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VerfGBbg, Beschluss vom 26. August 2011 - VfGBbg 18/11 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 6 Abs. 1
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 1
- FamFG, § 275
Schlagworte: - faires Verfahren
- Erschöpfung des Rechtswegs
- Rechtschutzbedürfnis
- Erledigung
- Zwischenentscheidung
- Betreuung
- Prozessfähigkeit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 26. August 2011 - VfGBbg 18/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 18/11




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

K.,

 

Beschwerdeführer,

 

 

gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Prenzlau vom 26.
Oktober 2010 und 21. März 2011  – 9 XVII K 86/10 – und des Landgerichts Neuruppin vom 3. Mai 2011 – 5 T 61/11

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker, Dielitz, Dr. Fuchs­loch, Dr. Lammer, Möller, Partikel und Schmidt

 

am 26. August 2011

 

b e s c h l o s s e n :

 

          Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

 

 

G r ü n d e :

 

I.

 

 

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Bestellung eines Betreuers sowie die Anordnung, ein fachärztliches Gutachten einzuholen.

 

Durch Beschluss des Amtsgerichts Prenzlau vom 26. Oktober 2010 wurde dem Beschwerdeführer ein Betreuer bestellt. Mit Schriftsatz vom 11. Februar 2011 stellte er einen „Antrag auf Wiederaufnahme in dem Fall der Bestellung einer Betreuung“. Er trug vor, er habe erst am 7. Februar 2011 erfahren, dass die Betreuung durch gesonderten Beschluss angeordnet worden sei. Der Beschluss vom 26. Oktober 2010, der ihm nach Aktenlage formlos übersandt worden ist, sei ihm am 2. März 2011 ausgehändigt worden. Die in § 1896 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für die Bestellung eines Betreuers aufgestellten Voraussetzungen seien nicht erfüllt, er besorge Behördengänge selbständig und habe sich erfolgreich um eine Arbeitsstelle beworben. Im Übrigen habe ihm nach § 317 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ein Verfahrenspfleger bestellt werden müssen.

 

Mit Beschluss vom 21. März 2011 ordnete das Amtsgericht die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zu der Frage an, ob die Betreuung aufzuheben sei, und bestellte dem Be­schwer­deführer einen Verfahrenspfleger. Das gegen die Anordnung des Sachverständigengutachtens erhobenen Rechtsmittel verwarf das Landgericht Neuruppin mit Beschluss vom 3. Mai 2011 als unzulässig; es handele sich um eine nach § 58 FamFG nicht anfechtbare Zwischenentscheidung. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen sei eine Anfechtbarkeit nicht ausnahmsweise geboten, weil die angeordnete Begutachtung nicht zu einem nicht mehr behebbaren Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers führe.

 

Mit seiner am 16. Mai 2011 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 10 (freie Entfaltung der Persönlichkeit), Art. 7 Abs. 1 (Menschenwürde) und Art. 16 Abs. 2 (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) der Verfassung des Landes Brandenburg (LV). Die Anordnung einer fachärztlichen Untersuchung berühre ihn in seinen Grundrechten aus Art. 11 Abs. 1 (Datenschutz) und Art. 10 i. V. m.  Art. 7 Abs. 1 LV, denn es gebe noch nicht einmal im Ansatz Gründe für die Einholung eines Gutachtens. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz sei verletzt, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Landgericht Neuruppin bei der gebotenen Betrachtung seines Rechts auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung zu einem günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Art. 6 LV (Rechtsschutz) sei betroffen, da ihm durch den Beschluss des Landgerichts Neuruppin der Rechtsweg verweigert worden sei. 

 

Die Akte des Amtsgerichts Prenzlau – 9 XVII K 86/10 – war beigezogen.

 

 

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen. Zwar steht die Tatsache, dass dem Beschwerdeführer ein Betreuer bestellt ist, der selbständigen Einlegung einer Verfassungsbeschwerde, mit der er sich gegen die Betreuung wendet, nicht entgegen. Denn der Betreute, der, wie hier der Beschwerdeführer nach § 275 FamFG nach einfachem Recht in der Lage ist, Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen, kann auch Verfassungsbeschwerde einlegen und in diesem Verfahren wirksam Verfahrenshandlungen vornehmen, soweit dies zur Durchsetzung der von ihm als verletzt gerügten Grundrechte erforderlich ist und er über die notwendige Einsichtsfähigkeit und das erforderliche Wissen verfügt (vgl. Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 2004, Rn. 118ff.). Allerdings hat die Verfassungsbeschwerde aus anderen Gründen keinen Erfolg.

 

1. Soweit der Beschwerdeführer den Beschluss vom 26. Oktober 2010 angreift, ist seine Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil er entgegen § 45 Abs. 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) den Rechtsweg nicht erschöpft hat. Vor einer Anrufung des Verfassungsgericht hat ein Beschwerdeführer alle ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten aus­zuschöpfen, um eine Korrektur des Grundrechtseingriffes im fach­ge­richt­lichen Verfahren zu erreichen. Diesen Weg hat der Beschwerdeführer mit dem Wiederaufnahmeantrag vom 21. März 2011 beschritten, der auch als gem. §§ 58, 63 FamFG statthafte und -  ausgehend von einer Aushändigung des Beschlusses am 2. März 2011 - fristgerechte Beschwerde aus­ge­legt werden kann. Allerdings ist das Verfahren, in dem das Amtsgericht zunächst die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet hat, noch nicht zum Abschluss gelangt. Zudem ist die zu erwartende Entscheidung des Amtsgerichts, sollte die Betreuung aufrechterhalten werden, für den Beschwerdeführer vor dem Landgericht anfechtbar. Da auch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg, unter denen eine Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise vor Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden kann, nicht gegeben sind, ist die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich des Beschlusses vom 26. Oktober 2010 unzulässig.

 

2. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Amtsgerichts Prenzlau vom 21. März 2011 und den das Rechtsmittel hiergegen bescheidenden Beschluss des Land­gerichts Neuruppin vom 3. Mai 2011 wendet, fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis. Denn unter dem 29. Mai 2011 hat der vom Amtsgericht beauftragte Sachverständige sein Gutachten vorgelegt. Der Beschwerdeführer kann nunmehr mit seinem Begehren, die Erstellung des Gutachtens zu verhindern, nicht mehr durchdringen. Erledigt sich im Verlauf des verfassungsgerichtlichen Verfahrens das eigentliche Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers in der Hauptsache, entfällt das Rechtschutzbedürfnis für die Verfas­sungs­be­schwerde. Ausnahmsweise besteht es nur dann fort, wenn anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe, der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt, wenn eine relevante Gefahr der Wiederholung des Eingriffs besteht oder wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwer­deführer weiter beeinträchtigt (Beschluss vom 25. Februar 2011 - VfGBbg 46/10 -, www.verfassungsgericht.branden­burg.de). Kei­ne dieser Voraussetzungen ist hier gegeben.

 

Verfassungsrechtliche Fragen grundsätzlicher Bedeutung wirft die Verfassungsbeschwerde nicht auf. Die angegriffene Anordnung der fachärztlichen Untersuchung stellt eine der Entscheidung über den Fortbestand der Betreuung vorausgehende Zwischenentscheidung des Amtsgerichts dar (Meyer-Holz, in: Keidel u.a., FamFG, 16. Aufl. 2009, § 58 Rn. 29). Verfassungsbeschwerden gegen Zwischenentscheidungen sind nach gefestigter Rechtsprechung ausgeschlossen, weil Verfassungsverstöße gewöhnlich noch mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden können (Beschluss vom 20. Mai 2010 – VfGBbg 1/10 –, www.verfas­sungs­gericht.brandenburg.de). Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten nur in den  Fällen, in denen ein dringendes schutzwürdiges Interesse daran besteht, dass über die Verfassungsmäßigkeit der Zwischen­entscheidung sofort und nicht erst in Verbindung mit der Überprüfung der Endentscheidung erkannt wird. Dies ist etwa dann der Fall, wenn bereits die Zwischenentscheidung einen bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen zur Folge hat, der sich später gar nicht oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben lässt. Diese Grundsätze sind geklärt und bedürfen einer weiteren Erörterung nicht.

 

Auch eine besonders gewichtige Grundrechtsverletzung ist nicht erkennbar. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder auf einem leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (Beschluss vom 20. Mai 2010 – VfGBbg 1/10 – m. w. N., a.a.O). Dies ist hier nicht der Fall. Das Amtsgericht hat sich in dem angefochtenen Beschluss darauf beschränkt, einen Sachver­stän­digen mit der Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens über die Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen zu beauftragen. Nachdem das Gutachten zwischenzeitlich erstellt worden ist, bewirkt der Beschluss keine fortdauernde Beschwer mehr. Auch eine Verletzung der Rechtsschutzgarantie des Art. 6 Abs. 1 LV, die der Beschwerdeführer mit der Entscheidung des Landgerichts Neuruppin vom 3. Mai 2011 eingetreten sieht, liegt erkennbar nicht vor. Die Entscheidung des Landgerichts, die Beschwerde gegen den Beweisbeschluss als unzulässig zu verwerfen, weil die Zwischenentscheidung im Zusammenhang mit dem Beschluss über die Notwendigkeit der Betreuung anzufechten ist, entspricht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 – XII ZB 209/06, NJW-RR 2008, S. 737) und verletzt das Recht des Beschwerdeführers auf eine tatsächliche wirksame gerichtliche Kontrolle nicht.

 

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Postier Dr. Becker
       
Dielitz Dr. Fuchsloch
   
Dr. Lammer Möller
   
Schmidt Schmidt