VerfGBbg, Beschluss vom 12. Mai 2023 - VfGBbg 48/21 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 46 - StPO, § 313 |
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Schlagworte: | - Verfassungsbeschwerde unzulässig - Anspruch auf rechtliches Gehör - Begründungsanforderungen nicht erfüllt |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 12. Mai 2023 - VfGBbg 48/21 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 48/21

IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
VfGBbg 48/21
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
K.,
Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt
Dr. jur. H.,
Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 13. April 2021 ‑ 27 Ns 25/21
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
am 12. Mai 2023
durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Dr. Strauß, Dresen, Dr. Finck, Heinrich-Reichow, Kirbach, Müller, Richter und Sokoll
beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen einen landgerichtlichen Beschluss, mit dem seine Berufung gegen ein amtsgerichtliches Urteil als unzulässig verworfen wurde.
I.
Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 20. November 2020 ‑ 74 Ds 4133 Js 36881/19 (243/19) ‑ wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 5,00 Euro verurteilt. Der Verurteilung lag eine Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit seiner damaligen Lebensgefährtin in deren Wohnung am 10. Mai 2019 zugrunde. Ausweislich der Urteilsgründe sei die verbale Auseinandersetzung in der Hauptverhandlung durch mehrere Zeugen bestätigt worden. Die Geschädigte habe in ihrer Aussage erklärt, dass der Beschwerdeführer ihr gegenüber die Worte „alte frustrierte Kuh“, „krankes Vieh“, „Schlampe“ und „Hure“ geäußert habe. Auch der Beschwerdeführer habe in der Hauptverhandlung eingeräumt, solche Worte gesagt zu haben.
Gegen das Urteil legte der Beschwerdeführer Berufung ein, die er mit Schriftsatz vom 4. Januar 2021 im Wesentlichen wie folgt begründete: Er habe am Tattag weder die Worte „frustrierte Kuh“, „dumme Kuh“, „dreckige Schlampe“ noch „Hure“ zu der Zeugin gesagt. Entsprechendes habe er in der Hauptverhandlung auch nicht eingeräumt, sondern sich vielmehr nur dahingehend eingelassen, dass er schon einmal „dumme Kuh“ zu jemandem gesagt habe.
Mit Schreiben vom 20. Januar 2021 wies das Landgericht den Verteidiger des Beschwerdeführers darauf hin, dass die Berufung gemäß § 313 Strafprozessordnung (StPO) der Annahme bedürfe. Derzeit sei nicht beabsichtigt, die Berufung anzunehmen, da sie offensichtlich unbegründet sein dürfte. Das angegriffene Urteil stütze sich maßgeblich darauf, dass der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung ausdrücklich nicht ausgeschlossen habe, die in der Anklage angeführten Ausdrücke verwendet zu haben. Die Aussage der Zeugin stehe damit letztlich im Einklang mit den Angaben des Beschwerdeführers zum Tatgeschehen.
Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2021 führte der Verteidiger des Beschwerdeführers zur Begründung der Berufung weiter aus, dass das Protokoll der Hauptverhandlung mit Blick auf die Einlassung des Beschwerdeführers fehlerhaft sei. Es komme auch nicht entscheidend darauf an, was im Protokoll stehe. Die Einlassung des Angeklagten werde von der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO nicht umfasst. Das Protokoll dürfe diesbezüglich nur als ein Beweisanzeichen von vielen herangezogen werden. Er beantrage daher die Vernehmung seiner Person zum Beweis der Tatsache, dass das Protokoll wie dargestellt falsch sei. Die einzige Belastungszeugin leide zudem an einer Borderlineerkrankung. In einem solchen Fall sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein aussagepsychologisches Gutachten zwingend erforderlich, wenn die Aussage zu Lasten des Beschwerdeführers verwendet werden solle. Die Zeugin habe auch in der Hauptverhandlung einen verwirrten Eindruck gemacht.
Parallel dazu beantragte der Beschwerdeführer beim Amtsgericht Potsdam die Berichtigung des Protokolls der Hauptverhandlung. Diesen Antrag lehnte das Amtsgericht ab, nachdem sowohl die Justizhauptsekretärin als auch die Tatrichterin in ihren dienstlichen Stellungnahmen vom 18. März 2021 und vom 24. März 2021 angegeben hatten, dass das, was im Protokoll stehe, so geäußert worden sei.
Mit weiteren Schriftsätzen vom 1. April 2021 wiederholte der Verteidiger des Beschwerdeführers gegenüber dem Landgericht Potsdam seine Auffassung, dass es nicht darauf ankomme, was im Protokoll stehe, und verwies erneut auf seinen Antrag, ihn als Zeuge zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass das Protokoll wie geschildert falsch sei. Letztlich sei die Geschädigte nochmals zu vernehmen. Was sie in der Hauptverhandlung geäußert habe, sei völlig wirr gewesen. Eine weitere Befragung werde ergeben, dass ihre Aussage hinsichtlich der abgeurteilten Beleidigung unglaubhaft sei.
Mit Beschluss vom 13. April 2021 (27 Ns 25/21) verwarf das Landgericht Potsdam die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 20. November 2020 als unzulässig. Die Voraussetzungen für die Annahme der Berufung gemäß § 313 Abs. 2 StPO lägen nicht vor. Die Berufung sei offensichtlich unbegründet. Das angefochtene Urteil sei insbesondere unter Zugrundelegung des Hauptverhandlungsprotokolls und der Urteilsgründe nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht sei nach einer nicht zu beanstandenden Gesamtwürdigung zu der Überzeugung gelangt, dass die in Rede stehenden Worte am Tattag so gefallen seien. Dies entspreche nach Aktenlage dem Ergebnis der erhobenen Beweise. Der Zeuge W. habe die Auseinandersetzung am Tattag bestätigt. Die Geschädigte habe bestätigt, dass die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Worte gefallen seien. Auch der Beschwerdeführer habe ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht ausgeschlossen, die Ausdrücke benutzt zu haben. Dass das Hauptverhandlungsprotokoll im Hinblick auf die Angaben des Beschwerdeführers Unschärfen oder Unrichtigkeiten enthalte, habe nicht festgestellt werden können. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle habe ebenso wie die Tatrichterin erklärt, dass sich der Beschwerdeführer in der protokollierten Weise geäußert habe.
Mit Schriftsatz vom 7. Mai 2021 beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 33a StPO. Der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil das Gericht seine Ausführungen in den Schriftsätzen vom 26. Februar 2021 und vom 1. April 2021, wonach die Einlassung des Angeklagten von der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO nicht umfasst sei, nicht in Erwägung gezogen habe. Zwar verpflichte der Anspruch auf rechtliches Gehör das Gericht nicht dazu, jedes Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden. Auf den wesentlichen Kern des Vorbringens, der für das Verfahren von zentraler Bedeutung sei, müsse das Gericht aber eingehen, sofern es sich nach seinem Rechtsstandpunkt nicht um unerheblichen oder offensichtlich unsubstantiierten Vortrag handele. Dem sei das Landgericht nicht gerecht geworden. Es sei mit keiner Silbe auf sein Vorbringen bezüglich des Umfangs der Beweiskraft des Protokolls eingegangen, sondern gehe ohne weiteres von der Richtigkeit des Protokolls aus. Auch schweige es dazu, warum es den angebotenen Beweis seiner Vernehmung zu dem, was im Gerichtsaal gesagt worden sei, und der erneuten Vernehmung der Opferzeugin dazu, was sich am Tattag abgespielt habe, nicht nachgehe. Es sei durchaus vorstellbar, dass die dienstlichen Stellungnahmen der Richterin und der Urkundsbeamtin unwahr seien. Beide erlebten jede Woche eine Vielzahl von Verhandlungen, so dass es lebensfremd sei, dass sie sich vier Monate nach dem Termin noch an die genau gesprochenen Worte erinnern könnten. Es liege nahe, dass die dienstlichen Stellungnahmen Schutzbehauptungen darstellten, um sich keine Blöße zu geben. Jedenfalls seien die Stellungnahmen nicht mehr wert als die Bekundungen von ihm und dem Beschwerdeführer. Die Aussage des Zeugen W. sei für den Tatvorwurf ohne Belang, weil aus dem Vorliegen einer Auseinandersetzung nicht zwangsläufig folge, dass auch die angeklagte Beleidigung stattgefunden habe. Insofern habe die Zeugin die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Worte auch nicht ‑ wie das Landgericht schreibe ‑ „bestätigt“, sondern sei vielmehr die Einzige, die behaupte, dass sie gefallen seien.
Mit Beschluss vom 7. Juni 2021 wies das Landgericht Potsdam den Antrag nach § 33a StPO zurück. Das Gericht habe mit dem angefochtenen Beschluss das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme gewürdigt, deren Inhalt und Umfang sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergebe. Dabei habe es sich ungeachtet der vom Protokoll ausgehenden Beweiskraft und deren Umfangs mit der Frage befasst, ob Protokollinhalte fehlerhaft zustande gekommen oder protokolliert worden sein könnten. Eine Verwehrung rechtlichen Gehörs insbesondere mit entscheidungskausalen Konsequenzen sei nicht ersichtlich.
Mit seiner am 4. August 2021 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) durch den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 13. April 2021 (27 Ns 25/21).
Sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei dadurch verletzt, dass das Landgericht die Ausführungen aus den Schriftsätzen vom 26. Februar 2021 und vom 1. April 2021 zum Umfang der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO offensichtlich nicht in Erwägung gezogen habe, obwohl es sich um den wesentlichen Kern des Vortrags handele, der für das Verfahren von zentraler Bedeutung sei. Das Landgericht sei ohne weiteres von der Richtigkeit des Protokolls ausgegangen. Es setze sich mit keiner Silbe mit der gegenteiligen Sichtweise aus seinen Schriftsätzen auseinander und schweige auch dazu, warum es den angebotenen Beweis der Vernehmung seines Verteidigers zu dem, was im Gerichtssaal gesagt worden sei, und der erneuten Vernehmung der Opferzeugin dazu, was sich am Tattag abgespielt habe, nicht nachgehe. Das Übergehen des Vortrags sei auch entscheidungserheblich. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung des Landgerichts über die Zulassung der Berufung bei Berücksichtigung des übergangenen Vortrags anders ausgefallen wäre.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig, weil sie nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung genügt.
Notwendig ist nach § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg eine Begründung, welche schlüssig die mögliche Verletzung des geltend gemachten Grundrechts des Beschwerdeführers aufzeigt. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und ihrer konkreten Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein soll und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen sie kollidiert. Dazu bedarf es einer umfassenden einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Aufarbeitung der Rechtslage. Demnach muss der Beschwerdeführer ausgehend vom Entscheidungsinhalt aufzeigen, worin der Grundrechtsverstoß aus seiner Sicht im Einzelnen liegt (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 21. Januar 2022 ‑ VfGBbg 57/21 ‑, Rn. 35, vom 20. August 2021 ‑ VfGBbg 68/20 ‑, Rn. 20, und vom 19. Juni 2020 ‑ VfGBbg 10/19 ‑, Rn. 7, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).
Gemessen daran hat der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht aufgezeigt.
Soweit der Beschwerdeführer meint, das Landgericht habe sein Vorbringen zum Umfang der Beweiskraft des Protokolls übergangen, setzt er sich schon nicht hinreichend mit dem angegriffenen Beschluss auseinander. Das Landgericht stellt der Sache nach nicht auf eine vermeintliche Beweiskraft des Protokolls ab. Dies zeigt sich schon daran, dass es für seine Bewertung die dienstlichen Stellungnahmen der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle und der Tatrichterin einbezieht. Die entsprechenden Ausführungen im Beschluss wären überflüssig, wenn das Landgericht mit Blick auf die Einlassung des Beschwerdeführers von einer Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO hätte ausgehen wollen. Schließlich hat das Landgericht im Beschluss über den Antrag nach § 33a StPO vom 7. Juni 2021 klargestellt, seine Entscheidung vom 13. April 2021 „ungeachtet der vom Protokoll ausgehenden Beweiskraft und deren Umfang“ getroffen zu haben. Hiermit setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht auseinander.
Zutreffend weist der Beschwerdeführer im Übrigen zwar darauf hin, dass sich das Landgericht in dem angegriffenen Beschluss nicht dazu verhält, warum es den weiteren von ihm angebotenen Beweisen nicht nachgeht. Auch mit der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage der Erforderlichkeit eines aussagepsychologischen Gutachtens befasst sich der angegriffene Beschluss nicht. Inwieweit deshalb ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vorliegen soll, legt die Verfassungsbeschwerde aber nicht dar. Auch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verwehrt dem Gericht nicht, den Vortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise außer Betracht zu lassen (vgl. Beschluss vom 16. April 2021 ‑ VfGBbg 72/19 ‑, Rn. 36, m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Vor diesem Hintergrund fehlt es der Verfassungsbeschwerde insbesondere an einer Auseinandersetzung mit der einfachrechtlichen Rechtslage. Die Beschwerdeschrift verhält sich weder zu dem im Rahmen des § 313 Abs. 2 StPO anzuwendenden Prüfungsmaßstab noch zeigt sie auf, inwieweit das Landgericht in diesem Zusammenhang zur Berücksichtigung des entsprechenden Vorbringens des Beschwerdeführers verpflichtet gewesen sein könnte. Die Aussage des Beschwerdeführers, der übergangene Vortrag sei für das Verfahren von „zentraler Bedeutung“, wird so durch nichts unterlegt. Ebenso formelhaft bleibt mangels fallbezogener Ausführungen unter Heranziehung der einfachrechtlichen Rechtslage die Behauptung, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei einer Berücksichtigung des übergangenen Vortrags zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Dr. Strauß |
Dresen |
Dr. Finck |
Heinrich-Reichow |
Kirbach |
Müller |
Richter |
Sokoll |
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