Toolbar-Menü
Hauptmenü

VerfGBbg, Beschluss vom 18. Februar 2022 - VfGBbg 26/21 EA -

 

Verfahrensart: sonstige Verfahren
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 11 Abs. 1; LV, Art. 15 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 30 Abs. 1
Schlagworte: - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, unzulässig
- Nicht erreichbares Rechtsschutzziel
- Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis
- Ermittlungsverfahren
- Datenauswertung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 18. Februar 2022 - VfGBbg 26/21 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 26/21 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 26/21 EA

In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren

K.,
,
,

Antragsteller,

beteiligt:

  1. Direktorin
    des Amtsgerichts Frankfurt (Oder),
    Müllroser Chaussee 55,
    15236 Frankfurt (Oder),
     
  2. Präsidentin
    des Landgerichts Frankfurt (Oder),
    Müllroser Chaussee 55,
    15236 Frankfurt (Oder),
     
  3. Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder),
    Bachgasse 10a,
    15230 Frankfurt (Oder),
     
  4. Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung Berlin
    - Außenstelle Frankfurt (Oder) -,
    Kopernikusstraße 71,
    15236 Frankfurt (Oder),

Äußerungsberechtigte,

 

wegen

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung; Untersagung der Auswertung und sonstigen Verwertung der im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung beim Antragssteller am 14. Januar 2021 sichergestellten Datenträger

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 18. Februar 2022

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dresen, Dr. Finck, Heinrich-Reichow, Kirbach, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

                        Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

 

Gründe:

A.

Der Antragsteller begehrt im Wege des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, den Strafverfolgungsbehörden die Auswertung und sonstige Verwertung von Datenkopien zu untersagen, die von den im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung bei ihm sichergestellten Computern, Datenträgern und Mobiltelefonen angefertigt worden sind.

I.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) führt gegen den Antragsteller als Mitbeschuldigten ein Ermittlungsverfahren u. a. wegen des Einschleusens von Ausländern nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG). Die Wohnadresse des Antragstellers war in dem ursprünglich gegen Unbekannt gerichteten Verfahren als Meldeadresse für Personen mit totalgefälschten Ausweisen in den Blick der Bundespolizei gerückt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) verfügte Ende Dezember 2020, das Ermittlungsverfahren von Unbekannt auf den Antragsteller als Mitbeschuldigten umzutragen.

 

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht Frankfurt (Oder) mit Beschluss vom 12. Januar 2021 (45 Gs 2081/20) die Durchsuchung der Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume des Antragstellers zur Auffindung von Beweismitteln zur Schleuserorganisation und die Beschlagnahme aufgefundener Beweismittel (insb. Speichermedien wie Computer, Mobiltelefon, Laptop) an. Der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss gab ungeachtet der verfügten Umtragung auf ein Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller als Mitbeschuldigten in Rubrum und Gründen noch an, gegen Unbekannt gerichtet zu sein.

Die Durchsuchungsanordnung wurde am 14. Januar 2021 durch Beamte der Bundespolizeiinspektion Frankfurt (Oder) und Polizeivollzugsbeamte des Landes Brandenburg vollzogen. Es wurden verschiedene Speichermedien des Antragstellers sichergestellt. Die vom Antragsteller gegen den Durchsuchungsbeschluss und die Beschlagnahme bzw. Bestätigung der Sicherstellung beim Amtsgericht und beim Landgericht Frankfurt (Oder) eingelegten Rechtsbehelfe hatten keinen Erfolg.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) Anfang Juni 2021 die Freigabe der sichergestellten Gegenstände angeordnet hatte, wurden diese dem Antragsteller am 11. Juni 2021 zurückgegeben. Die Bundespolizeiinspektion Frankfurt (Oder) hat mit Schreiben vom 17. Januar 2022 mitgeteilt, dass die Auswertung der von den sichergestellten Speichermedien angefertigten Datenkopien abgeschlossen ist.

II.

Mit seiner am 28. Oktober 2021 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Antragsteller gegen den Durchsuchungsbeschluss und die Bestätigung der Sicherstellung des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) und die auf seine Rechtsbehelfe ergangenen Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts Frankfurt (Oder). Er rügt eine Verletzung seines Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 15 Abs. 1, 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), Art. 2 Abs. 5 LV „analog Art. 20 Abs. 3 GG“ und Verstöße gegen die Strafprozessordnung (StPO). Der Antragsteller macht insbesondere geltend, durch den gegen Unbekannt gerichteten Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 12. Januar 2021 (45 Gs 2081/20) über seine Stellung als Beschuldigter getäuscht worden zu sein.

III.

Der Antragsteller beantragt mit dem Schriftsatz vom 10. Dezember 2021 im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 30 Abs. 1 Gesetz über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (VerfGGBbg),

der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) und/oder der Bundespolizei Frankfurt (Oder) bis zur Entscheidung über seine Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache zu untersagen, die im Rahmen der Durchsuchung seiner Wohnung am 14. Januar 2021 und der vorübergehenden Beschlagnahme von Computern, Datenträgern und Mobiltelefonen angefertigte[n] Datenkopien gemäß der Auflistung vom 11. Juni 2021 - zur Vermeidung des realen Risikos von ihm entstehenden später irreparablen Nachteilen - auszuwerten oder sonst zu verwerten;

die Durchsuchung seiner kopierten Daten einstweilig zu stoppen und zurückzustellen.

Er verweist zur Begründung auf seine Verfassungsbeschwerde und trägt vor, die Bundespolizei Frankfurt (Oder) habe ihm bei Rückgabe der sichergestellten Gegenstände mitgeteilt, dass Datenkopien angefertigt worden seien und eine gründliche Durchsuchung seiner gesamten Daten bevorstehe. Die Datenkopien erlaubten der Staatsanwaltschaft und Bundespolizei einen unbeschränkten Zugriff auf seine hochprivaten Daten. Gemäß Art. 11 Abs. 1 LV habe jeder das Recht, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen. Der erhebliche Eingriff sowohl in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch in die Unverletzlichkeit seiner Wohnung bedürften einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Beim Zugriff auf die bei ihm als Betroffenen gespeicherten Daten sei auf deren erhöhte Schutzwürdigkeit Rücksicht zu nehmen. Habe seine Verfassungsbeschwerde später Erfolg, bestehe die reale Gefahr bis dahin entstehender irreparabler Nachteile. Die Auswertung seiner privaten Daten bis zur Entscheidung über seine Verfassungsbeschwerde würde irreversibel sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen. Erweise sich seine Verfassungsbeschwerde später als unbegründet, verzögere sich lediglich die Auswertung seiner Daten. Der Strafverfolgungsanspruch des Staates werde dadurch nicht gravierend beeinträchtigt. Die Staatsanwaltschaft oder Bundespolizei könne indessen anderweitige Ermittlungen anstellen. Es sei auch nicht erkennbar, dass wegen einer vorübergehenden Verzögerung ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit zu befürchten wäre.

IV.

Der Antragsteller ist mit Schreiben vom 25. Januar 2022 im Hinblick auf die abgeschlossene Auswertung der Daten auf Zulässigkeitsbedenken hingewiesen worden. Mit Schreiben vom 4. Februar 2022 vertritt er die Ansicht, dass es auf den mitgeteilten Abschluss der Datenauswertung nicht ankomme. Sein Antrag richte sich gegen die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder. Diese sei die Gewahrsamsinhaberin seiner Daten und entscheide über deren gegenwärtige und zukünftige Auswertung. Eine vollständig abgeschlossene Auswertung der Daten würde sein Rechtsschutzbedürfnis verstärken, da Staatsanwaltschaft und Bundespolizei ungehinderten Zugriff auf seine hochprivaten Daten hätten.

V.

Die Äußerungsberechtigten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verfahrensakten sind beigezogen worden.

B.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig.

1. Gemäß § 30 Abs. 1 VerfGGBbg kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Ob die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg vorliegen, ist grundsätzlich, soweit sich das Begehren in der Hauptsache nicht als offensichtlich unzulässig oder unbegründet darstellt, nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu beurteilen (st. Rspr., Beschlüsse vom 6. April 2021 ‌‑ VfGBbg 7/21 EA ‑‌, Rn. 6, vom 11. Dezember 2020 ‌‑ VfGBbg 22/20 EA ‑‌, Rn. 13, und vom 3. Juni 2020 ‌‑ VfGBbg 9/20 EA ‑‌, Rn. 38, ‌https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de).

Voraussetzung der Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist ferner das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichts (vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2021 ‌‑ VfGBbg 12/21 EA ‑‌, Rn. 17, und vom 19. März 2021 ‌‑ VfGBbg 3/21 EA ‑‌, Rn. 18, https://verfassungsgericht.brandenburg.de; vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2018 ‌‑ 2 BvQ 90/18 ‑‌, BVerfGE 150, 163-169, Rn. 12, www.bverfg.de).

2. Nach diesen Maßgaben kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht.

Soweit der Antrag auf die einstweilige Untersagung der Auswertung der Datenkopien gerichtet ist, steht dem das fehlende Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers entgegen. Dieses Rechtsschutzziel lässt sich nicht mehr erreichen, nachdem die Datenkopien inzwischen vollständig ausgewertet sind. Sein Vorbringen zu privaten Daten verkennt, dass die dem Kernbereich höchstpersönlicher Lebensgestaltung zuzuordnenden Daten nicht der Auswertung unterliegen (vgl. grundlegend BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 ‌‑ 2 BvR 902/06 ‑‌, BVerfGE 124, 43-77, Rn. 90, juris). Anhaltspunkte dafür, dass dieser Grundsatz nicht beachtet worden ist, ergeben sich aus der Verfahrensakte nicht.

Soweit der Antrag dahingehend verstanden werden könnte, dass der Antragsteller auf die einstweilige Anordnung eines Verwertungsverbots bereits erlangter Kenntnisse zielt, wäre der Antrag wegen Vorwegnahme der Hauptsache unzulässig. Er zielt auf eine endgültige Sachentscheidung. Ob im Ermittlungsverfahren eventuell rechtswidrig erlangte Kenntnisse verwendet werden dürfen, ist eine Frage, auf die eine Antwort bei der Entschließung über das Erheben der Anklage oder im Hauptverfahren gesucht werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juni 2006 ‌‑ 2 BvR 902/06 ‑‌, Rn. 23, juris). Einer dieser Antwort vorgreiflichen Entscheidung im noch andauernden Ermittlungsverfahren bedarf es nicht.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß