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VerfGBbg, Beschluss vom 11. März 2022 - VfGBbg 2/22 EA -

 

Verfahrensart: sonstige Verfahren
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 10 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 30 Abs. 1
Schlagworte: - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, unzulässig
- Kontrollkompetenz des Landesverfassungsgerichts
- schwerer Nachteil, verneint
- zum gemeinen Wohl dringend geboten, verneint
- Akteneinsicht
- Bußgeldverfahren
- Fahrverbot
- Standardisiertes Messverfahren
- Ordnungswidrigkeitenverfahren
- (Roh-)Messdaten
- Nichtspeicherung von (Roh-)Messdaten
- Schwerbehinderung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 11. März 2022 - VfGBbg 2/22 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 2/22 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 2/22 EA

In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren

I.,

Antragsteller,

Verfahrensbevollmächtigte:               Rechtsanwälte Z.,

 

beteiligt:

  1. Direktor
    des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree,
    Eisenbahnstraße 8,
    15517 Fürstenwalde/Spree,
  2. Präsident
    des Brandenburgischen Oberlandesgerichts,
    Gertrud-Piter-Platz 11,
    14770 Brandenburg an der Havel,
  3. Leitender Oberstaatsanwalt
    der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder),
    Bachgasse 10a,
    15230 Frankfurt (Oder),
  4. Zentraldienst der Polizei
    - Zentrale Bußgeldstelle -,
    Oranienburgerstraße 31 A,
    16775 Gransee,

 

wegen

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung; Aussetzung des mit Urteil des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 29. Juni 2021 ‌‑ 3 OWi 285 Js‑OWi 12656/21 (269/21) ‑‌ angeordneten Fahrverbots

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 11. März 2022

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Kirbach, Richter und Sokoll

beschlossen: 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

 

Gründe:

A.

Der Antragsteller begehrt mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die vorläufige Aussetzung der Wirksamkeit eines gegen ihn verhängten einmonatigen Fahrverbots.

I.

Die Zentrale Bußgeldstelle des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg (im Folgenden: Bußgeldstelle) setzte mit Bescheid vom 25. Januar 2021 wegen des Vorwurfs einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße fest und ordnete ein Fahrverbot von einem Monat an. Dem Antragsteller wurde vorgeworfen, am 5. November 2020 als Führer eines Personenkraftwagens auf der Tangente zwischen der Bundesautobahn (BAB) 12 und der BAB 10 (Autobahndreieck S.) in Fahrtrichtung F. die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 80 km/h nach Toleranzabzug um 44 km/h überschritten zu haben. Dem lag eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ES 8.0 des Herstellers ESO GmbH zugrunde.

Der anwaltlich vertretene Antragsteller hatte noch vor Erlass des Bescheids durch seine Verfahrensbevollmächtigten bei der Bußgeldstelle Akteneinsicht nehmen und die Überlassung nicht bei der Akte befindlicher Daten und Unterlagen zur Geschwindigkeitsmessung zwecks Überprüfung ihrer Richtigkeit beantragen lassen. Dies betraf 1. digitale Falldaten mit unverschlüsselten Rohmessdaten der gesamten Messreihe (d. h. alle am Tattag angefertigten Messungen), 2. Statistikdatei und Public-Key des Messgeräts, 3. Schulungsnachweise des Auswertepersonals, 4. Baumusterprüfbescheinigung, Gebrauchsanweisung, Konformitätsbescheinigung und Konformitätserklärung zum Messgerät, 5.a) Beschilderungsplan, 5.b) verkehrsrechtliche Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung und 6. Verwendungsanzeige(n) bei zuständiger Landesbehörde gemäß § 32 Abs. 1, 2 Mess- und Eichgesetz (MessEG).

Die Bußgeldstelle hatte daraufhin mit Schreiben vom 11. Januar 2021 eine CD-ROM übersandt; sie enthielt die Falldatei zur Betroffenenmessung (d. h. Messfoto, Messergebnis mit Zusatzdaten), die Statistikdatei, das Handbuch und die Gebrauchsanweisung zur Geschwindigkeitsmessanlage Typ ES 8.0 (Stand 04.10.2018), das Foto eines Public Key und eine Textdatei. Weitere Unterlagen, insbesondere die Rohmessdaten der Messung, seien nicht zur Verfahrensakte beigezogen worden, da der Antragsteller keine konkret auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen vorgetragen habe, die Zweifel an der Richtigkeit der Messung aufkommen ließen. Der Antragsteller könne jedoch in den Räumen der Bußgeldstelle in die Rohmessdaten Einsicht nehmen.

Mit Schriftsatz vom 25. Januar 2021 beantragte der Antragsteller beim Amtsgericht Fürstenwalde/Spree eine gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) mit dem Ziel, die Verwaltungsbehörde anzuweisen, die unter Ziffer 1., 4., 5.b) und 6. genannten Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebiete, einem im Bußgeldverfahren Betroffenen auf seinen Antrag die zur Beurteilung des Tatvorwurfs relevanten Daten und Unterlagen, die von be- oder entlastender Bedeutung sein könnten, herauszugeben. Eine vollständige Überprüfung einer Messung sei nur bei Zugriff auf die Messunterlagen möglich. Aus dem Gebot der Waffengleichheit folge, dem Betroffenen zu ermöglichen, sich gegen den erhobenen Vorwurf zu verteidigen.

Das Amtsgericht wies mit Schreiben vom 1. Februar 2021 darauf hin, dass der Antragsteller keinen Rechtsanspruch auf Übersendung der Akte oder bestimmter Schriftstücke habe, die selbst kein Aktenbestandteil seien oder sein müssten. Das Einsichtsrecht beziehe sich auf die den Antragsteller betreffende Verfahrensakte, so wie sie bestehe. Sein Begehren sei insofern als eine Anregung auf Beweisermittlung zu verstehen. Unterlagen, die mangels Relevanz für die eigene Messung nicht zur Akte genommen worden seien, könnten eingesehen werden, soweit sie Prüfungsrelevanz hätten. Dieses Einsichtsrecht sei aber zeitlich und sachlich begrenzt. Der Einsicht in Daten anderer Verkehrsteilnehmer stünden datenschutzrechtliche Gründe entgegen. Hinsichtlich der Messreihe habe die Bußgeldstelle dem Antragsteller Einsichtnahme in den Behördenräumen angeboten. Dass der Antragsteller dies nicht nutzen wolle, falle allein in seine Sphäre. Das Amtsgericht begründete im Einzelnen, weshalb es an der Prüfungsrelevanz der übrigen begehrten Unterlagen fehle.

Mit Beschluss vom 16. Februar 2021 (30 OWi 45/21) wies das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurück und vertiefte im Wesentlichen seine Begründung aus seinem Hinweisschreiben.

Gegen den zwischenzeitlich zugestellten Bußgeldbescheid hatte der Antragsteller Einspruch einlegen lassen.

In der Hauptverhandlung am 8. Juni 2021 ließ der anwaltlich vertretene Antragsteller einräumen, zur Tatzeit gefahren zu sein. Sein Verteidiger widersprach der Verwertung des Messergebnisses und stellte Beweisanträge u. a. bezüglich der (Nicht-)Speicherung von (Roh-)Messdaten durch die verwendete Software. Das Amtsgericht wies die Anträge mit der Begründung zurück, dass Akteneinsicht in die Akte, wie sie bestehe, gewährt worden sei. Im Fortsetzungstermin wies das Amtsgericht den mit Schriftsatz vom 28. Juni 2021 gestellten Antrag auf Aussetzung der mündlichen Verhandlung und auf Akteneinsicht bzw. Zurverfügungstellung von Unterlagen nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurück. Dem Antragsteller sei zwar ein eigenes Prüfungsrecht der Unterlagen zuzugestehen, die für sein Verfahren nach seinem Prüfungsmaßstab relevant sein könnten. Dies rechtfertige jedoch keine ausufernde Ausforschung und sei durch die Grundrechte Dritter begrenzt. Die Beweiserhebung sei wegen der bereits erfolgten Klärung des Sachverhalts nicht mehr erforderlich.

Mit Urteil vom 29. Juni 2021 (3 Owi 285 Js-Owi 12656/21 [269/21]) setzte das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gegen den Antragsteller eine Geldbuße von 190,00 Euro fest und ordnete ein Fahrverbot von einem Monat an.

In den Gründen führte das Gericht aus, es habe nach Durchführung der Beweisaufnahme keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller den Verkehrsverstoß begangen habe. Es verwies darauf, dass zur Ermittlung der Geschwindigkeit ein standardisiertes Messverfahren Anwendung gefunden habe und konkrete Messfehler nicht behauptet worden oder zu befürchten seien, und ging im Einzelnen auf das Vorbringen und die Anträge des Antragstellers ein. Die Anordnung eines Fahrverbots sei aufgrund der beharrlichen Pflichtverletzung (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Bußgeldkatalog-Verordnung [BKAtV]) geboten. Ein Ausnahmefall, der rechtfertige, von der Verhängung eines Fahrverbots im Einzelfall abzusehen, sei nicht gegeben. Das Fahrverbot stelle sich nicht als erhebliche Härte für den Antragsteller dar, welche nicht durch zumutbare Maßnahmen von ihm abgewendet werden könnte. Selbst bei Ausschöpfung des Bußgeldrahmens sei der Antragsteller nicht hinreichend zu beeindrucken und zur künftigen Beachtung der Verkehrsvorschriften anzuhalten. Er nehme finanzielle Sanktionen und selbst eine bereits erfolgte Kompensation eines vorherigen Fahrverbots nicht ernst. Erhöhte Geldbußen beeindruckten ihn bisher nicht genügend. Die notwendige Warn- und Erziehungsfunktion könne bei ihm nur ein erneutes Fahrverbot bewirken. Das Gericht verkenne nicht, dass der Antragsteller als gehbehinderter Bürger jährlich sehr viel fahre und aus privaten Gründen auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen sei. Diese Umstände zusammengenommen rechtfertigten jedoch kein Absehen mehr von einem einmonatigen Fahrverbot. Währenddessen sei es dem Antragsteller möglich und auch zumutbar, Pflegehilfe, eventuell auch bezahlte, zu nehmen, öffentliche Verkehrsmittel oder ein Taxi zu benutzen, sich in dieser Zeit fahren zu lassen und, sofern er dazu nicht die Hilfe von Verwandten, Freunden oder Bekannten in Anspruch nehmen könne, einen Aushilfsfahrer einzustellen. Für medizinisch notwendige Fahrten stehe ihm aufgrund seiner Behinderung auch ein medizinischer Fahrdienst zu. Selbst etwaige damit verbundene Unkosten erheblicher Art würden ein Absehen vom Fahrverbot nicht rechtfertigen; hierbei verwies das Gericht auf mehrere vom Antragsteller bereits begangene Verkehrsverstöße, die teilweise massiv gewesen seien.

Der Antragsteller legte gegen das Urteil des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree Rechtsbeschwerde zum Brandenburgischen Oberlandesgericht ein und erhob Verfahrensrüge (u. a. wegen der Verletzung seines Akteneinsichtsrechts in die begehrten Messdaten und Unterlagen und der Verwendung eines die Rohmessdaten nicht speichernden Messgeräts) und Sachrüge.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragte mit Stellungnahme vom 19. Oktober 2021, die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) als unbegründet zu verwerfen.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht verwarf die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 20. Januar 2022 (2 OLG 53 Ss-OWi 479/21), dem Verfahrensbevollmächtigten am 27. Januar 2022 zugestellt, als unbegründet (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO).

II.

Mit seiner am 7. Februar 2022 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Antragsteller gegen das Urteil des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 29. Juni 2021 (3 OWi 285 Js‑OWi 12656/21 [269/21]) und den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. Januar 2022 (2 OLG 53 Ss-OWi 479/21).

Er rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren aus Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV und seines Rechts auf effektive Verteidigung, gestützt auf Art. 53 Abs. 4 LV, dadurch, dass ihm nicht die von ihm begehrten, nicht bei der Bußgeldakte befindlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt und die Rohmessdaten durch das verwendete Messgerät nicht gespeichert worden seien. Das Amtsgericht habe vor der Übergabe der Unterlagen kein Urteil sprechen dürfen. Das Oberlandesgericht habe diesem Verstoß auf die ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge hin nicht abgeholfen und somit ebenfalls die Reichweite der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen verkannt. Ferner sei sein Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV und sein rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV durch den nicht ausreichenden amtsgerichtlichen Hinweis auf die Möglichkeit einer vom Bußgeldbescheid abweichenden Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehungsweise und die Nichtbeanstandung dieses Verfahrensverstoßes durch das Oberlandesgericht verletzt worden. Er meint, der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 6 Abs. 1 LV sei verletzt, sollte das Oberlandesgericht die von der Generalstaatsanwaltschaft als unzulässig angesehenen Verfahrensrügen ebenfalls als nicht zulässig erhoben beurteilt haben. Ferner sei der Antragsteller seinem von Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV garantierten gesetzlichen Richter entzogen worden, indem das Oberlandesgericht die Sache nicht gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen und die Sache nicht gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) an den Bundesgerichtshof vorgelegt habe.

III.

Mit dem am 7. Februar 2022 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt der Antragsteller,

im Wege der einstweiligen Anordnung die Wirksamkeit des von dem Amtsgericht Fürstenwalde/Spree mit Urteil vom 29. Juni 2021 ‌‑ 3 OWi 285 Js‑OWi 12656/21 (269/21) ‑‌ gegen den Antragsteller festgesetzten Fahrverbots bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die von ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren gemachten Ausführungen. Die Verfassungsbeschwerde habe bereits deshalb zumindest hinreichende Aussicht auf Erfolg, da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich ein Recht auf Einsicht jedenfalls in vorhandene Messdaten bestehe. Dieses Recht sei vorliegend nicht vollständig erfüllt worden. Die Vollstreckung des Fahrverbots vor einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde stelle für den Antragsteller in besonderem Maße eine unbillige Härte dar. Er sei berentet, als Contergan-geschädigt anerkannt und zu einhundert Prozent schwerbehindert, u. a. in Form einer Gehbehinderung (zwei Beinprothesen). Die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel sei ihm aufgrund seiner gesundheitlichen Konstitution nicht zuzumuten. Der Antragsteller sei kaum in der Lage, sich zu Fuß fortzubewegen. Er könne aufgrund seiner Beinprothesen zu Fuß nur Strecken von maximal 200 Metern zurücklegen. Die öffentlichen Verkehrsmittel seien für ihn nicht erreichbar. Er bedürfe regelmäßiger Fahrten zu seinem etwa 55 bzw. 90 Kilometer von seinem Wohnort entfernten Arzt bzw. Orthopädietechniker, die er in einem für ihn umgebauten Fahrzeug (Steuerung von Gas und Bremse mit der Hand sowie Spezialsitz) zurücklege. Erginge die einstweilige Anordnung und würde die Verfassungsbeschwerde später zurückgewiesen werden, komme es lediglich zu einer Verzögerung des Fahrverbotsantritts für eine gewisse Zeit. Es könne nach wie vor vollstreckt und der damit verbundene verkehrserzieherische Effekt erreicht werden. Erginge die Anordnung nicht, obwohl die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet sei, sei der Antragsteller angesichts seiner gesundheitlichen Situation massiv beeinträchtigt, da nicht ersichtlich sei, wie ihm während der Dauer des Fahrverbots Einkäufe oder Arztbesuche möglich seien. Hinzu komme, dass für den Antragsteller nicht die Möglichkeit bestehe, gemäß § 25 Abs. 2a StVG den Fahrverbotsbeginn zu disponieren. Das Interesse an einer Aussetzung des Fahrverbots überwiege daher das an seiner sofortigen Vollstreckung.

IV.

Die Äußerungsberechtigten haben von einer Stellungnahme abgesehen.

B.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

1. Gemäß § 30 Abs. 1 Gesetz über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Ob die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg vorliegen, ist grundsätzlich, soweit sich das Begehren in der Hauptsache nicht als offensichtlich unzulässig oder unbegründet darstellt, nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu beurteilen (st. Rspr., Beschlüsse vom 6. April 2021 ‌‑ VfGBbg 7/21 EA ‑‌, Rn. 6, vom 11. Dezember 2020 ‌‑ VfGBbg 22/20 EA ‑‌, Rn. 13, und vom 3. Juni 2020 ‌‑ VfGBbg 9/20 EA ‑‌, Rn. 38, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Dabei ist in Anbetracht der weitreichenden Folgen einer einstweiligen Anordnung und vor dem Hintergrund, dass die Verfassungsbeschwerde keine aufschiebende Wirkung entfaltet, sondern sich für gewöhnlich auf die nachträgliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Hoheitsaktes beschränkt, ein strenger Maßstab anzulegen (st. Rspr., Beschlüsse vom 10. Dezember 2021 ‌‑ VfGBbg 24/21 EA ‑‌, Rn. 45, und vom 18. Januar 2019 ‌‑ VfGBbg 4/18 EA ‑‌, Rn. 14, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, müssen im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtungsweise nicht schwer genug im Sinne des Gesetzes sind („schwerer Nachteil“) bzw. keinen gleichwertigen „anderen“ Grund im Sinne des Gesetzes darstellen. Bei der Abwägung sind im Allgemeinen nur irreversible Nachteile zu berücksichtigen (st. Rspr., zuletzt Beschluss vom 10. Dezember 2021 ‌‑ VfGBbg 24/21 EA ‑‌, Rn. 45, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Bei der Beurteilung der Schwere der Beeinträchtigungen ist auch maßgebend, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Eintritt solcher Beeinträchtigungen zu erwarten steht und ob Maßnahmen ihren Eintritt auszuschließen oder in seinen Folgen abzumildern vermögen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. August 2007 ‌‑ 1 BvR 1225/07 ‑‌, Rn. 27, juris; vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 11. Januar 2021 ‌‑ 109/20 eAO ‑‌, Rn. 25, juris).

Zudem muss die einstweilige Anordnung im Sinne zusätzlicher Voraussetzungen „zum gemeinen Wohl“ „dringend“ geboten sein (st. Rspr., Beschlüsse vom 18. Juni 2021 ‌‑ VfGBbg 12/21 EA ‑‌, Rn. 11 m. w. N., vom 23. Oktober 2020 ‌‑ VfGBbg 17/20 EA ‑‌, Rn. 21, und vom 3. Juni 2020 ‌‑ VfGBbg 9/20 EA ‑‌, Rn. 42, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Im Hinblick auf den einzelnen Bürger ist ein Anknüpfungspunkt für einen Gemeinwohlbezug allenfalls dann anzunehmen, wenn die Gefahr eines irreversiblen Nachteils für die Freiheit und Unversehrtheit der Person oder für vergleichbare elementare Menschenrechte besteht (Beschlüsse vom 23. Oktober 2020 ‌‑ VfGBbg 17/20 EA ‑‌, Rn. 21, und vom 19. Juni 2020 ‌‑ VfGBbg 8/20 EA ‑‌, Rn. 10, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

2. Eine einstweilige Anordnung kann danach nicht ergehen.

a. Ob die von dem Antragsteller erhobene Verfassungsbeschwerde sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist, bleibt ausdrücklich offen.

Das Vorbringen des Antragstellers zu den im behördlichen und fachgerichtlichen Verfahren gestellten Informationsgesuchen, zu gerichtlichen Entscheidungen und Stellungnahmen sind von einer Extensität, die dem Verfassungsgericht eine vorläufige Beurteilung der Zulässigkeit und Begründetheit der Verfassungsbeschwerde nicht ermöglichen. Die unter anderem angesprochenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit von Messgeräten nicht gespeicherten (Rohmess-)Daten waren nicht Gegenstand der vom Antragsteller angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. November 2020 (BVerfG, Beschluss vom 20. November 2020 ‌‑ 2 BvR 1616/18 ‑‌, juris). Es stellt sich insbesondere die Frage nach dem Maßstab und der gebotenen Reichweite einer verfassungsgerichtlichen Prüfung. Dabei verkennt das Verfassungsgericht nicht, dass die in Rede stehenden Ordnungswidrigkeitenverfahren ganz überwiegend von tatsächlichen, mitunter physikalisch-technischen Gesichtspunkten geprägt sind, deren Beurteilung grundsätzlich nicht dem Verfassungsgericht, sondern den Fachgerichten im Rahmen der Auslegung und Anwendung von Vorschriften des einfachen Rechts obliegt. Die Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit muss daher dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

b. Unabhängig davon kommt der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht in Betracht, da dem Antragsteller durch die Vollziehung des einmonatigen Fahrverbots kein irreversibler Nachteil im genannten Sinne droht. Zudem sind aufgrund der gerichtlichen Entscheidung keine Auswirkungen auf das „gemeine Wohl“, die abzuwenden dringend geboten wäre, vorgetragen oder sonst ersichtlich.

Die Eingriffe in die Grundrechte des Antragstellers durch die Vollstreckung des Fahrverbots betreffen zuvörderst seine allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 10 LV. Zwar mag es sich bei der Anordnung eines Fahrverbots in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren um eine gewichtige Rechtsfolge handeln, die für den Einzelnen mit persönlichen und ggf. auch wirtschaftlichen Einschränkungen verbunden sein kann (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 21. Juni 2021 ‌‑ VGH A 39/21 ‑‌, Rn. 31, juris). Diese stellt jedoch nicht grundsätzlich auch einen schweren Nachteil im Sinne von § 30 Abs. 1 VerfGGBbg dar. Die Gefahr eines irreversiblen Nachteils für die Freiheit und Unversehrtheit der Person (Art. 9 Abs. 1 LV bzw. Art. 8 Abs. 1 LV) steht nicht in Rede. Letzteres folgt auch nicht daraus, dass sich die mit einem Fahrverbot regelmäßig einhergehenden, ihrer Natur nach eher Lästigkeiten darstellenden Einschränkungen für den Antragsteller aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigungen außergewöhnlich schwer auswirken. Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, um diese aus dem Fahrverbot folgenden besonderen Erschwernisse und Lebenseinschränkungen abzumildern. Das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree hat sie im Rahmen der von ihm angestellten Verhältnismäßigkeitsprüfung des Fahrverbots im Einzelnen aufgezeigt (Inanspruchnahme eines Taxis oder medizinischen Fahrdiensts, Hilfe von Verwandten, Freunden und Bekannten, von Pflegehilfe, Beschäftigung eines Aushilfsfahrers).

Zudem fehlt es an den von § 30 Abs. 1 VerfGGBbg vorausgesetzten dringend abzuwendenden Auswirkungen auf das Gemeinwohl. Die massenhaft vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren sind keine Verfassungsstreitigkeiten, die aus verfassungsrechtlicher Sicht für die Allgemeinheit von weittragender Bedeutung sind. Der Vollzug eines einmonatigen Fahrverbots wegen Geschwindigkeitsüberschreitung, gegen den der Antragsteller in der Hauptsache grundrechtsrelevante Verfahrensverstöße geltend macht, betrifft nicht Grundfragen des Verfassungsrechts oder fundamentale, hochrangige Verfassungsprinzipien, die es nicht zulassen, auch nur für einen vorübergehenden Zeitraum ihre mögliche Verletzung hinzunehmen (z. B. Bedrohung der Verfassungsordnung des Landes, herausgehobene landespolitische Bedeutung, vgl. zu Fallgruppen: Graßhof, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand: Juli 2021, § 32 Rn. 121 ff.).

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Kirbach

Richter

Sokoll