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VerfGBbg, Beschluss vom 25. Oktober 2021 - VfGBbg 22/21 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 30; VerfGGBbg, § 39
- LV, Art. 12; LV, Art. 19 Abs. 1; LV, Art. 41 Abs. 1
Schlagworte: - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (ohne Erfolg)
- keine irreversiblen Nachteile
- Biosphärenreservat
- Beseitigungs- und Untersagungsverfügung
- Schutzzone
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 25. Oktober 2021 - VfGBbg 22/21 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 22/21 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 22/21 EA

In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren

B.,

Beschwerdeführer,

wegen            Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 25. Oktober 2021

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dresen, Dr. Finck, Heinrich-Reichow, Kirbach, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

 

 

Gründe:

A.

I.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines Wiesengrundstücks innerhalb der Schutzzone II des Biosphärenreservats Spreewald. Er hat in zwölf Metern Abstand von einem an sein Grundstück angrenzenden Weg Bild- und Schrifttafeln auf Holzpfählen aufgestellt, mit denen er u. a. auf das Erlensterben aufmerksam macht (im Folgenden: die Informationstafeln). Der Landkreis D. ordnete mit Bescheid vom 13. November 2019 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung sowie Androhung von Zwangsmitteln die Entfernung an und untersagte die Aufstellung weiterer Informationstafeln (zusammen: die Beseitigungs- und Untersagungsverfügung).

Am 27. November 2019 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid ein und suchte beim Verwaltungsgericht Cottbus um vorläufigen Rechtsschutz nach. Mit Beschluss vom 28. Mai 2020 (VG 5 L 459/20) hob das Verwaltungsgericht die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Beseitigungs- und Untersagungsverfügung auf und ordnete die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die angedrohten Zwangsmittel an. Der Landkreis wies den Widerspruch mit Bescheid vom 25. August 2020 zurück und ordnete erneut die sofortige Vollziehung der Beseitigungs- und Untersagungsverfügung an.

Mit Beschluss vom 17. August 2021 (VG 5 L 459/20) lehnte das Verwaltungsgericht Cottbus die angesichts des Widerspruchsbescheids neuerlichen, auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Anträge des Antragstellers ab. Sie seien unbegründet.

Die im Widerspruchsbescheid nachgebesserte Begründung lasse nunmehr erkennen, dass sich der Landkreis des Ausnahmecharakters des angeordneten Sofortvollzugs bewusst gewesen sei. Er stelle darauf ab, dass mit der Aufstellung der Informationstafeln ein fortdauernder Verstoß gegen die Schutzgebietsverordnung einhergehe, der mit einer nicht unerheblichen negativen Vorbildfunktion verbunden sei, deren sofortige Unterbindung die Interessen des Antragstellers an der Beibehaltung des Zustands überwiege, insbesondere, da alle Informationstafeln ohne Substanzverlust entfernt werden könnten.

Nach der im Rahmen der Interessenabwägung anzustellenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sei überwiegend wahrscheinlich, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe und auch sonst keine schutzwürdigen Interessen des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bestünden, so dass die Interessen am Sofortvollzug überwögen.

Die vom Antragsteller errichteten Informationstafeln verstießen gegen das Verbot, Bild- und Schrifttafeln, Gedenksteine und Wegmarkierungen ohne Genehmigung der Reservatsverwaltung anzubringen, zu entfernen oder zu verändern (§ 6 Nr. 8 Biosphärenreservatsverordnung Spreewald (NatSGSpreewV)). Die Erteilung der Genehmigung habe der Landkreis Dahme-Spreewald mit Bescheid vom 18. November 2019 abgelehnt. Ein ungerechtfertigter Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit des Antragstellers sei nicht zu besorgen. Das Recht auf Freiheit der Meinung nach Art. 5 Abs. 1 GG finde seine Schranke u. a. in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, darunter in der Biosphärenreservatsverordnung Spreewald. Im Rahmen der Abwägung seien die Interessen des Antragstellers geringer zu gewichten. Es bestehe ein erhebliches allgemeines Interesse daran, dass das in Rede stehende Biosphärenreservat Spreewald ungeschmälert erlebt werden könne. In den Fällen, in denen die Beseitigung einem Nutzungsverbot gleichkomme und die Anlagen erkennbar ohne Substanzverlust abgebaut werden könnten, bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit.

In der gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts gerichteten Beschwerde beanstandete der Antragsteller, dass die nachgebesserte Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle. Eine intensive Auseinandersetzung mit den Grundrechten des Antragstellers lasse der Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht erkennen.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wies die Beschwerde mit Beschluss vom 23. September 2021 (OVG 11 S 90/21) zurück. Die Begründung der Beschwerde rechtfertige keine Änderung des angefochtenen Beschlusses (§ 146 Abs. 4 VwGO). Der Antragsteller rüge zu Unrecht eine den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht genügende Begründung. Seiner Begründungspflicht sei der Antragsgegner jedenfalls im Widerspruchsbescheid vom 25. August 2020 nachgekommen. Darin habe dieser unter anderem darauf abgestellt, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben die Informationstafeln in einem Abstand von ca. zwölf Metern zur Wegefläche angebracht habe, was dazu führe, dass Passanten motiviert würden, die Wege entgegen dem Verbot des § 7 Abs. 1 Nr. 4 NatSGSpreewV zu verlassen, um sich die vom Weg aus nicht ohne weiteres erfassbaren Texte auf den Tafeln zu erschließen. Dies könne zu einer Beeinträchtigung der in dem betreffenden Bereich befindlichen Nist-, Brut- und Lebensstätten geschützter Arten führen; zumindest sei eine Beunruhigung der wildlebenden Tiere anzunehmen. Zudem bestehe durch den Fortbestand der Informationstafeln eine negative Vorbildfunktion, die Dritten den Eindruck einer zulässigen Handlung vermittele und geeignet sei, diese selbst zur Aufstellung unzulässiger Bild- und Schrifttafeln zu motivieren. Die gegen die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwände genügten nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Mit seiner pauschalen Beanstandung lege der Antragsteller nicht dar, dass und aus welchen Gründen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern und seinen erstinstanzlichen Anträgen stattzugeben sein sollte.

II.

Mit seinem in der Verfassungsbeschwerdeschrift vom 6. Oktober 2021 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller die vorläufige Aussetzung der Vollstreckung der Untersagungs- und Beseitigungsverfügung.

Er rügt eine Verletzung der Pressefreiheit, Art. 19 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), des Gleichheitssatzes, Art. 12 LV, und des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG durch die Beschlüsse von Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht und den Widerspruchsbescheid des Landkreises. Der Landkreis verbiete ihm mit unwahren Behauptungen und Rechtsbeugung die Nutzung seines Grundstücks für Zwecke der Informationsveröffentlichung und wolle seine journalistischen Bild- und Schrifttafeln sofort zerstören und gewaltsam entfernen lassen. Dies stelle eine nicht-hinnehmbare Pressezensur dar. Hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes sei zu beachten, dass andere Personen vom Landkreis unbehelligt in der gleichen Reservatsschutzzone massive Bild- und Schrifttafeln aufstellen dürften. Die Zugehörigkeit zur Schutzzone des Biosphärenreservats verbiete ihm nicht die Nutzung seines Grundstücks für Informationszwecke. Das Informationsverbot des Landkreises stelle auch einen verfassungswidrigen Eingriff in sein Haus- bzw. Eigentumsrecht aus Art. 14 GG dar. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erfülle die Begründung des Landkreises zur Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht die Voraussetzungen eines besonderen Interesses an der Vollziehung, da dieser in seiner Abwägungsentscheidung lediglich auf eine „nicht unerhebliche negative Vorbildwirkung“ abstelle, ohne dieser die grundrechtlich geschützten Interessen des Antragstellers gegenüberzustellen. Auch das Oberverwaltungsgericht habe keine richtige Abwägung unter Berücksichtigung seiner Grundrechte durchgeführt und deshalb falsch entschieden.

B.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

1. Gemäß § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist grundsätzlich nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu beurteilen, es sei denn, dass sich der Antrag in der Hauptsache von vornherein als unzulässig oder als offensichtlich unbegründet erweist (zuletzt Beschluss vom 29. September 2021 ‌‑ VfGBbg 19/21 EA ‑‌, Rn. 16, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Ob die Verfassungsbeschwerde, deren Frist noch läuft, als unzulässig oder offensichtlich unbegründet zu betrachten ist, kann offen bleiben, da jedenfalls die Folgenabwägung zu Ungunsten des Antragstellers ausfällt.

2. Im Rahmen der Folgenabwägung sind die nachteiligen Wirkungen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, mit den nachteiligen Wirkungen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, zu vergleichen und zu bewerten. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, müssen im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtung im Sinne des Gesetzes nicht gewichtig genug sind („schwere Nachteile“) bzw. keinen gleichwertigen „anderen“ Grund im Sinne des Gesetzes darstellen. Bei der Abwägung sind im Allgemeinen nur irreversible Nachteile zu berücksichtigen (st. Rspr., zuletzt Beschluss vom 18. Juni 2021 ‌‑ VfGBbg 12/21 EA ‑‌, Rn. 11 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Dass dem Antragsteller schwere irreversible Nachteile drohen, ist seinem Vortrag nicht zu entnehmen.

a. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, drohte dem Antragsteller mit hoher Wahrscheinlichkeit die vorübergehende Entfernung der Informationstafeln. Stellte sich in der Hauptsache heraus, dass die verwaltungsgerichtlichen Beschlüsse verfassungswidrig sind, wäre der Antragsteller in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 19 Abs. 1 LV und in der Eigentumsgarantie aus Art. 41 Abs. 1 LV verletzt. Die Vollstreckung einer Beseitigungs- und Untersagungsverfügung mit Bezug auf Informationstafeln, die leicht ab- und wieder aufgebaut werden können, stellt jedoch keinen schwerwiegenden irreversiblen Nachteil dar. Dem Antragsteller ist die Äußerung seiner Meinung und die Nutzung seines Grundstücks nicht grundsätzlich verwehrt. Würde hingegen die einstweilige Anordnung erlassen und stellte sich später heraus, dass die Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden waren, könnte dies zu einer Beeinträchtigung der in der Schutzzone des Biosphärenreservats befindlichen Nist-, Brut- und Lebensstätten geschützter Arten und zur Beunruhigung wildlebender Tiere geführt haben. Dass der Antragsteller mit den Informationstafeln Besucher des Biosphärenreservats ansprechen möchte, trägt er selbst vor. Es ist naheliegend, dass Passanten für das Studieren der Informationstafeln den Weg verlassen und die Schutzzone betreten. Die damit einhergehenden möglichen Folgen für den Naturschutz überwiegen die dem Antragsteller entstehenden Nachteile.

b. Jedenfalls ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht „zum gemeinen Wohl“ dringend geboten. Im Hinblick auf den einzelnen Bürger ist ein Anknüpfungspunkt für einen Gemeinwohlbezug allenfalls dann anzunehmen, wenn die Gefahr eines irreversiblen Nachteils für die Freiheit und Unversehrtheit der Person oder für vergleichbare elementare Menschenrechte besteht (Beschluss vom 23. Oktober 2020 ‌‑ VfGBbg 17/20 EA -‌, Rn. 21 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Als gewichtiger Grund kommt allenfalls eine mögliche Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit und Eigentumsgarantie in Betracht, die aus den genannten Gründen keinen schwerwiegenden irreversiblen Nachteil darstellt.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

Möller

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß