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VerfGBbg, Beschluss vom 16. Februar 2024 - VfGBbg 36/23 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 2; VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 48
- ZPO, § 114 Abs. 1 Satz 1
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde unzulässig
- Begründungsanforderungen
- Subsidiarität
- Rechtsweg Hauptsache nicht erschöpft
- Kindschaftssache
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 16. Februar 2024 - VfGBbg 36/23 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 36/23




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 36/23

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

1.         B.,

Beschwerdeführerin zu 1.,

2.      des Kindes B.,

Beschwerdeführer zu 2.,

Verfahrensbevollmächtigter               Rechtsanwalt
                                                                 L.,

beteiligt:

Direktor
des Amtsgerichts Bad Liebenwerda,
Burgplatz 4,
04924 Bad Liebenwerda,

wegen

Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 12. September 2023 ‌‑ 21 F 252/23

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 16. Februar 2024

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Dr. Koch, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

1.    Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

2.    Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

A.

Die Beschwerdeführerin zu 1. ist die Mutter des 2013 geborenen Beschwerdeführers zu 2. Sie wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen den im einstweiligen Anordnungsverfahren ergangenen Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 12. September 2023 (21 F 252/23), mit der das Familiengericht ihr wegen Kindeswohlgefährdung das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten und das Recht zur Beantragung von Hilfen entzogen, auf das Jugendamt übertragen und die Inobhutnahme des Kindes angeordnet hat.

I.

Der angegriffenen Entscheidung waren zwei Ablehnungsgesuche der Beschwerdeführerin zu 1. gegen die befasste Familienrichterin wegen Besorgnis der Befangenheit vorausgegangen.

Das erste Ablehnungsgesuch vom 23. August 2023 hatte die Familienrichterin mit Beschluss vom 24. August 2023 selbst unter Berufung darauf als unzulässig zurückgewiesen, die Begründung für die Ablehnung sei völlig untauglich, zudem würden mit dem Antrag verfahrensfremde Zwecke, nämlich die Terminsaufhebung und die Verfahrensverzögerung, angestrebt.

Gegen den das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluss vom 24. August 2023 legte der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin zu 1. am folgenden Tag sofortige Beschwerde ein und lehnte die Familienrichterin erneut ab. Sie habe verfahrensrechtswidrig selbst über den Befangenheitsantrag entschieden und diesen nicht einem Vertreter zur Entscheidung vorgelegt, was erneut die Besorgnis der Befangenheit begründe. Die Familienrichterin verfasste zu dem erneuten Befangenheitsantrag eine dienstliche Stellungnahme und legte die Sache dem dafür zuständigen Richter zur Entscheidung über den Befangenheitsantrag vor.

In dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 12. September 2023 (21 F 252/23) führte die Familienrichterin aus, ohne Eingriff in die elterliche Sorge und Trennung des Antragstellers zu 2. von der Antragstellerin zu 1. und dem Pflegevater sei das Wohl des Antragstellers zu 2. gefährdet. Es sei eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung erforderlich. Sie selbst sei durch den Befangenheitsantrag des Verfahrensbevollmächtigten nicht daran gehindert, die Entscheidung zu treffen. Der abgelehnte Richter sei in Fällen einer Kindeswohlgefährdung ausnahmsweise zur Entscheidung befugt.

Mit Schriftsätzen vom 13. September 2023 lehnte der Verfahrensbevollmächtigte die Richterin erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab, da sie angesichts des nicht beschiedenen Befangenheitsgesuchs am 12. September 2023 keine Entscheidung habe treffen dürfen. Er stellte ferner den Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung (§ 54 Abs. 2 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, FamFG). Das Amtsgericht beraumte einen Termin für den 26. September 2023 an.

II.

Mit ihrer am 13. September 2023 eingegangenen, mit Schriftsatz vom 17. September 2023 ergänzten Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 12. September 2023 (21 F 252/23). Die Beschwerdeführerin zu 1. rügt eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, das sie auf Art. 52 Abs. 4 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) stützt. Die Familienrichterin habe den Beschluss vom 12. September 2023 (21 F 252/23) aufgrund des Befangenheitsgesuchs nicht treffen dürfen. Die angegriffene Entscheidung verletze ferner ihr Elternrecht aus Art. 27 Abs. 2 LV, da die Voraussetzungen für die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und für die Wegnahme des Kinds - eine Kindeswohlgefährdung - nicht vorlägen. Der Beschwerdeführer zu 2. rügt eine Verletzung von Art. 27 Abs. 1 LV; die Entscheidung des Amtsgerichts setze sich nicht mit dem Kindeswillen auseinander.

III.

Zum weiteren Verfahrensgang, insbesondere bezüglich der Ablehnungsgesuche bzw. der dagegen gerichteten Beschwerde, haben die Beschwerdeführer im verfassungsgerichtlichen Verfahren keine weiteren Mitteilungen gemacht. Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2024 hat die Beschwerdeführerin zu 1. Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten beantragt.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig.

1. Ob die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2. bereits wegen nicht wirksamer Vertretung im verfassungsgerichtlichen Verfahren erfolglos ist, braucht nicht entschieden zu werden. Sie ist wegen fehlender Rechtswegerschöpfung (vgl. 2.) unzulässig.

2. Soweit die Beschwerdeführerin zu 1. eine Verletzung von Art. 27 Abs. 2 LV rügt, hat sie den Rechtsweg nicht erschöpft. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden.

Gegen die Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung sieht § 54 FamFG spezifische Korrekturmöglichkeiten vor. Wird im selbstständigen Verfahren nach § 49 ff. FamFG eine einstweilige Anordnung ohne mündliche Verhandlung erlassen, ist nach § 54 Abs. 2 FamFG ein - hier auch gestellter - Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung statthaft (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 2020 ‌‑ 1 BvR 2262/20 ‑‌, Rn. 6, juris). Gegen den dann aufgrund mündlicher Erörterung ergangenen Beschluss ist die Beschwerde statthaft (vgl. Schlünder, in: BeckOK FamFG, Stand: 1. August 2023, FamFG, § 54, Rn. 4).

Die Beschwerdeführerin zu 1. ist gehalten, den ihr eröffneten Rechtsweg zu beschreiten. Eine Vorabentscheidung gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg ist nicht veranlasst. Nach der in der Verfassung angelegten Kompetenzverteilung obliegt es zuvörderst den Fachgerichten, die Grundrechte zu wahren, zu schützen und durchzusetzen. Durch die geforderte fachgerichtliche Vorbefassung soll sichergestellt werden, dass sich die verfassungsrechtliche Prüfung auf möglichst umfassend geklärte Tatsachen stützen kann und auch die Rechtslage durch die Fachgerichte vorgeklärt und aufbereitet worden ist (vgl. Beschlüsse vom 16. September 2022 ‌‑ VfGBbg 92/20 ‑‌, Rn. 21 m. w. N., und vom 20. Mai 2022 ‌‑ VfGBbg 13/22 ‑‌, Rn. 15 f. m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Eine hinreichende Erkenntnisbasis ist von besonderer Bedeutung, wenn Gegenstand der Verfassungsbeschwerde familiengerichtliche Entscheidungen in Kindschaftssachen sind (vgl. Beschluss vom heutigen Tag im Verfahren VfGBbg 51/23).

3. Die Verfassungsbeschwerde ist auch unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin zu 1. die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV, mit der Begründung rügt, die mit Befangenheitsgesuchen abgelehnte Richterin habe den Beschluss vom 12. September 2023 (21 F 252/23) nicht treffen dürfen. Insoweit steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

Das in § 45 Abs. 2 VerfGGBbg verankerte Prinzip der Subsidiarität verlangt von einem Beschwerdeführer, dass dieser - über eine bloße Rechtswegerschöpfung hinaus - vor Anrufung des Verfassungsgerichts alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ergreift, um eine etwaige Grundrechtsverletzung ohne Inanspruchnahme des Verfassungsgerichts in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden Verfahren zu verhindern oder zu beheben (vgl. Beschluss vom 22. September 2023 ‌‑ VfGBbg 66/20 ‑‌, Rn. 50 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Insoweit hatte die Beschwerdeführerin zu 1. jedenfalls hinsichtlich ihres ersten Befangenheitsgesuchs die Entscheidung über die sofortige Beschwerde abzuwarten bzw. hinsichtlich ihres zweiten Befangenheitsgesuchs, sollte über dieses eine abschlägige Entscheidung ergangen sein, ebenfalls den gemäß § 6 Abs. 2 FamFG i. V. m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) eröffneten Rechtsweg zu durchlaufen.

Auch insoweit ist eine Vorabentscheidung nicht geboten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass für die Annahme eines Verstoßes gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV nicht jede fehlerhafte Anwendung oder Nichtbeachtung einer einfachgesetzlichen Verfahrensvorschrift genügt (vgl. Beschluss vom 21. Januar 2022 ‌‑ VfGBbg 57/21 ‑‌, Rn. 61, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Darüberhinaus sind im Hinblick auf die Rüge, die Familienrichterin habe gegen das grundsätzlich bestehende Handlungsverbot aus § 6 Abs. 1 Satz 1 FamFG, § 47 Abs. 1 ZPO verstoßen, vorwiegend einfach-rechtliche Fragen zu bedenken - nämlich das Spannungsfeld zwischen § 6 Abs. 1 Satz 1 FamFG, § 47 Abs. 1 ZPO und unaufschiebbaren Handlungen durch das Beschleunigungsgebot gemäß § 155 Abs. 1 FamFG. Dies verdeutlicht das Bedürfnis an einer fachgerichtlichen Vorbefassung.

C.

Der Antrag der Beschwerdeführerin zu 1. auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren ist abzulehnen, da die Verfassungsbeschwerde aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 48 VerfGGBbg i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

 

Möller

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Dr. Koch

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß