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VerfGBbg, Beschluss vom 17. Juni 2022 - VfGBbg 7/22 EA -

 

Verfahrensart: sonstige Verfahren
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1; VerfGGBbg, § 30 Abs. 1; VerfGGBbg, § 46
- ZPO, § 766 Abs. 1 Satz 2; ZPO, § 767 Abs. 1; ZPO, § 769 Abs. 1
Schlagworte: - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, unzulässig
- Subsidiarität
- Vorrangigkeit des fachgerichtlichen Rechtsschutzes
- Zwangsvollstreckungsverfahren
- Vollstreckungsabwehrklage
- Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung
- tatsächliche Erfüllungshandlungen
- schwere, irreversible Nachteile, fehlend
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. Juni 2022 - VfGBbg 7/22 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 7/22 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 7/22 EA

In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren

Z.,
 

Antragsteller,

Verfahrensbevollmächtigter:              Rechtsanwalt
                                                                 H.,
 

 

wegen

Aussetzung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 10. September 2020 ‌‑ 6 Ca 1011/19

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 17. Juni 2022

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dresen, Dr. Finck, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

 

Gründe:

A.

Der Antragsteller begehrt mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die Aussetzung der Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Cottbus.

I.

Der Antragsteller unterhält einen Maler- und Lackierhandwerksbetrieb in Cottbus. Mit aufrechterhaltenem Versäumnisurteil vom 10. September 2020 (6 Ca 1011/19) hatte das Arbeitsgericht Cottbus den Antragsteller verurteilt, die - elektronisch erzeugte - Lohnnachweiskarte eines ehemaligen Arbeitnehmers zu korrigieren, die zu Lasten des Arbeitnehmers ein - um etwa 1.500,00 Euro - zu geringes Resturlaubsentgelt auswies. Das Arbeitsgericht Cottbus setzte mit Beschluss vom 10. Mai 2021 (6 Ca 1011/19) gegenüber dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 Euro, ersatzweise Zwangshaft von einem Tag je 250,00 Euro, fest.

Dagegen legte er sofortige Beschwerde ein. Er stützte sich darauf, Änderungen „gemäß dem Tenor“ auf einer Kopie der Lohnnachweiskarte vorgenommen zu haben und vertrat die Auffassung, lediglich zu Änderungen an einer Originalurkunde verurteilt worden zu sein. Dies sei ihm unmöglich, da er nicht in ihrem Besitz sei. Das Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde unter Hinweis darauf, dass die Lohnnachweiskarte elektronisch erstellt sei und damit eine Korrektur derselben auch elektronisch zu erfolgen habe, nicht ab.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wies die gegen den Zwangsgeldbeschluss eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers mit Beschluss vom 7. Juli 2021 (7 Ta 723/21), dem Verfahrensbevollmächtigten am 31. Juli 2021 zugestellt, zurück. Zur Begründung führte es aus, das Arbeitsgericht habe zu Recht zur Durchsetzung der Verpflichtungen aus dem Versäumnisurteil, nämlich die auf den Arbeitnehmer ausgestellte Lohnnachweiskarte 2018 nach bestimmten Maßgaben zu korrigieren, ein Zwangsgeld festgesetzt. Der Titel sei nicht dadurch erfüllt, dass der Beschwerdeführer händisch auf einem ihm überreichten Exemplar Eintragungen vorgenommen habe und diese Unterlagen in den Akten seines Verfahrensbevollmächtigten verwahren lasse. Die Korrektur sei kein interner Akt. Vielmehr werde die Lohnnachweiskarte elektronisch gegenüber der Urlaubskasse erstellt. Der Beschwerdeführer habe sie auch elektronisch erstellt, wie sich aus dem von ihm überreichten Ausdruck ergebe. Da „korrigieren“ „berichtigen“, „richtigstellen“ bedeute, setze die tenorierte Korrektur voraus, dass der Beschwerdeführer diese Eintragungen elektronisch im dafür vorgesehenen System gegenüber der Urlaubskasse vornehme und diese gegenüber dem Arbeitnehmer mit einem entsprechenden Ausdruck kommuniziere. Dies habe er bisher unstreitig nicht getan. Die Korrektur, zu der der Beschwerdeführer verurteilt worden sei, sei ihm nicht unmöglich. Es könne dahinstehen, ob der Beschwerdeführer ein „Original“ erhalten habe, denn auch ohne dieses könne er die geforderten Korrekturen im System vornehmen. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde sei nicht in Betracht gekommen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Es handele sich um eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung, die keine grundsätzliche Bedeutung entfalte.

II.

Am 30. September 2021 hat der Antragsteller Verfassungsbeschwerde erhoben; sie ist noch anhängig (VfGBbg 60/21). Mit der Verfassungsbeschwerde rügt er die Verletzung der Garantie auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 10 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) „in Verbindung mit Art. 2 Abs. 5 Satz 2 LV und Art. 6 Abs. 1 LV“, einen Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV und gegen die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV durch die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. Juli 2021 (7 Ta 723/21). Er ist der Ansicht, die rechtlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde hätten vorgelegen.

III.

Der ehemalige Arbeitnehmer betreibt aus dem Zwangsmittelbeschluss vom 10. Mai 2021 die Vollstreckung. Er erwirkte beim Amtsgericht Cottbus am 24. Januar 2022 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Das Amtsgericht Cottbus hat auf Antrag des Antragstellers mit Beschluss vom 8. März 2022 (57 M 1072/21) die Zwangsvollstreckung einstweilig eingestellt und dem Antragsteller aufgegeben, binnen zwei Monaten ab Zustellung eine Entscheidung des Prozessgerichts gemäß § 767 Zivilprozessordnung (ZPO) vorzulegen, ansonsten werde die Zwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss fortgesetzt.

IV.

Der Antragsteller beantragt mit dem am 18. Mai 2022 eingegangenen Schriftsatz im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 30 Abs. 1 Gesetz über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) sinngemäß, die Zwangsvollstreckung aus Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 10. September 2020 (6 Ca 1011/19) auszusetzen. Er verweist darauf, Erinnerung nach § 766 ZPO gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss eingelegt zu haben. Da bisher keine Entscheidung des Prozessgerichts habe eingeholt werden können, sei zu befürchten, dass die Zwangsvollstreckung fortgesetzt und das Zwangsgeld unwiederbringlich eingezogen werde. Er trägt vor, er könne die tenorierte Handlung nicht anders vornehmen, als er es bereits getan habe. Dies rechtfertige die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde. Das Zwangsgeld sei „unwiederbringlich“, wenn das Rechtsbeschwerdegericht den Zwangsgeldbeschluss aufhebe. Zudem drohe dem Antragsteller eine weitere Zwangsgeldfestsetzung, da das Landesarbeitsgericht etwas fordere, was dem Wortlaut des Tenors in keiner Weise zu entnehmen sei.

B.

Der Antrag hat keinen Erfolg; er ist unzulässig.

1. Gemäß § 30 Abs. 1 VerfGGBbg kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Im Hinblick auf den einzelnen Bürger ist ein Anknüpfungspunkt für einen Gemeinwohlbezug allenfalls dann anzunehmen, wenn die Gefahr eines irreversiblen Nachteils für die Freiheit und Unversehrtheit der Person oder für vergleichbare elementare Menschenrechte besteht. Dabei gelten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 30 VerfGGBbg die allgemeinen Begründungsanforderungen des § 20 Abs. 1, § 46 VerfGGBbg (vgl. Beschluss vom 11. März 2022 ‌‑ VfGBbg 1/22 EA ‑‌, Rn. 26, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

2. Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung kommt wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses nicht in Betracht. Dieses besteht nur dann, wenn der erstrebte Rechtsschutz nicht auf anderem, einfacherem Wege erreichbar ist (vgl. Beschlüsse vom 19. Mai 2020 ‌‑ VfGBbg 6/20 EA ‑‌, Rn. 4, vom 5. Mai 2020 ‌‑ VfGBbg 5/20 EA ‑‌, Rn. 5, und vom 15. Juni 2018 ‌‑ VfGBbg 2/18 EA ‑‌, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Ein Tätigwerden des Verfassungsgerichts ist in aller Regel nicht erforderlich, solange und soweit Rechtsschutz durch die Fachgerichtsbarkeit in Anspruch genommen oder das Anliegen auf andere Weise erreicht werden kann. Insoweit gilt auch im Verfahren nach § 30 VerfGGBbg der Grundsatz der Subsidiarität (vgl. Beschluss vom 19. Mai 2020 ‌‑ VfGBbg 6/20 EA ‑‌, Rn. 4 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Dem Antragsteller stehen mehrere, vorrangig zu beschreitende Wege zur Erreichung seines Rechtsschutzziels offen.

a. Soweit der Antragsteller meint, bereits alles zur Erfüllung Erforderliche getan zu haben, steht es ihm frei, den Erfüllungseinwand mit der Vollstreckungsabwehrklage beim Prozessgericht des ersten Rechtszugs geltend zu machen (vgl. § 767 Abs. 1 ZPO) und einen Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 769 Abs. 1 ZPO zu stellen. Es ist nicht ersichtlich, dass er dies getan hat. Der Vortrag des Antragstellers, es habe bisher keine Entscheidung des Prozessgerichts eingeholt werden können, vermag insoweit nicht, die Ausschöpfung dieser Rechtsschutzmöglichkeiten den Begründungsanforderungen aus § 20 Abs. 1, § 46 VerfGGBbg entsprechend darzutun.

b. Soweit der Antragsteller vorträgt, Erinnerung nach § 766 ZPO eingelegt zu haben, ist nicht erkennbar, dass er bei dem funktionell zuständigen Organ einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 766 Abs. 1 Satz 2 ZPO gestellt hat.

c. Überdies steht dem Antragsteller die Möglichkeit offen, die Zwangsvollstreckung durch die tatsächliche Vornahme von Erfüllungshandlungen abzuwenden.

Der Antragsteller geht insofern in seiner Annahme fehl, die Verpflichtungen aus dem Versäumnisurteil nicht anders vornehmen zu können, als er dies bereits getan habe ‑ nämlich durch händische Eintragungen auf einer Kopie von Teil B der Lohnnachweiskarte. Dies erweist sich in Ansehung des Abrechnungsverfahrens als offensichtlich ungeeignet, um die Erfüllung zu bewirken. Die fachgerichtlich streitgegenständliche Lohnnachweiskarte Teil B ist erkennbar elektronisch erzeugt worden. Die Lohnnachweiskarte wird auf Basis der von dem Arbeitgeber gemeldeten Daten von den als Malerkasse bezeichneten tariflichen Sozialkassen - der Gemeinnützigen Urlaubskasse für das Maler- und Lackiererhandwerk e. V. und der Zusatzversorgungskasse des Maler- und Lackiererhandwerks VVaG - erstellt (vgl. § 3 Ziff. 1 Satz 1 Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub und die Zusatzversorgung im Maler- und Lackiererhandwerk vom 23. November 2005 in der Fassung der Änderungstarifverträge vom 4. Dezember 2008 und vom 30. Juni 2011). Bei fehlerhaften Eintragungen in der Lohnnachweiskarte hat sich der Arbeitgeber an die Malerkasse zu wenden. Nach Prüfung durch die Malerkasse werden die Korrekturen von dieser vorgenommen und der Arbeitgeber erhält eine neue Version von Teil B zur Aushändigung an den Arbeitnehmer (vgl. zum Verfahren: https://www.malerkasse.de/‌arbeitgeber/‌nachweise/‌lohnnachweiskarte.html).

Angesichts dessen vermögen händische Änderungen auf Ausfertigungen keine Korrektur der Lohnnachweiskarte Teil B zu bewirken. Dass der Antragsteller dementsprechend die zur Ausstellung eines korrigierten Teils B der Lohnnachweiskarte 2018 des ehemaligen Arbeitnehmers erforderlichen Meldungen gegenüber der Malerkasse veranlasst hat, ist schon nicht vorgetragen. Es bleibt ihm mithin unbenommen, die Vollstreckung des Zwangsmittelbeschlusses abzuwenden und gegenüber dem Vollstreckungsorgan, dem Vollstreckungsgericht oder dem etwaigen angerufenen Prozessgericht zur Erfüllung der aufgezeigten Pflichten vorzutragen und Beweis anzubieten.

3. Schließlich ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller schwere, irreversible Nachteile für elementare Menschenrechte drohen. Zudem fehlt es an den von § 30 Abs. 1 VerfGGBbg vorausgesetzten dringend abzuwendenden Auswirkungen auf das Gemeinwohl. Die in Rede stehende Zwangsgeldfestsetzung ist eine einzelfallbezogene Entscheidung, die keine weittragende Bedeutung für die Allgemeinheit im geforderten Sinne (vgl. dazu Beschluss vom 11. März 2022 ‌‑ VfGBbg 2/22 EA ‑‌, Rn. 30, https://verfassungsgericht.brandenburg.de) aufweist.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dresen

Dr. Finck

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß