Toolbar-Menü
Hauptmenü

VerfGBbg, Beschluss vom 21. Oktober 2011 - VfGBbg 36/11 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 13; LV, Art. 27 Abs. 2; LV, Art. 52 Abs. 3; LV, Art. 52 Abs. 4
- VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 S. 2; VerfGGBbg, § 46
Schlagworte: - Rechtliches Gehör
- Beruhen
- Zügiges Verfahren
- Prüfungsmaßstab
- Befangenheit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 21. Oktober 2011 - VfGBbg 36/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 36/11




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

A.,

 

Beschwerdeführerin zu 1),

 

 

 A.,

 

Beschwerdeführer zu 2),

 

gegen den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 4. Juli 2011 (13 WF 92/11)

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Möller, Nitsche, Partikel und Schmidt

 

am 21. Oktober 2011

 

b e s c h l o s s e n :

 

         Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

G r ü n d e :

 

A.

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Zurückweisung eines Befangenheitsgesuchs.

 

Die Beschwerdeführer sind die Eltern der am ... 1997 bzw. am ... 2001 geborenen Kinder M. und J. Mit Beschluss vom 17. Mai 2010 hatte das Amtsgericht Nauen den Beschwerdeführern vorläufig das Aufenthalts­be­stim­mungs­recht für ihre beiden Kinder entzogen und eine Pflegschaft des Jugendamtes angeordnet. Gleichzeitig erließ es einen Beweis­beschluss zur Beurteilung der Erziehungsfähig­keit der Be­schwerdeführer. Nach Eingang und Übersendung des Gutachtens an die Verfahrensbeteiligten am 10. November 2010 ordnete das Amts­gericht unter dem 29. Dezember 2010 die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens an. Zur Begründung führte es an, das zunächst erstellte Gutachten sei nicht ausreichend, es sei nicht nachvollziehbar, dass der Sachverständige trotz der Feststellung problematischer Faktoren die Rückführung der Kinder in das Elternhaus befürworte. Auch habe er sich nicht mit den von Dritten beschriebenen Verhaltens­auf­fäl­lig­keiten der Kinder befasst. Zwi­schen­zeitlich, am 22. Dezember 2010, waren die Kinder aufgrund einer vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht geschlossenen Vereinbarung der Beschwerde­führer mit dem Jugendamt zu ihren Eltern zurückgekehrt. Die Beschwerdeführer erhielten wohl erst aufgrund einer Akteneinsicht ihrer Prozessbevollmächtigten im Februar 2011 Kenntnis von dem ergänzenden Beweisbeschluss, widersprachen sodann der erneuten Begutachtung und beantragten stattdessen die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung mit Anhörung des ursprünglichen Sachverständigen. Die Richterin am Amtsgericht bat daraufhin die Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführer, auf diese einzuwirken, damit eine erneute Begutachtung erfolgen könne. Unter dem 25. März 2011 stellten die Beschwerdeführer ein Befangenheitsgesuch gegen die zuständige Richterin am Amtsgericht. Die gegen den ablehnende Entscheidung vom 11. Mai 2011 gerichtete sofortige Beschwerde wies das Brandenburgische Oberlandesgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 4. Juli 2011 zurück.

 

Ausweislich ihrer am 30. Juli 2011 hier eingegangenen Verfassungsbeschwerde sehen sich die Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung in ihren Rechten auf Gleichheit (Art. 12 Landesverfassung – LV), Glaubensfreiheit (Art. 13 LV) und ihrem Elternrecht (Art. 27 LV) verletzt. Sie rügen weiterhin eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV) sowie auf ein zügiges Verfahren (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV). Sie sehen sich durch den Beweisbeschluss des Amtsgerichts Nauen vom 29. Dezember 2011 als christliche Familie benachteiligt und diskriminiert. Das Wohl ihrer Kinder sei zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen. Das Amtsgericht habe seinen Beweisbeschluss unverzüglich aufheben müssen, nachdem die Kinder wieder in ihre Obhut zurückgekehrt seien und sie, die Beschwerdeführer, eine Mitwirkung an dem Beweisbeschluss verweigert hätten. Dass trotz ihres ausdrücklichen Antrags kein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt worden sei, stelle einen Verstoß gegen das Recht auf ein zügiges Verfahren dar. Der Anspruch auf rechtliches Gehör sei berührt, weil das Amtgericht ihrem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nicht stattgegeben und das Brandenburgische Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 11. Mai 2011 ohne weitere Anhörung zurückgewiesen habe. Es verstoße gegen Art. 27 Abs. 2 LV, dass das Amtsgericht ihnen ihr Recht zur religiösen Erziehung entziehe. Bereits die Herausnahme der Kinder aus der Familie sei nicht gerechtfertigt gewesen und habe gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.  

 

I. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit, als die Beschwerdeführer die Verletzung prozessualer Grundrechte rügen, unzulässig.  

 

1. Soweit sich die Beschwerdeführer dadurch, dass das Brandenburgische Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung ihres Befangenheitsgesuchs ohne weitere Anhörung zurückgewiesen hat, in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 LV) verletzt sehen, fehlt es der Verfassungsbeschwerde bereits an einer ausreichenden Begründung (§ 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg). Ungeachtet der Erforderlichkeit einer Anhörungsrüge gemäß § 44 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) haben die Beschwerdeführer nicht ausgeführt, was sie im Falle einer ergänzenden Anhörung – insoweit über den in ihrer Beschwerdeschrift enthaltenen und vom Brandenburgischen Oberlandesgericht berücksichtigten Vortrag hinaus – vorgebracht und inwiefern dies zu einer anderen Entscheidung geführt hätte. Sie haben damit nicht hinreichend dargelegt, dass die Entscheidung des Brandenburgischen Ober­landes­gerichts auf dem gerügten Gehörsverstoß beruhen könnte. Die Verletzung von Art. 52 Abs. 3 LV setzt aber ein Beruhen der Entscheidung auf diesem Verfahrensfehler voraus. Dies führt zu einer entsprechenden Begründungspflicht bei der Verfassungsbeschwerde (Beschluss vom 18. März 2010 – VfGBbg 21/09 –, www.verfassungsgericht.­branden­burg.­­de).

 

2. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Anspruches auf rechtliches Gehör weiterhin darin sehen, dass sie nach Übersendung des Gutachtens seitens des Amtsgerichts nicht angehört worden seien, fehlt es an der Beschwerde­befugnis. Eine Grundrechtsverletzung ist bereits nach ihrem eigenen Vortrag unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt denkbar. Denn das Amtsgericht hat den Beschwerdeführern am 10. November 2010 das schriftliche Gutachten übersandt, bevor es am 29. Dezember 2010 einen weiteren Beweisbeschluss fasste. In dem dazwischen liegendenden Zeitraum hatten die Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit, sich zum Gutachten zu äußern. Die Gewährung rechtlichen Gehörs setzt nicht voraus, dass die Partei ausdrücklich zur Stellungnahme aufgefordert wird. Im Übrigen ist am 29. Dezember 2010 keine Endentscheidung getroffen worden, vielmehr steht diese noch aus. Der von den Beschwerdeführern erst nach Erlass des ergänzenden Beweisbeschlusses gestellte Antrag auf Anhörung des zunächst tätigen Sachverständigen kann noch im laufenden Verfahren berücksichtigt werden.

 

3. Auch soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts auf ein zügiges Verfahren, Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV, rügen, fehlt es an der Beschwerdebefugnis. Das Recht auf ein zügiges Verfahren gewährt einen Anspruch auf eine Ent­scheidung in angemessener Zeit (Beschluss vom 17. Dezember 2009 - VfGBbg 30/09 -, NVwZ 2010, 378). Es verpflichtet das Gericht, das Verfahren zu fördern, damit in dem jeweils anstehenden nächsten Verfahrensabschnitt keine unangemessene Verzögerung eintritt (Beschluss vom 20. August 2009 – VfGBbg 67/08 – www.verfassungsgericht.bran­den­­burg.­de). Die Beschwerdeführer rügen insofern, dass das Amtsgericht ihren Anträgen vom 10. und 25. Februar 2011, einem Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen, nicht nachgekommen ist. Das Amtsgericht ist daraufhin aber nicht untätig geblieben, vielmehr hat die Richterin mit Schreiben vom 3. März 2011 die Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführer gebeten, auf diese einzuwirken, einer neuerlichen Begutachtung zuzustimmen. Dies ist einer Untätigkeit nicht gleichzusetzen, das Recht auf ein zügiges Verfahren gewährt jedenfalls keinen Anspruch darauf, dass der Prozess durch das Gericht in einer bestimmten Art und Weise gefördert wird. Nachdem die Beschwerdeführer sodann unter dem 25. März 2011 die zuständige Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt haben, durfte diese gem. § 6 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit § 47 Abs. 1 Zivilprozessordnung bis zu der rechtskräftigen Entscheidung über ihre Befangenheit ohnehin in dem Verfahren nicht mehr tätig werden.

 

II. Auch im Übrigen hat die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg. Die Beschwerdeführer machen geltend, dass das Brandenburgische Oberlandesgericht unrichtiger­weise ihren Antrag, die am Amtsgericht entscheidende Richterin als befangen abzulehnen, zurückgewiesen habe. Das Verfassungsgericht ist allerdings nicht nach Art eines Rechtsmittelgerichtes berufen, die Entscheidungen der Fachgerichte auf ein „richtig“ oder „falsch“ zu überprüfen. Ein korrigierender Eingriff kommt erst dann in Betracht, wenn dargelegt ist, dass die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruht (Beschluss vom 20. November 2008 – VfGBbg 35/08 -, www.verfas­sungs­gericht.­bran­den­burg.­de). Dass die Entscheidung des Brandenburgischen
Oberlandesgerichts sie unmittelbar in ihren Grundrechten verletze, tragen die Beschwerdeführer nicht vor. Sie rügen allerdings, dass das Amtsgericht in diskriminierender Weise in ihr Recht auf religiöse Erziehung ihrer Kinder eingegriffen und sich mit dem Beweisbeschluss vom 29. Dezember 2010 ihnen gegenüber als voreingenommen gezeigt habe. Eine grobe Verletzung auch materieller Grundrechte kann zwar die Befangenheit eines Richters begründen (vgl. zuletzt: Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 4. Januar 2011 – 1 W 86/10 – zitiert nach juris, Rn. 22). Wird in einem solchen Fall einer Beschwerde nicht abgeholfen, verstetigt sich die Grundrechtsverletzung, so dass die Entscheidung des Beschwerdegerichts selbst als Eingriff zu werten sein kann.

 

Allerdings ist für eine solch schwere Grundrechtsverletzung seitens des Amtsgerichts, die eine Besorgnis der Befangenheit begründen könnte, nichts ersichtlich. Die abgelehnte Richterin hat ihre Entscheidung, ein weiteres Gutachten einzuholen, ausführlich begründet, am Kindeswohl ausgerichtet und keine sachwidrigen Erwägungen einbezogen. Sie hat sich mit den Feststellungen des Gutachtens, insbesondere zur Religiosität und dem Weltbild der Beschwerdeführer, auseinandergesetzt. Ihre Entscheidung, ein weiteres Gutachten einzuholen, hat sie sodann nicht auf die Religiosität, sondern auf die ihrer Ansicht nach ungeklärte Erziehungsfähigkeit der Eltern gestützt und die Verhaltensauffälligkeiten des Sohnes mit in die Überlegung aufgenommen. Für das Amtsgericht waren die Feststellungen des Sachverständigengutachtens in sich widersprüchlich und unvollständig. Das ist nachvollziehbar. In der bloßen Anordnung weiterer Beweiserhebung ist daher weder ein ungerechtfertigter Eingriff in das durch Art. 13 LV geschützte Recht der Eltern zu sehen, ihren Kindern die von ihnen für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu vermitteln (vgl. zu Art. 4 GG: BVerfGE 93, 1, 17 m.w.N.), noch besteht ein Eingriff in ihr Recht auf Erziehung ihrer Kinder (Art. 27 Abs. 2 LV). Aus den gleichen Gründen liegt kein Verstoß gegen die Menschenwürde, gegen das Diskriminierungsverbot und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor.

 

 

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Postier Dr. Becker
   
Dielitz Dr. Fuchsloch
   
Dr. Lammer Möller
   
Nitsche Partikel
   
Schmidt