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VerfGBbg, Beschluss vom 21. Juni 2024 - VfGBbg 44/23 -

 

Verfahrensart: Organstreit
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 56 Abs. 1; LV, Art. 67 Abs. 1
- FraktG, § 1 Abs. 1; FraktG, § 16 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 36
Schlagworte: - Organstreitverfahren unzulässig
- Fraktionsgesetz
- Fraktionsmindeststärke
- Fehlende Antragsbefugnis
- Materielles Geschäftsordnungsrecht
- Autonomie des Parlaments
- Fünf-Prozent-Hürde

Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 21. Juni 2024 - VfGBbg 44/23 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 44/23




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 44/23

In dem Organstreitverfahren

1.      Fraktion BVB Freie Wähler
im Landtag Brandenburg,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

2.      Ilona Nicklisch
Mitglied des Landtags,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

3.      Matthias Stefke
Mitglied des Landtags,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

4.      Péter Vida
Mitglied des Landtags,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

5.      Christine Wernicke
Mitglied des Landtags,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

Antragsteller,

Verfahrensbevollmächtigter               Prof. Dr. S.,


gegen

1.      Präsidentin des Landtags Brandenburg,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

Antragsgegnerin zu 1.,

Verfahrensbevollmächtigter:              Jun.-Prof. Dr. M.,

 

2.      Landtag Brandenburg,
vertreten durch die Präsidentin,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

Antragsgegner zu 2.,

Verfahrensbevollmächtigter:              Jun.-Prof. Dr. M.,

 

 

beteiligt:

Landesregierung Brandenburg
- Staatskanzlei -,
Heinrich-Mann-Allee 107,
14473 Potsdam,

wegen            Fraktionsstatus der BVB / FREIE WÄHLER im Landtag Brandenburg

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 21. Juni 2024

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Finck, Heinrich-Reichow, Dr. Koch, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

Die Anträge werden verworfen.


Gründe:

A.

Die Antragsteller, die Fraktion BVB / FREIE WÄHLER im Landtag Brandenburg und vier Abgeordnete des Landtags Brandenburg, wenden sich im Wege des Organstreitverfahrens dagegen, seit dem Austritt eines Abgeordneten aus ihrer vormals aus fünf Mitgliedern bestehenden Fraktion nicht mehr als Fraktion bzw. als fraktionsangehörige Abgeordnete behandelt zu werden. Sie sehen sich dadurch in ihren Rechten aus Art. 67 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) und aus Art. 56 LV verletzt.

I.

Die Antragsteller zu 2. bis 5. sind Mitglieder des Landtags Brandenburg. Nachdem die Liste BVB / FREIE WÄHLER bei den Landtagswahlen 2019 landesweit 5,04 Prozent der Zweitstimmen erreicht hatte, bildeten die Antragsteller zu 2. bis 5. zusammen mit dem Abgeordneten Dr. Zeschmann im Landtag die Fraktion BVB / FREIE WÄHLER, die Antragstellerin zu 1.

Am 6. November 2023 erklärte der Abgeordnete Dr. Zeschmann seinen Austritt aus der Antragstellerin zu 1. Die Antragsgegnerin zu 1. teilte daraufhin mit Schreiben vom 7. November 2023 dem Fraktionsvorsitzenden, dem Antragsteller zu 4. mit, sie sehe sich gehalten, ihn auf die mit dem Fraktionsaustritt des Abgeordneten Dr. Zeschmann verbundenen Rechtsfolgen hinzuweisen. Da nicht mehr die durch § 1 Abs. 1 Satz 1 Gesetz über die Rechtsstellung und die Finanzierung von Fraktionen und Gruppen im Landtag Brandenburg (Fraktionsgesetz - FraktG) geforderte Mitgliederstärke von fünf Mitgliedern erreicht werde, sei mit dem Wirksamwerden des Austritts des Abgeordneten der Fraktionsstatus gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 FraktG erloschen.

Sie führte aus, der Landesgesetzgeber habe auf der Grundlage seiner ihm durch Art. 67 Abs. 1 Satz 5 LV eingeräumten Befugnis im Einklang mit Art. 67 LV für die Bildung einer Fraktion (fünf Mitglieder) die im Wahlrecht geltende Sperrklausel von fünf Prozent in Bezug auf die Mindestfraktionsstärke gespiegelt. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG, auf dessen Grundlage eine Fraktion ausnahmsweise mit vier Abgeordneten gebildet werden könne, sei für den Fall der Antragstellerin zu 1., die bis zum Austritt aus fünf Mitgliedern bestanden habe, nicht einschlägig. Die Bildung einer Fraktion mit nur vier Mitgliedern sei gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG ausnahmsweise dann möglich, wenn trotz Überschreitens der Fünf-Prozent-Sperrklausel bei der Zahl der Zweitstimmen für eine Landesliste im Rahmen der Verteilung der Stimmen auf die Mandate nur vier Mandate errungen würden. Dies sei nur unter extremen Bedingungen rechnerisch denkbar. Die in § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG formulierten Bedingungen für die ausnahmsweise Bildung einer Fraktion mit nur vier Mitgliedern hätten zum Zeitpunkt der Gründung der Fraktion der BVB / FREIE WÄHLER im September 2019 nicht vorgelegen. Die Fraktion sei seinerzeit auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG gebildet worden. Auf den Fall des Austritts eines Mitglieds aus einer nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG mit einer Mitgliederzahl von fünf Mitgliedern gebildeten Fraktion sei § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG weder direkt noch entsprechend anwendbar.

Die in dem Schreiben der Antragsgegnerin zu 1. angesprochenen Vorschriften lauten auszugsweise wie folgt:

§ 1 
Bildung

(1) Fraktionen sind Vereinigungen von mindestens fünf Mitgliedern des Landtages, die derselben Partei, politischen Vereinigung oder Listenvereinigung angehören oder von derselben Partei, politischen Vereinigung oder Listenvereinigung als Wahlbewerberinnen oder Wahlbewerber aufgestellt worden sind. Erhält eine Partei, politische Vereinigung oder Listenvereinigung bei der Landtagswahl mindestens 5 Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen, ohne die für fünf Mitglieder notwendige Zweitstimmenanzahl zu erreichen, kann eine solche Fraktion abweichend von Satz 1 auch aus vier Mitgliedern bestehen. (…)

(…)

§ 16
Wegfall der Rechtsstellung

(1) Die Rechtsstellung nach § 2 entfällt

1.    bei Erlöschen des Fraktionsstatus,

2.    bei Auflösung der Fraktion,

3.    mit dem Ende der Wahlperiode.

(…)

II.

Mit einem am 13. November 2023 eingegangenen Schriftsatz haben die Antragsteller ein Organstreitverfahren eingeleitet, welches zunächst nur gegen die Antragsgegnerin zu 1. gerichtet war.

Sie tragen darin im Wesentlichen vor, der Antrag sei begründet, weil das von der Antragsgegnerin zu 1. angenommene Erlöschen des Status der Antragstellerin zu 1. als vollwertige Fraktion gegen deren Recht aus Art. 67 LV verstoße und die Antragsteller zu 2. bis 5. in ihrem aus dem freien Mandat, Art. 56 LV, fließenden Recht auf Zusammenschluss und Mitwirkung in einer Fraktion verletze.

Nach dem Austritt des Abgeordneten Dr. Zeschmann weise die Antragstellerin zu 1. auch mit vier Mitgliedern noch eine hinreichende Anzahl an Mitgliedern auf. Art. 67 LV sei nicht zu entnehmen, dass eine Fraktion stets aus fünf Mitgliedern bestehen müsse, die Regelung formuliere keine ausdrückliche verfassungsrechtliche Untergrenze.

Das Fraktionsgesetz habe bis zur Anhebung der notwendigen Mitgliederzahl auf fünf durch das Gesetz zur Änderung des Fraktionsgesetzes vom 24. März 2015 (GVBl.I/15, [Nr. 7]) über 21 Jahre unverändert vier Abgeordnete für die Bildung einer Fraktion ausreichen lassen. Unter dieser vormaligen Regelung sei es auch einmal zu einer Fraktion mit nur vier Mitgliedern gekommen, ohne dass es Hinweise für eine mangelnde Funktionsfähigkeit des Landtags gegeben habe. Weder sei die Fraktionsarbeit noch die des Parlaments zum Erliegen gekommen.

Die derzeit geltende Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG, wonach eine Fraktion ausnahmsweise auch nur aus vier Mitgliedern bestehen könne, müsse für die Antragstellerin zu 1. Anwendung finden. Bei verfassungskonformer Auslegung im Lichte des Art. 67 LV sei ein Erst-Recht-Schluss (argumentum a minore ad maius) dahin geboten, dass der Antragstellerin zu 1. der Fraktionsstatus auch mit nur vier Mitgliedern zuzubilligen sei. Eine Fraktion, die mehr Zweitstimmen als fünf Prozent erzielt habe und auf die - wie bei der Antragstellerin zu 1. - ursprünglich fünf Abgeordnetensitze im Landtag entfallen seien, dürfe nicht schlechter behandelt werden als eine Fraktion, die trotz eines Zweitstimmenanteils von fünf Prozent wegen Wahlsystembesonderheiten von vornherein nur vier Abgeordnete umfasst habe.

Die Antragsgegnerin zu 1. könne sich nicht darauf berufen, dass die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG nur für einen bestimmten, mathematisch besonderen Ausnahmefall geschaffen worden sei. Bei der Beurteilung, ob der Zusammenschluss von Abgeordneten zu einer Fraktion „im Sinne der Strukturierung der Parlamentsarbeit“ liege, seien gleichmäßige und nachvollziehbare Kriterien anzulegen. Der Gesetzgeber habe mit § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG deutlich gemacht, dass vier Abgeordnete als Mindestgröße weiterhin ausreichten, um eine parlamentarische Zersplitterung zu vermeiden und eine zahlenmäßig abbildbare Mitwirkung in den Ausschüssen und Gremien zu gewährleisten.

Die Antragsteller meinen, auch bei der Lesart der Antragsgegnerin zu 1. könne die „Punktlandung“ auf vier Abgeordnete seit Legislaturbeginn kein verfassungsrechtlich angemessenes Kriterium zur Ausprägung bzw. Einschränkung der aus Art. 67 LV erwachsenden Rechte sein.  

Bei der Auslegung des § 1 FraktG sei der Sinn des Art. 67 Abs. 1 LV zu berücksichtigen. Art. 67 Abs. 1 LV bezwecke, die Parlamentsarbeit durch Fraktionen zu strukturieren. Einerseits sei den Abgeordneten zu ermöglichen, sich mit anderen Abgeordneten der gleichen politischen Ausrichtung in einer gemeinsamen Fraktion zusammenzuschließen, um ihre politische Wirksamkeit zu erhöhen. Andererseits solle der Landtag nicht durch die Bildung so zahlreicher Fraktionen zersplittert werden, dass die parlamentarische Arbeit ungebührlich erschwert werde.

Aus den genannten Gründen habe die Antragsgegnerin zu 1. das Recht der Antragsteller zu 2. bis 5. aus Art. 56 LV, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen, verletzt, das auch beinhalte, in einer bereits bestehenden Fraktion zu verbleiben.

III.

Mit ihrem das Organstreitverfahren einleitenden Schriftsatz haben sich die Antragsteller zunächst nur gegen die Antragsgegnerin zu 1. gewendet und beantragt,

festzustellen, dass die Antragsgegnerin zu 1. die Rechte der Antragsteller aus Art. 67 LV und Art. 56 LV dadurch verletzt hat, dass sie die Antragstellerin zu 1. nach dem Austritt des Abgeordneten Dr. Zeschmann nicht mehr als vollwertige Fraktion behandelt hat, sondern vom Erlöschen des Fraktionsstatus ausgegangen ist.

Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2023 haben die Antragsteller den Antrag auf den Antragsgegner zu 2. erweitert und beantragen ferner,

festzustellen, dass der Antragsgegner zu 2., vertreten durch die Antragsgegnerin zu 1., die Rechte der Antragsteller aus Art. 67 LV und Art. 56 LV dadurch verletzt hat, dass er die Antragstellerin zu 1. nach dem Austritt des Abgeordneten Dr. Zeschmann nicht mehr als vollwertige Fraktion behandelt hat, sondern vom Erlöschen des Fraktionsstatus ausgegangen ist.

Zur Begründung der Antragserweiterung nehmen die Antragsteller auf die Antragsschrift Bezug.

IV.

Die Antragsgegner beantragen,

1.   den Antrag, soweit er gegen die Antragsgegnerin zu 1. gerichtet ist, zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen und

2.   den Antrag, soweit er gegen den Antragsgegner zu 2. gerichtet ist, zurückzuweisen.

Der Antrag sei unzulässig, soweit er gegen die Antragsgegnerin zu 1. gerichtet sei. Es fehle an einem spezifischen Verfassungsrechtsverhältnis, da die Antragsgegnerin zu 1. beim Vollzug des Fraktionsgesetzes nicht als Teil des Verfassungsorgans Landtag, sondern als Verwaltungsbehörde tätig werde. Die Anerkennung als Fraktion liege zudem nicht in der eigenen Kompetenz der Antragsgegnerin zu 1., sondern in der des Landtags, der darüber im Fraktionsgesetz autonom entschieden habe.

Der Antrag gegen den Antragsgegner zu 2. sei unbegründet. Durch die Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG mit der Rechtsfolge des Erlöschens des Fraktionsstatus (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 FraktG) würden weder die Antragstellerin zu 1. in ihren Rechten aus Art. 67 Abs. 1 LV noch die Antragsteller zu 2. bis 5. in ihren Rechten aus Art. 56 Abs. 1 LV verletzt.

Der Antragsgegner zu 2. wende das Fraktionsgesetz im Rahmen seiner autonomen Selbstorganisation an. Die verfassungsgerichtliche Überprüfung sei daher eingeschränkt. Orientiert am Grundsatz der fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung und an den anerkannten Auslegungsmethoden könne das Verfassungsgericht nur überprüfen, ob die Anwendung evident sachwidrig sei.

Für eine evident sachwidrige Anwendung des Fraktionsgesetzes durch den Antragsgegner zu 2. sei nichts ersichtlich. Das Erlöschen des Fraktionsstatus sei vielmehr die gesetzliche Rechtsfolge des Unterschreitens der Mindeststärke nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG, wonach eine Fraktion nur von fünf Mitgliedern des Landtags gebildet werden könne. § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG sei auf die Antragstellerin zu 1. weder unmittelbar noch im Wege eines Erst-Recht-Schlusses anwendbar. Die Tatbestandsvoraussetzungen seien nicht erfüllt. Das von den Antragstellern vorgebrachte „argumentum a minore ad maius" widerspreche dem Regelungszweck des § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG, der ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs nur eine äußerst seltene Ausnahmekonstellation bei der Mandatsverteilung erfassen solle. Bei der Festlegung der Mindestfraktionsstärke sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass eine Partei, die mehr als fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen erringe, im Regelfall auch mindestens fünf Mandate erhalte, so dass die wahlrechtliche und die parlamentarische Relevanz übereinstimmten. Seine Intention sei eine Spiegelung der wahlrechtlichen Sperrklausel durch die Mindestfraktionsstärke gewesen. Er habe jedoch erkannt, dass es in seltenen Ausnahmekonstellationen dazu kommen könne, dass auf eine Liste, die mehr als fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen erhalten habe, nicht zugleich fünf Mandate entfielen. Mit § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG habe er ausschließlich diesen Ausnahmefall des Auseinanderfallens von wahlrechtlicher und parlamentarischer Relevanz verhindern wollen und daher - konsequent orientiert an der wahlrechtlichen Fünf-Prozent-Hürde - ausnahmsweise vier Mandate für die Fraktionsbildung genügen lassen. Die Vorschrift sei keinem Erst-Recht-Schluss zugänglich.

§ 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG könne aufgrund seines auf einen besonderen Ausnahmefall ausgerichteten Regelungszwecks auch nicht analog auf die Situation der Antragstellerin zu 1. angewendet werden. Es fehle bereits eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz, darüber hinaus seien die Interessenlagen nicht vergleichbar.

Die Rechtslage nach dem Fraktionsgesetz sei eine zulässige Ausgestaltung des Art. 67 LV. Der Gesetzgeber werde durch Art. 67 Abs. 1 Satz 5 LV ermächtigt, die verfassungsrechtlich gewährleistete Institution der Fraktionen auszugestalten. Zu dieser Ausgestaltung gehöre auch die Festlegung der Fraktionsmindeststärke, die in Art. 67 Abs. 1 Satz 1 LV offengelassen werde. Ihre Grenze finde die Ausgestaltungsbefugnis nach Art. 67 Abs. 1 Satz 5 LV in den Statusrechten der Abgeordneten nach Art. 56 Abs. 1 LV, insbesondere dem Recht, Fraktionen zu bilden. Diese Statusrechte würden aber wiederum durch den Schutzzweck des Art. 67 Abs. 1 LV begrenzt, wobei der Gesetzgeber einen Ausgleich herzustellen habe. Durch die Bildung von Fraktionen sollten nicht nur die Statusrechte der Abgeordneten verwirklicht, sondern zugleich Funktionsfähigkeit und Responsivität des Parlaments optimiert werden. Bei der Ausgestaltung des Fraktionsrechts dürfe und müsse der Gesetzgeber auch berücksichtigen, unter welchen Voraussetzungen die Fraktionsbildung mit der Institutionsgarantie des Art. 67 Abs. 1 LV in Einklang stehe, d. h. welche Anforderungen an Zusammenschlüsse von Abgeordneten zu stellen seien, damit sie ihre Funktionen nach Art. 67 Abs. 1 Satz 2 LV erfüllen könnten und nicht umgekehrt den Parlamentsbetrieb behinderten. Die Festlegung dieser Anforderungen liege in der Autonomie des Gesetzgebers, deren Grenze erst überschritten werde, wenn das Recht der Abgeordneten zur Fraktionsbildung aus Art. 56 Abs. 1 LV substantiell infrage gestellt werde.

Von einer solchen substantiellen Infragestellung der Abgeordnetenrechte durch § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG könne nicht die Rede sein. Vielmehr liege für die Festlegung der Mindeststärke ein tragfähiger Grund vor - die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments. Auch in ihrer Höhe sei die Mindeststärke angemessen. Sie orientiere sich am wahlrechtlichen Relevanzkriterium der Fünf-Prozent-Hürde, dem Standard des deutschen Parlamentsrechts.

§ 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 FraktG liege auch ein kohärentes Regelungskonzept zugrunde. Die Anhebung der Mindeststärke von Fraktionen von vormals vier auf fünf Mitglieder sei im Zuge der Einführung des Gruppenstatus erfolgt. Das Anliegen des Gesetzesentwurfs sei gewesen, die zentrale Stellung der Fraktionen in der parlamentarischen Willensbildung nicht durch die Schaffung eines neuen (gleich-)starken Akteurs zu relativieren, dies sei nicht zu beanstanden. Mit dem Heraufsetzen der Fraktionsmindeststärke auf fünf Abgeordnete habe der Gesetzgeber den Abstand zwischen Gruppen und Fraktionen auch in den Bildungsvoraussetzungen reflektiert. Dabei habe er nicht auf eine willkürliche Zahl zurückgegriffen, sondern sich an einem im deutschen Parlamentsrecht bewährten Kriterium orientiert: der Fünf Prozent-Hürde des Wahlrechts.

V.

Die Landesregierung Brandenburg hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

VI.

Einen am 13. November 2023 gestellten Antrag der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Verfassungsgericht mit Beschluss vom 15. Dezember 2023 (VfGBbg 16/23 EA) abgelehnt.  

Zur Begründung hat das Verfassungsgericht ausgeführt, dass auf der Grundlage des Vortrags der Antragsteller erhebliche Zweifel in Bezug auf die Zulässigkeit des Hauptsacheantrags bestünden. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die Passivlegitimation der Antragsgegnerin zu 1. Richtiger Antragsgegner im Organstreit sei derjenige, der die beanstandete Maßnahme zu verantworten habe. Es sei aber Sache des Landtags - des Antragsgegners zu 2. -, nicht der Landtagspräsidentin - der Antragsgegnerin zu 1. -, im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie zu konkretisieren, auf welche Weise seine Mitglieder an der parlamentarischen Willensbildung mitwirken. Auch obliege dem Landtag die Prüfungspflicht, ob die im Fraktionsgesetz festgelegten Voraussetzungen der Fraktionsbildung oder des Verlusts des Fraktionsstatus vorliegen.

Dem Erlass der einstweiligen Anordnung stehe jedenfalls die offensichtliche Unbegründetheit des Antrags in der Hauptsache entgegen. Die Auslegung, dass die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG i. V. m. § 16 Abs. 1 Nr. 1 FraktG vorlägen und die Antragstellerin zu 1. deshalb durch Nichterreichen der Mindeststärke von fünf Mitgliedern des Landtags infolge des Austritts eines Abgeordneten aus der Fraktion erloschen sei, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Bedenken ergäben sich insbesondere nicht daraus, dass § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG weder unmittelbar noch analog auf die Antragstellerin zu 1. Anwendung gefunden habe. Auch dies sei weder evident sachwidrig noch sei damit eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Differenzierung verbunden.

B.

Die Anträge bleiben ohne Erfolg. Sie sind unzulässig.

I.

Der gegen die Antragsgegnerin zu 1. gerichtete Antrag ist unzulässig. Das Verfassungsgericht entscheidet nach Art. 113 Nr. 1 LV über die Auslegung der Verfassung des Landes Brandenburg aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Landesorgans oder anderer Beteiligter, die durch die Landesverfassung oder in der Geschäftsordnung des Landtags oder der Landesregierung mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Zwar sind die Antragsteller beteiligtenfähig im Organstreitverfahren (hierzu unter 1.). Doch ist das Schreiben der Antragsgegnerin zu 1. vom 07. November 2023 kein geeigneter Antragsgegenstand (hierzu unter 2.). Auch ist die Landtagspräsidentin nicht die richtige Antragsgegnerin (hierzu unter 3.).

1. Die Antragsteller sind beteiligtenfähig im Organstreitverfahren.

a. Eine Fraktion im Landtag ist ein von der Verfassung anerkannter Teil des Verfassungsorgans Landtag und gemäß Art. 113 Nr. 1 LV, § 12 Nr. 1, § 35 VerfGGBbg in Organstreitigkeiten beteiligtenfähig (vgl. Lieber, in: Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, 2012, Art. 67, Anm. 1.). Ihre Beteiligtenfähigkeit wird nicht dadurch infrage gestellt, dass sie infolge des Austritts eines Abgeordneten die in § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG bestimmte Mindestfraktionsstärke nicht mehr erreicht, denn Gegenstand des Organstreitverfahrens ist gerade das Fortbestehen ihres Fraktionsstatus angesichts des Austritts des Abgeordneten. Würde einem sich gegen den Verlust seiner Rechtsstellung wehrenden Organ im Organstreitverfahren die Beteiligtenfähigkeit von vornherein abgesprochen, wäre Rechtsschutz praktisch nicht mehr zu erlangen. Eine derartige Beschränkung verfassungsgerichtlicher Kontrolle würde der hervorgehobenen Bedeutung der Fraktion in der Landesverfassung und der ihr zugewiesenen Rechte nicht gerecht. Die Antragstellerin zu 1. ist für das Organstreitverfahren insofern als fortbestehend zu behandeln (Beschluss vom 15. Dezember 2023 - VfGBbg 16/23 EA -, Rn. 34 m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

b. Die Antragsteller zu 2. bis 5. sind als Abgeordnete, die sich in ihrem freien Mandat dadurch verletzt sehen, dass ihnen eine Fortsetzung ihres Zusammenwirkens in einer Fraktion verwehrt ist, beteiligtenfähig. Jeder einzelne Abgeordnete ist berechtigt, gegen Maßnahmen, die seine verfassungsmäßig gewährleistete Rechtsstellung als Abgeordneter beeinträchtigen, das Verfassungsgericht anzurufen (Beschluss vom 15. Dezember 2023 - VfGBbg 16/23 EA -, Rn. 35 m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

2. Die Antragsteller haben als Antragsgegenstand in Bezug auf die Antragsgegnerin zu 1. deren Schreiben vom 7. November 2023 genannt, mit dem diese der Antragstellerin zu 1. mitgeteilt habe, dass der Fraktionsstatus durch den Austritt des Abgeordneten Dr. Zeschmann erloschen sei. Hierbei handelt es sich bereits nicht um eine Maßnahme, die zum Gegenstand eines Organstreitverfahrens gemacht werden kann.

Der Begriff der Maßnahme ist weit auszulegen, von ihm sind neben Rechtsakten auch Realakte umfasst (BVerfG, Urteil vom 22. September 2015 ‌‑ 2 BvE 1/11 -‌, Rn. 59 m. w. N.; juris). Als rechtserhebliche Maßnahme im Sinne von § 36 Abs. 1 VerfGGBbg kommt jedes Verhalten des Antragsgegners in Betracht, das geeignet ist, die Rechtsstellung der Antragsteller zu beeinträchtigen (Urteil vom 23. Oktober 2020 - VfGBbg 55/19 -, Rn. 247, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Das von den Antragstellern angesprochene Schreiben der Antragsgegnerin zu 1. vom 7. November 2023 wirkt sich indes selbst nicht auf die Rechtsstellung der Antragsteller aus. Die von ihnen gerügte Rechtsfolge - das Erlöschens des Fraktionsstatus bei Unterschreiten der Fraktionsmindeststärke - ergibt sich direkt aus dem Fraktionsgesetz und bedarf keines weiteren Umsetzungsaktes der Landtagspräsidentin (vgl. Lieber, in: Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, 2012, Art. 67, Anm. 4.1.). Als ein solcher Umsetzungsakt ist das Schreiben der Präsidentin des Landtags im Übrigen auch nicht auszulegen, vielmehr macht die Antragsgegnerin zu 1. darin lediglich auf die von Gesetzes wegen vorgesehenen Rechtsfolgen aufmerksam und weist auf diese hin. Eine konkrete der Antragsgegnerin zu 1. zurechenbare Maßnahme vermag das Verfassungsgericht diesem Schreiben nicht zu entnehmen (so bereits Beschluss vom 15. Dezember 2023 ‌‑ VfGBbg 16/23 EA -‌, Rn. 48, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

3. Die Antragsgegnerin zu 1. ist nicht die richtige Antragsgegnerin. Das Verfassungsgericht darf gegenüber einem Antragsgegner nur dann zur Sache erkennen, wenn dieser passiv prozessführungsbefugt ist. Das setzt voraus, dass der Antragsgegner die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung verursacht hat und für sie die „rechtliche Verantwortung“ trägt (vgl. Beschluss vom 21. Dezember 2012 ‌‑ VfGBbg 38/12 -, Urteil vom 22. Juli 2016 - VfGBbg 70/15 -, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Diese Voraussetzungen liegen in Bezug auf die Antragsgegnerin zu 1. nicht vor. Der Landtagspräsidentin kommt nicht die Rechtsmacht zu, über den Fortbestand einer Fraktion zu entscheiden.

II.

Der gegen den Antragsgegner zu 2. gerichtete Antrag ist ebenfalls unzulässig.

1. Den Antragstellern fehlt die nach § 36 Abs. 1 VerfGGBbg notwendige Antragsbefugnis.

Gemäß § 36 Abs. 1 VerfGGBbg ist der Antrag im Organstreitverfahren nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch die Verfassung übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Der Vortrag des Antragstellers muss die Verletzung der geltend gemachten verfassungsmäßigen Rechte schlüssig darlegen und als möglich erscheinen lassen (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2020 ‌‑ VfGBbg 9/19 ‑,‌ Rn. 71 m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Die das Verfahren einleitenden Anträge sind dabei so zu begründen, dass die mögliche Verletzung der Rechte der Antragsteller aufgezeigt und die dem Antragsgegner zuzuordnenden, rechtserheblichen Maßnahmen benannt werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Juli 1998 ‌‑ 2 BvE 2/98 ‑,‌ BVerfGE 99, 19, 30 f., www.bverfg.de). Mit der Begründung müssen daher neben einem substantiierten Vortrag des entscheidungserheblichen Sachverhalts die wesentlichen rechtlichen Erwägungen unter Berücksichtigung einschlägiger verfassungsrechtlicher Rechtsprechung dargelegt werden, um dem Gericht eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Begehren zu ermöglichen. Stehen, wie im Regelfall des Organstreitverfahrens, Rechtsfragen im Vordergrund, ist eine Auseinandersetzung mit diesen erforderlich. Der Antragsteller darf sich nicht auf den Gedanken des iura novit curia zurückziehen (vgl. Beschluss vom 16. Februar 2024 - VfGBbg 41/22 -, Rn. 107; Urteil vom 22. Juli 2016 ‌‑ VfGBbg 70/15 ‑,‌ https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de, m. w. N.).

a. Der Schwerpunkt des antragstellerseitig gerügten Verhaltens des Antragsgegners zu 2. liegt hier in einem Unterlassen. Hierfür spricht maßgeblich, dass die Antragsteller verlangen, dass die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG auf sie analog Anwendung finden soll. Darin liegt der Kern ihres Begehrs. Dadurch, dass der Landtag Brandenburg diese Vorschrift, welche dem materiellen Geschäftsordnungsrecht zuzuordnen ist (vgl. bereits Beschluss vom 15. Dezember 2023 ‌‑ VfGBbg 16/23 EA ‑‌, Rn. 48 m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de), nicht auf die Antragsteller anwendet, unterlässt er eine Handlung. Die Antragsteller äußern nicht, dass sie § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG in der gegenwärtig geltenden Fassung für verfassungswidrig halten. Vielmehr legen sie in ihrer Begründung dar, dass sie die Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG auf sich selbst in diesem Fall für geboten erachten. Sie verlangen, dass § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG auf Grund eines Erst-Recht-Schlusses („argumentum a minore ad maius") auf sie Anwendung finden soll, damit Fraktionen, welche sich ursprünglich aus fünf Abgeordneten gebildet haben, nicht schlechter gestellt werden als solche, für die die Sonderregelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG bereits beim erstmaligen Zusammentreten des Landtags habe angewendet werden können.

Wird - wie hier - im Kern das Unterlassen einer Maßnahme gerügt, ist zu beachten, dass ein solches nur dann rechtserheblich ist, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Antragsgegner zu der unterlassenen Handlung von Verfassungs wegen verpflichtet ist (vgl. Beschluss vom 16. Februar 2024 ‌‑ VfGBbg 41/22 -‌, Rn. 143, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Die Möglichkeit, dass eine solche Verpflichtung besteht, ist unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt gegeben. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Antragsteller durch das Unterlassen des Antragsgegners zu 2. in ihren verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 56 Abs. 1 LV und Art. 67 Abs. 1 LV verletzt worden sein könnten.

b. Das Verfassungsgericht hat bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die das Gericht bei der Beurteilung der Begründetheit der Organklage in der Hauptsache leitenden, wesentlichen Gesichtspunkte aufgezeigt und herausgestellt, dass die Anwendung der Geschäftsordnung - hier des Fraktionsgesetzes als materielles Geschäftsordnungsrecht - durch den Landtag bzw. durch seine hierzu berufenen Organe nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt (Beschluss vom 15. Dezember 2023 ‌- VfGBbg 16/23 EA -‌, Rn. 60 ff., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Es liegt in erster Linie in der Verantwortung des Landtags zu konkretisieren, auf welche Weise seine Mitglieder an der parlamentarischen Willensbildung mitwirken; hierbei kommt dem Landtag ein weiter Gestaltungsspielraum zu (Beschluss vom 15. Dezember 2023 - VfGBbg 16/23 EA -, Rn. 59 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Ausgangspunkt der verfassungsgerichtlichen Überprüfung einer Geschäftsordnungsbestimmung ist deshalb zunächst die Auslegung der Regelung, die sie durch den Landtag erfahren hat (vgl. Beschluss vom 15. Dezember 2023 ‌‑ VfGBbg 16/23 EA ‑‌, Rn. 61; Urteil vom 6. September 2023 ‌‑ VfGBbg 78/21 ‑‌, Rn. 103, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Verstößt diese Auslegung nicht gegen den Grundsatz der fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung, ist zu prüfen, ob ein damit verbundener Eingriff in das Recht der Abgeordneten auf gleichberechtigte Mitwirkung an der parlamentarischen Willensbildung verfassungsrechtlich ausreichend legitimiert ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. März 2022 ‌‑ 2 BvE 2/20 ‑‌, BVerfGE 160, 368-410, Rn. 63, juris). Entscheidend ist, ob die von der Antragsgegnerin zu 1. zugrunde gelegte Auslegung, die der Antragsgegner zu 2. zu teilen scheint, vertretbar erscheint. Es kommt nicht darauf an, ob diese Auslegung die einzig vertretbare Möglichkeit einer Auslegung dieser Norm darstellt (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. März 2022 ‌‑ 2 BvE 2/20 ‑‌, BVerfGE 160, 368-410, Rn. 93, juris).

c. Das Verfassungsgericht sieht keine Hinweise für eine mit dem Grundsatz der fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung nicht im Einklang stehende Anwendung der Regelungen in § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Fraktionsgesetzes. Eine evident sachwidrige Handhabung des Erfordernisses der Fraktionsmindeststärke und der darin zum Ausdruck kommenden Auslegung des Fraktionsgesetzes durch den Antragsgegner zu 2. ist nicht erkennbar.

aa. Das Unterlassen des Antragsgegners zu 2., die Antragsteller weiterhin als Fraktion bzw. fraktionsangehörige Abgeordnete zu behandeln, ist vom Wortlaut des Fraktionsgesetzes gedeckt.

§ 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG sieht als Untergrenze für die Bildung einer Fraktion fünf Mitglieder des Landtags vor. Diese Fraktionsmindeststärke gilt grundsätzlich für alle Fraktionen gleichermaßen. Durch den Austritt des Abgeordneten Dr. Zeschmann hat die Antragstellerin zu 1. diese Untergrenze unterschritten.

Demgegenüber liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG im Fall der Antragsteller nicht vor, wovon diese auch selbst ausgehen. Bei der politischen Vereinigung, die die Antragstellerin zu 1. trägt und der die Antragsteller zu 2. bis 5. angehören, handelt es sich nicht um eine solche, die bei der Landtagswahl mindestens fünf Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten hat, ohne die für fünf Mitglieder des Landtags notwendige Zweitstimmenanzahl zu erreichen, vielmehr wurde die für fünf Mitglieder notwendige Zweitstimmenzahl bei der Landtagswahl 2019 erreicht. 

bb. Auch systematische Erwägungen lassen das Unterlassen des Antragsgegners zu 2., die Antragsteller weiterhin als Fraktion bzw. fraktionsangehörige Abgeordnete zu behandeln, nicht als evident sachwidrige Auslegung und Anwendung des Fraktionsgesetzes erscheinen.

Die Regelungen in § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 FraktG stehen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis. § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG regelt einen Ausnahmefall, welcher einer wahlrechtlichen Besonderheit Rechnung trägt. Nur unter den dort bezeichneten Tatbestandsvoraussetzungen ist es ausnahmsweise ausreichend, dass vier Mitglieder für die Bildung und Beibehaltung des Fraktionsstatus genügen.

Die unterlassene Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG beruht auf einem nicht zu beanstandenden Verständnis der Norm (vgl. Beschluss vom 15. Dezember 2023 ‌‑ VfGBbg 16/23 EA ‑‌, Rn. 64 ff., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

cc. Auch Sinn und Zweck des Regelungskonzepts sowie die Entstehungsgeschichte von § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FraktG in der gegenwärtig geltenden Fassung lassen keine Gründe erkennen, die eine Nichtanwendung von § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG auf die Antragsteller als evident sachwidrig erscheinen ließen.

Der Gesetzgeber hat im Gesetzgebungsprozess des Änderungsgesetzes erkannt, dass es rechnerisch in besonders seltenen Fällen zu der Konstellation kommen kann, dass eine Partei oder Listenvereinigung zwar die wahlrechtliche Fünf-Prozent-Hürde überschreitet, im Rahmen der Verteilung der Sitze aber nur vier Mandate im Landtag erringt. Um dem damit verbundenen Auseinanderfallen von wahlrechtlicher und parlamentarischer Relevanz zu begegnen, ist § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG eingeführt worden. So heißt es in der Gesetzesbegründung zum Änderungsgesetz zu § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG (LT‑Drs. 6/871, Begründung, B. Besonderer Teil, Nr. 1, a)):

„Mit der Anhebung der Mindestgröße von Fraktionen wird die im Wahlrecht geltende 5%-Sperrklausel auf die Mindestfraktionsstärke gespiegelt. Die Überschreitung der 5%-Sperrklausel durch eine Partei bzw. Liste bei gleichzeitigem Erreichen von nur vier Mandaten ist nur unter ausgesprochen extremen Bedingungen rechnerisch denkbar - etwa, wenn maximal drei große Parteien mit insgesamt mindestens 90% der Stimmen neben einer sehr kleinen Partei mit einem Stimmanteil zwischen 5 % und ca. 5,68 % Einzug ins Parlament halten. Angesichts dieser Rahmenbedingungen soll die Fraktionsmindeststärke von vier auf fünf Abgeordnete angehoben und die für eine Fraktionsbildung erforderliche Anzahl von Mandaten damit auf einen realistischen Wert angehoben werden. Gleichzeitig wird damit die Anzahl möglicher Mandate für die Bildung einer parlamentarischen Gruppe neben drei Mandaten auch auf die Anzahl von vier Mandaten erweitert.“

Diese Erwägungen zeigen, dass die Änderung des Fraktionsgesetzes und insbesondere die Anhebung der Fraktionsmindeststärke von dem Gedanken getragen war, die wahlrechtliche Relevanz einer politischen Gruppierung auch parlamentsrechtlich in Bezug auf die Mindestfraktionsgröße aufzugreifen. Der Gesetzgeber hat sich bei der Anhebung der Fraktionsmindeststärke an der im Wahlrecht geltenden Fünf-Prozent-Hürde orientiert. Dem liegt die Wertung zugrunde, dass einem Zusammenschluss von Abgeordneten, dem mindestens fünf Prozent der Wählerstimmen zugrunde liegen, auch politische Bedeutung zukommt. Diese soll er als selbständige und unabhängige Gliederung in die parlamentarische Willensbildung einbringen können. Die wahlrechtliche Relevanz soll nach der Intention des Gesetzgebers für die parlamentarische Relevanz eines Zusammenschlusses von Abgeordneten ausschlaggebend sein.

Um den erwähnten Ausnahmefällen in besonderen rechnerischen Konstellationen zu begegnen, in denen wahlrechtliche und parlamentarische Relevanz auseinanderzufallen drohen, ist die Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG geschaffen worden. Dazu heißt es in der Begründung (LT‑Drs. 6/871, Begründung, B. Besonderer Teil, Nr. 1, b)):

„Um sicherzustellen, dass auch und ausschließlich in einem soeben unter a) beschriebenen, ausgesprochen seltenen Ausnahmefall eine Fraktionsbildung auch mit vier Abgeordneten möglich ist, obwohl nur vier Abgeordnete einer Partei, politischen Vereinigung oder Listenvereinigung einen Sitz im Landtag errungen haben, wird nach Satz 1 ein entsprechender Satz eingefügt.“

Diese Erwägungen zeigen auf, dass der Gesetzgeber § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG als Ausnahmevorschrift für rechnerisch sehr seltene Fälle vorgesehen hat und die Fraktionsmindeststärke hierdurch gerade nicht allgemein absenken wollte. Ziel von § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG war es, eine strikte Kongruenz zwischen wahlrechtlicher und parlamentarischer Relevanz herzustellen. Der Landtag wollte denjenigen Parteien, politischen Vereinigungen und Listenvereinigungen, die die Fünf-Prozent-Sperrklausel überschreiten, aber aufgrund im Wahlrecht angelegter, rechnerischer Besonderheiten nicht die Anzahl von fünf Mitgliedern im Landtag erreichen, die gleiche parlamentarische Gestaltungfähigkeit einräumen, die auch den Parteien und Vereinigungen zukommt, die gleichfalls die Fünf-Prozent-Sperrklausel überschritten haben - und zwar dadurch, dass diese Vereinigungen das Recht erhalten, eine Fraktion mit nur vier Mitgliedern zu bilden. Darin ist ein sachlich tragender Grund zu erkennen. Es ist dem Landtag im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie unbenommen, bei der Ausgestaltung der Fraktionsmindeststärke eine strikte Spiegelung von wahlrechtlicher und parlamentarischer Relevanz vorzusehen.

Diese Annahmen zu Systematik sowie Sinn und Zweck des in § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FraktG ausgedrückten Regelungskonzepts werden unterstrichen durch die Begründungserwägungen zu § 1 Abs. 1 Satz 3 FraktG. Diese lassen nicht nur erkennen, dass § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG eine Ausnahmeregelung darstellt, sondern darüber hinaus, dass die Fraktionsmindeststärke aus § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG auch nicht durch einen entsprechenden Beschluss des Landtags umgangen werden können soll (LT‑Drs. 6/871, Begründung, B. Besonderer Teil, Nr. 1, d)):

„Die Überarbeitung erfolgt zur Klarstellung, dass eine Abweichung bei der Fraktionsbildung mit Zustimmung des Landtages nur in den Fällen des Satzes 1, nicht jedoch zulässig ist, sofern der Ausnahmefall des neuen Satzes 2 vorliegt.“

dd. Es sind keine Gründe ersichtlich, aus denen es evident sachwidrig sein könnte, die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG nicht in der von den Antragstellern gewünschten Weise analog auf Fälle anzuwenden, in denen sich eine Fraktionsbildung ursprünglich nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG vollzog, dessen tatbestandliche Voraussetzungen aber zu einem späteren Zeitpunkt entfallen sind. Die Voraussetzungen einer Analogie liegen nicht vor. Das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke ist nicht erkennbar.

Soweit die Antragsteller zur Begründung des von ihnen vertretenen Erst-Recht-Schlusses einen Gleichheitsverstoß andeuten, liegt die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 56 Abs. 1 LV nicht vor.

Es handelt sich bei einer nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG errichteten Fraktion, deren Mitgliederzahl sodann unter die in der Vorschrift genannte Mindeststärke absinkt, und bei einer nach § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG errichteten Fraktion nicht um wesensmäßig vergleichbare Sachverhalte. Im erstgenannten Fall kann nach Austritt eines Fraktionsmitglieds gerade nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Fraktion noch mindestens fünf Prozent der Wählerstimmen repräsentiert, während dies in der zweitgenannten Konstellation der Fall ist.

d. Eine Verletzung von Art. 56 Abs. 1 LV bzw. Art. 67 Abs. 1 LV durch die im Fraktionsgesetz vorgesehene, vom rechnerischen Ergebnis der Mandatsverteilung abhängige Differenzierung der erforderlichen Fraktionsmindeststärke scheidet ebenfalls aus.

aa. Art. 56 Abs. 1 LV gewährleistet - wie Art. 67 Abs. 1 LV - das Recht eines jeden Abgeordneten, sich mit anderen Abgeordneten zu gemeinsamer Arbeit zusammenzufinden und gegebenenfalls auch Fraktionen zu bilden (vgl. Urteile vom 22. Juli 2016 ‌‑ VfGBbg 70/15 ‑‌, und vom 10. November 1994 ‌‑ VfGBbg 4/94 ‑‌, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Insofern haben die Abgeordneten ein Recht auf gleiche Teilhabe am Prozess der parlamentarischen Willensbildung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 1997 ‌‑ 2 BvE 4/95 ‑‌, BVerfGE 96, 264-288, Rn. 60, juris). Die von Art. 56 Abs. 1 LV bzw. Art. 67 Abs. 1 LV geschützte Gewährleistung beinhaltet aber kein Recht auf voraussetzungslose Fraktionsbildung. Den einzelnen Abgeordneten steht weder eine eigene Definitionskompetenz für den Fraktionsbegriff noch ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht darüber zu, ob eine Gruppierung im Landtag den Fraktionsstatus erhält (vgl. Urteil vom 10. November 1994 ‌‑ VfGBbg 4/94 ‑‌, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

bb. Aus dem Vorbringen der Antragsteller ergibt sich nicht die Möglichkeit, dass die von § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG für den Fraktionsstatus grundsätzlich geforderte Mindeststärke von fünf Mitgliedern des Landtags die Mitwirkungsrechte der Abgeordneten verfassungswidrig einschränkt.

(1) Dabei ist zunächst zu beachten, dass nicht zu beanstanden ist, dass § 1 Abs. 1 FraktG grundsätzlich eine Fraktionsmindeststärke vorsieht.

Die Landesverfassung enthält keine speziellen Vorgaben zur erforderlichen Mindeststärke einer Fraktion. Art. 67 Abs. 1 LV ist lediglich zu entnehmen, dass eine Fraktion aus „Mitgliedern des Landtages“ besteht, d. h. ein Zusammenschluss von Abgeordneten, dem der Fraktionsstatus zuerkannt werden kann, mehr als einen einzelnen Abgeordneten erfordert. Art. 67 Abs. 1 Satz 5 LV gibt dem Gesetzgeber den Auftrag und die Befugnis, die verfassungsrechtlich gewährleistete Institution der Fraktionen auszugestalten. Zu dieser Ausgestaltung gehört auch die Festlegung der Fraktionsmindeststärke.

Ein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund für die grundsätzliche Festsetzung einer Fraktionsmindeststärke liegt in der Autonomie des Parlaments, durch Geschäftsordnungsrecht die eigene Funktionsfähigkeit zu gewährleisten. Der Fraktion sind verschiedene parlamentarische Rechte in der Landesverfassung, dem Fraktionsgesetz und der Geschäftsordnung zugedacht, die sie in die Lage versetzen, im Parlament wesentlich mitzuwirken. Dies entspricht der den Fraktionen in der Verfassung zugedachten Aufgabe, als selbständige und unabhängige Gliederungen an der Arbeit des Landtags mitzuwirken und die parlamentarische Willensbildung zu unterstützen (vgl. Art. 67 Abs. 1 Satz 2 LV). Die Fraktionsmindeststärke dient der zweckdienlichen Erfüllung und Erfüllbarkeit dieser den Fraktionen zugedachten Aufgabe. Insofern ist auch eine Abgrenzung zu anderen Zusammenschlüssen wie der Gruppe oder dem einzelnen Abgeordneten gerechtfertigt.

(2) Die regelmäßige Fraktionsmindeststärke von fünf Mitgliedern des Landtags basiert auch auf nachvollziehbaren Kriterien.

Der Gesetzgeber hat sich hierbei - wie bereits dargestellt - an der im Wahlrecht geltenden Fünf-Prozent-Hürde orientiert. Das Spiegeln von wahlrechtlicher und parlamentarischer Relevanz rechtfertigt es, grundsätzlich erst einem die Mindeststärke von fünf Abgeordneten erreichenden Zusammenschluss von Abgeordneten den Fraktionsstatus zuzuerkennen.

Dabei wirken sich Regelungen der Geschäftsordnung - hier die Festlegung der Mindestfraktionsstärke - immer auch als Beschränkungen der Rechte des einzelnen Abgeordneten aus. Verfassungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt, ob dabei das Prinzip der Beteiligung aller Abgeordneten an den Aufgaben des Parlaments gewahrt bleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 ‌‑ 2 BvE 1/88 ‑‌, BVerfGE 80, 188-244, Rn. 107, juris). Bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung ist indes zu berücksichtigen, dass dem Landtag für die Festlegung der Mindestfraktionsstärke ein eigener, auf seiner Geschäftsordnungsautonomie beruhender Gestaltungsspielraum zukommt (vgl. zum Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages: BVerfG, Urteil vom 16. Juli 1991 ‌‑ 2 BvE 1/91 ‑‌, BVerfGE 84, 304-341, Rn. 105, juris). Der Landtag kann bestimmen, nach welchen Voraussetzungen sich Fraktionen bilden können (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Juli 1991 ‌‑ 2 BvE 1/91 ‑‌, BVerfGE 84, 304-341, Rn. 94, juris).

(3) Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass bei der Festlegung der Fraktionsmindeststärke von fünf Mitgliedern des Landtags die Mitwirkungsrechte der Abgeordneten substantiell infrage gestellt sein können. Es bestehen keine Zweifel daran, dass der Gesetzgeber mit der Fraktionsmindeststärke von fünf Mitgliedern des Landtags einen angemessenen Ausgleich zwischen verschiedenen Belangen ‌‑ insbesondere der Funktionsfähigkeit des Parlaments, den Abgeordnetenrechten aus Art. 56 Abs. 1 LV und der institutionellen Garantie der Fraktionen, die die Landesverfassung für andere parlamentarische Organisationsformen nicht vorsieht - geschaffen hat.

Die parlamentarische Ausgangslage, vor deren Hintergrund der Landtag die geltende Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG schuf, stellte sich anders dar als unter der Geltung der Vorgängernorm: Die Anhebung der grundsätzlich erforderlichen Mindeststärke von vier auf fünf Mitglieder durch das Änderungsgesetz vom 24. März 2015 (GVBl.I/15, [Nr. 7]) ist vor dem Hintergrund der Einführung der Gruppe als weiterer Organisationsform für Abgeordnete erfolgt. Die Gruppe sollte es Abgeordneten ermöglichen, sich auch unterhalb der in § 1 Abs. 1 Satz 1 FraktG festgelegten Fraktionsmindeststärke formell zu gemeinsamer Arbeit zusammenzuschließen (vgl. LT‑Drs. 6/871, B. Lösung). Die Anhebung der Fraktionsmindeststärke auf fünf Mitglieder diente auch dazu, das Abstandsgebot zwischen Fraktion und Gruppe zu wahren. Im Gesetzesentwurf zum Änderungsgesetz heißt es:

„Bei der Ausstattung von Gruppen mit Rechten sowie Sach- und Geldleistungen ist dem Ansatz gefolgt worden, den Zusammenschluss mehrerer Abgeordneter auch unterhalb der Fraktionsmindeststärke zu ermöglichen und zu fördern, ohne die zentrale Stellung der Fraktionen in der parlamentarischen Willensbildung durch Schaffung eines neuen starken Akteurs zu relativieren. Damit ist dem Abstandsgebot zwischen Gruppe und Fraktion angemessen Rechnung getragen.“

(vgl. LT‑Drs. 6/871, C. Rechtsfolgenabschätzung, II. Zweckmäßigkeit).

„Eine Notwendigkeit zur Stärkung der Rechte des Zusammenschlusses als solchem, wie es die im bisherigen § 1 Absatz 1 Satz 2 des Fraktionsgesetzes für Fraktionen definierte parlamentarische Rolle nahelegt („Sie wirken mit eigenen Rechten und Pflichten als selbständige und unabhängige Gliederungen an der Arbeit des Landtages mit und unterstützen die parlamentarische Willensbildung.“), ergibt sich daraus nicht. Im Gegenteil ist bei der Ausstattung der Gruppe mit Rechten sowie Geld- und Sachleistungen auf die Einhaltung des Abstandsgebotes zu den Fraktionen zu achten. Nur, soweit es ‌‑ insbesondere im Zusammenhang mit der Mittelzuteilung und im Hinblick auf eine Haftungsbegrenzung - für ein gemeinschaftliches Handeln erforderlich ist, soll die Rechtsstellung und Außenvertretung der Gruppe geregelt werden.“

(vgl. LT‑Drs. 6/871, Begründung, A. Allgemeiner Teil).

Die Mindeststärke von fünf Mitgliedern des Landtags beeinträchtigt die Abgeordnetenrechte nicht substantiell, da den Abgeordneten auch unterhalb der Schwelle der Fraktionsmindeststärke ermöglicht wird, über die Gruppe in einer kleineren Vereinigungsform als der Fraktion zusammenzuwirken. Da der Gruppe in der Geschäftsordnung des Landtags gesonderte Mitwirkungsrechte zugewiesen sind, verleiht der Gruppenstatus den in der Gruppe zusammengeschlossenen Abgeordneten - im Vergleich zum einzelnen Abgeordneten - eine wirkungsmächtigere Repräsentation und Mitwirkung im Parlament. Zum anderen hat der Gesetzgeber mit dem Abstandsgebot anerkannt, dass die Landesverfassung für den Zusammenschluss der Fraktion einen besonderen, durch Art. 67 Abs. 1 LV geschützten Status vorsieht, der es rechtfertigt, anderen Gruppierungen im Landtag weniger Rechte als der Fraktion zuzuweisen. Wie die zitierte Gesetzesbegründung zeigt, war der Gesetzgeber darauf bedacht, mit der Gruppe eine andere parlamentarische Organisationsform zu schaffen.

Der Gesetzgeber hat damit im Rahmen der ihm obliegenden Geschäftsordnungsautonomie in § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FraktG einen tragfähigen Ausgleich zwischen der Funktionsfähigkeit des Parlaments und den Rechten der verschiedenen Organisationsformen für Zusammenschlüsse von Abgeordneten im Parlament gefunden.

cc. Aus den Darlegungen der Antragsteller ergibt sich auch nicht die Möglichkeit, dass eine Fraktionsmindeststärke von vier Mitgliedern verfassungsrechtlich durch eine Auslegung „im Lichte“ des Art. 67 Abs. 1 LV geboten sein könnte. Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz, der der Fraktion wie dem einzelnen Abgeordneten zusteht, verleiht diesen keine Rechte, die über die sich aus Art. 67 Abs. 1 LV bzw. Art. 56 Abs. 1 LV ergebenden Gewährleistungen hinausgehen. Aus dem Gleichheitssatz, der eine formale Gleichstellung aller Mitglieder des Landtags zueinander schützt, folgt nichts anderes.

Es lässt sich überdies kein Anspruch auf Herabsetzung der Fraktionsmindeststärke daraus ableiten, dass § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG in einem Ausnahmefall vier Mitglieder des Landtags für die Fraktionsbildung genügen lässt. Aus dieser einfachgesetzlichen Regelung können die Antragsteller schon deshalb nichts für sich herleiten, weil sie deren Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllen. Die mit der Ausnahmebestimmung verbundene Differenzierung ist verfassungsrechtlich legitimiert.

 

Mit der Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG hat der Landtag nach dem oben Gesagten die Rechte der Fraktion und der Abgeordneten nicht sachwidrig eingeschränkt.

Dem setzt auch das Argument der Antragsteller, die Funktionsfähigkeit des Landtags Brandenburg sei auch durch die vormals geltende Regelung, die eine Fraktionsmindeststärke von vier Abgeordneten vorsah, nicht beeinträchtigt gewesen, nichts Durchgreifendes entgegen. Es unterliegt zum einen der Geschäftsordnungsautonomie des Landtags, die Voraussetzungen für die Bildung und Anerkennung von Fraktionen im verfassungsrechtlich gewährleisteten Rahmen auszugestalten. Aus der Verfassungsmäßigkeit der Vorgängerregelung folgt im Übrigen nichts im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der gegenwärtig geltenden Regelungen des Fraktionsgesetzes. Die Vorgängerbestimmung ist überdies nicht vergleichbar, denn sie war für ein Parlamentsleben ausgestaltet, in dem noch nicht die parlamentarische Organisationsform der Gruppe eingeführt war.

e. Schließlich zeigen die Antragsteller auch nicht die Möglichkeit auf, einen Anspruch auf den begehrten Fortbestand der Antragstellerin zu 1. als Fraktion unter dem Gesichtspunkt einer verfassungskonformen Auslegung von § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG herleiten zu können.

Zum einen setzt die verfassungskonforme Auslegung einer Vorschrift deren Verfassungswidrigkeit in jedenfalls einer von mehreren möglichen Auslegungen voraus. Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit der Verfassung im Einklang steht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. September 2007 ‌‑ 2 BvF 3/02 -‌, Rn 92 m. w. N., juris). Die Möglichkeit einer Verfassungswidrigkeit jedenfalls einer möglichen Auslegung von § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG oder im Besonderen der Auslegung, die in der gerügten Unterlassung durch den Antragsgegner zu 2. erkennbar wird, ist nicht gegeben.

Zum anderen darf eine verfassungskonforme Auslegung nicht zu einer Gesetzeskorrektur führen. Sie findet ihre Grenze dort, wo sie zu dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (Beschluss vom 19. Juni 2013 ‌‑ VfGBbg 13/12 -‌, m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Hier überschreitet die von den Antragstellern vertretene Auslegung von § 1 Abs. 1 Satz 2 FraktG die Wortlautgrenze. Überdies widerspricht sie dem im Gesetzgebungsverfahren deutlich gewordenen Willen des Gesetzgebers.

C.

Notwendige Auslagen sind nicht zu erstatten.

D.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1 VerfGGBbg.

E.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Dr. Koch

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß