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VerfGBbg, Beschluss vom 25. Oktober 2021 - VfGBbg 17/21 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 30 Abs. 1
- LV, Art. 21 Abs. 1; LV, Art. 22 Abs. 2 Satz 1; LV, Art. 77
- VAGBbg, § 15; VAGBbg, § 6 Abs. 1a
Schlagworte: - Antrag abgelehnt
- Volksbegehren
- Sandpisten
- Corona-Pandemie
- Eintragungsverfahren
- Amtseintragung
- Briefliche Eintragung
- legislative Nachbesserungspflicht
Fundstellen: - LKV 12/2021, 556 ff.
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 25. Oktober 2021 - VfGBbg 17/21 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 17/21 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 17/21 EA

In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren

  1. K.,
    ,
    ,
  2. Dr. G.,
    ,
    ,
  3. V,
    ,
    ,
  4. R.,
    ,
    ,
  5. Dr. L.,
    ,
    ,

Antragsteller,

Verfahrensbevollmächtigter               Prof. Dr. S.,
                                                                 ,
                                                                 ,

 

beteiligt:

  1. Landtag Brandenburg,
    vertreten durch die Präsidentin,
    Alter Markt 1,
    14467 Potsdam,
  2. Landesregierung Brandenburg
    - Staatskanzlei -,
    Heinrich-Mann-Allee 107,
    14473 Potsdam,
wegen

Sammlung von Unterschriften für das Volksbegehren zur Abschaffung der Erschließungsbeiträge für „Sandpisten“ auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 25. Oktober 2021

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dresen, Dr. Finck, Heinrich-Reichow, Kirbach, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

 

Gründe:

A.

Die Antragsteller begehren eine vorübergehende Erleichterung der Unterschriftensammlung für das Volksbegehren zur Abschaffung der Erschließungsbeiträge für „Sandpisten“ während der Corona-Pandemie. Insbesondere soll es möglich sein, eine Eintragung auch in nicht-amtlichen Räumen sowie auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen vorzunehmen.

I.

Der Landesabstimmungsleiter veröffentlichte im Amtsblatt für Brandenburg vom 18. August 2021 (Nr. 32, S. 680) seine Bekanntmachung vom 28. Juli 2021 über die Durchführung des Volksbegehrens zur „Volksinitiative zur Abschaffung der Erschließungsbeiträge für ,Sandpisten‘“ unter anderem mit dem folgenden Text:

Das Volksbegehren kann durch alle stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger ab dem 12. Oktober 2021 bis zum 11. April 2022 durch Eintragung in die amtlichen Eintragungslisten oder durch briefliche Eintragung auf den Eintragungsscheinen unterstützt werden. Näheres wird durch die örtlichen Abstimmungsbehörden bekannt gemacht.

§ 6 Abs. 1a Gesetz über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Volksabstimmungsgesetz - VAGBbg) bestimmt:

Werden im Falle einer Pandemie, Epidemie, Naturkatastrophe oder eines anderen vergleichbaren unvorhersehbaren und unabwendbaren Ereignisses während der Frist nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 für eine Volksinitiative die realen Möglichkeiten für die Eintragung dauerhaft und erheblich eingeschränkt, ist diese Frist auf Antrag der Vertreterinnen und Vertreter der Volksinitiative um bis zu drei Monate zu verlängern; soweit die Einschränkungen nach Satz 1 auch danach noch fortbestehen, kann ein Antrag auf Verlängerung um weitere drei Monate gestellt werden. […]

§ 15 VAGBbg regelt:

(1) Die Unterstützung des Volksbegehrens geschieht durch Eintragung in die amtlichen Eintragungslisten oder durch briefliche Eintragung auf den Eintragungsscheinen.

(2) Die Eintragung muss persönlich vollzogen werden. Wer nicht lesen kann oder wegen einer körperlichen Behinderung nicht in der Lage ist, die Eintragung in die Eintragungsliste oder die briefliche Eintragung persönlich zu vollziehen, kann sich der Hilfe einer Person seines Vertrauens (Hilfsperson) bedienen; das Nähere regelt die Volksbegehrensverfahrensverordnung.

(3) Die Landesabstimmungsleiterin oder der Landesabstimmungsleiter leitet den jeweiligen Abstimmungsbehörden den Wortlaut der Vorlage oder den mit Gründen versehenen Gesetzentwurf sowie die amtlichen Eintragungslisten, die den Gegenstand des Volksbegehrens deutlich bezeichnen müssen, bis spätestens eine Woche vor Beginn der Eintragungsfrist zu.

(4) Die Abstimmungsbehörden sind verpflichtet, die ihnen rechtzeitig zugegangenen ordnungsgemäßen Eintragungslisten innerhalb der Eintragungszeit in den amtlichen Eintragungsräumen (§ 17a Absatz 1) bereitzuhalten sowie den ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen oder Bürgermeistern von Amts wegen, den Notarinnen oder Notaren und anderen zur Beglaubigung ermächtigten Stellen auf ihre Anforderung genügend amtliche Eintragungslisten auszuhändigen sowie die Eintragungsberechtigung der unterzeichnenden Personen schnellstmöglich zu prüfen.

(5) Die Eintragung in die Eintragungslisten darf erst zugelassen werden, wenn sich die eintragungsberechtigte Person ausreichend ausgewiesen hat.

(6) Eine eintragungsberechtigte Person erhält auf Antrag bei der zuständigen Abstimmungsbehörde einen Eintragungsschein und einen Briefumschlag. Der Antrag ist von der eintragungsberechtigten Person selbst oder durch eine bevollmächtigte Person zu stellen; Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. Die Erteilung eines Eintragungsscheines kann schriftlich oder mündlich bei der Abstimmungsbehörde beantragt werden. Die Schriftform gilt auch durch E-Mail, Telefax oder durch sonstige dokumentierbare Übermittlung in elektronischer Form als gewahrt, wenn der Antrag auch den Tag der Geburt der antragstellenden Person enthält. Eine fernmündliche Antragstellung ist unzulässig.

[…]

II.

Die Antragsteller haben am 17. September 2021 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

Sie gehen davon aus, dass die Eintragung zur Teilnahme an einem Volksbegehren durch die vorherrschende SARS-CoV-2-Pandemie in einem Ausmaß erschwert sei, welches die Verfassung des Landes Brandenburg (LV) verletze.

In der Sache tragen sie vor, der Landtag habe in § 6 Abs. 1a und § 73 VAGBbg mit Bezug auf Volksinitiativen für den Fall einer Pandemie, durch welche die realen Möglichkeiten für die Eintragung dauerhaft und erheblich eingeschränkt seien, die Verlängerbarkeit der Abstimmungsfrist beschlossen. Weiterhin hätten die Koalitionsfraktionen mit Blick auf Bürgermeister- und Landratswahlen am 9. Juni 2021 einen Gesetzentwurf zur Halbierung der Anzahl der Unterstützungsunterschriften eingebracht, der damit begründet worden sei, dass während der Pandemie nur eine eingeschränkte Möglichkeit bestehe, die Rathäuser aufzusuchen. Für Volksbegehren hingegen seien die Verlängerung der Abstimmungsfrist und die Reduzierung der erforderlichen Anzahl der Unterschriften nicht möglich, da diese bereits durch die Verfassung festgelegt seien, Art. 77 Abs. 3 Satz 1 LV. Es könne daher nur Erleichterungen für die Art und Weise der Unterschriftensammlung geben. Diesbezüglich sei der Landtag jedoch untätig geblieben. Am 4. Juni 2021 sei bereits ein Gesetzentwurf eingebracht worden, der generell eine Abschaffung der Amtseintragung bei Volksbegehren vorgesehen habe, der aber in erster Lesung am 17. Juni 2021 vom Landtag Brandenburg abgelehnt worden sei.

In der Hauptsache sei eine Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung des Rechts auf politische Mitgestaltung nach Art. 21 Abs. 1 LV sowie des Rechts auf Beteiligung an Volksbegehren nach Art. 22 Abs. 2 Satz 1 LV durch die vom Gesetzgeber unterlassene Anpassung der Bestimmungen im Brandenburgischen Volksabstimmungsgesetz an die Bedingungen der Corona-Pandemie zu erheben.

In Brandenburg werde die Unterschriftensammlung für Volksbegehren durch das Erfordernis der Amtseintragung gemäß § 15 Abs. 4 und Abs. 5 VAGBbg erheblich erschwert. Die Öffnungszeiten der Rathäuser seien während der Pandemie eingeschränkt worden. In vielen Rathäusern müsse zur Eintragung ein Termin vereinbart werden. Die Antragsteller haben hierzu eine exemplarische Liste von Rathäusern vorgelegt, die für das Volksbegehren von besonderer Relevanz seien, weil es in diesen Orten viele „Sandpisten“ gebe und es deshalb eine hohe Unterstützung der Volksinitiative gegeben habe. Die Terminvereinbarung bedeute einen erheblichen persönlichen Aufwand. Es könne zu langen Wartezeiten kommen. Das sei nicht bürgerfreundlich. Bürgerfreundlich sei eine Verwaltung mit geringen Zugangshürden. Das Erfordernis der Amtseintragung sei eher geeignet, Bürger von einer Eintragung fernzuhalten. Zudem könne es trotz der Impfkampagne in den Wintermonaten wieder zu Kontaktbeschränkungen in Innenräumen kommen. Eine Unterschriftensammlung im Freien wäre leichter möglich. Wegen der Angst vor Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus könne es schwierig sein, Personen für die Werbung für das Volksbegehren zu finden.

Die briefliche Eintragung gemäß § 15 Abs. 6 und Abs. 7 VAGBbg setze die Initiative des Eintragungsberechtigten voraus, die briefliche Abstimmung zu beantragen. Im Gegensatz zur Landtagswahl würde keine Benachrichtigung über das Volksbegehren mit der Möglichkeit, die briefliche Eintragung zu beantragen, unaufgefordert an jeden eintragungsberechtigten Bürger versandt. Das „Home-Office“ zahlreicher Beschäftigter der öffentlichen Verwaltung erhöhe die Bearbeitungszeit der Anträge auf briefliche Eintragung.

Zur Eilbedürftigkeit ihres Anliegens tragen die Antragsteller vor, sie müssten vor dem 12. Oktober 2021 Dispositionen im Wert von mehreren 10.000,00 Euro für den Druck von Informationsmaterial und Plakaten treffen, die Informationen über die Art und Weise der Unterschriftensammlung enthalten sollen, und die erneut gedruckt werden müssten, sollte das Verfassungsgericht weitere Möglichkeiten der Unterschriftensammlung eröffnen. Zudem müssten die Antragsteller auch ihre begrenzten personellen Ressourcen kurzfristig anders einsetzen, sollten sie nicht mit Infoständen vor den Rathäusern zur Eintragung aufrufen müssen, sondern stattdessen Straßensammlungen von Unterschriften durchführen können.

Ergänzend tragen die Antragsteller mit Schriftsatz vom 30. September 2021 vor, am 16. September 2021 sei ein weiterer Gesetzentwurf für eine bis zum 30. Juni 2022 befristete Änderung des Volksabstimmungsgesetzes eingebracht worden, wonach bei Feststellung einer außergewöhnlichen Notlage die Sammlung von Unterschriften für ein Volksbegehren auch im Wege öffentlicher Unterschriften möglich sein sollte. Der Landtag habe den Gesetzesentwurf am 29. September 2021 nach erster Lesung abgelehnt. Die Vertreter der Mehrheitsfraktionen des Landtages hätten aus Respekt vor dem Verfassungsgericht dessen Entscheidung nicht vorgreifen wollen.

Mit weiterem Schriftsatz vom 3. Oktober 2021 führen die Antragsteller aus, der Anteil der brieflichen Eintragungen sei während der letzten vier Volksbegehren kontinuierlich auf zuletzt nur 41 % gesunken und werde somit in der Bevölkerung immer weniger gut angenommen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache sei vorliegend ausnahmsweise statthaft; würden die Antragsteller auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen werden, ginge der politische Zusammenhang mit der erfolgreichen Volksinitiative verloren. Die erneute Durchführung eines Volksbegehrens sei nicht mit der Wiederholung eines parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens vergleichbar. Zudem würden Fakten geschaffen durch vermeintlich letzte Baumaßnahmen an verschiedenen „Sandpisten“ nebst anschließender Erhebung von Erschließungsbeiträgen. Die Antragsteller meinen, es liege je nach politischer Zweckmäßigkeit sowohl durch den Landtag als auch die Landesregierung eine widersprüchliche Betrachtung der Corona-Pandemie-Situation vor.

Am 14. und 24. Oktober 2021 tragen die Antragsteller schriftsätzlich vor, die Unterschriftswilligen sähen sich seit Beginn des Volksbegehrens am 12. Oktober 2021 sowohl beim Aufsuchen der Rathäuser als auch beim Anfordern von Briefwahlunterlagen massiven Behinderungen durch die Kommunen ausgesetzt. Zum einen könnten Unterstützungswillige erst nach einer telefonischen Terminvereinbarung das Rathaus aufsuchen und stünden ansonsten vor verschlossenen Türen. Zum anderen verfügten einzelne Gemeinden aufgrund von Lieferengpässen derzeit noch nicht über entsprechende Briefeintragungsunterlagen. Auch der E-Mailverkehr bezüglich der Anforderung von Briefeintragsunterlagen funktioniere nicht ausreichend. Das Volksbegehren lebe von einer gewissen Dynamik der Kampagne, welche durch diese eklatanten organisatorischen Mängel gebrochen werde.

Die Antragsteller beantragen,

das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg möge im Wege einer einstweiligen Anordnung vorübergehend während der Dauer der Corona-Pandemie die Sammlung von Unterschriften für das Volksbegehren zur Abschaffung der Erschließungsbeiträge für „Sandpisten“ auch durch die Eintragung in Eintragungslisten oder in Einzelanträgen in amtlichen oder nicht-amtlichen Räumen sowie in anderen Örtlichkeiten, auch in der Öffentlichkeit, insbesondere auch auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen gestatten,

hilfsweise,

das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg möge feststellen, dass während der Dauer der Corona-Pandemie die Sammlung von Unterschriften für das Volksbegehren zur Abschaffung der Erschließungsbeiträge für „Sandpisten“ erheblich erschwert ist und der Landtag verpflichtet ist, für gesetzliche Erleichterungen der Unterschriftensammlung zu sorgen.

III.

Der Landtag Brandenburg und die Landesregierung Brandenburg haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Landesregierung hat mit Schriftsatz vom 28. September 2021 Stellung genommen. Der Antrag sei zu unbestimmt und ziele auf eine Vorwegnahme der Hauptsache. Bei Außervollzugsetzung einer Vorschrift sei ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Die in der Hauptsache zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre offensichtlich unbegründet. Eintragungen könnten nicht nur in den Rathäusern vorgenommen werden, sondern auch vor den ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, den Notarinnen und Notaren und anderen zur Beglaubigung ermächtigten Stellen. Es bestünde zudem die Möglichkeit der brieflichen Eintragung. Mehr als 40 % der Eintragungen bei Volksbegehren seien nach den bisherigen Erfahrungen brieflich erfolgt. Gerade unter Corona-Bedingungen sei dies die einfachste Möglichkeit.

B.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag Erfolg.

Gemäß § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Ob der Erlass einer einstweiligen Anordnung dringend geboten ist, wird nach Maßgabe einer Folgenabwägung beurteilt, es sei denn, dass sich der Antrag in der Hauptsache als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet darstellt. Ist absehbar, dass der Antrag in der Hauptsache keinen Erfolg haben kann, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht geboten (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2021 ‌‑ VfGBbg 12/21 EA ‑‌, Rn. 12 m. w. N., und vom 7. Juli 2020 ‌‑ VfGBbg 12/20 EA ‑‌, Rn. 7, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). In diesem Fall ist auch nicht in eine Folgenabwägung einzutreten (vgl. Beschluss vom 5. Mai 2021 ‌‑ VfGBbg 8/21 EA ‑‌, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Zudem ist hinsichtlich der Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts ein strenger Maßstab anzulegen, der sich bei Vorwegnahme der Hauptsache noch weiter erhöht (vgl. Beschluss vom 25. Februar 2020 ‌‑ VfGBbg 1/20 EA ‑‌, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Gemessen an diesen Vorgaben hat das Begehren der Antragsteller keinen Erfolg. Die in der Hauptsache zu erhebende Verfassungsbeschwerde stellt sich als offensichtlich unzulässig dar, weil nach dem Vortrag der Antragsteller die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ausscheidet.

Es ist nicht hinreichend erkennbar, dass die vom Gesetzgeber unterlassene Anpassung der Bestimmungen über das Eintragungsverfahren bei Volksbegehren im Brandenburgischen Volksabstimmungsgesetz an die Bedingungen der Corona-Pandemie eine Verletzung des Rechts der Antragsteller auf politische Mitgestaltung nach Art. 21 Abs. 1 LV sowie des Rechts auf Beteiligung an Volksbegehren gemäß Art. 22 Abs. 2 Satz 1 LV zu begründen vermag. Die Gestaltungsfreiheit des Landtags ist vorliegend nicht derart eingeschränkt, dass eine gesetzgeberische Handlungspflicht zu der von den Antragstellern begehrten Abweichung vom Brandenburgischen Volksabstimmungsgesetz bestünde.

Ein gesetzgeberisches Unterlassen kann vor dem Verfassungsgericht nur dann gerügt werden, wenn ein ausdrücklicher Verfassungsauftrag besteht, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenzt (vgl. Beschluss vom 17. Mai 2013 ‌‑ VfGBbg 7/13 ‑‌, m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2008 ‌‑ 2 BvR 2338/07 ‑‌, Rn. 5 m. w. N., www.bverfg.de). Nach der Rechtsprechung zu wahlrechtlichen Normen, die die Wahl- und Chancengleichheit berühren, kann eine Überprüfungs- und gegebenenfalls Änderungspflicht des Gesetzgebers entstehen, wenn die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Normen durch neue Entwicklungen in Frage gestellt wird, etwa durch eine Änderung der vom Gesetzgeber vorausgesetzten tatsächlichen oder normativen Grundlagen (BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2014 ‌‑ 2 BvE 2/13 ‑‌, Rn. 56, 57, www.bverfg.de).

Eine mit der Verfassungsbeschwerde einzufordernde legislative Nachbesserungs-pflicht kommt demnach nur dann in Betracht, wenn eine wesentliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse stattgefunden hat und sich daraus eine Prüf- und Handlungspflicht dergestalt ergibt, dass nur die von den Beschwerdeführern geforderte Handlungsoption verbleibt.

Die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen mit weitgehender Veränderung der (politischen) Kommunikation im öffentlichen Raum stellen ohne Zweifel eine wesentliche Veränderung der tatsächlichen Ausgangslage dar (vgl. für § 20 Abs. 2 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG, BVerfG, Beschluss vom 13. April 2021, ‌- 2 BvE 1/21 -‌, ‌‑ 2 BvE 3/21 -‌, www.bverfg.de).

Mit diesen Veränderungen hat sich der Gesetzgeber bereits befasst. Wie die Antragsteller darlegen, hat der Landtag eine entsprechende Anpassung der Voraussetzungen von Unterschriftensammlungen mit Blick auf Volksinitiativen vorgenommen. In Bezug auf Volksbegehren hat er hingegen den Gesetzesentwurf der Fraktion BVB/Freie Wähler zur Abschaffung der Amtseintragung (vgl. LT‑Drs. 7/3682 Neudruck) mit Beschluss vom 17. Juni 2021 abgelehnt (vgl. Plenarprotokoll 7/47, S. 43). Auch ein weiterer Gesetzesentwurf vom 16. September 2021 für eine bis zum 30. Juni 2022 befristete Änderung des Volksabstimmungsgesetzes, nach dem bei Feststellung einer außergewöhnlichen Notlage die Sammlung von Unterschriften für ein Volksbegehren auch im Wege öffentlicher Unterschriften möglich sein soll, hat der Landtag laut dem Vortrag der Antragsteller am 29. September 2021 in erster Lesung abgelehnt. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber in Bezug auf Volksbegehren, anders als bei Volksinitiativen, keinen Handlungsbedarf für den Erlass von vorübergehenden Erleichterungen der Voraussetzungen einer Unterschriftensammlung gesehen hat.

Dass die Entscheidung des Gesetzgebers, die Rechtslage trotz der geänderten Verhältnisse bestehen zu lassen, nicht mehr vom legislativen Ermessen gedeckt wäre, ist jedoch nicht ersichtlich. Eine solche Verengung der Entscheidungsspielräume zeigen die Antragsteller nicht auf und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Art. 77 LV regelt in Absatz 3 die erforderliche Zustimmung von 80.000 Stimmberechtigten zu einem Volksbegehren innerhalb von sechs Monaten und enthält darüber hinaus keinen Verfassungsauftrag an den Landesgesetzgeber zu einer bestimmten Ausgestaltung des Verfahrens bei der Durchführung von Volksbegehren. Insofern steht dem Landesgesetzgeber ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu, der seinen Ausdruck insbesondere in § 15 VAGBbg bis § 19 VAGBbg gefunden hat. Dabei hat sich der Gesetzgeber für die Amtseintragung entschieden, um auf diese Weise die Integrität des Volksabstimmungsverfahrens zu schützen.

Ohne Zweifel können die vorherrschende Corona-Pandemie sowie die in diesem Rahmen ergriffenen Schutzmaßnahmen (z. B. geänderte Öffnungszeiten der Rathäuser oder Bürgerservice nur mit Terminvereinbarung) beschränkende Wirkung für politische Aktivitäten entfalten, auch bei der Sammlung von Unterschriften für ein politisches Anliegen. Die Antragsteller legen jedoch nicht dar, dass das geltende Verfahren für die Durchführung von Volksbegehren durch die Pandemiebedingungen derart verzerrt würde, dass die Unterstützung eines solchen Begehrens übermäßig erschwert oder gar praktisch unmöglich gemacht würde (vgl. für das Kommunalwahlrecht VerfGH Berlin, Beschluss vom 17. März 2021 ‌‑ 4/21 ‑‌, Rn. 31 m. w. N., juris; StGH BW, Urteil vom 9. November 2020 ‌‑ 1 GR 101/20 ‑‌, Rn. 54, juris), wodurch dann eine Verletzung des Rechts der Antragsteller auf politische Mitgestaltung nach Art. 21 Abs. 1 LV sowie des Rechts auf Beteiligung an Volksbegehren gemäß Art. 22 Abs. 1 Satz 1 LV denkbar wäre, welche der Gesetzgeber durch ein obligatorisches legislatives Tätigwerden beseitigen müsste. Die Möglichkeit einer solchen Verletzung von verfassungsmäßig garantierten subjektiven Rechten ist aber Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde; deren tatsächliche Verletzung ist Bedingung der Begründetheit.

Der Vortrag der Antragsteller lässt nicht erkennen, inwiefern eine verfassungsrechtlich bedenkliche Erschwerung der Unterstützung des Volksbegehrens wegen der Kontaktbeschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorliegen soll. Im Gegensatz zu den Unterstützungsunterschriften für die Einzelkandidaten einer Bürgermeisterwahl, die insoweit nur bei der Wahlbehörde, bei einem ehrenamtlichen Bürgermeister, vor einem Notar oder einer anderen zur Beglaubigung von Unterschriften ermächtigten Stelle, d. h. in „Amtsstuben“, möglich ist (vgl. hierzu Beschluss vom 5. Mai 2021 ‌‑ VfGBbg 10/21 EA ‑‌, https://verfassungsgericht.brandenburg.de), besteht bei einem Volksbegehren gemäß § 15 Abs. 6 VAGBbg die Möglichkeit der brieflichen Eintragung. Hierdurch ist eine kontaktlose Unterstützung des Volksbegehrens „von zuhause aus“ möglich, ohne einen Eintragungstermin vereinbaren und persönlich eine „Amtsstube“ aufsuchen zu müssen. Auf die Möglichkeit der brieflichen Eintragung haben die Abstimmungsbehörden bereits in der Bekanntmachung hinzuweisen, vgl. § 14 Abs. 3 VAGBbg. Die formalen Anforderungen an die Beantragung der brieflichen Eintragung sind in Brandenburg niederschwellig ausgestaltet: Gemäß § 15 Abs. 6 Satz 3 und Satz 4 VAGBbg kann die Erteilung eines Eintragungsscheins schriftlich oder mündlich bei der Abstimmungsbehörde beantragt werden. Die Schriftform gilt auch durch E-Mail, Telefax oder durch sonstige dokumentierbare Übermittlung in elektronischer Form als gewahrt, wenn der Antrag auch den Tag der Geburt der antragstellenden Person enthält.

Anders als die Antragsteller meinen, ist die nach § 15 Abs. 6 und Abs. 7 VAGBbg zu erbringende niederschwellige Eigeninitiative der Eintragungsberechtigten keine unzumutbare Erschwernis bei der Ausübung des Rechts auf politische Mitgestaltung. Der Vergleich mit den Landtagswahlen vermischt die Kategorien von demokratischer Mitbestimmung und ist entsprechend unergiebig. Zudem kann eine Nutzung der Briefeintragung bei Volksbegehren durch mindestens 40 % der Unterstützer keineswegs als Indiz für die Untauglichkeit dieses Verfahrens herhalten. Nichts anderes ergäbe sich - soweit vorherrschend - aus verlängerten Bearbeitungszeiten von Anträgen auf briefliche Eintragung in Folge des „Home Office“ von Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung.

Zuletzt stellen weder eine telefonische Vorab-Terminvereinbarung für die Wahrnehmung einer persönlichen Eintragung im Rathaus noch behebbare Lieferengpässe bei der Versorgung einzelner Gemeinden mit Briefeintragungsunterlagen eine übermäßige Erschwerung bzw. Verunmöglichung der Unterstützung des Volksbegehrens dar, so dass auch der hilfsweise gestellte Antrag wegen offensichtlicher Unbegründetheit erfolglos bleibt.

Ein Eingriff in den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum durch das erkennende Gericht scheidet nach alldem aus.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar (§ 30 Abs. 3 Satz 2 VerfGGBbg).

 

 

Möller

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß