Toolbar-Menü
Hauptmenü

VerfGBbg, Beschluss vom 11. Dezember 2020 - VfGBbg 16/19 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
sonstige
entscheidungserhebliche Vorschriften: - BbgLWahlG, § 25 Abs. 3; BbgLWahlG, § 25 Abs. 8; BbgLWahlG, § 30 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 13 Abs. 1; VerfGGBbg, § 29 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, § 32 Abs. 7 Satz 2
- VwGO, § 92 Abs. 3 Satz 1
- RVG, § 33 Abs. 1; RVG, § 37 Abs. 2
Schlagworte: - Paritätsgesetz
- Brandenburgisches Landeswahlgesetz
- Erledigung
- politische Partei
- Auslagenerstattung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 11. Dezember 2020 - VfGBbg 16/19 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 16/19




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 16/19

In dem Organstreitverfahren

Piratenpartei Brandenburg,
vertreten durch den Vorsitzenden
Sebastian Alscher,
Garnstraße 36,
14482 Potsdam,

Antragstellerin,

Verfahrensbevollmächtigte:               r. Rechtsanwälte GbR,

gegen

Landtag Brandenburg,
vertreten durch die Präsidentin,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

Antragsgegner,

Verfahrensbevollmächtigte:                  Prof. Dr. A.,

beteiligt:

Landesregierung
- Staatskanzlei -,
Heinrich-Mann-Allee 107,
14473 Potsdam,

wegen

Beschluss des Landtags Brandenburg vom 31. Januar 2019 über das Zweite Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Wahlgesetzes - Parité-Gesetz (GVBl. 2019, Teil I, Nr. 1 vom 12. Februar 2019)

 

sowie in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

1.      B.,

2.      N.,

 

Verfahrensbevollmächtigte:               r. Rechtsanwälte GbR,

beteiligt:

1.

Landtag Brandenburg,
vertreten durch die Präsidentin,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

Verfahrensbevollmächtigte:                   Prof. Dr. A.,

2.

Landesregierung Brandenburg,
- Staatskanzlei -,
Heinrich-Mann-Allee 107,
14473 Potsdam,

wegen

Zweites Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahl­gesetzes - Parité-Gesetz, vom 12. Februar 2019 (GVBl. 2019, Teil I, Nr. 1 vom 12. Februar 2019)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 11. Dezember 2020

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dresen, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Kirbach, Dr. Lammer und Sokoll

beschlossen: 

1.    Die Verfahren werden eingestellt.

2.    Das Land Brandenburg hat der Antragstellerin ihre notwendigen Auslagen für das Organstreitverfahren und dem Beschwerdeführer zu 1. und der Beschwerdeführerin zu 2. ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

3.    Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf insgesamt 200.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Antragstellerin ist eine in Brandenburg tätige politische Partei. Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer sind Mitglieder dieser Partei. Sie beabsichtigen künftig eine Kandidatur zur Landtagswahl über die Landesliste.

Mit ihren im Mai 2019 erhobenen Anträgen hat sich die Antragstellerin im Wege des Organstreits gegen einen Beschluss des Antragsgegners gewendet, der zum Erlass des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes ‌‑ Parité-Gesetz (Gesetzblatt I Nr. 1 vom 12. Februar 2019, im Folgenden: Paritätsgesetz) geführt hat. Durch das Paritätsgesetz wurde eine Verpflichtung der Parteien eingeführt, ihre Landeslisten für die Landtagswahlen abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen. Die Verfassungsbeschwerden des Beschwerdeführers zu 1. und der Beschwerdeführerin zu 2. haben sich unmittelbar gegen dieses Gesetz gerichtet.

Die Antragstellerin hat die Verletzung ihrer Rechte der Parteienfreiheit und Chancengleichheit sowie der Wahlrechtsgrundsätze der Freiheit und der Gleichheit der Wahl gerügt. Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer haben die Verletzung der Parteienfreiheit, der Wahlrechtsgrundsätze, des Demokratieprinzips, des Verbots der Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts sowie des Rechts auf geschlechtliche Identität von Personen des dritten Geschlechts geltend gemacht.

Zur Begründung haben sie vorgetragen, es gehöre zum Programm der Antragstellerin, die Erfassung des Merkmals „Geschlecht“ durch staatliche Behörden abzulehnen. Der organisatorische Gestaltungsspielraum und die Programmfreiheit der Parteien seien verletzt, da die Entscheidung über die Aufstellung von Wahlbewerbern wesentlich beeinflusst werde. Die Chancengleichheit kleiner Parteien gegenüber Parteien nur eines Geschlechts, die von der Regelung ausgenommen seien, sowie gegenüber größeren Parteien sei verletzt, weil es diesen leichter fiele, ausreichend Bewerberinnen und Bewerber beider Geschlechter zu finden. Die Antragstellerin könne ggf. nur eine sehr kurze Liste aufstellen und nicht in der Lage sein, alle ihr zustehenden Sitze zu besetzen. Das Paritätsgesetz verstoße zudem gegen das freie Wahlvorschlagsrecht aller Wahlberechtigten und der politischen Parteien, sowie gegen die passive Wahlrechtsgleichheit bei der Listenaufstellung. Die Wahlmöglichkeit für Personen des dritten Geschlechts beeinträchtige diese, weil sie sich einem Geschlecht zuordnen müssten, und bevorzuge sie zugleich gegenüber Männern und Frauen. Auch Männer und Frauen würden untereinander ungerechtfertigt ungleich behandelt, wenn eine Kandidatengruppe größer sei als die andere. Eine Rechtfertigung durch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG bzw. Art. 12 Abs. 2 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) komme vorliegend nicht in Betracht, da Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes, nicht aber einer bestimmten Personengruppe seien.

Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, die Verfassungsbeschwerden seien ursprünglich mangels Beschwerdebefugnis unzulässig gewesen. Der Antrag im Organstreitverfahren sei teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet gewesen. Das angegriffene Gesetz halte sich im zulässigen Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Wahlrecht und konkretisiere das verfassungsrechtliche Gebot innerparteilicher Demokratie der Parteien. Die Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten durch die Parteien sei integraler Bestandteil des Wahlvorgangs. Jedenfalls seien etwaige Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen gerechtfertigt.

Eine Diskriminierung wegen des Geschlechts liege nicht vor, da sich die Regelungen des Paritätsgesetzes auf Männer und Frauen gleichermaßen auswirkten. Vergleichbares gelte auch für den Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Verfassungsrechtlich bestehe kein Anspruch jedes passiv Wahlberechtigten darauf, auf jedem Listenplatz zu kandidieren. Auch die übrigen Wahlrechtsgrundsätze seien nicht berührt, Eingriffe jedenfalls gerechtfertigt. Die Programmfreiheit der Parteien sei nicht berührt, da die Paritätsvorgaben inhaltlich-politisch neutral seien. Rechte von Personen des dritten Geschlechts würden weitestmöglich berücksichtigt.

Das Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz, Art. 12 Abs. 3 LV sowie die Integrationsfunktion der Wahlen legitimierten das Paritätsgesetz. Art. 12 Abs. 3 LV sei im Wahlrecht anwendbar. Mit Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit und auf die vom Gesetzgeber fehlerfrei eingeschätzten strukturellen Nachteile von Frauen in der Politik sei die Vorgabe der Geschlechterparität auch verhältnismäßig. Sie sei angesichts der Integrationsfunktion der Wahlen mit dem Demokratieprinzip vereinbar.

Die Landesregierung hat von der Einleitung der Verfahren Kenntnis erhalten und von einer Stellungnahme abgesehen.

Durch zwei Urteile vom 23. Oktober 2020 ‑ VfGBbg 9/19 und VfGBbg 55/19 ‑, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, hat das Verfassungsgericht über verschiedene Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Paritätsgesetz im Rahmen eines Organstreitverfahrens einer politischen Partei sowie von Verfassungsbeschwerden von Parteimitgliedern entschieden.

Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2020 haben die Antragstellerin, die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer erklärt, dass sich das Verfahren mit diesen beiden Urteilen ‌erledigt habe und sie nicht mehr an den Anträgen festhielten.

Der Antragsgegner hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen.

B.

Das Organstreitverfahren ist in entsprechender Anwendung von § 13 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) i. V. m. § 92 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen, weil es die Beteiligten übereinstimmend für erledigt erklärt haben (vgl. Beschluss vom 28. März 2001 ‌‑ VfGBbg 46/00 ‑,‌https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Es handelt sich bei dem Verfahren nach Art. 113 Nr. 1 LV, §§ 35 ff VerfGGBbg um ein kontradiktorisches Verfahren.

Mit der Erklärung, sie hielten nicht mehr an ihren Anträgen fest, haben der Beschwerdeführer und die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerden zurückgenommen. Diese Verfahren sind daher gemäß § 13 Abs. 1 VerfGGBbg in Verbindung mit § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

Ein öffentliches Interesse an der Fortsetzung der Organstreit- und Verfassungsbeschwerdeverfahren besteht nicht. Die wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Verfassungsgericht mit den Urteilen vom 23. Oktober 2020 ‌‑ VfGBbg 9/19 und VfGBbg 55/19 ‑ entschieden. Im Verfahren VfGBbg 55/19 hat das Gericht die durch das Gesetz geänderten Vorschriften des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes mit Ausnahme von § 25 Abs. 8 Satz 2 für nichtig erklärt. Diese Entscheidung hat Gesetzeskraft, § 29 Abs. 2 Satz 1 ‌VerfGGBbg.

C.

1. Die Auslagenentscheidung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg.

Es entspricht der Billigkeit, die Erstattung der Auslagen sowohl für die Verfassungsbeschwerden als auch das Organstreitverfahren anzuordnen. Die nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts (Beschluss vom 20. November 2003 ‌‑ VfGBbg 95/02 ‑,‌ https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de, m. zahlr. N., auch zu § 34a Abs. 3 BVerfGG) für eine Kosten­er­stat­tung im Organstreitverfahren erforderlichen besonderen Billig­keits­gründe liegen vor. Eine volle Auslagenerstattung kann in Betracht kommen, wenn die verfassungsrechtliche Lage inzwischen durch eine Entscheidung in einem anderen Verfahren geklärt ist und sich daraus ergibt, dass das Verfahren erfolgreich gewesen wäre (Beschluss vom 23. Mai 1996 ‌‑ VfGBbg 23/96 ‑,‌ https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Dies war hier der Fall. Das Organstreitverfahren war ursprünglich jedenfalls hinsichtlich der Parteienfreiheit und des Rechts auf Chancengleichheit, die Verfassungsbeschwerden hinsichtlich der Grundrechte der passiven Wahlrechtsgleichheit bei der Listenaufstellung sowie des Verbots der Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts zulässig. Sie hatten auch in der Sache, wie aus den Urteilen vom 23. Oktober 2020 ‌‑ VfGBbg 9/19 und VfGBbg 55/19 ‑,‌ https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de, ersichtlich ist, Aussicht auf Erfolg. Die maßgeblichen, sehr umstrittenen Rechtsfragen der Verfahren hatten allgemeine Bedeutung und waren zum Zeitpunkt der Anrufung des Verfassungsgerichts nicht geklärt.

2. Der Gegenstandswert für die Verfassungsbeschwerden ist nach § 33 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Satz 2 Rechtsanwalts­ver­gü­tungs­gesetz angesichts der hervorgehobenen Bedeutung des Verfahrens­gegen­stands unter besonderer Berück­sichtigung der Schwierigkeit der Materie, der För­de­rung der Verfahren durch die anwaltliche Tätigkeit und deren Umfang auf 200.000,00 Euro festzusetzen. Dabei trägt das Gericht auch der Tatsache Rechnung, dass die Verfahrens­bevoll­mäch­tigten die Beschwer­deführerin, den Beschwerdeführer und die Antragstellerin vertreten haben und damit für mehrere Auftraggeber tätig geworden sind (vgl. Urteil vom 23. Oktober 2020 ‌‑ VfGBbg 55/19 ‑,‌ Rn. 253, https://verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfG, Beschlüsse vom 27. Oktober 2010 ‌‑ 1 BvR 2736/08 ‑,‌ juris, und vom 28. Juni 2000 ‌‑ 1 BvR 1864/94 ‑,‌ Rn. 2 f, www.bverfg.de).

D.

Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen. Sie ist unanfechtbar.

Möller

Dr. Becker

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Dr. Lammer

Sokoll