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VerfGBbg, Beschluss vom 20. Mai 2021 - VfGBbg 3/21 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 9 Abs. 1 Satz 1; LV, Art. 26 Abs. 2; LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2; LV, Art. 52 Abs. 4 Alt. 1; LV, Art. 54 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 46
- StGB, § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; StGB, § 56f Abs. 2
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde teilweise unzulässig
- unzureichende Begründung
- Widerruf einer Strafaussetzung
- Widerruf einer Bewährung
- Bewährung
- Bewährungswiderruf
- mehrfache Verlängerung der Strafaussetzung
- prozessuale Überholung
- Auseinandersetzung mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung
- Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Grundrechtsverstoß
- Auseinandersetzung mit einschlägiger Rechtsprechung
- Richterliche Sachaufklärung
- Einschätzungsprärogative der Strafgerichte
- Sozialprognose
- Corona-Pandemie
- Strafvollzug
- Suchttherapie
- rechtliches Gehör
- Heilung eines Gehörverstoßes
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. Mai 2021 - VfGBbg 3/21 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 3/21




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 3/21

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

P.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigte:               Rechtsanwälte B. & W.,

 

wegen

Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. November 2020 ‌‑ 23 Qs 40/20 ‑‌; Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 22. Oktober 2020 ‌‑ 23 Qs 40/20 ‑‌; Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 26. Juni 2020 ‌‑ 14 BRs 4/18

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 20. Mai 2021

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dresen, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 


 

Die Verfassungsbeschwerde wird teilweise verworfen
und im Übrigen zurückgewiesen.

Gründe:

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Widerruf der ihm bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung.

I.

Der Beschwerdeführer war durch Urteil des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 7. April 2016 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt worden. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde gleichzeitig für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Durch Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 9. November 2018 wurde die Bewährungszeit bis zum 14. April 2020 verlängert, nachdem der Beschwerdeführer innerhalb der laufenden Bewährungszeit erneut straffällig geworden und deswegen durch das Amtsgericht Strausberg am 26. September 2018 wegen Betrugs zu einer weiteren Freiheitsstrafe von 6 Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden war.

Wegen einer im Juni 2019 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung verurteilte das Amtsgericht Strausberg den Beschwerdeführer am 18. Mai 2020 zu einer weiteren Freiheitsstrafe von acht Monaten. Auf die Berufung des Beschwerdeführers änderte das Landgericht Frankfurt (Oder) das Urteil im Rechtsfolgenausspruch am 19. Februar 2021 teilweise ab und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen.

Das Amtsgericht Strausberg widerrief durch Beschluss vom 26. Juni 2020 die durch das Urteil des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 7. April 2016 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wegen wiederholten Bewährungsversagens. Dem Beschwerdeführer sei nur neun Monate vor der zuletzt abgeurteilten Tat die Bewährungszeit wegen einer in dieser begangenen Straftat verlängert worden. Dabei sei er auf den Ausnahmecharakter der Verlängerungsmaßnahme hingewiesen worden. Tatsachen fehlten, die die Fähigkeit des Beschwerdeführers belegen, den Willen, sich straffrei zu führen, in die Tat umzusetzen. Zwar habe sich der Beschwerdeführer in Therapie begeben, dies allerdings erst nach der Verurteilung vom 18. Mai 2020. Der Ausgang der Therapie, die erst zwei Termine beansprucht habe, sei vollkommen offen. Gegen die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer in Zukunft ein straffreies Leben führen werde, spreche, dass er zweimaliger Bewährungsversager sei und in der Vergangenheit wegen einer Vielzahl von Straftaten, seit 2012 fünfmal wegen unterschiedlicher Delikte, verurteilt worden sei. Mildere Maßnahmen könnten demnach nicht so nachhaltig auf den Beschwerdeführer einwirken wie der Widerruf.

Seine hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde begründete der Beschwerdeführer mit der Unverhältnismäßigkeit des Widerrufs der Strafaussetzung. Insbesondere kämen abweichend von der Überzeugung des Amtsgerichts mildere Maßnahmen gemäß § 56f Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht. Eine positive Sozialprognose sei schon dann begründbar, wenn der Beschwerdeführer auf Grund seiner Bereitschaft zu therapeutischen Maßnahmen der Suchtbehandlung an seinem Alkohol-problem arbeite und ihm dazu eine entsprechende Bewährungsauflage erteilt werde. Der Umstand, dass aufgrund der Eindämmungsmaßnahmen in der Corona-Pandemie Therapiegespräche bei der Drogen- und Suchtberatung nicht möglich gewesen seien, habe überhaupt keine Berücksichtigung gefunden. Zudem stehe der Beschwerdeführer in Arbeit und führe eine Beziehung. Der Resozialisierung durch Strafhaft bedürfe es demnach nicht.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 22. Oktober 2020 unter Bezugnahme auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung als unbegründet.

Mit Schriftsatz vom 4. November 2020 beantragte der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie Vollstreckungsaufschub. Der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) und ein faires Verfahren aus Art. 52 Abs. 4 Alt. 1 LV sei verletzt, da sich das Gericht ohne nähere Begründung über das Beschwerdevorbringen des Beschwerdeführers hinwegsetzt habe. Die Widerrufsentscheidung stelle eine besondere Härte dar, da im Strafvollzug pandemiebedingt keine Suchtberatung angeboten werde, die Lebenspartnerin des Beschwerdeführers auf dessen Pflege angewiesen sei und der Strafvollzug aufgrund der Einschränkung sozialer Kontakte von Gefangenen „möglicherweise mit Art. 54 Abs. 1 LV nicht in Einklang gebracht werden“ könne. Eine sachgerechte Prognoseentscheidung müsse sich mit den allgemeinen Einschränkungen sozialer Kontakte durch die Corona-Verordnung auseinandersetzen, da diese die Möglichkeit der Begehung weiterer Straftaten durch den Beschwerdeführer zusätzlich einschränke.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) lehnte beide Anträge mit Beschluss vom 9. November 2020, zugestellt am 12. November 2020, ab. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise liege nicht vor. Das Gericht habe das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen. Der Widerruf der Bewährung sei nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB erfolgt, nachdem die Bewährungszeit schon zuvor wegen eines vorhergehenden Bewährungsversagens verlängert worden war. Bereits das Amtsgericht habe sich mit der Suchttherapie des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und den Antrag in Kenntnis dieses Umstandes mit zutreffenden Gründen abgelehnt. Die Einschränkung sozialer Kontakte durch die Corona-Verordnung ergebe keine günstigere Sozialprognose. Die weiteren im Antrag vorgebrachten Gesichtspunkte seien nicht entscheidungserheblich. Etwaige Härten einer Strafvollstreckung könnten schon aus systematischen Gründen im Widerrufsverfahren keine Berücksichtigung finden, da in diesem erst geklärt werde, ob die Strafe zu vollstrecken ist. Ein Absehen von einem Widerruf komme nur unter den Bedingungen des § 56f Abs. 2 StGB in Betracht, die nicht vorlägen.

II.

Mit der am 12. Januar 2021 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Strausberg vom 26. Juni 2020 (14 BRs 4/18) sowie des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 22. Oktober 2020 (23 Qs 40/20) und vom 9. November 2020 (23 Qs 40/20).

Er rügt die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV, auf ein faires Verfahren, Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV, „auf Resozialisierung, offenen Vollzug, Erwerbstätigkeit“, der aus Art. 54 Abs. 1 LV folge, und von Art. 26 Abs. 2 LV unter dem Gesichtspunkt der „Schutzbedürftigkeit auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaft, Pflege der Lebenspartnerin“.

Im Strafvollzug sei eine Resozialisierung nicht möglich, da der Beschwerdeführer von seiner pflegebedürftigen Lebenspartnerin getrennt würde, eine wohnortnahe Erwerbstätigkeit im offenen Vollzug unter Pandemiebedingungen nicht möglich sei und Maßnahmen zur Alkoholentwöhnung abgebrochen werden müssten. Das Landgericht habe das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerdebegründung zur Sozialprognose nicht gehört. Der Beschluss des Landgerichts vom 22. Oktober 2020 bestehe aus einer inhaltsleeren Floskel. Das Vorbringen zur Corona-Pandemie habe das Landgericht überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Die Beschwerdeentscheidung hätte sich damit auseinandersetzen müssen, weshalb die Vollzugsbedingungen unter Corona-Bedingungen noch im Verhältnis zum begangenen Unrecht stehen. Der Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art. 52 Abs. 4 LV sei verletzt, da es an Ausführungen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie fehle. Hinsichtlich der Verletzung des „Anspruchs[s] auf Resozialisierung, offenen Vollzug, Erwerbstätigkeit“ aus Art. 54 Abs. 1 LV verweist der Beschwerdeführer u. a. auf einen Zeitungsartikel zu abnehmenden Vollzugslockerungen in hessischen Justizvollzugsanstalten im Jahr 2019. Zur Situation in der Pandemie im Land Brandenburg lägen ihm keine Zahlen vor. Der Strafvollzugsalltag während der Pandemie hätte Auswirkungen auf „den Schutz von Ehe und Familie und Resozialisierung“ und die von Art. 26 Abs. 2 LV geschützte Lebenspartnerschaft, die bei Vollzug der Freiheitsstrafe nicht aufrechterhalten werden könne. Angesichts der Hilfs- und Pflegebedürftigkeit der Lebenspartnerin sei der Vollzug der Freiheitsstrafe nicht verhältnismäßig. Der Widerruf der Strafaussetzung sei auch deshalb unverhältnismäßig und der Gesamtsituation der Pandemie nicht angemessen, da das Landgericht Frankfurt (Oder) inzwischen das Urteil des Amtsgerichts Strausberg vom 18. Mai 2020 in eine Geldstrafe abgeändert habe und in der persönlichen Anhörung des Beschwerdeführers die Überzeugung habe gewinnen können, dass dieser seit dem 19. Mai 2020 keinen Alkohol mehr trinke.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Sie ist nur teilweise zulässig.

a. Soweit sie sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 26. Juni 2020 (14 BRs 4/18) richtet, ist sie wegen prozessualer Überholung unzulässig. Eine solche tritt durch die vollständige Überprüfung einer Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch das Rechtsmittelgericht ein (st. Rspr., vgl. zuletzt Beschluss vom 17. Januar 2021 ‌‑ VfGBbg 71/19 ‑‌, Rn. 10 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Von dem amtsgerichtlichen Widerrufsbeschluss geht keine Wirkung mehr aus, die den Beschwerdeführer möglicherweise in Grundrechten verletzen könnte, da die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 22. Oktober 2020 diesen inhaltlich bestätigt hat.

b. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den die Gehörsrüge zurückweisenden Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. November 2020 (23 Qs 40/20) richtet. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, dass Anhörungsrügen zurückweisende gerichtliche Entscheidungen mangels Rechtsschutzbedürfnisses grundsätzlich nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können, weil sie keine eigenständige Beschwer schaffen (Beschluss 20. November 2020 ‌‑ VfGBbg 49/19 ‑‌, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Der Beschwerdeführer hat auch nicht dargelegt, dass ein Ausnahmefall einer eigenständigen, in der Zurückweisung der Anhörungsrüge liegenden Beschwer gegeben wäre. Eine solche ist auch nicht darin zu erkennen, dass sich das Landgericht mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie erstmals in dem die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss auseinandergesetzt hat. Denn dieser Gesichtspunkt ist bereits Gegenstand der Anhörungsrüge selbst gewesen (vgl. Beschluss vom 16. März 2018 ‌‑  VfGBbg 56/16 ‑‌, m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

c. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 26 Abs. 2 LV unter dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit der Lebenspartnerschaft und des „Anspruchs auf Resozialisierung, offenen Vollzug, Erwerbstätigkeit“ aus Art. 54 Abs. 1 LV rügt, genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung. Erforderlich ist nach § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg eine Begründung, welche umfassend und aus sich heraus verständlich die mögliche Verletzung der geltend gemachten Grundrechte des Beschwerdeführers hinreichend deutlich aufzeigt. Dies ist hinsichtlich der genannten Rügen nicht der Fall. Der Vortrag lässt nicht erkennen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen der Grundrechte der Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 22. Oktober 2020 (23 Qs 40/20) kollidieren soll. In Bezug auf Art. 26 Abs. 2 LV beachtet die Beschwerdeschrift nicht dessen Charakter als Diskriminierungsverbot. Zu Art. 54 LV fehlt es insgesamt an Darlegungen zu dem Gewährleistungsgehalt des Grundrechts.

d. Die Rüge, der Widerruf der Strafaussetzung sei angesichts der nachträglichen Abänderung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 18. Mai 2020 in eine Geldstrafe unverhältnismäßig, ist zum einen unspezifisch, da sie sich nicht auf ein konkretes Grundrecht bezieht. Zum anderen fehlt es an der erforderlichen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zu § 56f StGB. Danach genügt für einen Widerruf jede in der Bewährungszeit begangene Tat von einigem Gewicht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. März 2020 ‌‑ 3 Ws 34/20 ‑‌, Rn. 17, juris; KG Berlin, Beschluss vom 18. Dezember 2013 ‌‑ 2 Ws 594 - 595/13 ‑‌, Rn. 10 m. w. N.; juris; Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 56f Rn. 8).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, unbegründet.

a. Der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV ist nicht verletzt.

aa. Aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV ergibt sich die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen von Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist dabei davon auszugehen, dass das Gericht das ihm unterbreitete Vorbringen zur Kenntnis nimmt und in Betracht zieht. Es ist nicht verpflichtet, sich mit jeglichem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Insbesondere verwehrt es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht, den Vortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts, zum Beispiel wegen sachlicher Unerheblichkeit, ganz oder teilweise außer Betracht zu lassen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur verletzt, wenn die Nichtberücksichtigung von Vortrag oder von Beweisanträgen im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. Beschluss vom 19. Juni 2020 ‌‑ VfGBbg 42/18 ‑‌, Rn. 27, m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Soweit Vortrag übergangen wurde, kommt zudem eine mit dem Anhörungsrügeverfahren eröffnete Heilung von in der Ausgangsentscheidung liegenden Gehörsverstößen auch dann in Betracht, wenn der Beschluss die Anhörungsrüge als unbegründet zurückweist. Maßgeblich ist insoweit, ob das Gericht dem Gehörsverstoß durch bloße Rechtsausführungen im Anhörungsrügebeschluss zum Vorbringen des Betroffenen in der Anhörungsrüge abhelfen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2016 ‌‑ 2 BvR 857/14 ‑‌, Rn. 11, www.bverfg.de).

bb. Unter Beachtung dieser Maßstäbe ist eine Verletzung von Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV nicht festzustellen. Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat sich mit dem Vorbringen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie in Bezug auf die Sozialprognose des Beschwerdeführers ausdrücklich in dem die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss vom 9. November 2020 (23 Qs 40/20) auseinandergesetzt und auch bei Kenntnisnahme des weiteren Vorbringens des Beschwerdeführers in seiner Anhörungsrüge keine Umstände feststellen können, die ein Absehen von einem Widerruf der Strafaussetzung nach § 56f Abs. 2 StGB begründen könnten.

b. Der Beschluss verletzt den Beschwerdeführer auch nicht in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren.

aa. Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LV und der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens verlangen im Strafvollstreckungsverfahren ein Mindestmaß an zuverlässiger Wahrheitserforschung. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 2020 ‌‑ 2 BvR 252/19 ‑‌, Rn. 24, juris; und vom 28. September 2010 ‌‑ 2 BvR 1081/10, Rn. 18f, www.bverfg.de).

bb. Gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Diese Voraussetzungen muss das Gericht positiv feststellen (vgl. Fischer, StGB 67. Aufl. 2020, § 56f Rn. 13). Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts obliegen bei der nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB zu treffenden Entscheidung den Strafgerichten, den hierbei eine Einschätzungsprärogative zusteht (vgl. Beschluss vom 17. Dezember 2009 ‌‑ VfGBbg 51/09 ‑‌, https://verfassungsgericht.brandenburg.de; VerfG LSA, Beschluss vom 8. Juni 2020 ‌‑ LVG 25/19 ‑‌, Rn. 32, juris). Die verfassungsgerichtliche Überprüfung erstreckt sich lediglich darauf, ob die gerichtliche Entscheidung objektiv unvertretbar ist oder die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite des durch Art. 2 Abs. 2 GG bzw. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LV verbürgten Freiheitsrechts verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. September 2010 ‌‑ 2 BvR 1081/10 ‑‌, Rn. 18 m. w. N., www.bverfg.de).

cc. Daran gemessen ist die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt (Oder) in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat sich im Beschluss vom 22. Oktober 2020 die Begründung des Widerrufsbeschlusses durch das Amtsgericht Strausberg zu eigen gemacht. Zusätzlich hat es seine bestätigende Entscheidung im Beschluss vom 9. November 2020 auch darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer die zur Verurteilung gelangten Körperverletzungsstraftaten im persönlichen Nahbereich, u. a. zum Nachteil seiner Lebensgefährtin, verübte und gerade dieser soziale Kontaktraum von den Einschränkungen der Eindämmungsmaßnahmen in der Corona-Pandemie nur geringfügig betroffen sei. Eine günstige Prognose ließe sich jedenfalls daraus nicht begründen. Die vom Beschwerdeführer angeführten Härten seien zudem nicht entscheidungserheblich, da sie im Widerrufsverfahren aus systematischen Gründen nicht berücksichtigungsfähig seien.

Diese nachvollziehbaren Feststellungen tragen die dem Beschwerdeführer vom Landgericht Frankfurt (Oder) attestierte negative Sozialprognose. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die gerichtlichen Überzeugungen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Suchttherapie von den Auffassungen des Beschwerdeführers abweichen. Ein Verstoß gegen das Aufklärungsgebot liegt darin nicht. Gleiches gilt für die Nichtberücksichtigung nicht entscheidungserheblicher Tatsachen wie die Auswirkungen des Strafvollzugs im Rahmen des § 56f Abs. 2 StGB. Dass eine über die geleistete gerichtliche Aufklärung hinausgehende Ermittlung des Sachverhalts geboten war, ist nicht ersichtlich.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß