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VerfGBbg, Beschluss vom 20. August 2021 - VfGBbg 99/20 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 6 Abs. 3; LV, Art. 26 Abs. 1; LV, Art. 27 Abs. 3; LV, Art. 27 Abs. 7
- VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2, VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 45 Abs. 1
- BGB, § 839 Abs. 3
- GG, Art. 34
- KitaG, § 1 Abs. 2
- SGB VIII, § 24 Abs. 2 Satz 1
- StHG, § 2
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde unzulässig
- unzureichende Begründung
- Beschwerdebefugnis
- Kapazitätsmangel
- Kindertagesbetreuungsplatz
- Kindeswohl
- Prozessstandschaft
- Schadensersatz
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. August 2021 - VfGBbg 99/20 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 99/20




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 99/20

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

S.,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter:              J.
                                                                Rechtsanwälte,

 

beteiligt:

1.      Landkreis Havelland,
vertreten durch den Landrat,
Platz der Freiheit 1,
14712 Rathenow,

Äußerungsberechtigter zu 1.

Verfahrensbevollmächtigte                Rechtsanwälte
                                                                Dr. E.,

2.      Präsident
des Brandenburgischen Oberlandesgerichts,
Gertrud-Piter-Platz 11,
14770 Brandenburg an der Havel,

Äußerungsberechtigter zu 2.

wegen

Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 27. Oktober 2020 ‌‑ 2 U 115/18

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 20. August 2021

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Dr. Strauß, Dresen, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Kirbach, Müller, Richter und Sokoll

beschlossen: 

                        Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen ein Berufungsurteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, das ihre Klage auf Schadensersatz wegen Verdienstausfalls infolge der nicht rechtzeitigen Bereitstellung eines Kindertagesbetreuungsplatzes gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe als unbegründet abweist.

I.

Die Beschwerdeführerin ist Mutter eines am ... geborenen Kindes. Sie ist als Angestellte im öffentlichen Dienst tätig und beabsichtigte, ihre Tätigkeit zum ... wiederaufzunehmen. Gemeinsam mit dem Vater beantragte sie am ... einen Kindertagesbetreuungsplatz zum ... bei der Gemeinde .... Die Gemeinde nimmt aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit dem örtlichen Träger der Jugendhilfe, dem Äußerungsberechtigten zu 1., die Aufgaben zur Erfüllung des Rechtsanspruchs auf eine Kindertagesbetreuung aus § 1, § 12 Zweites Gesetz zur Ausführung des Achten Buches des Sozialgesetzbuches (Kindertagesstättengesetz Brandenburg - KitaG) wahr.

Im November 2016 erfuhr die Beschwerdeführerin mündlich von der Sachbearbeiterin der Gemeinde, dass ein Kindertagesbetreuungsplatz zum beantragten Zeitpunkt voraussichtlich nicht zur Verfügung stehen wird. Die Beschwerdeführerin stand seither in kontinuierlichem Austausch mit der Gemeinde und seit Mitte Januar 2017 auch mit dem Äußerungsberechtigten zu 1. Die Gemeinde verwies in den Gesprächen auf den fortbestehenden Kapazitätsengpass. Mit Schreiben vom 7. Februar 2017 teilte die Gemeinde mit, dass Kapazitäten frühestens zum Juli 2017 frei würden. Der Äußerungsberechtigte zu 1. wies mit Schreiben vom 23. Februar 2017 darauf hin, dass voraussichtlich erst zum 23. August 2017 ein Betreuungsplatz bereitgestellt werden könne. Die Beschwerdeführerin machte Anfang April 2017 auf den drohenden Verdienstausfall aufmerksam. Der Äußerungsberechtigte zu 1. verwies mit Schreiben vom 11. April 2017 auf den Rechtsweg.

Mit Schreiben vom 3. Mai 2017 erhob die Beschwerdeführerin gemeinsam mit dem Vater, auch im Namen des Kindes (zusammen: „die Antragsteller“), Klage zum Verwaltungsgericht Potsdam mit dem Ziel, feststellen zu lassen, dass der Äußerungsberechtigte zu 1. zur Bereitstellung des Kindertagesbetreuungsplatzes ab dem 5. Juni 2017 (Antrag zu 1.) sowie zum Ersatz der Kosten des nicht-rechtzeitigen Betreuungsplatzes (Antrag zu 2.) verpflichtet sei.

Das Verwaltungsgericht wies mit Verfügungen vom 11. und 23. Mai 2017 darauf hin, dass eine Entscheidung über die Klage bis zum 5. Juni 2017 aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht möglich sein werde, aber die Möglichkeit des Eilrechtsschutzes bestünde. Auf die am 21. Juni 2017 geäußerte Bitte klarzustellen, ob Eilrechtsschutz begehrt werde, teilten die Antragsteller mit Schreiben vom 6. Juli 2017 mit, dass ein Eilrechtsschutzverfahren unter der Voraussetzung nicht benötigt werde, dass die Anordnung der Betreuung durch das Gericht (Antrag 1) nicht unbedingt erforderlich sei, um Antrag 2 der Klageschrift stellen zu können. Mit Beschluss vom 7. September 2017 ‌‑ 7 K 5072/17 ‑‌ trennte das Verwaltungsgericht nach Anhörung der Beteiligten das Klageverfahren hinsichtlich der geltend gemachten Entschädigungsansprüche wegen Verdienstausfalls ab und verwies den Rechtsstreit insoweit an das Landgericht Potsdam.

Die Gemeinde hatte inzwischen mitgeteilt, dass ein Betreuungsplatz ab dem 4. September 2017 zur Verfügung stehen würde. Die Beschwerdeführerin hatte ihre Elternzeit entsprechend verlängert.

Das Landgericht Potsdam gab der Klage der Beschwerdeführerin mit Urteil vom 24. Oktober 2018 ‌‑ 4 O 361/17 ‑‌ statt. Die Beschwerdeführerin habe einen Anspruch auf Schadensersatz in Gestalt von Verdienstausfall aus § 1 Abs. 1 Gesetz zur Regelung der Staatshaftung in der Deutschen Demokratischen Republik (Staatshaftungsgesetz - StHG), § 839 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. m. Art. 34 Grundgesetz (GG) gegen den Äußerungsberechtigten zu 1.

Gegen das Urteil des Landgerichts legte der Äußerungsberechtigte zu 1. Berufung zum Oberlandesgericht ein. In der Begründung trug er unter anderem vor: Hätte die Beschwerdeführerin frühzeitig den Anspruch ihres Kindes auf Zuweisung eines Betreuungsplatzes vor den Verwaltungsgerichten in einem Eilrechtsschutzverfahren gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verfolgt, wäre dem Kind rechtzeitig ein geeigneter Betreuungsplatz im Kreisgebiet - wenn auch möglicherweise nicht unmittelbar in der Wohnortgemeinde - zur Verfügung gestellt worden. Dadurch wäre die Entstehung des geltend gemachten Verdienstausfallschadens vermieden worden.

Die Beschwerdeführerin brachte im Berufungsverfahren vor, ein wegen mangelnder freier Kapazitäten möglicherweise völlig sinnloses Eilverfahren sei nicht von der Beschwerdeführerin zu erwarten gewesen. Der einstweilige Rechtsschutz vor den brandenburgischen Verwaltungsgerichten wäre nicht effektiv gewesen, da er mehrere Monate hätte in Anspruch nehmen können. Der Beschwerdeführerin sei nicht zumutbar gewesen, für wenige Monate über eine einstweilige Verfügung einen anderen Betreuungsplatz zu erhalten, wenn sie bereits einen Platz für ihre Wunsch-Kindertagesstätte habe. Ferner sei auch Kind und Eltern nicht zumutbar gewesen, sich in eine Kindertagesstätte einzugewöhnen, aus dieser wieder herausgerissen zu werden und eine erneute Eingewöhnung - möglicherweise unter Inanspruchnahme des gesamten Jahresurlaubs - auf sich nehmen zu müssen.

Das Oberlandesgericht wies die Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 27. Oktober 2020 - 2 U 115/18 ‑‌, dem Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 4. November 2020 zugestellt, ab. Der Beschwerdeführerin stehe der geltend gemachte Anspruch aus Amts- bzw. Staatshaftung nicht zu. Der Anspruch scheitere daran, dass die Beschwerdeführerin es schuldhaft unterlassen habe, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (§ 2 StHG bzw. § 839 Abs. 3 BGB). Nach dem Willen des Gesetzgebers sei zur Beseitigung einer rechtswidrigen Maßnahme in erster Linie Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Erst wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft seien, solle ein Anspruch auf Schadensersatz in Betracht kommen. Zu den Rechtsmitteln im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB gehörten insbesondere Anträge im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO. Für das Staatshaftungsgesetz folge dies aus § 2 StHG, über den die zum Primärrechtsschutz und der Schadensabwendungspflicht entwickelten Grundsätze des Amtshaftungsrechts anwendbar seien.

Die Beschwerdeführerin hätte bereits nach der Mitteilung durch die Sachbearbeiterin am 20. Dezember 2016, spätestens aber nach Erhalt des Schreibens der Gemeinde vom 7. Februar 2017 beim zuständigen Verwaltungsgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO auf Beschaffung eines Betreuungsplatzes ab dem 5. Juni 2017 nach § 24 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) stellen müssen, weil bereits damals absehbar gewesen sei, dass der Äußerungsberechtigte zu 1. seiner Pflicht nicht rechtzeitig nachkommen werde. Dies gelte unabhängig davon, ob dieser gemessen an seinen Kapazitäten und weiteren Anträgen auf Betreuung in der Lage gewesen wäre, der Beschwerdeführerin einen Betreuungsplatz für ihr Kind zur Verfügung zu stellen. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 22. März 2018 ‌‑ OVG 6 S 6.18 ‑‌, juris) komme es nicht darauf an, ob dem Äußerungsberechtigten zu 1. die Bereitstellung eines Betreuungsplatzes tatsächlich unmöglich sei. Das Verwaltungsgericht prüfe zwar, ob die Anordnung auf die Verpflichtung einer unmöglichen Leistung gerichtet sei. Der Äußerungsberechtigte zu 1. sei aber gehalten, alle erdenklichen Maßnahmen auszuschöpfen, um den von ihm behaupteten Kapazitätsengpass auszuräumen. So habe er als zuständiger Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Möglichkeit, etwa durch eine übergangsweise Lockerung des Betreuungsschlüssels Betreuungsplätze im erforderlichen Umfang zu schaffen. Er müsse darüber hinaus im Vollstreckungsverfahren ganz konkret darlegen, alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben, dem Kind einen Betreuungsplatz zu verschaffen. Dabei komme es nicht darauf an, ob andere Kinder ebenfalls einen Anspruch hätten. Es bedürfe gegebenenfalls eines genauen Nachweises aller Gruppengrößen, des Personalschlüssels und der Fluktuation der letzten Monate. Dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe obliege es insofern, überobligatorische Anstrengungen zu unternehmen, um den Betreuungsplatz zu schaffen. Es sei im Streitfall nicht auszuschließen, dass Kapazitätserhöhungen möglich gewesen wären oder in den Monaten vor Anspruchsbeginn Fluktuationen stattgefunden hätten. Denn zunächst könne davon ausgegangen werden, dass der Träger jedenfalls diejenigen, zugunsten derer eine Gerichtsentscheidung ergangen wäre, vorrangig berücksichtigt hätte.

Der Beschwerdeführerin sei die Nichteinlegung des Rechtsmittels auch im Sinne von § 254 Abs. 2 BGB vorzuwerfen. Soweit sie meine, dass die Zeit für ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren ohnehin nicht gereicht hätte, müsse sie sich entgegenhalten lassen, dass sie bereits durch das Gespräch mit der Sachbearbeiterin der Gemeinde am 20. Dezember 2016, mehr als fünf Monate vor dem geplanten Aufnahmetermin am 5. Juni 2017, gewusst habe, dass die Gemeinde dem Kind zum gewünschten Termin keinen Platz zur Verfügung stellen konnte. Das Angebot der Mitarbeiterin, ihr dies schriftlich zu bestätigen, habe die Beschwerdeführerin erst Ende Januar 2017 aufgegriffen. Selbst zwischen dem Schreiben vom 7. Februar 2017 und dem beantragten Eintrittsdatum hätten noch vier Monate gelegen, die für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren gereicht hätten. Soweit die Beschwerdeführerin auf die Unzumutbarkeit einer doppelten Eingewöhnungsphase bei Vergabe eines Platzes für ein paar Monate verweise, sei dem entgegenzuhalten, dass § 24 SGB VIII keinen Anspruch auf einen Platz in der „Wunschkita“ oder ein bestimmtes pädagogisches Konzept gewähre. Vielmehr habe der Träger der öffentlichen Jugendhilfe lediglich einen Betreuungsplatz nachzuweisen, der in zumutbarer Entfernung zu erreichen sei.

Die Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage einen Monat vor dem geplanten Eintrittsdatum sei ersichtlich von Anfang an kein tauglicher Rechtsbehelf gewesen, um den Schaden abzuwenden. Ein Hauptsacheverfahren hätte innerhalb eines Monats keine Entscheidung bringen können. Trotz mehrerer Hinweise des Verwaltungsgerichts habe die Beschwerdeführerin bewusst keinen Eilrechtsschutz begehrt.

II.

Mit ihrer am 29. Dezember 2020 erhobenen Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 27. Oktober 2020 - 2 U 115/18.

Sie rügt eine Verletzung ihrer eigenen Grundrechte und der ihres Kindes aus Art. 6 Abs. 3, Art. 26 Abs. 1 sowie Art. 27 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 7 Verfassung des Landes Brandenburg (LV). Die Entscheidung des Oberlandesgerichts habe sich nicht an den genannten Grundrechten orientiert.

Die verfassungsrechtlich gebotene Förderung für Familien und Kinder werde durch einen unbedingten gesetzlichen Anspruch aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs gewährleistet, dessen Nichtverwirklichung nach der Rechtsprechung einen Schadensersatzanspruch auslösen könne. Den Träger der öffentlichen Jugendhilfe treffe eine unbedingte Gewährleistungspflicht (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2016 ‌‑ III ZR 302/15 ‑, Rn. 17, juris).

Die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts, die Beschwerdeführerin habe vor der Geltendmachung von Schadensersatz zunächst einstweiligen Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten in Anspruch nehmen müssen und die im Mai 2017 erhobene Klage beim Verwaltungsgericht ‌‑ etwa einen Monat vor Beginn des Betreuungsplatzanspruchs ‑‌ sei erkennbar zu spät erhoben worden, verstoße gegen Verfassungsrecht. Dies sei der Beschwerdeführerin nicht zumutbar gewesen. Sie hätte sich einem nicht unbeträchtlichen Kostenrisiko ausgesetzt, da nach der damaligen Rechtslage ungewiss gewesen sei, ob ein solcher Antrag überhaupt Erfolg gehabt hätte. Die Verwaltungsgerichte hätten seinerzeit Eilanträge im Regelfall bei fehlenden Kapazitäten zurückgewiesen. Erst mit dem vom Oberlandesgericht zitierten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. März 2018 ‌‑ OVG 6 S 6.18 ‑‌, der ergangen sei, nachdem der Kinderbetreuungsanspruch bereits bestanden habe, und deutlich später veröffentlicht worden sei, habe sich diese Situation - jedenfalls für den Bereich Berlin - geändert. Der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts habe sich das Verwaltungsgericht Potsdam für den Bereich Brandenburg erstmals mit ebenfalls vom Oberlandesgericht zitierten Beschluss vom 17. Juni 2018 angeschlossen. Hätte die Beschwerdeführerin einen Eilantrag gestellt, hätte sie auch nicht ohne weiteres einen entsprechenden Kinderbetreuungsplatz erhalten. Das Oberverwaltungsgericht habe nämlich nur deutlich gemacht, dass es die Einrede der fehlenden Kapazität seitens des Trägers der Jugendhilfe nicht mehr hinnehmen werde. Dies stelle keinen effektiven und zumutbaren Rechtsschutz im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB, § 2 StHG und auch nicht im Sinne von Art. 6 Abs. 3 LV dar. Ein formaler Titel, der mangels Kapazität trotzdem nicht notwendigerweise durchsetzbar sein müsse, helfe den Eltern nicht. Einstweiliger Rechtsschutz sei im vorliegenden Fall ein möglicher, aber nicht zwingend zumutbarer Rechtsbehelf. Dies gelte umso mehr, als dass die Eltern durch die rechtzeitige Beantragung und Bewilligung von Elternzeit auch für den Fall Vorsorge treffen müssten, dass eine solche einstweilige Anordnung keinen Erfolg verspreche. Zwar möge in der Rechtsprechung in anderen Rechtsbereichen geklärt sein, dass gegebenenfalls einstweiliger Rechtsschutz in Anspruch genommen werden müsse, dies könne aber mit Blick auf den verfassungsrechtlich garantierten Rücksichtnahmegrundsatz in der Kinder- und Jugendförderung nicht in diesem Bereich gelten. Es stelle eben keine staatliche oder gesellschaftliche Rücksichtnahme dar, wenn Eltern gezwungen würden, eine einstweilige Anordnung zu beantragen, um einen Betreuungsplatz zu erhalten und diesen gegebenenfalls auch noch vollstrecken müssten. Umgekehrt treffe den Träger der Jugendhilfe, dem deutlich gemacht worden sei, dass ggf. Schadensersatzansprüche geltend gemacht würden, seinerseits eine Schadensminderungspflicht, der er nicht nachgekommen sei.

Die Grundrechte aus Art. 26 Abs. 1, Art. 27 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 3 LV würden verletzt, wenn von Eltern erwartet würde, dass sie einen gesetzlich zustehenden Anspruch auf Kinderbetreuung erst im Wege staatlichen Zwangs durchsetzen müssten, obwohl die Träger der Jugendhilfe zuvor fehlende Kapazitäten mitgeteilt hätten. Der Staat selber müsse aufgrund seiner Grundrechts- und Gesetzesbindung dafür sorgen, dass gesetzliche Ansprüche erfüllt werden. Es könne vom Bürger nicht verlangt werden, dass er gesetzliche Ansprüche nur dann in Anspruch nehmen könne, wenn er sich um gerichtlichen Rechtsschutz bemühe. Mit den verfassungsrechtlich geschützten Grundsätzen einer staatlichen Kinder- und Jugendförderung sei dies gerade angesichts des Kostenrisikos nicht vereinbar, das gerade Familien mit geringen Einkommen nicht eingehen könnten oder wollten.

Ferner sei eine durch einen erfolgreichen Eilrechtsschutz erzwungene doppelte Eingewöhnung in eine vorläufige und eine „endgültig“ zugewiesene Kita dem Kindeswohl nicht notwendigerweise zuträglich und mit dem staatlichen Förderauftrag und dem Gebot der Rücksichtnahme aus Art. 26 und Art.  27 LV nicht vereinbar.

III.

Der Äußerungsberechtigte zu 1. hat zur Verfassungsbeschwerde Stellung genommen, der Äußerungsberechtigte zu 2. hat hiervon abgesehen. Die Verfahrensakte ist beigezogen worden.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1, § 50 Abs. 1 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.

1. Soweit die Beschwerdeführerin im eigenen Namen Grundrechte ihres Kindes ‌‑ u. a. auf Achtung seiner Würde aus Art. 27 Abs. 1 LV - geltend macht, fehlt ihr die Beschwerdebefugnis. Die Beschwerdebefugnis im Sinne von § 45 Abs. 1 VerfGGBbg setzt die Möglichkeit voraus, selbst, unmittelbar und gegenwärtig in einer grundrechtlich geschützten Rechtsposition beeinträchtigt bzw. verletzt zu sein. Eine Prozessstandschaft, d. h. die Möglichkeit, die Verletzung von Grundrechten eines Dritten im eigenen Namen geltend zu machen ‌- hier die Rechte des nicht am Verfahren beteiligten Kindes durch die Mutter -, ist daher im Verfassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich ausgeschlossen.

2. Die Verfassungsbeschwerde genügt ferner nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung.

a. Erforderlich ist nach § 20 Abs. 1, § 46 VerfGGBbg eine Begründung, welche schlüssig die mögliche Verletzung des geltend gemachten Grundrechts des Beschwerdeführers aufzeigt. Sie muss umfassend und aus sich heraus verständlich sein. Mit der Begründung müssen der entscheidungserhebliche Sachverhalt und die wesentlichen rechtlichen Erwägungen nachvollziehbar dargelegt werden, um dem Gericht eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Begehren zu ermöglichen. Im Fall einer Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung ist darzulegen, inwieweit die bezeichneten Grundrechte durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein sollen und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die Entscheidung kollidiert. Dazu bedarf es einer umfassenden Aufarbeitung der einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Rechtslage. Demnach muss der Beschwerdeführer ausgehend vom Entscheidungsinhalt aufzeigen, worin der Grundrechtsverstoß aus seiner Sicht im Einzelnen liegt (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 19. Februar 2021 ‌‑ VfGBbg 39/20 ‑‌, Rn. 9; und vom 19. Juni 2020 ‌‑ VfGBbg 10/19 ‑‌, Rn. 7, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

b. Eine Verletzung der gerügten Art. 6 Abs. 3 LV sowie Art. 26 Abs. 1, Art. 27 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 7 LV ist nicht nachvollziehbar dargetan. Der Vortrag zum Gewährleistungsgehalt dieser Normen beschränkt sich auf eine Wiedergabe des Wortlauts.

aa. Art. 6 Abs. 3 LV enthält ‌- wie auch Art. 34 GG auf Bundesebene - ‌ kein Grundrecht, dessen Verletzung unmittelbar vor dem Verfassungsgericht geltend gemacht werden kann. Zwar kommt der Norm grundrechtsähnlicher Charakter zu, allerdings sollte nach dem Willen des Verfassungsgebers ein Individualanspruch nicht ohne ein Art. 6 Abs. 3 LV ausgestaltendes einfaches Gesetz gewährleistet werden (vgl. Beschlüsse vom 19. Mai 2017 ‌‑ VfGBbg 8/17 ‑‌; und vom 18. November 2011 ‌‑ VfGBbg 40/11 ‑‌, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

bb. Art. 26 Abs. 1 LV stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Als Grundsatznorm lässt sich hieraus eine allgemeine Pflicht des Staates zur Förderung der Familie durch geeignete Maßnahmen entnehmen. Dem Gesetzgeber steht aber Gestaltungsfreiheit bei der Entscheidung darüber zu, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz verwirklichen will. Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen können aus dem Förderungsgebot nicht hergeleitet werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 12. Februar 2003 ‌‑ 1 BvR 624/01 ‑‌, Rn. 34, m. w. N., www.bverfg.de). Der Bundesgesetzgeber hat sich dazu entschieden, mit § 24 SGB VIII einen bundesweiten Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz vom vollendeten ersten bis zum dritten Lebensjahr ab dem 1. August 2013 als Primäranspruch zu schaffen. Der Landesgesetzgeber ist über die bundesrechtliche „Mindestregelung“ (Etzold, in: BeckOGK, Stand: Juni 2021, SGB VIII § 24 Rn. 98) hinausgegangen und hat mit § 1 Abs. 2 Zweites Gesetz zur Ausführung des Achten Buches des Sozialgesetzbuches (Kindertagesstättengesetz - KitaG) einen Rechtsanspruch für Kinder vom vollendeten ersten Lebensjahr bis zur Versetzung in die fünfte Schuljahrgangsstufe geregelt. Von der Schaffung spezifischer Sekundäransprüche für den Fall der Nicht- bzw. nicht rechtzeitigen Gewährung eines Betreuungsplatzes haben Bundes- und Landesgesetzgeber abgesehen. Prüfungsmaßstab für Sekundäransprüche sind die allgemeinen amts- bzw. staatshaftungsrechtlichen Grundsätze (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG bzw. § 1 ff. StHG).

cc. Es ist auch nicht dargelegt, dass der Verfassungsgeber mit Art. 27 Abs. 3 und Abs. 7 LV einen originären verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruch auf konkrete staatliche Entschädigungsleistungen jenseits der einfach-gesetzlich ausgestalteten Ansprüche schaffen wollte. Dies ist angesichts des Gesetzesvorbehalts in Absatz 7 und der Entstehungsgeschichte des Absatz 3 Satz 2 zweifelhaft (vgl. zur Entstehung Landtag Brandenburg, Verfassungsausschuss, Unterausschuss I, 3. Sitzung vom 3. April 1991, Ausschussprotokoll VA/UA I/3, Dokumentation, Verfassung des Landes Brandenburg, Band 2, S. 459, wonach der Begriff „finanzielle Hilfe“ als eine Form staatlicher Unterstützung auch deswegen gestrichen wurde, damit keine Missverständnisse hervorgerufen werden; Iwers, Entstehung, Bindungen und Ziele der materiellen Bestimmungen der Landesverfassung Brandenburg II, 1998, S. 473).

c. Dass die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts vor diesem Hintergrund bei der Anwendung des einfachen Rechts den Einfluss und das Gewicht des gerügten Grundrechtes verkannt hat oder eine unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbare und damit schlechthin unhaltbare Entscheidung getroffen hat, ist nicht nachvollziehbar dargelegt und auch nicht ersichtlich.

Die Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 2 StHG (bzw. § 839 Abs. 3 BGB) erfüllt sind, obliegt den Fachgerichten. Grundsätzlich unterliegt die Nachprüfung einer Gerichtsentscheidung durch das Verfassungsgericht engen Grenzen. Dieses übt keine umfassende Kontrolle der fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts aus. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestands sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen sind Sache der Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Verfassungsgericht daher weitgehend entzogen. Das Verfassungsgericht überprüft - jenseits der Verletzung des Willkürverbots - nur, ob der Entscheidung eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung und Reichweite eines Grundrechts zugrunde liegt (st. Rspr., Beschluss vom 19. Februar 2021 ‌‑ VfGBbg 49/20 ‑‌, Rn. 37, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Die Beschwerdeführerin hält der Entscheidung des Oberlandesgerichts lediglich ihre Rechtsmeinung zur einfachgesetzlichen Auslegung des § 2 StHG (bzw. § 839 Abs. 3 BGB) entgegen, wonach die Schaffung eines unbedingten Gewährleistungsanspruchs auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte (Primäranspruch) durch den einfachen Gesetzgeber den allgemeinen Ausschlusstatbestand für einen Sekundäranspruch auf Schadensersatz modifizieren soll.

Soweit sich die Beschwerdeführerin darauf stützt, dass die Einlegung eines Eilantrags beim Verwaltungsgericht auf Zuweisung eines Betreuungsplatzes nicht zumutbar gewesen sei, da die Verwaltungsgerichte in Berlin und Brandenburg diese vor der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. März 2018 ‌‑ OVG 6 S 6.18 -‌ bei Kapazitätsmangel zurückgewiesen hätten, lässt sie außer Acht, dass das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2015 und das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2017 befunden hatten, dass § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII einen einklagbaren Leistungsanspruch gewährt, der keinem Kapazitätsvorbehalt unterworfen ist (BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2015 ‌‑ 1 BvF 2/13 ‑‌, Rn. 43, juris ; BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 ‌‑ 5 C 19/16 ‑, BVerwGE 160, 212-237, Rn. 35, juris). Angesichts dieser Entscheidungen wären weitere Darlegungen der Beschwerdeführerin zu erwarten gewesen.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

 

Dr. Strauß

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Müller

Richter

Sokoll