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VerfGBbg, Beschluss vom 16. Dezember 2022 - VfGBbg 76/21 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, § 46
- StGB, § 193
Schlagworte: - Begründungsanforderungen
- Subsidiarität
- Beleidigung
- Rechtfertigung, keine
- Volksverhetzung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 16. Dezember 2022 - VfGBbg 76/21 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 76/21




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 76/21

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

T.,

Beschwerdeführer,

wegen

Urteil des Landgerichts Potsdam vom 15. Juli 2021 ‌‑ 27 Ns 92/20

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 16. Dezember 2022

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dresen, Dr. Finck, Heinrich-Reichow, Kirbach, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen ein seine Berufung zurückweisendes Strafurteil des Landgerichts Potsdam.

I.

Der Beschwerdeführer kommentierte im Jahr 2019 auf der Webseite einer brandenburgischen Onlinezeitung unter verschiedenen Pseudonymen Beiträge. Der im Impressum der Webseite als Vertretungsberechtigter ausgewiesene sowie als verantwortlicher Redakteur angegebene Betreiber der Onlinezeitung („der Webseitenbetreiber“) löschte Beiträge des Beschwerdeführers, die von Nutzern beanstandet worden waren. Die Löschung der Artikel wurde durch das im Impressum angegebene Namenskürzel des Webseitenbetreibers gekennzeichnet. Daraufhin versandte der Beschwerdeführer an vier Tagen zwischen Juni und August mehrere E‑Mails an die im Impressum angegebene Kontakt-E-Mail-Adresse der Onlinezeitung. Der Webseitenbetreiber nahm diese zum Anlass, Strafantrag wegen Beleidigung zu stellen.

Die E‑Mail vom 1. Juni 2019 mit dem Betreff „Journalisten im Endstadium“ enthielt ein Lichtbild eines in Erbrochenem liegenden Mannes und wurde eröffnet mit den Worten „Ein Mann gibt Auskunft über seine Krankheit“. Diese Berufskrankheit bestehe im „Lügen, Hassen und Denunzieren“, „nur seine Meinung gelten <zu> lassen, auch während er kotzt, pisst und gleichzeitig denunziert“. Eine E-Mail vom 8. Juli 2019 mit dem Betreff „Fliegenfänger“ spricht von einem „Scheiße (…) zusammenkack[t]<enden>“ „Riesenarschloch“, und „stinkende<m> Schwein“, das rausgeschmissen werden müsse, von einem „Fäkalienliebhaber“ und „Fachkräfte in Lügenangelegenheiten“. Die weitere E-Mail, ebenfalls vom 8. Juli 2019, mit dem Betreff „Dreck“ lautet:

„Bitte an den buckligen Kretin, der Löschungen vornimmt weiterleiten. Bestimmt weiß die Leitung es nicht, wenn ein kleines Dreckschweinchen wieder onaniert und in die Tasten kotzt oder wichst. Ein völlig normaler Text wird entfernt, von diesem elenden, stinkenden Schwein (…).“

In mehreren E-Mails vom 10. Juli 2019 heißt es unter anderem:

„Darf man fragen, warum dieser Text arschlochtechnisch nicht erwünscht ist?“

und:

„Was würde wohl das Resultat sein, wenn wir Vorteile und Nachteile aller Flüchtlinge, Schutzsuchenden, Asylbewerber und Migranten in die Waagschalen werfen würden? Wäre es für Deutschland ein Gewinn oder ein Verlust? (Nicht nur in finanzieller Hinsicht). Es war bestimmt wieder das scheunentorgroße Riesenarschloch, das hier immer arschlochmäßig löscht? (…).“,

sowie:

„Leiten Sie es bitte dem Dreckschwein weiter, der hier dauernd Kommentare löscht, die nicht seiner Meinung entsprechen .... und kotzen Sie ihm die Fresse!“

Am 5. August 2019 kommentierte der Beschwerdeführer zu einem Beitrag der Onlinezeitung unter anderem:

„Wir werden bald unser Land verlassen müssen, wenn man der aufziehenden Apokalypse entgehen will, die uns alle Altparteienpolitiker bereiten. Besonders jetzt, wo sich herausgesellt hat, dass ein riesiger Bevölkerungsaustausch mit all seinen ‚Nebenwirkungen‘ stattfindet. (…) Die 3. Welt wird uns überrennen und für Armut und Brutalität sorgen. Zustände wie in Afrika eben.“

Zu seinen weiteren Anmerkungen verlinkte der Beschwerdeführer drei Onlineartikel anderer Zeitungen und Zeitschriften, denen er die Behauptung entnahm, (dunkelhäutige) Migranten und ihre Kinder seien anfälliger für Schizophrenie und Tuberkulose, und schloss seinen Beitrag mit:

„Sollten wir uns dabei die Augen zuhalten und Gefahren ignorieren?“

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel verurteilte den Beschwerdeführer am 5. August 2020 wegen Beleidigung in vier Fällen und wegen Volksverhetzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten, die für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Seine am selben Tag eingelegte Berufung wies das Landgericht Potsdam mit Urteil vom 15. Juli 2021 (27 Ns 92/20) zurück.

Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte der Beschwerdeführer mit den E‑Mails vom 1. Juni 2019, vom 8. und vom 10. Juli 2019 den Webseitenbetreiber erreichen und wusste, dass er ihn - und nur ihn - unter der verwendeten, im Impressum angegebenen E-Mail-Adresse erreichen würde. Er wusste auch, dass der Webseitenbetreiber für die Löschung von Artikeln verantwortlich war. Seine Einlassung, er habe sich über die Löschungen geärgert, aber nicht gewusst, wer die Löschungen vornehme, überzeugte das Landgericht nicht. Der Beschwerdeführer habe mit den E-Mails den Straftatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB erfüllt. Er habe den Webseitenbetreiber vorsätzlich ehrverletzend herabgewürdigt. Sein Verhalten sei auch nicht gemäß § 193 StGB gerechtfertigt, denn er habe mit den Inhalten der E-Mails jedweden Rahmen potentiell berechtigter Interessen oder den der freien Meinungsäußerung offensichtlich verlassen.

Mit seinem Kommentar vom 5. August 2019 habe der Beschwerdeführer den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht. Danach mache sich strafbar, wer in einer Weise gegen Teile der Bevölkerung zum Hass aufstachele, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Der Beschwerdeführer habe vermeintliche Zitate bewusst aneinandergereiht und damit verdeutlicht, dass er sich deren Inhalte zu eigen mache. Aus Sicht des angesprochenen und zugrunde zu legenden objektiven Lesers instrumentalisiere der Beschwerdeführer Flüchtlinge afrikanischer Herkunft für die Inszenierung eines Bedrohungsszenarios. Er appelliere an Angstinstinkte der Leser, indem er deren Einreise als „aufziehende Apokalypse“, ein „Überrennen“ und eine überdurchschnittliche Betroffenheit von Tuberkulose oder Schizophrenie beschreibe. Ferner stelle er eine „gewalttätige 3. Welthölle" und einen Zusammenbruch Deutschlands durch ein wöchentliches „Nachwachsen“ von 1 Million Afrikanern dar. Das auf Gefühle des Adressaten abzielende Verhalten gehe über eine bloße Ablehnung und Verachtung hinaus; es sei objektiv geeignet und nach Aufbau und den Inhalten subjektiv bestimmt, eine emotional gesteigerte feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu verstärken. Die Inhalte seien von gesteigerter Feindseligkeit getragen. Die Äußerungen ließen eine auf Erzeugung von Hass angelegte feindselige Haltung erkennen, die geeignet sei, den geistigen Nährboden für die Bereitschaft zu Exzessen gegenüber dem angegriffenen Personenkreis zu bereiten und in empfänglichen Kreisen eine Neigung zu Rechtsbrüchen gegen die angegriffene Gruppe zu wecken oder zu verstärken. Der Beschwerdeführer habe rechtswidrig gehandelt, indem er den Bereich der grundgesetzlich gewährten Meinungsäußerungsfreiheit verlassen habe und im Hinblick auf die Wirkungen seines Kommentars jedenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe.

Gegen das ihm am 9. August 2021 zugestellte Urteil des Landgerichts Potsdam legte der Beschwerdeführer Revision zum Brandenburgischen Oberlandesgericht ein. Er erhob Sachrüge „in allgemeiner Form“ und rügte bzgl. der Verurteilung wegen Beleidigung insbesondere die gerichtliche Feststellung, der Beschwerdeführer habe gewusst und beabsichtigt, dass die E-Mails den Webseitenbetreiber erreichen würden. Der Wertung des Landgerichts setzte er im Detail seine eigene Deutung der Tatumstände entgegen.

Das Oberlandesgericht verwarf mit Beschluss vom 10. November 2021 (1 OLG 53 Ss 100/21) die Revision gemäß § 349 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) als offensichtlich unbegründet.

II.

Mit der am 10. Dezember 2021 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, durch das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 15. Juli 2021 27 Ns 92/20) in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 19 Abs. 1 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) sowie der von Art. 34 Abs. 1 LV gewährleisteten Kunstfreiheit verletzt zu sein. Der Beschwerdeführer meint, seine als Beleidigung beurteilten Äußerungen seien vom Schutzbereich der Kunstfreiheit, Art. 34 Abs. 1 LV, erfasst. Das Landgericht habe in ungerechtfertigter Weise in sein Grundrecht eingegriffen, indem es ihn unter Nichtbeachtung von Art. 34 Abs. 1 LV wegen Beleidigung verurteilt habe. Seine E-Mail vom 1. Juni 2019 sei eine Glosse über den Journalismus gewesen, die die Abbildung eines fiktiven Mannes beinhalte, in der sich der Webseitenbetreiber wiedererkannt und persönlich beleidigt gefühlt habe. Die journalistische Glosse sei eine Form der Satire. Er habe die Auswirkungen von Fakenews und Lügen im Postfaktizismus auf die Psyche karikiert. Reale Personen seien nicht beschrieben. Selbst die Abbildung in der Glosse sei fiktiv. Die karikaturhafte Darstellung sei offensichtlich und erkennbar nicht identisch mit dem Webseitenbetreiber. Die Verurteilung wegen Volksverhetzung stütze sich auf eine Nichtbeachtung von Art. 19 Abs. 1 LV. Das bewusste Aneinanderreihen von Zitaten stelle keinen Straftatbestand dar. Alle Zitate enthielten humanistische und auf christlichen Werten basierende Aussagen.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Sie ist unzulässig.

1. Der Beschwerdeführer hat dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht genügt. Nach diesem aus § 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) abgeleiteten Grundsatz hat ein Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde über die formale Erschöpfung des Rechtswegs hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten zu ergreifen, um eine etwaige Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden Verfahren zu verhindern oder zu beheben (st. Rspr., vgl. zuletzt Beschluss vom 21. Oktober 2022 ‌‑ VfGBbg 78/20 ‑‌, Rn. 19, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Der Beschwerdeführer ist aufgefordert, bereits im fachgerichtlichen Verfahren sämtliche aus seiner Sicht für die Grundrechtsverletzung maßgeblichen Umstände und die verfassungsrechtlich relevanten Aspekte aufzuzeigen, um so dem Fachgericht Gelegenheit zu geben, eine Überprüfung auch insoweit vorzunehmen (vgl. Beschlüsse vom 19. Mai 2017 ‌‑ VfGBbg 1/16 ‑‌, und vom 18. Oktober 2007 ‌‑ VfGBbg 47/07 ‑‌ m. w. N., https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Dies gilt insbesondere, wenn erst später mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfene verfassungsrechtliche Implikationen im fachgerichtlichen Verfahren nicht problematisiert werden (vgl. Beschluss vom 24. März 2017 ‌‑ VfGBbg 68/15 ‑‌, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Im Strafverfahren verlangt der Grundsatz der Subsidiarität von einem Beschwerdeführer, der seine Grundrechte durch Verstöße des Tatgerichts verletzt sieht, diese im Revisionsverfahren so zu rügen, dass eine sachliche Befassung des Revisionsgerichts mit diesen Rügen möglich und hinreichend wahrscheinlich ist. Im Rahmen der Sachrüge erfordert dies grundsätzlich substantiierte Ausführungen zur behaupteten Verletzung materiellen Rechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008 ‌‑ 2 BvR 2406/07 ‑‌, Rn. 2, juris).

Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer nicht gerecht geworden.

Mit der Revision hat der Beschwerdeführer lediglich die gerichtlichen Feststellungen bzw. Würdigung der E-Mails als vollendete Beleidigungsdelikte angegriffen, indem er die Deutung des Landgerichts in Zweifel zog, der Beschwerdeführer habe gewusst und beabsichtigt, dass die E-Mails den Webseitenbetreiber erreichen würden. Erstmals mit der Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer Argumente dazu vorgebracht, weshalb seine als Volksverhetzung gewürdigten Äußerungen von der Meinungsfreiheit bzw. seine als Beleidigungen abgeurteilten E-Mails von der Kunstfreiheit gedeckt sein sollen. Ausweislich der hergereichten Revisionsbegründung hat es der Beschwerdeführer versäumt, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde im Revisionsverfahren konkretisiert im Hinblick auf seine nunmehrigen verfassungsrechtlichen Rügen, die auf eine Rechtfertigung nach § 193 StGB zielen, mit der Sachrüge vorzutragen. Mangels entsprechender Rügen im Revisionsverfahren hat er sich der Möglichkeit begeben, diesen Verstoß mit der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde den Begründungsanforderungen der § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg nicht gerecht.

Der Vortrag des Beschwerdeführers zeigt nicht auf, dass die angegriffene Entscheidung des Landgerichts Potsdam auf einer unrichtigen Anschauung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 19 Abs. 1 LV oder einer Verletzung der Kunstfreiheit aus Art. 34 Abs. 1 LV beruhen könnte.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß