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VerfGBbg, Beschluss vom 20. Januar 2023 - VfGBbg 1/23 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 30 Abs. 1
Schlagworte: - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, unzulässig
- Dringlichkeit, fehlend
- Gemeinwohlbezug, fehlend
- Ablehnungsgesuche
- Rechtliches Gehör
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. Januar 2023 - VfGBbg 1/23 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 1/23 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 1/23 EA

In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren

S.,

Antragsteller,

Verfahrensbevollmächtigter:              Rechtsanwalt
                                                                 S.,

 

wegen

Ladungen zu den mündlichen Verhandlungen am TT.MM.JJJJ, Amtsgericht Potsdam 42 F 215/17 und 42 F 216/17

hier

Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung; Terminsaufhebung

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 20. Januar 2023

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dresen, Dr. Finck, Heinrich-Reichow, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

A.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Aufhebung von Terminen zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Potsdam ‌‑ Familiengericht - in Kindesunterhaltsverfahren.

I.

Der Antragsteller ist Vater eines 2007 geborenen Kinds. Vor dem Amtsgericht Potsdam waren und sind verschiedene familienrechtliche Verfahren anhängig. Der Antragsteller hatte in der Vergangenheit wiederholt erfolglos Ablehnungsgesuche gegen die mit den Verfahren befasste Familienrichterin angebracht. Mit zwei Ablehnungsgesuchen vom 2. Februar 2022 lehnte der Antragsteller in den Kindesunterhaltsverfahren 42 F 215/17 (Eilverfahren) und 42 F 216/17 (Hauptsacheverfahren) die Familienrichterin erneut wegen Befangenheit ab. Er nahm unter anderem Bezug auf Gründe, die er mit Ablehnungsgesuchen in anderweitigen familienrechtlichen Verfahren bereits angebracht hatte, die jeweils keinen Erfolg hatten.

Das Amtsgericht Potsdam wies die Ablehnungsgesuche vom 2. Februar 2022 mit Beschlüssen vom 21. März 2022 (42 F 216/17) bzw. vom 30. März 2022 (42 F 215/17) als unbegründet zurück. Den sofortigen Beschwerden des Antragstellers vom 4. April 2022 half das Amtsgericht mit Beschlüssen vom 21. September 2022 nicht ab und legte diese dem Brandenburgischen Oberlandesgericht als Beschwerdegericht vor.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht wies die sofortigen Beschwerden mit Beschlüssen vom 6. Oktober 2022 (15 WF 152/22 bzgl. 42 F 215/17) bzw. vom 20. Oktober 2022 (15 WF 161/22 bzgl. 42 F 216/17) als unbegründet zurück. In den Gründen führte das Oberlandesgericht in beiden Beschlüssen insbesondere aus, das Ablehnungsgesuch stütze sich auf Ablehnungsgesuche in familienrechtlichen Parallelverfahren. Zwar könne ein in einem anderen Verfahren gegebener Grund für die Annahme eines Beteiligten, der Richter stehe seinem Anliegen nicht unvoreingenommen gegenüber, die Ablehnung dieses Richters auch in einem Parallelverfahren rechtfertigen. Die Fortwirkung eines in einem Verfahren gegebenen Ablehnungsgrunds sei jedoch eine Frage des Einzelfalls. Jedenfalls dann, wenn die erfolgreiche Ablehnung auf Voreingenommenheit gegen die Person des Ablehnenden gestützt war, greife der Ablehnungsgrund auch in den anderen Verfahren durch. In dem vom Antragsteller benannten Verfahren, aus dem sich unter anderem die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richterin ergeben solle, sei diese jedoch nicht wegen einer Benachteiligung des Antragstellers erfolgreich abgelehnt worden.

Gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts wandte sich der Antragsteller mit zwei Anhörungsrügen, die das Oberlandesgericht mit Beschlüssen vom 26. Oktober 2022 (15 WF 152/22) und vom 14. November 2022 (15 WF 161/22) zurückwies.

In den Kindesunterhaltsverfahren 42 F 215/17 und 42 F 216/17 vor dem Amtsgericht Potsdam stehen am TT.MM.JJJJ zwei Termine zur mündlichen Verhandlung an.

II.

Mit seiner am 4. Januar 2023 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Antragsteller gegen die Zurückweisung seiner sofortigen Beschwerden gegen die Zurückweisung seiner Ablehnungsgesuche und danach erhobenen Anhörungsrügen durch das Brandenburgische Oberlandesgericht.

Der Antragsteller rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 Verfassung des Landes Brandenburg, LV), des Willkürverbots, das er auf Art. 12 Abs. 1 LV stützt, des Anspruchs auf ein faires und zügiges Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV) und des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV).

Er trägt im Wesentlichen vor, das Oberlandesgericht habe den Vortrag in seinen Ablehnungsgesuchen unter gravierender Verletzung seines Grundrechts auf rechtliches Gehör vor Gericht übergangen und die Entscheidung in sich widersprüchlich und unter Missachtung des Willkürverbots entgegen den Tatsachen begründet. Er ist der Auffassung, das Oberlandesgericht hätte jedenfalls eine Gesamtabwägung aller von ihm bereits in der Vergangenheit und neu vorgebrachten Ablehnungsgründe anstellen müssen. Den Beschlüssen des Oberlandesgerichts vom 6. und vom 20. Oktober 2022 sei nicht zu entnehmen, ob das Gericht seinen in Ziffer 4 der Ablehnungsgesuche vom 2. Februar 2022 angeführten Ablehnungsgrund überhaupt erfasst habe, da beide Beschlüsse lediglich pauschal auf die „zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts in seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 21.09.2022“ verwiesen, ohne sich mit dem vorgebrachten, (erneut) vermittelten Eindruck der Vorverurteilung durch die als befangen abgelehnte Richterin auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen. Der Senat verkenne das grundrechtlich gewährleistete Ablehnungsrecht grundlegend, indem er übersehe, dass es hinsichtlich der Geeignetheit eines Ablehnungsgrunds auf die Perspektive des Ablehnenden ankomme. Die fehlende sachliche Auseinandersetzung mit den Ablehnungsgründen zeige auch auf, dass das Oberlandesgericht die durch Art. 52 Abs. 3 und Abs. 4 LV garantierten Grundrechte vor Gericht grundlegend verkenne und effektiver Rechtsschutz vor Gericht nicht gewährt werde. Die seine Anhörungsrügen zurückweisenden Beschlüsse des Oberlandesgerichts vom 26. Oktober 2022 (15 WF 152/22) und vom 14. November 2022 (15 WF 161/22) übergingen sein mit den Anhörungsrügen angebrachtes Vorbringen. Darin lägen neuerliche Gehörsverletzungen. Die beharrliche Weigerung, sich mit seinem Vortrag sachlich zu befassen, erscheine als willkürlich im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 LV.

III.

Mit dem in der Verfassungsbeschwerdeschrift gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt der Antragsteller, dass

dem Amtsgericht Potsdam - Familiengericht - aufgegeben wird, die in den Familiensachen zu den Az. 42 F 215/17 und 42 F 216/17 auf den TT.MM.JJJJ bestimmten Verhandlungstermine aufzuheben und bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht neu zu terminieren.

Er meint, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei zulässig und begründet, da die Verfassungsbeschwerde weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet sei. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber als begründet, entstünde ihm ein schwerer Nachteil. Er stünde nicht nur einer Richterin gegenüber, die nicht die gesetzliche Richterin im Sinne des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 LV sei. Er müsste zudem besorgen, dass sein Vortrag unbeachtet bliebe und er zu nicht gerechtfertigten, ggf. hohen (Nach-)Zahlungen verurteilt würde. Eine im einstweiligen Anordnungsverfahren (42 F 215/17) ergehende Entscheidung wäre gemäß § 57 FamFG unanfechtbar. Eine in der Hauptsache (42 F 216/17) erfolgende Verurteilung könne zwar mit der Beschwerde gemäß §§ 58 ff. FamFG angefochten werden. Die Amtsrichterin könne jedoch die sofortige Wirksamkeit ihrer Entscheidung gemäß § 116 Abs. 3 Satz 2 FamFG anordnen, was sie nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG auch tun solle. Für den Antragsteller bestünde daher die Gefahr einer gegen ihn gerichteten Zwangsvollstreckung, durch die, wenn seine Eintragung in das zentrale Schuldnerverzeichnis erfolgen würde, auch seine Berufszulassung aufgrund der Vermutung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 letzte Alt. Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) gefährdet wäre. Erginge die einstweilige Anordnung hingegen, obwohl die Verfassungsbeschwerde später keinen Erfolg habe, sei nichts dafür ersichtlich, dass mit der durch eine einstweilige verfassungsgerichtliche Anordnung bewirkten Entscheidungsverzögerung der nun schon seit über fünf Jahren anhängigen Unterhaltssachen nachteilige Folgen für das Kind bzw. dessen Mutter verbunden sein könnten, zumal sich diese, anders als der Antragsteller, zu keinem Zeitpunkt über die bisherigen Verfahrensverzögerungen beschwert habe.

B.

Der Antrag hat keinen Erfolg; er ist unzulässig.

Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) kommt nicht in Betracht.

1. Die Ausführungen des Antragstellers lassen keine irreversiblen Nachteile durch die Durchführung der mündlichen Verhandlungen erkennen.

Die im Rahmen der einstweiligen Anordnung gebotene strenge Prüfung verlangt nicht nur eine besondere Schwere der Nachteile, die entstehen, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, sondern stellt auch hohe Anforderungen an die Darlegung, dass solche Nachteile zu gewärtigen sind. Insoweit bedarf es in tatsächlicher Hinsicht zumindest im Sinne einer Plausibilitätskontrolle nachvollziehbarer individualisierter und konkreter Darlegungen. Etwaige Unklarheiten gehen im Zweifel zu Lasten des Antragstellers (Beschluss vom 6. April 2021 ‌‑ VfGBbg 7/21 EA ‑‌, Rn. 13 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Die Antragsschrift vermag nicht hinreichend substantiiert und nachvollziehbar aufzuzeigen, inwiefern die Durchführung der Termine bereits unmittelbar zu den genannten Vollstreckungsmaßnahmen führen kann. Weder ist dargetan, dass die Unterhaltssachen entscheidungsreif sind, noch, dass Beschlüsse unmittelbar im Termin ergehen und - mit den befürchteten Folgen - vollstreckt werden. Allein die rechtliche Möglichkeit genügt nicht für die Annahme eines drohenden Nachteils; es fehlt an der Dringlichkeit. Ungeachtet dessen stünden dem Antragsteller auch gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung vorrangige Rechtsbehelfe zu (vgl. § 120 Abs. 2 Satz 3 FamFG i. V.m. § 719 Abs. 1 ZPO). Insoweit steht der Grundsatz der Subsidiarität dem Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegen.

2. Zudem sind aufgrund der gerichtlichen Entscheidung keine Auswirkungen auf das „gemeine Wohl“ im Sinne des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg, die abzuwenden dringend geboten wären, vorgetragen oder sonst ersichtlich.

Die vom Antragsteller befürchtete Vollstreckung von Kindesunterhaltsverpflichtungen beträfe zuvörderst seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit aus Art. 10 LV (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2020 ‌‑ 1 BvR 697/20 ‑‌, Rn. 11, juris). Zwar kann es sich bei der gerichtlichen Auferlegung von Unterhaltsleistungen um eine gewichtige Entscheidung handeln, die für den Einzelnen mit persönlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen und Folgewirkungen verbunden sein kann; der Antragsteller nennt hier den Entzug seiner anwaltlichen Zulassung, der im Fall eines Vermögensverfalls infolge der Vollstreckung in Betracht komme, § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Im Hinblick auf den einzelnen Bürger ist ein Anknüpfungspunkt für den im verfassungsgerichtlichen Verfahren erforderlichen Gemeinwohlbezug jedoch allenfalls dann anzunehmen, wenn die Gefahr eines irreversiblen Nachteils für die Freiheit und Unversehrtheit der Person oder für vergleichbare elementare Menschenrechte besteht (vgl. Beschluss vom 11. März 2022 ‌‑ VfGBbg 2/22 EA ‑‌, Rn. 24 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Dafür besteht nach dem Vorbringen kein Anhalt.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß