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VerfGBbg, Beschluss vom 6. April 2021 - VfGBbg 7/21 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 8 Abs. 1 Satz 1; LV, Art. 12 Abs. 2; LV, Art. 52 Abs. 1 Satz 2; LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2; LV, Art. 52 Abs. 4 Alt. 1
- VerfGGBbg, § 30 Abs. 1
- BGB, § 227 Abs. 1
- SGG, § 202 Satz 1
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde unzulässig
- einstweilige Anordnung abgelehnt
- irreversible Nachteile
- Mündliche Verhandlung
- Begründung
- unzureichende Begründung
- Konkrete Darlegung
- Substantiiert
- Terminsverlegungsantrag
- Corona
- Coronavirus
- COVID-19
- Pandemie
- Hygienekonzept
- Schutzmaßnahmen
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 6. April 2021 - VfGBbg 7/21 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 7/21 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 7/21 EA
VfGBbg 7/21 EA (PKH)

In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren

E.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigte:               Rechtsanwältin
                                                                B.,

 

wegen

Ladungen zu den mündlichen Verhandlungen am 7. April 2021, Sozialgericht Potsdam ‌‑ S 35 AS 661/13 ‑‌ und ‌‑ S 35 AS 3079/14

hier

Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 6. April 2021

durch die Verfassungsrichter Möller, Müller, Richter und Dr. Strauß

beschlossen: 

 

                        Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.


Gründe:

A.

Nachdem das Verfassungsgericht mit Beschluss vom 19. März 2021 (VfGBbg 11/21 und VfGBbg 4/21 EA) eine Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen hat, wendet sich der Beschwerdeführer erneut mit der am 28. März 2021 eingegangenen Verfassungsbeschwerde und im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die seine Terminsverlegungsanträge ablehnenden Entscheidungen des Sozialgerichts Potsdam. Zudem soll dem Sozialgericht Potsdam vorläufig untersagt werden, in Verfahren des Beschwerdeführers künftige Termine zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, bis das Infektionsgeschehen in Potsdam und Brandenburg amtlich bestätigt abgeklungen sei.

Das Sozialgericht Potsdam hat in zwei vom Kläger geführten Verfahren Termine zur mündlichen Verhandlung auf den 7. April 2021 anberaumt. Terminsverlegungsanträge des Beschwerdeführers lehnte es mit Beschlüssen vom 15. März 2021 ab.

Der Beschwerdeführer rügt neuerlich eine Verletzung der Menschenwürde aus Art. 7 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), des Rechts auf „Unversehrtheit des Lebens“, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 LV, des „Verbot<s> der Behindertendiskriminierung“, Art. 12 Abs. 2 LV, des Verbots der medizinischen Versuche, Art. 8 Abs. 3 LV, des Rechts auf ein faires Verfahren, Art. 52 Abs. 4 Alt. 1 LV, des Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV, und des Rechts auf den gesetzlichen Richter, Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV.

Er trägt im Wesentlichen vor, dass das Sozialgericht in seinen Ablehnungsentscheidungen keine fachliche Grundlage benannt habe, auf der das gerichtliche Hygienekonzept erstellt worden sei. Ferner befassten sich die Gründe der Ablehnungsentscheidungen nicht mit dem Grundrecht des Beschwerdeführers auf Leben und Gesundheit sowie seinen Erkrankungen und ließen auch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen das Sozialgericht eine Teilnahme des Beschwerdeführers an den mündlichen Verhandlungen für vertretbar halte.

B.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

Gemäß § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Ob die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg vorliegen, ist grundsätzlich, soweit sich das Begehren in der Hauptsache nicht als offensichtlich unzulässig oder unbegründet darstellt, nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu beurteilen (st. Rspr., Beschlüsse vom 26. März 2021 ‌‑ 5/21 EA ‑‌, Rn. 20, vom 11. Dezember 2020 ‌‑ VfGBbg 22/20 EA ‑‌, Rn. 13, und vom 3. Juni 2020 ‌‑ VfGBbg 9/20 EA ‑‌, Rn. 38, ‌https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

I.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig, soweit er darauf gerichtet ist, die Ladungen zu künftigen mündlichen Verhandlungen vor dem Sozialgericht Potsdam zu unterlassen. § 30 VerfGGBbg liegt zugrunde, dass der Angriffsgegenstand bereits existiert und nicht lediglich antizipiert wird.

II.

Auch der Antrag, die bereits anberaumten Verhandlungstermine aufzuheben, ist ohne Erfolg.

1. Hinsichtlich der gerügten Verletzung der Menschenwürde aus Art. 7 LV, des Verbots medizinischer Versuche aus Art. 8 Abs. 3 LV, des Diskriminierungsverbots aus Art. 12 Abs. 2 LV und des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig, denn sie zeigt eine mögliche Verletzung der geltend gemachten Grundrechte des Beschwerdeführers nicht auf.

Ob die Verfassungsbeschwerde im Übrigen zulässig ist, bleibt offen.

2. Jedenfalls fällt die Folgenabwägung zu Lasten des Beschwerdeführers aus. Dabei sind die nachteiligen Wirkungen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, mit den nachteiligen Wirkungen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, zu vergleichen und zu bewerten. Es ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Erfolgs der Hauptsache zu erwarten sind, müssen im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtung im Sinne des Gesetzes nicht gewichtig genug sind („schwere Nachteile“) bzw. keinen gleichwertigen „anderen“ Grund im Sinne des Gesetzes darstellen. Bei der Abwägung sind im Allgemeinen nur irreversible Nachteile zu berücksichtigen.

Die Ausführungen des Antragstellers lassen solche irreversiblen Nachteile durch die bei Nichterlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu erwartende Durchführung der mündlichen Verhandlungen nicht erkennen.

Die im Rahmen der einstweiligen Anordnung gebotene strenge Prüfung verlangt nicht nur eine besondere Schwere der Nachteile, die entstehen, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, sondern stellt auch hohe Anforderungen an die Darlegung, dass solche Nachteile zu gewärtigen sind. Insoweit bedarf es in tatsächlicher Hinsicht zumindest im Sinne einer Plausibilitätskontrolle nachvollziehbarer individualisierter und konkreter Darlegungen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 28. Oktober 2020 ‌‑ 1 BvR 972/20 ‑‌, Rn. 10 und 12, vom 10. September 2020 ‌‑ 2 BvR 336/20 ‑‌ Rn. 6 ff., vom 23. August 2017 ‌‑ 1 BvR 1783/17 ‑‌, Rn. 8 ff. und vom 6. September 2010 ‌‑ 1 BvR 2297/10 ‑‌, Rn. 4, www.bverfg.de). Etwaige Unklarheiten gehen im Zweifel zu Lasten des Beschwerdeführers (Walter, in: BeckOK BVerfGG, Stand: 1. Januar 2021, § 32 Rn. 36).

Davon ausgehend fehlt es für die in Betracht kommende mögliche Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 LV an hinreichend substantiiertem Vortrag. Soweit sich der Beschwerdeführer im Fachverfahren wie im hiesigen Verfahren auf verschiedene Vorerkrankungen stützt, legt er nicht dar, dass die vom Sozialgericht generell ergriffenen ‌- und konkret für den Beschwerdeführer vorgesehenen - ‌Hygiene- und Schutzmaßnahmen nicht ausreichend sind. Daran ändert auch der abstrakte Verweis auf die am 30. März 2021 veröffentlichten Verschärfungen der Infektionsschutzvorschriften nichts.

Im Rahmen der Folgenabwägung, kann daher nur eine möglicherweise unrichtige Anwendung und Auslegung des nach § 202 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz anwendbaren § 227 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung durch das Sozialgericht berücksichtigt werden. Dies führt nicht zu einem den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigenden irreversiblen Nachteil.

C.

Mangels Erfolgsaussicht des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.

D.

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen. Sie ist unanfechtbar (§ 30 Abs. 3 Satz 2 VerfGGBbg).

 

Möller

Müller

Richter

Dr. Strauß