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VerfGBbg, Beschluss vom 16. Juni 2023 - VfGBbg 7/23 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 1
- VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, § 46
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde, unzulässig
- Verfassungsbeschwerde, Darlegungsanforderungen
- Subsidiarität
- Darlegungsanforderungen
- Gestaltungsrechte, Bedingungsfeindlichkeit
- Widerruf
- Widerruf, wirksame Erklärung
- Willkür, nicht dargelegt
- Verbraucherschutz
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 16. Juni 2023 - VfGBbg 7/23 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 7/23




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 7/23

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

1.      K.,

2.      K.,

Beschwerdeführer,

wegen

Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 17. Januar 2023 ‌- 21 C 171/22

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 16. Juni 2023

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Dr. Strauß, Dr. Finck, Heinrich-Reichow, Kirbach, Müller, Richter und Sokoll

beschlossen: 

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

A.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist ein zivilrechtliches Urteil des Amtsgerichts Oranienburg.

I.

Die Beschwerdeführer hatten vor dem Amtsgericht Oranienburg unter dem 22. Oktober 2022 Klage gegen die Betreiberin einer Hundeschule (die Beklagte) auf Rückzahlung von 450,00 Euro für das - jedenfalls teilweise bereits in Anspruch genommene - Training ihres Hundes erhoben. Am 13. März 2022 waren mündlich und außerhalb der Geschäftsräume der Beklagten 15 Stunden Hundetraining für 250,00 Euro vereinbart und bar gegen Quittung bezahlt worden; ebenso am 27. März 2022 weitere 15 Stunden für den zusätzlichen Betrag von 200,00 Euro.

In der Klageschrift vertraten die Beschwerdeführer die Auffassung, die Rechtsgeschäfte vom 13. und 27. März 2022 seien nichtig, weil die Beklagte die Beschwerdeführer nicht gemäß § 312d Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. m. Art. 246a Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) über die dort genannten Angaben informiert habe. Sie erklärten hilfsweise in der Klageschrift den Widerruf gemäß § 312g BGB. Zusätzlich beriefen sie sich auf § 125, § 134 und § 138 BGB. Die Verträge seien nicht schriftlich geschlossen worden und verstießen gegen zwingendes, vertraglich nicht abdingbares Verbraucherschutzrecht.

Das Amtsgericht Oranienburg führte ein schriftliches Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch (§ 495a Satz 1 Zivilprozessordnung, ZPO). Mit Urteil vom 17. Januar 2023 (21 C 171/22) wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, Tatsachen, die auf eine Sittenwidrigkeit des auf eine Hundeschulung gerichteten Vertrags hindeuteten, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Der von den Beschwerdeführern hilfsweise erklärte Widerruf sei unzulässig; einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen seien bedingungsfeindlich, worauf die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. November 2022 eindeutig hingewiesen habe.

Mit Schreiben vom 28. Januar 2023 erhoben die Beschwerdeführer „Anschlussbeschwerde § 567 ZPO“. Sie hätten dem Urteil des Amtsgerichts entnommen, dass ihnen beim Widerruf ein Formfehler unterlaufen sei. Den Widerruf hätten sie nun mit Einwurfeinschreiben getätigt. Das Amtsgericht teilte mit Schreiben vom 8. Februar 2023 den Beschwerdeführern mit, das Verfahren sei beendet, eine Berufung dürfe mangels Erreichens der Berufungssumme unzulässig sein. Ferner fragte es nach, ob das Schreiben vom 28. Januar 2023 als Gehörsrüge ausgelegt werden solle. Die Beschwerdeführer haben dem Verfassungsgericht nicht mitgeteilt, ob und ggf. mit welchem Inhalt sie das Schreiben des Amtsgerichts beantwortet haben.

II.

Mit der am 13. Februar 2023 eingegangenen Verfassungsbeschwerde haben die Beschwerdeführer ursprünglich gerügt, das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 17. Januar 2023 (21 C 171/22) verletze das Willkürverbot, das sie auf Art. 12 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) stützen, und ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV). Ferner sei das Gerichtsverfahren unfair (Art. 52 Abs. 4 LV) gewesen.

Nachdem das Verfassungsgericht die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 27. Februar 2023 darauf hingewiesen hat, dass eine Verletzung der genannten Grundrechte nicht den Anforderungen der § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) gemäß dargelegt sein dürfte, begründen sie ihre Verfassungsbeschwerde nunmehr ausschließlich mit einer Verletzung des Willkürverbots.

Die Beschwerdeführer tragen vor: Würden Zivilprozesse ohne Möglichkeit der Berufung bewusst richterlich nicht aufgeklärt und hinterfragt (§ 139 ZPO), werde der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 12 Abs. 1 LV verletzt. Die Begründung des Gerichts, der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag stehe Rückzahlungsansprüchen entgegen, sei rechtlich unvertretbar und unhaltbar und stelle einen ersten Willkürverstoß dar. Das Gericht sage bewusst nicht, wann und wie ein Vertrag geschlossen worden sei. Ein zweiter Willkürverstoß bestehe darin, dass das Amtsgericht Privatautonomie und stillschweigende Dienstleistungsgeschäfte außerhalb geschlossener Geschäftsräume erlaube. Der dritte Willkürakt liege in der Verweigerung zwingenden, unabdingbaren Rechts. Das Amtsgericht habe zwingende Rechtsnormen (§ 312d, § 312f, § 312g BGB) außer Kraft gesetzt. Einen vierten Willkürakt erkennen die Beschwerdeführer in der Begründung des Amtsgerichts, etwaige Gesetzesverstöße (§ 312d, § 312f, § 312g BGB) rechtfertigten allenfalls einen Widerruf. Diese Argumentation sei völlig aus der Luft gegriffen, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar und nicht haltbar. Den Widerruf fordere nur § 312g BGB. Ihnen sei die Möglichkeit, den Widerruf im ersten Termin zu erklären, abgeschnitten worden. Der Widerruf sei ihr letzter Anker gewesen, nachdem ihre Rechte aus dem Verbraucherschutz gescheitert seien. Mit der Anschlussbeschwerde hätten sie den „rechtswirksame<n> Widerruf nachgeholt“. Das Amtsgericht aber habe die Beschwerde mit Schreiben vom 8. Februar 2023 abgelehnt.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Sie ist unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen an eine substantiierte Begründung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) genügt.

Erforderlich ist danach eine Begründung, welche umfassend und aus sich heraus verständlich die mögliche Verletzung der geltend gemachten Grundrechte des Beschwerdeführers hinreichend deutlich aufzeigt. Dabei ist darzulegen, inwieweit die bezeichneten Grundrechte durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein sollen und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die Entscheidung kollidiert. Dazu bedarf es einer umfassenden Aufarbeitung der einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Rechtslage. Demnach muss der Beschwerdeführer ausgehend vom Entscheidungsinhalt aufzeigen, worin der Grundrechtsverstoß aus seiner Sicht im Einzelnen liegt (vgl. Beschluss vom 18. Februar 2022 ‌- VfGBbg 48/20 -‌, Rn. 20, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Diesen Anforderungen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht. Eine Verletzung des für das gerichtliche Verfahren in Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV verankerten Willkürverbots (vgl. Beschlüsse vom 17. Februar 2023 ‌- VfGBbg 2/21 -‌, Rn. 43, und vom 17. Januar 2020 ‌- VfGBbg 68/19 -‌, Rn. 21, https://verfassungsgericht.brandenburg.de) vermag das Beschwerdevorbringen nicht aufzuzeigen.

Eine gerichtliche Entscheidung verstößt nicht bereits bei jeder fehlerhaften Anwendung einfachen Rechts gegen das Willkürverbot, sondern erst dann, wenn sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar und damit schlechthin unhaltbar ist (vgl. zuletzt Beschluss vom 21. Januar 2022 ‌- VfGBbg 57/21 -‌, Rn. 21, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Sie muss Ausdruck einer objektiv falschen Rechtsanwendung sein, die jeden Auslegungs- und Beurteilungsspielraum außer Acht lässt und ganz und gar unverständlich erscheint. Diese Voraussetzungen liegen unter anderem dann vor, wenn sich ein Gericht mit seiner rechtlichen Beurteilung ohne nachvollziehbare Begründung in Widerspruch zu einer durch Rechtsprechung und Schrifttum geklärten Rechtslage setzt oder das Gericht den Inhalt einer Norm krass missdeutet, so dass sich der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. Beschluss vom 16. August 2019 ‌- VfGBbg 45/18 -‌, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.).

Soweit die Beschwerde einen Willkürverstoß darauf stützt, das Amtsgericht habe aufklären müssen und „nicht hinterfragt“, übersehen die Beschwerdeführer, dass das Gericht nur insoweit zur Aufklärung veranlasst ist, als dies erforderlich ist. Die Beschwerdeführer benennen nicht, welche Tatsachen hätten aufgeklärt werden müssen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass Verträge auch mündlich geschlossen werden können, es sei denn, Schriftform ist gesetzlich vorgeschrieben, § 125, § 126 BGB. Dass die Beschwerdeführer mit der rechtlichen Bewertung nicht hätten rechnen müssen, tragen sie nicht ausdrücklich vor. Aus ihrem Vorbringen ergibt sich auch nicht, dass rechtliche Gesichtspunkte im Unklaren geblieben wären. Den das Urteil tragenden rechtlichen Gesichtspunkt - die Bedingungsfeindlichkeit des Widerrufs - hatte die Beklagte schriftsätzlich vorgetragen; mit der Möglichkeit, das Gericht könnte sich dem anschließen, war daher zu rechnen.

Der Verweis auf § 139 ZPO bleibt nach dem Vorgesagten ohne Substanz. Zudem wäre bei Rüge von Verstößen gegen § 139 ZPO die nicht rechtsmittelfähige Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität zunächst mit der Anhörungsrüge anzugreifen gewesen.

Willkürverstöße sind auch nicht darin zu erkennen, dass das Amtsgericht nicht bereits aufgrund der Verletzung von Informationspflichten aus § 312d BGB bzw. Dokumentationspflichten nach § 312f BGB der Klage stattgegeben hat. Die Beschwerdeführer verkennen bereits die Gesetzessystematik dieser Bestimmungen. Beide Normen sehen keine unmittelbaren und bestimmten Rechtsfolgen etwa für die Wirksamkeit des Vertrags für den Fall vor, dass der Unternehmer diesen Pflichten nicht nachkommt. Andere Rechtsnormen sehen nachteilige Konsequenzen für den Unternehmer vor, wenn dieser den Verbraucher nicht hinreichend informiert (vgl. Martens, in: BeckOK BGB, Stand: Februar 2023, BGB, § 312d, Rn. 13), z. B. die Möglichkeit für den Verbraucher, einen Widerruf zu erklären (§ 312g Abs. 1 BGB i. V. m. § 355 BGB) mit den sich daraus ergebenden Folgen (vgl. §§ 356 f. BGB). Darauf dass der Widerruf im Ausgangsverfahren nicht wirksam erklärt worden war, hat das Gericht seine Entscheidung gestützt. Der nachfolgend erklärte Widerruf konnte wegen Beendigung des Verfahrens in diesem keine Wirkung mehr entfalten.

Das Amtsgericht hat die ihm vorgetragenen Tatsachen rechtlich anders bewertet als die Beschwerdeführer; dies allein begründet keinen Willkürverstoß. Dass sich die Beschwerdeführer gegen die Auslegung des Widerrufs als bedingungsfeindlich wenden wollten, ist nicht erkennbar. Jedenfalls steht der Ausgangspunkt des Amtsgerichts, der Widerruf sei eine Gestaltungserklärung, grundsätzlich im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Urteile vom 7. November 2017 ‌- XI ZR 369/16 -‌, Rn. 28, und vom 11. Oktober 2016 ‌- XI ZR 482/15 -‌, BGHZ 212, 207-223, Rn. 19, juris). An Darlegungen, weshalb vor dem Hintergrund, dass Gestaltungserklärungen grundsätzlich bedingungsfeindlich und unwiderruflich sind (vgl. Müller/Christmann, in: BeckOK BGB, BGB, § 355, Rn. 26; Mörsdorf, in: BeckOGK, Stand: Juni 2022, BGB, § 355, Rn. 63), ein schlechthin unhaltbarer Willkürverstoß gegeben sein soll, fehlt es.

Auch mit der Rüge, ihnen sei die Möglichkeit abgeschnitten worden, in einem ersten Termin den Widerruf zu erklären, dringen die Beschwerdeführer nicht durch. Zum einen fehlen bereits Ausführungen dazu, weshalb nach den einfachgesetzlichen Bestimmungen eine mündliche Verhandlung geboten war; das Amtsgericht hat gemäß § 495a Satz 1 ZPO ein schriftliches Verfahren durchgeführt. Die Beschwerdeführer haben zudem nicht dargetan, dem Grundsatz der Subsidiarität genügt zu haben. Dieser in § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg verankerte Grundsatz verlangt von dem Beschwerdeführer, dass er vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde über eine bloße Erschöpfung des Rechtswegs hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ergreift, um eine etwaige Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden Verfahren zu verhindern oder zu beheben (vgl. Beschluss vom 17. Februar 2023 ‌- VfGBbg 2/21 -‌, Rn. 37, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Nach der in der Verfassung angelegten Kompetenzverteilung obliegt es primär den Fachgerichten, die Grundrechte zu wahren, zu schützen und durchzusetzen. Zweck des Subsidiaritätsprinzips ist dabei nicht allein der vorrangige individuelle Grundrechtsschutz durch die Fachgerichte. Durch die geforderte fachgerichtliche Vorbefassung soll zudem sichergestellt werden, dass sich die verfassungsgerichtliche Prüfung auf möglichst umfassend geklärte Tatsachen stützen kann und auch die Rechtslage durch die Fachgerichte vorgeklärt und aufbereitet worden ist (st. Rspr., vgl. zuletzt Beschluss vom 17. Februar 2023 ‌- VfGBbg 2/21 -‌, Rn. 37 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Die Beschwerdeschrift verhält sich nicht dazu, ob die Beschwerdeführer einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 495a Satz 2 ZPO gestellt haben.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Dr. Strauß

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Müller

Richter

Sokoll