit eröffnet ist, das Tatgericht im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Ermittelt der Betroffene konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses, hat das Gericht zu entscheiden, ob es sich dennoch von dem Geschwindigkeitsverstoß überzeugen kann. Entsprechend seiner Amtsaufklärungspflicht hat das Fachgericht die Korrektheit des Messergebnisses dann individuell - gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen - zu überprüfen und seine Überzeugung im Urteil darzulegen. Die Rechtsprechungspraxis zu standardisierten Messverfahren und die Ablehnungsmöglichkeiten nach § 77 Abs. 2 OWiG begrenzen insofern die Möglichkeiten der Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses unter Berufung auf die erlangten und ausgewerteten Informationen in zeitlicher Hinsicht. Zwar steht dem Betroffenen ein Zugangsrecht vom Beginn bis zum Abschluss des Verfahrens zu. Er kann sich mit den Erkenntnissen aus dem Zugang zu weiteren Informationen aber nur erfolgreich verteidigen, wenn er diesen rechtzeitig im Bußgeldverfahren begehrt. Dies ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2020 ‌‑ 2 BvR 1616/18 ‑‌, Rn. 60, juris).

Daran gemessen ist das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht hat im Urteil vom 21. Mai 2019 dargelegt, weshalb es keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung hat erkennen können und sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ausführlich im Einzelnen auseinandergesetzt.

b. Aus den genannten Gründen konnte der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. März 2020 ([1B] 53 Ss-OWi 712/19 [59/20]) die Beschwerdeführerin auch nicht dadurch in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 6 Abs. 1 LV) verletzen, dass das Oberlandesgericht der Rechtsbeschwerde den Erfolg versagt hat.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

Möller

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß