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VerfGBbg, Beschluss vom 21. September 2018 - VfGBbg 31/17 -

 

Verfahrensart: Organstreit
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 56 Abs. 1; LV, Art. 56 Abs. 2
- VerfGGBbg, § 35; VerfGGBbg, § 36 Abs. 1
- GO-LT, § 35 Abs. 1
Schlagworte: - Organstreitverfahren
- parlamentarische Ordnungsmittel
- parlamentarische Ordnung
- Sitzungsausschluss
- "Goebbels für Arme"
- Abgeordnetenrechte
- Geschäftsordnungsautonomie
- Reichweite der verfassungsgerichtlichen Prüfung
Fundstellen: - DVBl, Dezember 2018, Heft 24, S. 1629 ff
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 21. September 2018 - VfGBbg 31/17 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 31/17




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Organstreitverfahren

Andreas Kalbitz
Mitglied des Landtages,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

Antragsteller,

Verfahrensbevollmächtigte:              Rechtsanwältin D.,

gegen

Präsidentin des Brandenburgischen Landtages,
Alter Markt 1,
14467 Potsdam,

Antragsgegnerin,

 

Verfahrensbevollmächtigter:             Rechtsanwalt

                                                            L.,

                                                               

                                                               

 

wegen            Sitzungsausschluss in der 38. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg am 16. Dezember 2016

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 21. September 2018

durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Partikel und Schmidt

beschlossen: 

 

 

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

 

A.

Der Antragsteller wendet sich gegen einen Sitzungsausschluss aus der 38. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg am 16. Dezember 2016.

I.

1. Der Antragsteller gehört in der laufenden 6. Wahlperiode als Abgeordneter dem Brandenburgischen Landtag an und ist Mitglied der Fraktion der „Alternative für Deutschland“ (AfD).

Im Rahmen einer Debatte der 38. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg am 16. Dezember 2016 über den Tagesordnungspunkt „Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes des Landes Brandenburg für die Haushaltsjahre 2017 und 2018 (Haushaltsgesetz 2017/2018 - HG 2017/2018)“ erhielt der Abgeordnete Bretz für die CDU-Fraktion das Wort. Dabei äußerte sich der Abgeordnete wie folgt:

„Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten den Haushalt für die Haushaltsjahre 2017 und 2018 heute in 3. Lesung. Natürlich gehört es zum ureigenen Charakter von Haushaltsberatungen, dass man den Blick in die Zukunft wirft. Gestatten Sie mir aber angesichts eines zu Ende gehenden Jahres einige nachdenkliche Worte zur Gegenwart als Schlaglichter auf die Ereignisse des Jahres 2016. Gestatten Sie mir dabei bewusst auch einen Blick über die Grenzen Brandenburgs hinaus.

 

Ich möchte an den Konflikt in der Ukraine und die folgenreichen politischen Spannungen zwischen Russland und Europa erinnern. Ich möchte an die Terroranschläge überall auf der Welt, beispielsweise in Paris, Nizza und München erinnern. Ich möchte an die besorgniserregende politische Situation des Nato-Partners Türkei erinnern. Ich möchte an den Findungsprozess einer neuen amerikanischen Administration und die zu erwartenden Spannungen mit China, die Auswirkungen auf den Welthandel und den pazifischen Raum erinnern. Ich möchte an das Erstarken der Rechtspopulisten vor dem Hintergrund anstehender Nationalwahlen in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland erinnern. Ich möchte an die politische Situation in Italien vor dem Hintergrund eines – sagen wir – mindestens fragilen italienischen Bankensektors erinnern. Ich möchte an den Brexit und die schwer zu quantifizierenden ökonomischen und politischen Folgen für die EU, Deutschland und Brandenburg erinnern. Lassen Sie mich sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Nie zuvor hat es ein so notwendiges Mehr an Europa gegeben, und noch nie war dieses notwendige Mehr an Europa weiter entfernt.

 

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE und BVB/FREIE WÄHLER Gruppe)

 

Ich möchte an den sich global ausweitenden Kampf um natürliche Ressourcen wie Wasser, Bodenschätze und Lebensraum erinnern. Ich möchte an den bei weitem nicht abgeschlossenen Transformationsprozess in Griechenland erinnern. Ich möchte an die menschenverachtenden Bürgerkriegszustände in Syrien und auf dem afrikanischen Kontinent, an das vor den Augen der Weltöffentlichkeit stattfindende Abschlachten von Menschen, den Missbrauch, den Verkauf von Frauen, den Menschenhandel aufgrund der Angehörigkeit einer bestimmten Religion erinnern. Ich möchte an den Tod und den Missbrauch von Kindern erinnern. Ich möchte an die erbärmlichen Bilder von Menschen, denen alles, aber auch wirklich alles genommen wurde, erinnern. Und ich möchte den sich ausbreitenden Hass und die Verachtung gegenüber allem Fremden und allen Andersdenkenden in Erinnerung rufen – die brennenden Flüchtlingsheime in Deutschland, die Hetzjagd auf Andersdenkende und Asylbewerber, das Bedienen der absolut niedersten Instinkte, diese Wilders, diese Le Pens, diese Gaulands,

 

(Lachen des Abgeordneten Dr. Gauland [AfD])

 

diese Petrys und Höckes.

 

(Zuruf von der AfD: Populist!)

 

Ich empfinde tiefe Abscheu, meine sehr verehrten Damen und Herren.

 

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE und BVB/FREIE WÄHLER Gruppe)

 

Überhaupt sind die Anzahl, die Geschwindigkeit und die Massivität dieser Ereignisse für vernunftbegabte Wesen, für uns Menschen, manchmal nur schwer erträglich.

 

(Beifall CDU - Kalbitz [AfD]: Die anderen sind keine Menschen?)

 

In Momenten des Nachdenkens und Reflektierens stelle ich mir persönlich die Fragen: Haben Verstand und Vernunft noch die Kraft, diesen Entwicklungen entgegenzutreten? Was bedeuten diese Entwicklungen für unsere demokratisch verfasste freiheitliche Grundordnung? Was bedeuten diese Entwicklungen für den Kitt unserer Gesellschaft? Was bedeuten diese Entwicklungen eigentlich für die Administration politischer Prozesse? Was bedeuten diese Entwicklungen auch vor dem Hintergrund der zu erwartenden Schwierigkeiten und Herausforderungen? Was bedeutet eigentlich das Eingeständnis, dass die Erwartungen an politische Verantwortungsträger wachsen, unser Entscheidungsspielraum aber durchaus klein ist? Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, was bedeutet es, in dieser Zeit Verantwortung zu übernehmen?

 

Gleichwohl gibt es Signale der Hoffnung, Signale der Menschlichkeit – Signale, in dieser schwierigen Zeit ein menschliches Gesicht zu zeigen. Unsere Antwort als CDU lautet deshalb:

 

(Kalbitz [AfD]: Merkel!)

 

Ordnung und Orientierung in schwierigen Zeiten.

 

Ich möchte diese Rede auch zum Anlass nehmen, mich ausdrücklich namens meiner Fraktion bei der Landesregierung und beim Ministerpräsidenten und seinen Ministern zu bedanken, dass sie in dieser schwierigen Zeit alles Erforderliche getan haben, um Brandenburg eine menschliche Visitenkarte zu zeigen. Dafür ausdrücklich unseren herzlichen Dank!

 

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE - Zurufe von der AfD)

 

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich auch bei den Brandenburgern, bei unserer kommunalen Familie zu bedanken und insbesondere bei den Ehrenamtlichen, die geholfen haben, eine schwierige Situation gemeinsam zu meistern.

 

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE - Kalbitz [AfD]: Was für eine billige Endkampfrhetorik!)

 

Ich freue mich, dass wir heute ein weiteres Zeichen der Mitmenschlichkeit setzen. Ich bedanke mich persönlich bei unserem Vizepräsidenten Dieter Dombrowski und bei dem Fraktionsvorsitzenden von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Axel Vogel, dass es mit dem Antrag heute weiterhin möglich sein wird, Signale der Mitmenschlichkeit, etwa wenn wir über das Kontingent der Jesiden reden, zu setzen.

 

(Beifall CDU und B90/GRÜNE sowie vereinzelnd SPD und DIE LINKE)

 

Diese Signale sind es, die das Leben in unserer Gesellschaft menschlich erscheinen lassen und es auch ermöglichen, die manchmal schwer erträglichen Situationen zu ertragen.

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich Ihr Gequäke die ganze Zeit zur Kenntnis nehmen muss,

 

  (Dr. Gauland [AfD]: Wer quäkt denn hier?)

 

will ich Ihnen sagen: Ich habe mich bemüht, mich zurückzuhalten,

 

(Dr. Gauland [AfD]: Ist Ihnen gelungen!)

 

aber ich kann jetzt nicht anders:

 

(Heiterkeit)

 

Das Einzige, was Sie von Finanzpolitik verstehen, Herr Dr. Gauland, ist das Prinzip der Maximierung Ihres eigenen Einkommens durch Ausübung mehrerer Mandate.

 

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

 

Deshalb heißt die AfD für mich in Zukunft und ab sofort nur noch: Abzocke für Deutschland. Herr Kollege Gauland,

 

(Beifall CDU und B90/GRÜNE sowie vereinzelt SPD und DIE LINKE - Zurufe von der AfD)

 

das scheint mir das Richtige zu sein.“

 

Im Anschluss an einen nachfolgenden Redebeitrag des Abgeordneten Wilke (Fraktion DIE LINKE) erhielt der Abgeordnete Bretz das Wort für eine persönliche Erklärung. Der sich daraus ergebende Wortwechsel ist im Plenarprotokoll (PlPR. 6/38, S. 3832) wie folgt festgehalten:

 

„Bretz (CDU):

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!  Als ich meinen Redebeitrag vorhin beendet habe und an der AfD-Fraktion vorbeigegangen bin, hat mir der Kollege Kalbitz Folgendes entgegengeworfen:

 

„Der erste Teil Ihrer Rede war gut, der zweite Teil war
Goebbels für Arme!“

 

(Kalbitz [AfD]: Nein, andersherum!)

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Abgeordneter Kalbitz, ich fordere Sie auf, sich unverzüglich bei diesem Hohen Haus und bei mir persönlich für diese verbale Entgleisung zu entschuldigen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich distanzierend zu diesen Aussagen stellen. Ich finde es erbärmlich, in diesen schwierigen Zeiten  solche  Statements von Ihnen zur Kenntnis nehmen zu müssen. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.“

 

 

Präsidentin Stark:

 

Hier im Sitzungspräsidium wurde diese Aussage nicht vernommen, aber wenn Sie darauf reagieren möchten, Herr Abgeordneter Kalbitz, haben Sie jetzt die Gelegenheit dazu.

 

 

Kalbitz (AfD):

 

Lieber Herr Kollege Bretz, erstens war es andersherum …

 

(Zurufe)

 

Lassen Sie mich  ausreden! Empören  Sie sich doch nicht  so synthetisch!

(Zurufe  von der  CDU und SPD:  Was  ist  daran  synthetisch?)

 

Der erste Teil war relativ erbärmlich, und ich kann mich nicht für Ihre billige Rhetorik entschuldigen. Das ist nicht möglich. Beim Hohen Haus kann  ich  mich auch nicht entschuldigen, weil ich es nicht beleidigt habe. Die Verantwortung für die Qualität dessen, was Sie in besagter Form geäußert  haben, müssen Sie schon selbst tragen. - Vielen Dank.

 

(Beifall AfD - Zurufe von SPD und CDU – Allgemeine Unruhe)“

 

Nach einer daraufhin einberufenen Sondersitzung des Präsidiums des Landtages stellte die Landtagspräsidentin nach Wiedereröffnung der Plenarsitzung eine gröbliche Verletzung der parlamentarischen Ordnung durch die Äußerung des Antragstellers fest und schloss ihn von der gesamten für diesen Tag anberaumten Sitzung aus. Der Antragssteller verließ daraufhin, ebenso wie die übrigen Mitglieder seiner Fraktion, den Sitzungssaal.

2. Gegen den Sitzungsausschluss legte der Antragsteller mit Schreiben vom 21. Dezember 2016 Einspruch ein. Der Sitzungsausschluss sei unbegründet gewesen, da die sanktionierte Äußerung lediglich für einen Abgeordneten vernehmbar gewesen sei. Es sei nicht erkennbar, dass diese Äußerung die Arbeit des Landtages spürbar beeinträchtigt hätte und dass zur Aufrechterhaltung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments ein Ausschluss unerlässlich gewesen sei. Vielmehr sei der Gesamtkontext der inkriminierten Äußerung und das Verhalten des jeweils anderen zu berücksichtigen. Aufgrund der Äußerung des Abgeordneten Bretz, die AfD-Fraktion wolle sich auf Kosten des Staates bereichern und für ihn bedeute die Abkürzung „AfD“ künftig nur noch „Abzocke für Deutschland“, sei seine Äußerung als Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt. Die Ordnungsmaßnahme sei unverhältnismäßig gewesen.

Den Einspruch des Antragstellers wies das Präsidium des Landtages in der Sitzung vom 11. Januar 2017 zurück. Dies wurde dem Antragsteller mit Schreiben des Landtages vom 19. Januar 2017, das eine weitergehende Begründung nicht enthält, mitgeteilt.

II.

Der Antragsteller hat am 14. Juni 2017 ein Organstreitverfahren gegen die Antragsgegnerin anhängig gemacht und beantragt,

festzustellen, dass der von der Antragsgegnerin in der 38. Plenarsitzung der 6. Wahlperiode vom 16.12.2016 gegenüber dem Antragsteller ausgesprochene Sitzungsausschluss gegen Artikel 56 Absatz 2 der Verfassung des Landes Brandenburg verstoßen hat.

 

Der Sitzungsausschluss verletzte ihn in seinem Recht aus Art. 56 Abs. 1 und 2 Landesverfassung (LV). Er habe das Recht im Landtag das Wort zu ergreifen sowie an Abstimmungen teilzunehmen. Seine Äußerung, die die Antragsgegnerin zum Anlass des Sitzungsausschlusses genommen habe, stelle unter keinem Gesichtspunkt eine gröbliche Verletzung der Ordnung dar. Dies könne nur in Extremfällen angenommen werden, in denen die Funktionsfähigkeit des Landtages gefährdet und der Sitzungsausschluss „ultima ratio“ sei, die Sitzungsarbeit fortzuführen. Eine gröbliche Verletzung der Ordnung stelle einen derart schweren Verstoß dar, dass ein Ordnungsruf und sogar eine Wortentziehung wegen der besonderen Schwere der Verletzung als Ahndung nicht mehr ausreichten. Die Äußerung könne in diesem Kontext auch nicht isoliert betrachtet werden, schließlich sei sie auf eine erhebliche Provokation gegenüber der gesamten Fraktion des Antragstellers erfolgt. Es sei ebendiese Provokation durch den Abgeordneten Bretz, die eine Verletzung der demokratischen Werte und Verhaltensweisen darstelle.

Darüber hinaus sei seine Äußerung zunächst auch nur vom Abgeordneten Bretz vernommen worden. Die Funktionsfähigkeit des Landtages könne deshalb nicht verletzt sein. Der Antragsteller habe nach den extremen öffentlichen Provokationen gegen seine Fraktion lediglich sein Missfallen an der Rede des Abgeordneten kundgetan. Dabei bediente er sich einer polemischen Überspitzung, die jedoch nicht die Sitzungsarbeit dermaßen beeinträchtigte, dass nur ein Ausschluss als Ahndung hätte erfolge können. Derartige polemische Überspitzungen als Reaktion auf eine besonders heftige Provokation müssen vielmehr vom Provozierenden hingenommen werden.

Die Antragsgegnerin missachte das Neutralitätsgebot, wenn Sie in einer späteren Sitzung des Landtages ausführe, eine Ordnungsmaßnahme könne nur erfolgen, wenn Zurufe für das Präsidium hörbar seien. Dies sei aber - wie aus dem Plenarprotokoll hervorgehe - hier gerade nicht der Fall gewesen.

Schließlich sei der Sitzungsausschluss auch unverhältnismäßig. Zwar stehe der Antragsgegnerin ein gewisser Ermessensspielraum zu, doch gebiete es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in die Abgeordnetenrechte nur insoweit einzugreifen, wie es zur Sicherstellung eines störungsfreien, die Würde des Parlamentes wahrenden Ablaufs der Sitzung erforderlich sei. Vorliegend habe die Antragsgegnerin den Antragsteller zunächst rügen oder allenfalls zur Ordnung rufen müssen. Dass der Antragsteller nach einem Ordnungsruf letztlich das von der Antragsgegnerin missbilligte Verhalten weiterhin fortgesetzt hätte, sei nahezu ausgeschlossen.

III.

Die Antragsgegnerin hält das gegen sie gerichtete Organstreitverfahren für unbegründet.

Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Ordnungsmaßnahme sei nicht darauf abzustellen, ob ein die Würde des Parlaments wahrender Ablauf der Sitzung gewährleistet werde. Auch sei eine vorherige Rüge des Verhaltens des Antragstellers nicht erforderlich gewesen. Weder setzte § 35 GO-LT ein solches Ordnungsmittel voraus, noch sei es gewohnheitsrechtlich anerkannt. Es komme allein darauf an, ob eine gröbliche Verletzung der parlamentarischen Ordnung vorliege. Unabhängig davon, ob die ursprüngliche Äußerung überhaupt nur von wenigen Abgeordneten wahrgenommen worden sei, habe der Antragsteller in seiner Stellungnahme die Äußerung vor dem Plenum zugestanden. Der Vergleich eines demokratisch gewählten Abgeordneten mit einem der übelsten Hetzer und ideologischen Wegbereiters des Massenmordes stelle per se eine gröbliche Verletzung der parlamentarischen Ordnung dar. Jedenfalls stehe der Antragsgegnerin im Hinblick darauf ein Beurteilungsspielraum zu. Eine Zensur des Inhalts einer Rede liege nicht vor, da es sich bei der Äußerung nicht um den Bestandteil einer Rede gehandelt habe. Der Sitzungsausschluss sei auch nicht ermessenfehlerhaft. Angesichts der Schwere der Ordnungsverletzung könne sich der Antragsteller nicht auf ein Recht zum Gegenschlag berufen. Der Antragsteller habe die zunächst von der Antragsgegnerin nicht wahrgenommene Äußerung selber öffentlich und zum Gegenstand der parlamentarischen Erörterung gemacht. Deshalb liege auch kein Fall einer Ordnungsmaßnahme ohne eigene Wahrnehmung der Antragsgegnerin vor.

IV.

Der Landtag und die Landesregierung haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

B.

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

I.

Der gegenüber dem Antragsteller in der 38. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg am 16. Dezember 2016 ausgesprochene Sitzungsausschluss verletzt ihn nicht in seinen durch Art. 56 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) gesicherten Abgeordnetenrechten.

1. Nach Art. 56 Abs. 2 Satz 1 LV haben die Abgeordneten das Recht, im Landtag und seinen Ausschüssen das Wort zu ergreifen, Fragen und Anträge zu stellen sowie bei Wahlen und Beschlüssen ihre Stimme abzugeben. Die Redebefugnis, welche die brandenburgische Verfassung damit ausdrücklich einräumt, sichert die Ausübung des freien Mandats des Abgeordneten (Art. 56 Abs. 1 Satz 1 LV) und gehört zum Grundbestand seiner Statusrechte (Lieber, in: Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, 2012, Art. 56 Anm. 2.1).

a. Die Abgeordneten repräsentieren in ihrer Gesamtheit das Volk und nehmen die Rechte des Landtags in der Gesamtheit seiner Mitglieder wahr (vgl. BVerfGE 80, 188, 218; E 104, 310, 329). In der repräsentativen Demokratie stellt das Rederecht des Abgeordneten eine unverzichtbare Befugnis zur Wahrnehmung seiner parlamentarischen Aufgaben dar, die seinen Status wesentlich mitbestimmt (vgl. BVerfGE 10, 4, 12; E 60, 374, 380; E 80, 188, 218). Jedem Abgeordneten kommt das Recht zu, Gegenstände im Landtag und seinen Ausschüssen zu beraten und seine Anliegen in den parlamentarischen Entscheidungsprozess einzubringen (vgl. BVerfGE 125, 104, 123; BayVerfGH, Entscheidung vom 17. Februar 1998 - Vf. 81-IVa-96 -, NVwZ-RR 1998, 409). Die Beratung im Plenum des Landtags wie in seinen Ausschüssen setzt die Auseinandersetzung in Rede und Gegenrede voraus. Das Rederecht ist insoweit nicht Ausdruck der Meinungsfreiheit des Abgeordneten; seine Reichweite muss daher mit der der Meinungsfreiheit nicht übereinstimmen (vgl. BVerfGE 60, 374, 380).

b. Das Verfassungsgericht hat zur Begrenzung des Rederechts bereits in früheren Entscheidungen ausgeführt, dass der Status des Abgeordneten eingebunden ist in die vom Parlament sowohl im Interesse der Arbeitsfähigkeit als auch im Interesse der zur Verhandlung stehenden Gegenstände gesetzten Schranken (vgl. Badura, in: Bonner Kommentar zum GG, Stand: Mai 2017, Art. 38 Rn. 61; Bücker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 34 Rn. 10). Die Repräsentations‐ und die Funktionsfähigkeit des Parlaments sind Rechtsgüter von Verfassungsrang, die eine Begrenzung der Freiheit des Mandats und damit der Redefreiheit begründen können (Beschluss vom 20. Oktober 2017 - VfGBbg 46/16 -, www.verfassungs-gericht.brandenburg.de; vgl. BVerfGE 80, 188, 219, 222; E 84, 304, 321; E 99, 19, 32). Das Rederecht unterliegt demgemäß nach Art. 56 Abs. 2 Satz 3 LV der Ausgestaltung durch die vom Landtag im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie (Art. 68 LV) geschaffenen Regeln (vgl. Urteil vom 17. September 2009 - VfGBbg 45/08 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfGE 10, 4, 13; Achterberg, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, 1966, S. 74). Diese ist Ausprägung der Parlamentsautonomie, die ihrerseits Ausdruck der Gewaltenteilung ist und die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Volksvertretung von anderen Verfassungsorganen sichern soll (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 19. August 2002 - VGH O 3/02 -, NVwZ 2003, 75, 76; Morlok, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 40 Rn. 5; Magiera, in Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 40 Rn. 1).

aa. Das Recht des Parlaments, seine Geschäftsordnungsangelegenheiten autonom zu regeln, berechtigt den Landtag, sich selbst zu organisieren und die zur sachgerechten Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Regelungen zu schaffen. Weil die Statusrechte der Abgeordneten nur als Mitgliedschaftsrechte bestehen und verwirklicht werden können und daher einander zugeordnet und aufeinander abgestimmt werden müssen, damit das Parlament seine Aufgaben erfüllen kann, wird die Ausübung dieser Rechte durch die jeweils gleichen Rechte aller anderen Abgeordneten und die Funktionsfähigkeit des Parlaments insgesamt beschränkt. Denn die Rechte des einzelnen Abgeordneten müssen sich als Mitgliedschaftsrechte in die notwendig gemeinschaftliche Ausübung einfügen. Die Geschäftsordnung setzt dafür grundlegende Bedingungen und schafft den notwendigen Rahmen für die geordnete Wahrnehmung der Abgeordnetenrechte (vgl. BVerfGE 80, 188, 218 f; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 20 Rn. 59; Butzer, in: Epping/Hillgruber, BeckOK-GG, Stand: März 2017, Art. 38 Rn. 121).

Die Geschäftsordnungsautonomie erstreckt sich traditionell auf die Bereiche „Geschäftsgang“ und „Ordnung“ (vgl. Urteil vom 17. September 2009 - VfGBbg 45/08 -, LKV 2009, 517; BVerfGE 44, 308, 314 f; E 80, 188, 218 f) und berechtigt das Parlament zum Erlass sämtlicher von ihm für notwendig erachteten Regeln, um ein ordnungsgemäßes Arbeiten zu gewährleisten. Dies schließt die Befugnis ein, die zur Beseitigung von Störungen im Plenarsaal erforderlichen Normen aufzustellen. Dabei hat der Landtag einen weiten Gestaltungsspielraum, welche Regeln er für die Organisation seiner Arbeit, den Ablauf der Verhandlungen, den Umgang seiner Mitglieder miteinander und im Verhältnis zur Sitzungsleitung für sachgerecht und erforderlich hält (vgl. BVerfGE 80, 188, 220; LVerfG MV, Urteil vom 29. Januar 2009 - LVerfG 5/08 -, LVerfGE 20, 255, 264 f).

Die Bestimmungen der Geschäftsordnung ebenso wie ihre Anwendung im Einzelfall müssen sich aber an ihrem von der Verfassung vorausgesetzten Zweck orientieren, dass sich das Parlament durch die Geschäftsordnung in den Stand setzt, seine Aufgaben zu erfüllen. Gerade auch für die nach der Geschäftsordnung möglichen Ordnungsmaßnahmen bedeutet dies, dass sie allein zulässig sind, wenn sie zur Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit nötig sind. Dabei umfasst die Arbeitsfähigkeit zum einen die Gewährleistung eines sachgerechten und sachbezogenen, ordnungsgemäßen Beratungsgangs und der Entscheidungsfähigkeit des Plenums insgesamt (vgl. Dicke, in: Umbach/Clemens, GG, 2002, Art. 40 Rn. 16; Butzer, in: Epping/Hillgruber, BeckOK-GG, Art. 38 Rn. 122). Zum anderen kann ein Parlament, das zur Wahrnehmung der Repräsentation berufen ist (Art. 55 Abs. 1, Art. 56 Abs. 1 Satz 1 LV), seine Aufgaben nur dann erfüllen, wenn ihm Ansehen, Respekt und Akzeptanz gerade auch der Wählerschaft als der Gesamtheit der Repräsentierten entgegengebracht wird und es als ein besonderer, herausgehobener Ort der Entscheidungsfindung erkannt wird. Integrität und politische Vertrauenswürdigkeit der Volksvertretung zählen somit gleichermaßen zu den schützenswerten Grundlagen parlamentarischer Arbeit (vgl. Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20 Rn. 59; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, Stand: November 2016, Vorbem. zu §§ 36-41 Anm. 1. b); Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38 Rn. 61; Wiese, AöR 101 (1976), 548, 561). In diesem Sinne ist auch die „Würde des Landtages“ Bestandteil der parlamentarischen Ordnung. Dies zu wahren, ist eine Aufgabe, die dem Parlament selbst und damit jedem einzelnen seiner Mitglieder gestellt ist (vgl. LVerfG MV, Urteil vom 11. Juli 1996 - LVerfG 1/96 -, LVerfGE 5, 203, 225); § 12 Abs. 2 Satz 1 GO-LT nimmt die Landtagspräsidentin zu ihrer Wahrung dementsprechend ausdrücklich in die Pflicht.

bb. Gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 GO-LT kann die Präsidentin auch ohne dass ein Ordnungsruf ergangen ist, ein Mitglied des Landtags wegen gröblicher Verletzung der Ordnung von der Sitzung ausschließen. Der Ausschluss des Antragstellers in der Sitzung vom 16. Dezember 2016 ist von dieser Vorschrift gedeckt.

(1) Die parlamentarische Ordnung, deren gröbliche Verletzung demnach den Ausschluss von der Sitzung voraussetzt, ist ein unbestimmter, ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff. Seine nähere Bestimmung hat maßgeblich von der dargelegten Zwecksetzung der Ordnungsmaßnahmen der Geschäftsordnung auszugehen, da er sich angesichts der Vielgestaltigkeit parlamentarischer Verhandlungsabläufe, der großen Bandbreite der Randbedingungen der jeweiligen Debatte und demzufolge der Vielzahl möglicher Ordnungsverletzungen einer abstrakten Erfassung entzieht (vgl. Zeh, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 53 Rn. 36; Franke, Ordnungsmaßnahmen der Parlamente, 1990, S. 68; Jacobs, DÖV 2016, 563, 566). Deskriptiv lassen sich darunter die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln des Parlamentsrechts zum innerparlamentarischen Geschäftsgang ebenso fassen wie Werte und Verhaltensweisen, die sich in der demokratischen und vom Repräsentationsgedanken getragenen parlamentarischen Praxis entwickelt haben und die durch die historische und politische Entwicklung geformt worden sind (vgl. LVerfG MV, Urteil vom 29. Januar 2009 - LVerfG 5/08 -, LVerfGE 20, 255, 265; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20 Rn. 59; Köhler, Die Rechtsstellung der Parlamentspräsidenten, S. 167; Borowy, ZParl 2012, 635, 637 f).

Dazu gehört auch, dass einzelne Abgeordnete sich gegenseitig dasjenige Maß an Respekt und Achtung der Person entgegenbringen, das auch unter Berücksichtigung einer mitunter notwendigen scharfen politischen Auseinandersetzung in der Sache für eine gedeihliche parlamentarische Zusammenarbeit unabdingbar ist. Das Parlament ist das Forum der politischen Auseinandersetzung und Willensbildung, ein Ort der Rede und Gegenrede (BVerfGE 96, 264, 284 f). Damit ist eine Verhaltensweise unvereinbar, bei der sich Mitglieder des Landtages gegenseitig verächtlich machen oder grob beschimpfen (vgl. dazu Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 34, Rn. 33).

(2) Über die in § 34 Abs. 1 GO-LT geforderte Ordnungsverletzung hinaus verlangt der Tatbestand des Sitzungsausschlusses nach § 35 Abs. 1 GO-LT eine gröbliche Verletzung der parlamentarischen Ordnung. Dies bedeutet eine ihrem Wesen nach erheblich gesteigerte Missachtung der o. g. parlamentarischen Regeln und Verhaltensweisen (vgl. Köhler, Die Rechtsstellung des Parlamentspräsidenten in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und ihre Aufgaben im parlamentarischen Geschäftsgang, 2000, S. 207; Franke, Ordnungsmaßnahmen der Parlamente, 1990, S. 101; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 38 Rn. 2a; LVerfG MV, Beschluss vom 25. März 2010 - LVerfG 3/09 -, juris Rn. 53).

Im Hinblick auf die Annahme der Voraussetzungen für einen Sitzungsausschlusses nach § 35 Abs. 1 GO-LT, ob eine gröbliche Verletzung der parlamentarischen Ordnung vorliegt, ist der Antragsgegnerin ein im Organstreit nur begrenzt überprüfbarer Beurteilungsspielraum eröffnet. Dieser gründet maßgeblich auf dem Rechtsgedanken der Parlamentsautonomie, die das Verfassungsgericht zu respektieren hat. Die Regelung der parlamentarischen Ordnungsgewalt in der jeweiligen Geschäftsordnung ist, auch hinsichtlich der Ausgestaltung im Einzelnen, Ausdruck der von anderen Trägern staatlicher Gewalt unabhängigen Stellung des Parlaments als Verfassungsorgan. Diese Autonomie zur Gestaltung der parlamentsinternen Abläufe bezieht sich aber nicht nur auf die Schaffung der maßgeblichen Bestimmungen selbst, sondern erfasst auch deren Konkretisierung, allgemeine Auslegung und Anwendung im jeweiligen Einzelfall. Denn schon infolge der Einbeziehung ungeschriebener Regeln der Parlamentspraxis in die parlamentarische Ordnung ist die Rezeption und Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs als Ausdruck organschaftlicher Selbstregulierung zuallererst Sache des Parlaments und seiner Organe.

Jedenfalls nicht minder relevant ist der Umstand, dass die Einordnung des Verhaltens eines Abgeordneten als Ordnungsverletzung immer der wertenden Betrachtung im Hinblick auf Ablauf und Atmosphäre der jeweiligen Sitzung bedarf, damit stark situativ bedingt ist, was einer nachvollziehenden gerichtlichen Überprüfung auch unter Berücksichtigung von Plenarprotokollen und audiovisueller Aufzeichnungen erkennbare Grenzen zieht (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 2017 - VerfGBbg 46/17 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; LVerfG MV, Urteil vom 29. Januar 2009 - LVerfG 5/08 -, LVerfGE 20, 255, 267; VerfGH Sachsen, Urteil vom 3. November 2011 - Vf. 30-1-11 -, NVwZ-RR 2012, 89, 90; LVerfG SH, Urteil vom 17. Mai 2017 - LVerfG 1/17 -, juris Rn. 43; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefel-spütz, Parlamentsrecht, § 20 Rn. 64; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 36 Rn. 2b; Bücker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, § 34 Rn. 21; Franke, Ordnungsmaßnahmen der Parlamente, S. 146).

Daher beschränkt sich insoweit die Prüfung des Verfassungsgerichts darauf, ob bei der Verhängung des Sitzungsausschlusses bestehende Verfahrensbestimmungen eingehalten worden sind, von einem erkennbar fehlsamen Verständnis der relevanten anzuwendenden Rechtsbegriffe ausgegangen und ein zutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt wurde, ob die allgemein gültigen Wertungsmaßstäbe eingehalten wurden und das Willkürverbot nicht verletzt wurde.

Mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit des Sitzungsausschlusses ist angesichts der Bedeutung des Rederechts eines Abgeordneten im demokratischen Prozess zu prüfen, ob das Rederecht abwägend berücksichtigt wurde und ob es in seinem im konkreten Fall zuzubilligenden Gewicht gegenüber der Schwere der gewählten Ordnungsmaßnahme eingestellt worden ist. Wegen des zugleich repressiven wie auch präventiven Charakters des Sitzungsausschlusses kann es aber auch dabei lediglich um die Verhängung einer angemessenen, nicht hingegen um die Wahl der mildesten Sanktion gehen.

2. Ausgehend von diesen Prämissen ist eine Verletzung des Abgeordnetenstatus des Antragstellers durch den Sitzungsausschluss vom 16. Dezember 2016 nicht festzustellen.

a. Eine willkürliche Auslegung der Ordnungsvorschrift oder einen Verstoß gegen allgemein gültige Wertungsmaßstäbe zeigt der Antragsteller nicht auf. Soweit er geltend macht, dass seitens der Antragsgegnerin geäußert worden sei, sie habe die Ordnungsverletzung nicht selbst vernommen und gleichwohl den hier angegriffenen Sitzungsausschluss vorgenommen, obwohl dies in anderen Fällen nicht geschehen sei, greift dies nicht durch. Die Antragsgegnerin hat die Ordnungsmaßnahmen erst ausgesprochen, nachdem der Abgeordnete Bretz die zunächst von der Antragsgegnerin nicht vernommene Äußerung durch seine persönliche Erklärung ins Plenum getragen und der Antragsteller diese selbst in seiner parlamentarischen Stellungnahme zugestanden hatte. Dass der Abgeordnete Bretz die ihm vom Antragsteller in der Plenarsitzung geäußerte Bemerkung über seine Rede zum Gegenstand einer persönlichen Erklärung in der Landtagssitzung macht, ist von den Regularien für Landtagssitzungen gedeckt, hiermit musste der Antragsteller rechnen. Es bedarf daher auch keiner Entscheidung, ob sich eine grobe Verletzung der parlamentarischen Ordnung auch daraus ergeben kann, dass ein Abgeordneter eine ggf. als ehrverletzend anzusehende Äußerung nur innerhalb eines engen Personenkreises oder gar im Zwiegespräch mit einem anderen Abgeordneten getätigt hat.

b. Die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass es sich bei der Bezeichnung des Redebeitrages eines anderen Abgeordneten als „Goebbels für Arme“ um eine gröbliche Verletzung der parlamentarischen Ordnung handelt, bewegt sich innerhalb des ihr zustehenden Beurteilungsspielraumes und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Auch wenn zu bedenken ist, dass es in der politischen Auseinandersetzung zulässig sein muss, den eigenen politischen Standpunkt ggf. durch eine deutliche Überspitzung oder Provokation deutlich zu machen und damit auf eine zuvor erfolgte Konfrontation durch den politischen Gegner zu reagieren, ist die in der Einschätzung der Antragsgegnerin zutage getretene Beurteilung, der Antragsteller habe mit seiner Äußerung diese Grenzen des parlamentarischen Umgangs überschritten, vertretbar. Jenseits der inhaltlichen Auseinandersetzung missachtet ein Abgeordneter den Geltungsanspruch anderer Mitglieder des Landtages in nicht hinnehmbarer Weise, wenn er den Inhalt eines Redebeitrages in Beziehung zu den Äußerungen eines der führenden Repräsentanten des nationalsozialistischen Unrechtsregimes setzt und so dem im demokratischen Streit vorgetragenen Argument und dem jeweiligen Abgeordneten seine Legitimation zu entziehen versucht. Dies rechtfertigt die Einschätzung, die vom Antragsteller getätigte Äußerung bewege sich jenseits von Verhaltensweisen, die lediglich als „einfache“ Ordnungsverletzung zu bewerten sind.

c. Der streitgegenständliche Sitzungsausschluss erweist sich nach dem dargelegten Prüfungsmaßstab auch nicht als unangemessen.

Als unschädlich erweist sich dabei vorliegend der Umstand, dass die Entscheidung des Präsidiums nach § 36 GO-LT vom 8. Juli 2016 über den Einspruch des Antragstellers keine Begründung enthielt. Zwar wäre sie in einer solchen Form besonders geeignet, in Auseinandersetzung mit den Einwänden des betroffenen Abgeordneten durch das zur Auslegung der Geschäftsordnung berufene Gremium (§ 101 GO-LT) die der Ordnungsmaßnahme zugrunde liegende Wertung und Abwägung konkreter offenzulegen, als dies in der Situation der laufenden Sitzung möglich wäre, und auch entspräche dies seinem Charakter als parlamentsinterner Rechtsbehelf in besonderer Weise.

Einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung stehen im hier zu beurteilenden Sachverhalt gleichwohl hinreichende Anhaltspunkte zur Frage der Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Maßnahme zur Verfügung.

In diese Betrachtung muss einbezogen werden, dass die Äußerung des Antragstellers sich auf einen Redebeitrag eines anderen Abgeordneten bezog, der seinerseits von politischer Zuspitzung gekennzeichnet war, auch wenn der Antragsteller nicht mit Erfolg geltend machen kann, die Äußerung des Abgeordneten Bretz hätte ihrerseits mit einer Ordnungsmaßnahme belegt werden müssen. Dem Abgeordneten steht insoweit kein Recht auf Selbsthilfe zu (vgl. LVerfG MV, Beschluss vom 23. Januar 2014 - LVerfG 4/13 -, juris Rn. 54). Gleichwohl ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin in der Bezeichnung des Redebeitrages des Abgeordneten als „Goebbels für Arme“ angenommen hat, der Antragsteller habe dadurch jene Grenze überschritten, die für eine noch an der Sache orientierte Debatte kennzeichnend ist und die sich an den hergebrachten Regeln parlamentarischer Auseinandersetzung orientiert. Demnach erscheint der Sitzungsausschluss nicht als unangemessen. Denn die Wertung der Antragsgegnerin, die Äußerung habe nach ihrem konkreten Kontext den noch tragbaren Bereich polemischer Zuspitzung einer sachlich-inhaltlichen Kritik verlassen und es habe bei dieser erkennbar die provokative Diffamierung des angesprochenen Abgeordneten erkennbar im Vordergrund gestanden, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, er habe mit der Äußerung lediglich auf den scharfen Angriff auf ein anderes Mitglied seiner Fraktion und die Bezeichnung als „Abzocke für Deutschland“ reagieren wollen, so ergibt sich nach dem Ablauf der Plenardebatte und der Antwort des Antragstellers eine andere Tatsachengrundlage. Soweit ersichtlich hat dieser auf den Vorwurf des Abgeordneten Bretz selber klargestellt, dass sich die Bezeichnung „Goebbels für Arme“ gerade nicht auf den zweiten Teil des Redebeitrages beziehen sollte, der erhebliche Kritik an Abgeordneten der AfD-Fraktion, namentlich dem Abgeordnete Gauland für den vermeintlich doppelten Bezug von Abgeordnetenentschädigung enthält. Vielmehr - und dies ergibt sich auch aus der Replik des Antragstellers auf die persönliche Erklärung des Abgeordneten Bretz - war diese Äußerung auf den ersten Teil des Redebeitrages gemünzt, in dem der Abgeordnete im Wesentlichen auf die politischen Herausforderungen des abgelaufenen Jahres eingegangen ist (vgl. PlPR. 6/38, S. 3825).

Es ist auch nicht erkennbar, dass sich die Antragsgegnerin zunächst auf eine formlose Rüge des Verhaltens des Antragstellers hätte beschränken müssen. Somit bedarf es keiner Entscheidung, ob angesichts der dargestellten Entwicklung der Geschäftsordnung des Landtags Brandenburg die Annahme weiter gerechtfertigt wäre, dass eine Rüge als ungeschriebenes, gewohnheitsmäßig anerkanntes milderes Ordnungsmittel zur Verfügung stehe (vgl. hierzu Franke, Ordnungsmaßnahmen, S. 117 ff; Köhler, Die Rechtsstellung der Parlamentspräsidenten, S. 191 ff; Bücker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, § 34 Rn. 16).

C.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten (§ 22 Abs. 1 VerfGGBbg).

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dresen
   
Dr. Fuchsloch Dr. Lammer
   
Partikel Schmidt