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VerfGBbg, Beschluss vom 16. Februar 2024 - VfGBbg 36/20 -

 

Verfahrensart: Organstreit
sonstige
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 14 Abs. 1 Nr. 1; VerfGGBbg, § 14 Abs. 2; VerfGGBbg, § 15
- VAGBbg, § 11
Schlagworte: - Unterzeichnung einer Volksinitiative
- Kein Mitwirkungsausschluss
- Keine Besorgnis der Befangenheit

Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 16. Februar 2024 - VfGBbg 36/20 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 36/20




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 36/20

In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren

der Volksinitiative „Artenvielfalt retten ‑ Zukunft sichern“,
vertreten durch

1.      Grit Gehrau,

2.      Anja Hradetzky,

3.      Johann Lütke Schwienhorst,

4.      Dr. Wilhelm Schäkel,

5.      Friedhelm Schmitz-Jersch,

Antragstellerin,

Verfahrensbevollmächtigter               Prof. Dr. P.,


 

beteiligt:

Landtag Brandenburg,
vertreten durch die Präsidentin,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

Verfahrensbevollmächtigter:              Prof. Dr. K.,

 

wegen            Volksbegehren

hier                 Entscheidung nach § 14 und § 15 VerfGGBbg

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 16. Februar 2024

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Dr. Koch, Müller, Richter und Dr. Strauß

beschlossen: 

1.   Verfassungsrichterin Sokoll ist nicht von der Ausübung ihres Richteramts ausgeschlossen.

2.   Der von Verfassungsrichterin Sokoll angezeigte Sachverhalt begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe:

A.

I.

Antragstellerin ist die Volksinitiative „Artenvielfalt retten - Zukunft sichern“, die mit Beschluss des Hauptausschusses des Landtags Brandenburg vom 19. Februar 2020 für unzulässig erklärt wurde. Hiergegen haben die Vertreter der Antragstellerin am 3. April 2020 gemäß § 11 Gesetz über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Volksabstimmungsgesetz ‑ VAGBbg) eine Entscheidung des Landesverfassungsgerichts beantragt.

Mit dienstlicher Äußerung vom 28. April 2020 hat Verfassungsrichterin Sokoll vorsorglich angezeigt, dass sie die Volksinitiative mit ihrer Unterschrift unterstützt habe.

Die Verfahrensbeteiligten haben mit Blick auf § 15 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) Gelegenheit erhalten, sich zu äußern.

Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 4. Juni 2020 unter Bezugnahme auf den Beschluss des Landesverfassungsgerichts Schleswig-Holstein vom 26. Februar 2019 (LVerfG 2/18) Stellung genommen. Aus seiner Sicht bestehe keine Besorgnis der Befangenheit.

II.

1. Die Verfassungsrichterin Sokoll ist von der Mitwirkung an der Entscheidung über den Rechtsbehelf nach § 11 VAGBbg nicht ausgeschlossen, obwohl sie die Antragstellerin mit ihrer Unterschrift unterstützt hat.

Das Verfassungsgericht hat zunächst von Amts wegen über seine ordnungsgemäße Besetzung zu befinden. Das schließt die Entscheidung über einen kraft Gesetzes greifenden Ausschluss der Mitwirkung nach § 14 VerfGGBbg ein (vgl. Beschluss vom 19. November 2021 ‌‑ VfGBbg 30/21 ‑,‌ Rn. 8, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 VerfGGBbg ist vom Richteramt ausgeschlossen, wer an der Sache beteiligt ist. Hierbei ist zunächst festzustellen, dass Antragstellerin des Verfahrens die Volksinitiative „Artenvielfalt retten ‑ Zukunft sichern“ ist, so dass auch nur diese Beteiligte am Verfahren im prozessualen Sinne ist (s. dazu VerfG SH, Beschluss vom 26. Februar 2019 ‌‑ LVerfG 2/18 ‑, Rn. 8, juris). Eine Beteiligung liegt darüber hinaus aber auch dann vor, wenn ein unmittelbares rechtliches Interesse an der Sache besteht. Ein allgemeines ‑ etwa politisches ‑ Interesse am Ausgang des Verfahrens, das ein Richter mit einer Vielzahl anderer Personen teilt, stellt dabei keine den Ausschluss rechtfertigende Beteiligung im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 1 VerfGGBbg dar (vgl. für § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG: Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Auflage 2020, § 18 Rn. 10 f.; Müller-Terpitz, in: Schmidt/Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 63. EL Juni 2023, § 18 Rn. 47 f.). Dies ergibt sich aus § 14 Abs. 2 VerfGGBbg. Danach ist nicht beteiligt, wer aufgrund seines Familienstandes, seines Berufes, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist. Bei den Mitgliedern des Verfassungsgerichts ist ‑ wie bei allen Richtern ‑ grundsätzlich zu erwarten, dass sie sich von derartigen mittelbaren Interessen nicht beeinflussen lassen und sich bei der von ihnen zu treffenden Entscheidung an Recht und Gesetz orientieren (vgl. Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 18 Rn. 15; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Auflage 2020, § 18 Rn. 11). Vor diesem Hintergrund reicht der Umstand, dass Verfassungsrichterin Sokoll die Volksinitiative unterzeichnet hat, für die Annahme eines Ausschlusses nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 VerfGGBBg nicht aus; er vermittelt keine enge und konkrete Beziehung zu der Sache (vgl. VerfG SH, Beschluss vom 26. Februar 2019 ‌‑ LVerfG 2/18 ‑,‌ Rn. 10, juris) und ist damit auch nicht ansatzweise mit derjenigen Beziehung zu vergleichen, wie sie die Antragstellerin zu der Sache unterhält.

2. Der von Verfassungsrichterin Sokoll angezeigte Sachverhalt begründet zudem nicht die Besorgnis der Befangenheit i.S.d. § 15 Abs. 1 BbgVerfGG.

Eine Entscheidung nach § 15 Abs. 3 VerfGGBbg ist angezeigt, weil die dienstliche Äußerung der Verfassungsrichterin Sokoll als Erklärung im Sinne des § 15 Abs. 4 VerfGGBbg zu verstehen ist. Eine entsprechende Erklärung setzt nicht voraus, dass sich der Richter selbst für befangen hält. Es genügt, dass er Umstände aufzeigt, die dem Gericht Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit zu treffen (vgl. zur wortgleichen Bestimmung des § 19 Abs. 3 BVerfGG: BVerfG, Beschlüsse vom 18. Juni 2003 ‌‑ 2  BvR 383/03 ‑,‌ Rn. 16, und vom 10. Mai 2000 ‌‑ 1 BvR 539/96 ‑, Rn. 6, www.bverfg.de).

Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters nach § 15 VerfGGBbg liegt bereits dann vor, wenn für einen am Verfahren Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit und der objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Dies setzt nicht voraus, dass der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder dass er sich selbst für befangen hält (st. Rspr., vgl. zuletzt Beschluss vom 15. Dezember 2023 ‌‑ VfGBbg 22/23 ‑, Rn. 8, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Eine Besorgnis der Befangenheit in diesem Sinne kann aber nicht allein aus allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 14 Abs. 2 und Abs. 3 VerfGGBbg den Ausschluss eines Richters von der Ausübung des Richteramts nicht rechtfertigen. Es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade auf diese Gründe dennoch ohne Weiteres eine Besorgnis der Befangenheit gestützt werden. Hinzutreten müssen deshalb im Einzelfall weitere Umstände (vgl. zu § 19 BVerfGG BVerfG, Beschlüsse vom 5. Dezember 2019 ‌‑ 1 BvL 7/18 ‑,‌ Rn. 18, und vom 18. Juni 2003 ‌‑ 2 BvR 383/03 ‑,‌ Rn. 19, www.bverfg.de). Solche sind hier weder von den Beteiligten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Verfassungsrichterin Sokoll werden jedenfalls nicht dadurch begründet, dass die Unterstützung der Antragstellerin durch die Unterschrift der Verfassungsrichterin als eine politische Äußerung gewertet werden kann. Derartige Bekundungen sind Richtern des Landesverfassungsgerichts nicht verwehrt. Die Verfassung des Landes Brandenburg und das Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg setzen vielmehr voraus, dass Verfassungsrichter politische Auffassungen nicht nur haben, sondern auch vertreten dürfen, ohne dass allein deshalb Zweifel an ihrer Befähigung zur objektiven und unvoreingenommenen Beurteilung einer Sache als gerechtfertigt erscheinen (vgl. Beschluss vom 16. Juli 2020 ‌‑ VfGBbg 9/19 ‑, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de; BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 2011 ‌‑ 2 BvR 1010/10 u. a. ‑,‌ Rn. 20 ff, juris). Für ein darüber hinausreichendes Moment, das auf eine Vorfestlegung der Verfassungsrichterin deuten könnte, fehlt es auch sonst an belastbaren Anhaltspunkten. Verfassungsrichterin Sokoll nimmt weder eine herausgehobene Stellung als Unterstützerin der Antragstellerin ein noch hat sie sich zur ‑ im vorliegenden Verfahren allein streitgegenständlichen ‑ Zulässigkeit der Volksinitiative in öffentlichkeitswirksamer Weise geäußert.

B.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Dr. Koch

Müller

Richter

Dr. Strauß