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VerfGBbg, Beschluss vom 23. August 2024 - VfGBbg 28/23 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 15 Abs. 1 Halbsatz 1
Schlagworte: - Strafanzeige wegen Beleidigung gegen einen Beteiligten
- Keine Besorgnis der Befangenheit
- Ablehnungsgesuch unbegründet
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 23. August 2024 - VfGBbg 28/23 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 28/23




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 28/23

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

B.,

Beschwerdeführer,

wegen            Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 15. Mai 2023 ‌‑ 1 Ws 43/23 (S) 

                        hier: Ablehnungsgesuch

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 23. August 2024

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Kirbach, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Richter und Sokoll

beschlossen: 

      Das Ablehnungsgesuch gegen den Präsidenten des Verfassungsgerichts Möller wird als unbegründet zurückgewiesen.

 

Gründe:

A.

Zur Mitwirkung an dem vorliegenden Beschluss sind alle Mitglieder des Verfassungsgerichts mit Ausnahme des abgelehnten Verfassungsgerichtspräsidenten Möller berufen, obwohl gegen sie ‑ mit Ausnahme von Dr. Koch ‑ ebenfalls Ablehnungsgesuche angebracht worden sind, über die noch nicht entschieden ist. Das Landesverfassungsgericht kann wegen seiner besonderen Organisation über jedes Ablehnungsgesuch gesondert unter Mitwirkung auch derjenigen Verfassungsrichter entscheiden, die aus anderen Gründen ebenfalls abgelehnt wurden. Da eine Vertretung abgelehnter Verfassungsrichter im Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) nicht vorgesehen ist, kann nur so der Gefahr begegnet werden, dass das Gericht durch eine im Einzelfall zulässige Ablehnung sämtlicher seiner Mitglieder seiner Handlungsfähigkeit beraubt wird (vgl. auf Bundesebene BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2021 ‌‑ 2 BvE 1/17 ‑,‌ Rn. 12, www.bverfg.de; Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schwarzkopf, BVerfGG, 2. Auflage 2022, § 19 Rn. 36; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 63. EL Juni 2023, § 19 Rn. 15).

B.

Das Ablehnungsgesuch ist unbegründet.

Ein Mitglied des Verfassungsgerichts kann von den Verfahrensbeteiligten gemäß § 15 Abs. 1 Halbsatz 1 VerfGGBbg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Die Besorgnis der Befangenheit liegt bereits dann vor, wenn für einen am Verfahren Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit und der objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Dies setzt nicht voraus, dass der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder dass er sich selbst für befangen hält (st. Rspr., vgl. zuletzt Beschlüsse vom 16. Februar 2024 ‌‑ VfGBbg 36/20 ‑,‌ Rn. 10, und vom 15. Dezember 2023 ‌‑ VfGBbg 22/23 ‑,‌ Rn. 8, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Gemessen daran begründet der Umstand, dass der Präsident des Verfassungsgerichts im Zusammenhang mit Äußerungen, die der Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerdeverfahren VfGBbg 8/20 getätigt hat, unter dem 15. Mai 2020 Strafantrag u. a. wegen Beleidigung zum Nachteil der Verfassungsrichterin Heinrich‑Reichow gestellt hat, nicht die Besorgnis der Befangenheit.

In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass die Erstattung einer Strafanzeige gegen einen Beteiligten durch einen Richter einen Befangenheitsgrund darstellen kann, weil sie bei vernünftiger Betrachtung aus Sicht der Partei oftmals den Schluss zulassen mag, der Richter könne die Sache der Partei nicht mehr unvoreingenommen bearbeiten. Es kann andererseits aber auch nicht generell angenommen werden, ein Richter sei befangen, wenn er gegen einen Beteiligten Strafanzeige erstattet hat, zumal das Gesetz ein solches Vorgehen ausdrücklich ermöglicht (§ 149 Zivilprozessordnung) und in einigen Fällen sogar verlangt (§ 183 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz). Ob die Besorgnis der Befangenheit besteht, hängt deshalb von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (vgl. mit zahlreichen Nachweisen aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 2012 ‌‑ 2 BvR 615/11 ‑,‌ Rn. 17, www.bverfg.de).

Dabei ist für den hier vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Strafantrag des Präsidenten um eine Reaktion auf das eigene Verhalten des Beschwerdeführers im Verfahren handelte. Das Verfassungsprinzip des gesetzlichen Richters (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg) darf nicht der Manipulation preisgegeben werden. Ein Verfahrensbeteiligter kann deshalb einen ihm unbequemen Richter durch Angriffe nicht einfach ausschalten. Ebenso wenig kann einem Richter zugemutet werden, persönliche Angriffe und Beleidigungen reaktionslos hinzunehmen, wenn er nicht der Besorgnis der Befangenheit ausgesetzt sein will. Beleidigt ein Verfahrensbeteiligter einen Richter, muss dieser bzw. dessen Dienstvorgesetzter sich deshalb auch durch eine Strafanzeige oder einen Strafantrag zur Wehr setzen können. Entscheidend für die Frage der Befangenheit ist in diesem Fall, ob dies in angemessener Weise erfolgt. Hat der Betroffene seine Strafanzeige oder seinen Strafantrag in sachlicher Form angebracht und fehlen zusätzliche auf eine Voreingenommenheit hindeutende Umstände, liegt eine Besorgnis der Befangenheit nicht vor (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 4. September 2002 ‌‑ 9 WF 606/02 ‑,‌ Rn. 3; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10. März 2000 ‌‑ 3 W 46/00 ‑,‌ Rn. 3 f., juris; G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 42 Rn. 29 m. w. N.).

Dies zugrunde gelegt ist der Antrag unbegründet. Der Strafantrag vom 15. Mai 2020 ist sachlich formuliert und wurde vom Präsidenten zudem nicht im eigenen Interesse, sondern zum Schutze einer anderen Verfassungsrichterin gestellt. § 77a Abs. 3 Satz 1 Strafgesetzbuch sieht ein solches Vorgehen ausdrücklich vor. Der Präsident erhält hierdurch die Möglichkeit im Interesse aller Mitglieder des Gerichts auf strafbares Verhalten angemessen zu reagieren. Nichts Anderes ist hier geschehen. Weitergehende Umstände, aus denen sich die Besorgnis der Befangenheit ergeben könnte, sind weder vom Beschwerdeführer aufgezeigt noch sonst ersichtlich. Der Präsident hat die Sache nach der Einstellungsmitteilung der Staatsanwaltschaft vom 25. Mai 2020 vielmehr auf sich beruhen lassen und auch keine anderweitigen Schritte gegen den Beschwerdeführer unternommen.

C.

Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg konnte unter Mitwirkung von fünf Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichtern zulässig über das vorliegende Ablehnungsgesuch entscheiden. Nach § 15 Abs. 3 VerfGGBbg entscheidet das Gericht unter Ausschluss des Abgelehnten über die Ablehnung. Zwar setzt die Beschlussfähigkeit des Verfassungsgerichts nach § 8 Satz 1 VerfGGBbg grundsätzlich voraus, dass mindestens sechs Verfassungsrichter anwesend sind. Nach § 8 Satz 2 VerfGGBbg vermindert sich diese Zahl allerdings (u. a.) um die gemäß § 15 VerfGGBbg abgelehnten Richter. Damit erreichten die fünf anwesenden Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter das für die Beschlussfähigkeit maßgebende Mindestquorum nach § 8 VerfGGBbg.

 

 

 

Kirbach

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Richter

Sokoll