VerfGBbg, Beschluss vom 22. Februar 2013 - VfGBbg 1/13 EA -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde EA |
|
entscheidungserhebliche Vorschriften: | - VerfGGBbg, § 30 Abs. 1; VerfGGBbg, § 50 Abs. 2 | |
Schlagworte: | - Vorwegnahme - Abwägung - Gemeinwohl |
|
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 22. Februar 2013 - VfGBbg 1/13 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 1/13 EA
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
M.,
Antragsteller,
wegen der Beschlüsse des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 1. November 2012 (Az.: 15 UFH 3/12), vom 27. Juli 2011 und 27. Juni 2011 (Az.: 15 UF 168/11) sowie des Beschlusses des Amtsgerichts Potsdam vom 26. Mai 2011 (Az.: 43 F 71/11)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Lammer, Nitsche und Partikel
am 22. Februar 2013
b e s c h l o s s e n :
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
G r ü n d e:
A.
Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung in einer den Umgang betreffenden familienrechtlichen Angelegenheit.
Wegen des zugrunde liegenden Sachverhalts kann auf die Beschlüsse vom 17. August 2012 – VfGBbg 6/12 EA – und 29. Juli 2011 – VfGBbg 4/11 EA – (veröffentlicht jeweils unter www.verfassungsgericht.brandenburg.de) verwiesen werden.
Ergänzend ist Folgendes auszuführen: Am 1. November 2012 fand in dem Verfahren 15 UFH 3/12 eine mündliche Verhandlung des 3. Familiensenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts statt. Dieses Verfahren betrifft den Antrag des Antragstellers vom 29. Juni 2012, die Vollziehung des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 26. Mai 2011 durch einstweilige Anordnung auszusetzen. Nachdem der Antragsteller die Richter dieses Senats auch in diesem Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte, war Gegenstand der mündlichen Verhandlung nur die Frage, ob unaufschiebbare Maßnahmen im Sinne des § 47 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) im Interesse des Kindeswohls zu veranlassen seien. Hierzu nahmen der Antragsteller, der Verfahrensbeistand, die Vertreterin des Jugendamtes und die Kindesmutter Stellung. Am Ende der Sitzung beschloss der 3. Familiensenat, die mündliche Verhandlung zu vertagen, weil unaufschiebbare Maßnahmen nicht zu treffen seien.
B.
Mit seinem am 2. Januar 2013 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet sich der Antragsteller gegen diesen Beschluss sowie ferner gegen die Beschlüsse des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 27. Juli 2011 und 27. Juni 2011 im Verfahren 15 UF 168/11 und gegen den Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 26. Mai 2011 im Verfahren 43 F 71/11.
Er macht geltend, die Verweigerung einer Entscheidung nach § 47 Abs. 1 ZPO verletze seinen Justizgewähranspruch und seinen Anspruch auf ein faires Verfahren. Die fortschreitende Entfremdung seines Sohnes sei ein gravierender Nachteil, der eine Entscheidung geboten hätte.
Der Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 26. Mai 2011 sei unverhältnismäßig und stelle einen schweren Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht dar, da er den Eindruck vermittle, er könne ohne Betreuung nicht mit seinem Kind umgehen. Das Vorhaben des 3. Familiensenats des Oberlandesgerichts, ihn, den Antragsteller, zwangsweise einer psychologischen/ psychiatrischen Untersuchung zu unterwerfen, verstoße ebenfalls gegen seine allgemeinen Persönlichkeitsrechte. Die Vermutung, dass erst abgeklärt werden müsse, ob er wieder unbegleiteten Umgang mit seinem Sohn haben könne, sei realitätsfremd, willkürlich und unverhältnismäßig.
Soweit die angegriffenen Entscheidungen einen Verstoß gegen das alleinige Sorgerecht der Mutter behaupteten, würden sie zudem gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 12 Verfassung des Landes Brandenburg und gegen Art. 8 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen. Bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens um die elterliche Sorge müsse er als ebenso sorgeberechtigt angesehen werden wie die Kindesmutter oder die Inhaberschaft der elterlichen Sorge müsse außen vor bleiben.
Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2013 hat der Antragsteller erklärt, dass mit dem Antrag vom 2. Januar 2013 auch eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden sollte.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, im Wege der einstweiligen Anordnung
1. den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 1. November 2011 im Verfahren 15 UFH 3/12 aufzuheben und das Oberlandesgericht anzuweisen, unverzüglich über den einstweiligen Anordnungsantrag des Antragstellers zu entscheiden,
2. die Vollziehung der Beschlüsse des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 27. Juli 2011 und 27. Juni 2011 im Verfahren 15 UF 168/11 und des Beschlusses des Amtsgerichts Potsdam vom 26. Mai 2011 im Verfahren 43 F 71/11 einstweilen auszusetzen.
C.
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zurückzuweisen.
I.
1. Der Antrag zu 1. ist unzulässig. Es erscheint bereits fraglich, ob der Antragsteller hinsichtlich des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 1. November 2012 im Verfahren 15 UFH 3/12 die Zweimonatsfrist des § 47 Abs. 1 VerfGGBbg gewahrt hat. Innerhalb der am 2. Januar 2013 abgelaufenen Frist hat der Antragsteller nur den Erlass einer einstweiligen Anordnung und eine „vorläufige Rechtsschutzregelung“ beantragt und nicht ausdrücklich Verfassungsbeschwerde erhoben. Ob dies zur Wahrung der Einlegungsfrist des § 47 Abs. 1 VerfGGBbg ausreicht, kann vorliegend allerdings dahinstehen. Denn der Antrag zu 1. ist jedenfalls nicht auf einen zulässigen Entscheidungsinhalt gerichtet. Die Aufhebung des angegriffenen Beschlusses wäre eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. Beschluss vom 16. Juli 2009 – VfGBbg 4/09 EA -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de); das weitere Verpflichtungsbegehren des Antragstellers geht zudem über den zulässigen Inhalt einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde hinaus. Das Verfassungsgericht kann bei einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde nur feststellen, welche Vorschrift der Verfassung durch welche Handlung oder Unterlassung verletzt wurde, nicht aber eine Handlungsverpflichtung aussprechen (§ 50 Abs. 2 VerfGGBbg).
2. Der Antrag zu 2. ist jedenfalls unbegründet. Er entspricht im Wesentlichen dem Antrag des Antragstellers im Verfahren VfGBbg 4/11 EA, der mit Beschluss vom 29. Juli 2011 zurückgewiesen wurde. Das Verfassungsgericht sieht keine Veranlassung für eine von diesem Beschluss abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg liegen auch weiterhin nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Insoweit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts ein strenger Maßstab anzulegen. Die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, müssen im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtungsweise nicht schwer genug im Sinne des Gesetzes sind („schwerer Nachteil“) bzw. keinen gleichwertigen „anderen“ Grund im Sinne des Gesetzes darstellen. Bei der Abwägung sind im Allgemeinen nur irreversible Nachteile zu berücksichtigen (vgl. Beschlüsse vom 20. Mai 2010 – VfGBbg 9/10 EA – und vom 30. September 2010 – VfGBbg 8/10 EA –, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
Solche überwiegenden und irreversiblen Nachteile sind nicht erkennbar. Die vom Antragsteller angeführten nachteiligen Folgen der angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts (insbesondere der eingeschränkte und nur begleitete Umgang mit seinem Sohn) wiegen jedenfalls nicht schwerer als der Schaden, der seinem Sohn drohte, wenn nach Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung eine Gefährdung oder Verletzung des Kindeswohls durch intensivere Umgangskontakte festgestellt würde (vgl. bereits Beschluss vom 29. Juli 2011 – VfGBbg 4/11 EA -, a. a. O.).
Darüber hinaus fehlt es auch an dem durch § 30 Abs. 1 VerfGGBbg aufgestellten Erfordernis, dass die begehrte einstweilige Anordnung „zum gemeinen Wohl“ dringend geboten sein muss (vgl. Urteil vom 4. März 1996 – VfGBbg 3/96 EA -, LVerfGE 4, 109, 113; Beschluss vom 20. Februar 2003 – VfGBbg 1/03 EA -; Beschluss vom 6. Juli 2012 – VfGBbg 5/12 EA -; Beschluss vom 17. August 2012 – VfGBbg 6/12 EA -, jeweils www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das gemeine Wohl durch den vorliegenden umgangsrechtlichen Einzelfall betroffen wird.
II.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Lammer | Nitsche |
Partikel | |