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VerfGBbg, Beschluss vom 16. Juni 2023 - VfGBbg 16/23 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 30 Abs. 1
Schlagworte: - Begründungsanforderungen
- Unterlagen
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 16. Juni 2023 - VfGBbg 16/23 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 16/23




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 16/23

VfGBbg 5/23 EA

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

N.,

Beschwerdeführerin,

wegen

Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 13. März 2023 ‌- 13 Qs 100/22 -‌; „Vollstreckungsschutz gem. § 32 I BVerfGG zur Abwehr eines schweren Nachteils“

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 16. Juni 2023

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Dr. Strauß, Dr. Finck, Heinrich-Reichow, Kirbach, Müller, Richter und Sokoll

beschlossen: 

1.    Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

2.    Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird verworfen.

 

Gründe:

A.

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer am 25. April 2023 erhobenen Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 13. März 2023 (13 Qs 100/22), mit dem ihr Antrag vom 27. Dezember 2022 auf Nachholung rechtlichen Gehörs gegen den Kammerbeschluss vom 9. Dezember 2022 kostenpflichtig als unstatthaft zurückgewiesen wurde. Nach den Gründen der angegriffenen Entscheidung hatte das Landgericht Neuruppin im zugrundeliegenden Strafverfahren wegen Subventionsbetrugs zwei sofortige Beschwerden der Beschwerdeführerin gegen Beschlüsse des Amtsgerichts Neuruppin verworfen, woraufhin diese erstmalig mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2022 die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt hatte. Nach Zurückweisung durch das Landgericht Neuruppin mit Beschluss vom 10. November 2022 wiederholte die Beschwerdeführerin ihre Anhörungsrüge mit Schriftsätzen vom 24. und 25. November 2022 und wandte sich mit einem erneuten Antrag vom 27. Dezember 2022, gerichtet auf Nachholung rechtlichen Gehörs, gegen den auf diese zweite Anhörungsrüge hin ergangenen Beschluss des Landgerichts vom 9. Dezember 2022.

In dem zugrundeliegenden Strafverfahren zum Geschäftszeichen 84 Cs 332 Js 31506/19 (355/21) habe nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin am 18. August 2022 am Amtsgericht Neuruppin eine Hauptverhandlung in Abwesenheit der Beschwerdeführerin stattgefunden, obwohl sie vor Verhandlungsbeginn einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter wegen Verweigerung der Akteneinsicht gestellt habe. Eine Belehrung über ihre Anwesenheitspflicht sei nicht erfolgt. Das Angebot eines Mitangeklagten, die Beschwerdeführerin zur Verhandlung zurückzuholen, sei nicht angenommen worden, obwohl sie sich im Gerichtsgebäude aufgehalten habe und telefonisch erreichbar gewesen sei. Eine von ihr am 18. August 2022 beantragte Gelegenheit zur Stellungnahme sei nicht gewährt worden. Eine Berufungsverhandlung am Landgericht Neuruppin am 22. März 2023 sei ihr verweigert worden, obwohl sowohl die Beschwerdeführerin als Angeklagte als auch die Vertretung der Staatsanwaltschaft anwesend gewesen seien.

Zur Begründung ihrer Verfassungsbeschwerde trägt die Beschwerdeführerin vor, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. Art. 101 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG und folglich auch Art. 101 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 33 Abs. 1 und 3 GG seien verletzt. Ihre Anträge wegen Besorgnis der Befangenheit seien zulässig und begründet gewesen. Der abgelehnte Richter des Amtsgerichts habe in eigener Sache nicht über ihre Befangenheitsanträge entscheiden dürfen, ohne sie vorher über ihre Anwesenheitspflicht zu belehren, oder hätte zumindest seine Amtshandlungen aufschieben können, um sie für die Hauptverhandlung herbeizuschaffen. Ihr sei somit auch der gesetzliche Richter entzogen worden. Mit der Entscheidung des Vorsitzenden, das Verfahren „mit einem Abtrennungsbeschluss zu garnieren“, stelle sich immanent die Frage, wozu es die Vorschriften der §§ 24 ff. der Strafprozessordnung (StPO) gebe. Durch eine strenge und missbräuchliche Handhabung der Prozessvorschriften sei ihr auch die Möglichkeit einer ordentlichen Berufung genommen worden. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes sei ihr verweigert worden und der ihr verfassungsrechtlich garantierte Rechtsweg unzumutbar verschlossen. Ziel ihrer Verfassungsbeschwerde sei die Durchführung eines ordentlichen Strafverfahrens. Sie sei zu Unrecht vom Amtsgericht Neuruppin verurteilt worden. Es bedürfe einer Zeugenvernehmung zur weiteren Sachverhaltsaufklärung.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin genügt nicht den Begründungsanforderungen der § 20 Abs. 1, § 46 VerfGGBbg. Erforderlich ist danach eine Begründung, welche umfassend und aus sich heraus verständlich die mögliche Verletzung der geltend gemachten Grundrechte des Beschwerdeführers hinreichend deutlich aufzeigt (st. Rspr., Beschlüsse vom 20. August 2021 ‌- VfGBbg 68/20 -‌, Rn. 20 m. w. N., vom 19. Juni 2020 ‌- VfGBbg 10/19 -‌, Rn. 7, und vom 19. März 2021 ‌- VfGBbg 83/19 -‌, Rn. 10 m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Dabei obliegt dem Beschwerdeführer auch, dem Verfassungsgericht alle Gesichtspunkte zu unterbreiten, die für die Beurteilung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde maßgeblich sind (st. Rspr., Beschlüsse vom 20. Mai 2021 ‌- VfGBbg 61/19 -‌, Rn. 20, und vom 9. Februar 2021 ‌- VfGBbg 15/19 -‌, Rn. 17, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). In formaler Hinsicht gehört zum Begründungserfordernis nach § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg, dass die angegriffenen Entscheidungen sowie die zugrundeliegenden Rechtsschutzanträge und andere Dokumente, ohne deren Kenntnis sich nicht beurteilen lässt, ob Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers verletzt wurden, vorzulegen oder wenigstens durch inhaltliche Wiedergabe zur Kenntnis zu bringen sind (st. Rspr., Beschlüsse vom 22. Januar 2021 ‌- VfGBbg 44/20 -‌, Rn. 20, vom 11. Dezember 2020 ‌- VfGBbg 84/20 -‌, Rn. 11, und vom 30. November 2018 ‌- VfGBbg 23/17 -‌, m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift nicht. Die Beschwerdeführerin hat die maßgeblichen, dem Strafverfahren zugrunde liegenden Entscheidungen des Amtsgerichts Neuruppin, deren Kenntnis für eine Beurteilung der geltend gemachten Rügen erforderlich ist, nicht mit der Verfassungsbeschwerde vorgelegt und auch nicht ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben. Sie hat damit weder substantiiert den Lebenssachverhalt und die Prozessgeschichte des strafrechtlichen Ausgangsverfahrens noch die Entscheidungsgründe des dem angegriffenen Beschluss zugrunde liegenden Urteils des Amtsgerichts Neuruppin in einer ihre verfassungsrechtliche Überprüfung ermöglichenden Weise mitgeteilt. Das Gleiche gilt hinsichtlich des behaupteten Berufungsverfahrens sowie der Prozessgeschichte des Beschlusses des Landgerichts Neuruppin vom 13. März 2023, insbesondere in Bezug auf die vorangegangenen Beschlüsse des Landgerichts. Vor diesem Hintergrund kann das Verfassungsgericht bereits nicht beurteilen, ob die Beschwerdeführerin die Frist des § 47 Abs. 1 Satz 2 VerfGGBbg gewahrt, den Rechtsweg im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg erschöpft und die Subsidiaritätsanforderungen gewahrt hat. Eine Überprüfung der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Rügen, insbesondere bezüglich der Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, ist dem Verfassungsgericht auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens nicht möglich.

B.

Soweit die Beschwerdeführerin darüber hinaus „Vollstreckungsschutz gem. § 32 I BVerfGG zur Abwehr eines schweren Nachteils“ beantragt, was das Gericht als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg - insoweit inhaltsgleich zu § 32 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) - auslegt, ist dieser Antrag ebenfalls gemäß § 21 Satz 1 VerfGGBbg zu verwerfen.

Das Verfassungsgericht kann gemäß § 30 Abs. 1 VerfGGBbg einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Das Gericht ist durch das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht in die Lage versetzt, die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu prüfen, da weder der konkrete Lebenssachverhalt noch die gerügten Maßnahmen nachvollziehbar beschrieben wurden.

Die Beschwerdeführerin trägt lediglich vor, gegen sie sei zu Unrecht eine Geldstrafe verhängt worden. Deswegen müsse sie freie Arbeit ableisten und könne ihren ehelichen Fürsorgepflichten nicht mehr nachkommen. Ihr Ehemann sei schwer suizidgefährdet, bedürfe einer ständigen Betreuung und Aufsicht und könne nicht allein gelassen werden. Art. 6 GG sei relevant.

Es lässt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin bereits nicht hinreichend deutlich entnehmen, worauf sich die Geldstrafe bezieht oder in welcher Höhe sie besteht. Die der Geldstrafe zugrunde liegende Entscheidung hat die Beschwerdeführerin nicht vorgelegt, nähere Ausführungen hierzu fehlen gänzlich. Auch die Prüfung der Rechtswegerschöpfung im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg im Zusammenhang mit vorangegangenen fachspezifischen Vollstreckungsschutzersuchen ist dem Verfassungsgericht mangels jeglicher Anhaltspunkte nicht möglich.

Aus den vorgenannten Gründen kommt eine Beiziehung von Akten und die Gewährung von Akteneinsicht nicht in Betracht.

C.

Die Beschlüsse sind einstimmig ergangen. Sie sind unanfechtbar.

 

 

 

Dr. Strauß

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Müller

Richter

Sokoll