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VerfGBbg, Beschluss vom 21. April 2005 - VfGBbg 248/03 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 1
Schlagworte: - Gemeindegebietsreform
- kommunale Selbstverwaltung
- Verhältnismäßigkeit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 21. April 2005 - VfGBbg 248/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 248/03



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

Gemeinde Badingen,
vertreten durch das Amt „Zehdenick und Gemeinden“,
dieses vertreten durch den Amtsdirektor,
Falkenthaler Chaussee 1,
16792 Zehdenick,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt S.,

wegen: kommunale Neugliederung;
hier: Eingemeindung der Gemeinde Badingen (Amt Zehdenick und Gemeinden) in die Stadt Zehdenick

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dawin, Prof. Dr. Dombert, Havemann, Dr. Jegutidse und Dr. Knippel

am 21. April 2005

b e s c h l o s s e n :

Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die Beschwerdeführerin, eine bisher dem Amt „Zehdenick und Gemeinden“ angehörende Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Auflösung durch Eingliederung in die Stadt Zehdenick.

I.

1. Die Beschwerdeführerin liegt ca. 6 km westlich des Zentrums der Stadt Zehdenick im Landkreis Oberhavel. Sie grenzt im Südosten bzw. Nordosten an die Gemeinden Klein-Mutz und Mildenberg, die ebenfalls dem Amt „Zehdenick und Gemeinden“ angehörten, im Norden, Osten und Süden unmittelbar an Gebiet der Stadt Zehdenick sowie im Westen an die Stadt Gransee im Amt „Gransee und Gemeinden“. Drei Gemeinden des Amtes gliederten sich vertraglich zum 31. Dezember 2001, zwei weitere zum 26. Oktober 2003 in die Stadt Zehdenick ein. Danach lebten von den etwa 15.200 Einwohnern des Amtes ca. 11.600 in Zehdenick und ca. 670 im Gebiet der Beschwerdeführerin. Der Bereich ist durch die Havel bzw. den Voßkanal und größere Waldgebiete geprägt.

2. Ende April/Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Innern Anhörungsunterlagen für eine Anhörung der Beschwerdeführerin zu der beabsichtigten kommunalen Neugliederung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Anhörungsunterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Oberhavel versandt. Für die Anhörung der Bürger stand ein Monat zur Verfügung. Die Anhörung sollte vor dem Ende der Gemeindeanhörung abgeschlossen sein.

3. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. § 17 des Entwurfes zum Fünften Gesetz zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Barnim, Märkisch-Oderland, Oberhavel, Ostprignitz-Ruppin, Prignitz, Uckermark (5. GemGebRefGBbg) sah die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Zehdenick vor. Der Innenausschuß des Landtages, an den die Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung verwiesen worden waren, führte am 23. Oktober 2002 vorab eine Anhörung zu grundsätzlichen Fragen durch. Zur Anhörung der Beschwerdeführerin vor dem Innenausschuß am 09. Januar 2003 wurde deren ehrenamtlicher Bürgermeister geladen. Das Gesetz wurde sodann im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. Der lediglich in der Paragraphenzählung geänderte § 16 des 5. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl. I S. 82), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. § 48 Satz 1 des 5. GemGebRefGBbg), lautet:

§ 16
Verwaltungseinheit Amt Zehdenick und Gemeinden

(1) Die Gemeinden Badingen, Kappe, Klein-Mutz, Kurtschlag, Marienthal, Mildenberg, Wesendorf und Zabelsdorf werden in die Stadt Zehdenick eingegliedert.

(2) Das Amt Zehdenick und Gemeinden wird aufgelöst. Die Stadt Zehdenick ist amtsfrei.

II.

Die Beschwerdeführerin hat am 24. Oktober 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, der Gesetzgeber sei seiner Anhörungspflicht ungenügend nachgekommen. Im Hinblick auf die auszuwertenden Ergebnisse der Bevölkerungsanhörung und die im Gesetzentwurf erstmalig enthaltenen Leitbildbestimmungen sei die Stellungnahmefrist für die Beschwerdeführerin zu knapp bemessen gewesen. Ein Erhalt des Amtes habe als eigenständige und vorzugswürdige Alternative in den Abwägungsprozeß eingehen müssen. Auch habe der Vorschlag stärker berücksichtigt werden müssen, die Ämter „Zehdenick und Gemeinden“ und „Gransee und Gemeinden“ zu einem großen Amt zu vereinen. Eine strikte Zugrundelegung der Leitbildvorgaben und der durch die regionale Planungsgemeinschaft vorgenommenen Zentrenqualifizierung sei unzulässig. Der Gesetzgeber habe den Sachverhalt nicht vollständig und richtig ermittelt, insbesondere sei eine Ortsbesichtigung unterblieben. Die Beschwerdeführerin verfüge über einen ausgeglichenen Haushalt und eine gut ausgebaute Infrastruktur, während die Stadt Zehdenick erheblich verschuldet sei.

Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:

§ 16 Abs. 1 des Fünften Gemeindegebietsreformgesetzes Brandenburg, soweit es die Beschwerdeführerin betrifft, ist mit Art. 97 Abs. 1 und Art. 98 der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar und deshalb nichtig.

III.

Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Stadt Zehdenick hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

B.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

I.

Sie ist - insbesondere nachdem die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 30. August 2004 generell klargestellt hat, sich nur gegen ihre eigene Eingliederung in die größere bzw. neue Gemeinde, hier nach Zehdenick, zu wenden - gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Die Beschwerdeführerin ist ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Auflösung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als fortbestehend. Ebenso wird die Beschwerdeführerin im kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren weiter durch das bisherige Amt vertreten.

II.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich aber in der Sache selbst als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür ebenfalls nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt.

1. Die nach der Landesverfassung geltenden Anhörungserfordernisse sind eingehalten worden. Im Hinblick auf die insoweit in einer Vielzahl von Verfahren im wesentlichen entsprechend vorgebrachten Einwände wird auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes (vgl. u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 - und zuletzt ausführlich Beschlüsse vom 16. September 2004 - VfGBbg 102/03 und 118/03 - www.verfassungsgericht.brandenburg.de) verwiesen.

Insbesondere ist die durchgeführte Anhörung der Beschwerdeführerin hier auch nicht deshalb obsolet geworden, weil danach der Gesetzentwurf geändert worden ist. Eine erneute Anhörung ist nur geboten, wenn es zu einer wesentlichen Änderung kommt (vgl. BVerfGE 50, 195, 203; SächsVerfGH LVerfGE 11, 356, 386; NdsStGH NJW 1979, 2301; StGH BW DÖV 1976, 245; VerfGH NW OVGE 26, 306). Das war hier auch insoweit nicht der Fall, wie die Beschwerdeführerin rügt, in die Begründung des Gesetzentwurfs im September 2002 seien ausdrückliche Leitbildformulierungen eingefügt worden. Denn zum einen ergaben sich die für die konkrete Neugliederungsentscheidung maßgeblichen Leitbildgründe bereits aus der eingehenden Begründung des Anhörungsentwurfs. Zum anderen entsprachen diese den der Beschwerdeführerin bereits für die Freiwilligkeitsphase seit dem Jahr 2000 bekanntgegebenen, vom Gesetzgeber bereits im Jahr 2001 ausdrücklich gebilligten und später auch formal übernommenen Leitlinien des Innenministeriums.

2. Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Zehdenick bleibt auch in der Sache selbst im Einklang mit der Landesverfassung.

a) In das Gebiet einer Gemeinde sowie - erst recht - in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl“ ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich – in dem von der Verfassung gesteckten Rahmen – ein Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommt, daß er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe selbst festlegen kann.

Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u.a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]).

Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Wertordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N. und vom 29. August 2002, a.a.O.; ständige Rechtspr., u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 – VfGBbg 101/03 -, a.a.O.).

b) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Eingliederung der Beschwerdeführerin nach Zehdenick Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und auf dieser Grundlage eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im einzelnen:

aa) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den tatsächlichen Verhältnissen befaßt.

Der Gesetzgeber hat als maßgeblichen Grund für die Auflösung des Amtes „Zehdenick und Gemeinden“ und die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Zehdenick angeführt, nach dem Leitbild seien im äußeren Entwicklungsraum bei Vorliegen von „Zentralort-Umland-Verflechtungen“ amtsfreie Gemeinden zu bilden. Solche Verflechtungen seien u.a. regelmäßig bei Grundzentren mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums (LT-Drucksache 3/5020, S. 36 zu 2 a) bb) des Leitbildes und S. 359) gegeben. Zur Beantwortung der Frage, ob ein derartiges Grundzentrum vorliegt, bezieht sich der Gesetzgeber nicht entscheidend auf Raumordnungspläne. Vielmehr hat er die zentralen Funktionen und gegenwärtigen Verflechtungen, auf die er abstellt, selbst ermittelt. Die hiernach interessierenden örtlichen Verhältnisse einschließlich der finanziellen Situation sind in den Gesetzesunterlagen zutreffend angesprochen (s. die Beschreibung der Gemeinden und der Stadt Zehdenick im „Neugliederungssachverhalt“ in LT-Drucksache 3/5020, S. 355 ff.).

Als grundsätzlich wesentliche Elemente einer ausgeprägten Zentralort-Umland-Verflechtung finden sich außer dem Zahlenverhältnis von zuletzt ca. 11.600 Einwohnern der bisherigen Stadt Zehdenick gegenüber nur etwa 670 Einwohnern der unmittelbar benachbarten Beschwerdeführerin in Zehdenick drei Grundschulen, eine Gesamtschule, eine Realschule, ein Oberstufenzentrum, eine Förderschule für geistig Behinderte, vier Kindertagesstätten, drei Horte, 15 Arztpraxen, drei Pflegeeinrichtungen (Seniorenheim, Seniorenzentrum und Wohnstätte für geistig behinderte Erwachsene) sowie ausgeprägte Dienstleistungs- und Einzelhandelsangebote. Zehdenick verfügt auch über mehrere Industrieansiedlungen (u.a. Hebelwerk, Holzverarbeitung, Tief- und Verkehrsbau) sowie 20 landwirtschaftliche Betriebe mit einer gebietsübergreifenden Bewirtschaftung zu allen bislang amtsangehörigen Gemeinden. Außerdem besteht eine gute Verbindung der Beschwerdeführerin mittels Öffentlichen Personennahverkehrs zu dem ca. 6 km entfernten Kern der Stadt sowie zum Bahnhof. Der Gesetzgeber hat gesehen, daß die Beschwerdeführerin über eine Kindertagesstätte verfügt und die Grundschule in der benachbarten Gemeinde Mildenberg nutzt, während die Schüler der höheren Klassen überwiegend Schulen in Zehdenick und im übrigen in Gransee besuchen. Darüber hinaus brauchte der Gesetzgeber nicht festzustellen, wie viele Bewohner der Beschwerdeführerin wie oft die in Zehdenick vorgehaltenen anderen öffentlichen Einrichtungen sowie Dienstleistungen nutzen. Es liegt auf der Hand, daß solche Angebote von Bewohnern aus dem näheren Umland in Anspruch genommen werden. Schon wegen der Existenz dieser Einrichtungen in Anzahl und Vielfalt in Zehdenick ist die Einstufung der Stadt als Grundzentrum mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums nachvollziehbar.

Darüber hinaus kommt es nicht darauf an, ob vom Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfaßt und gewürdigt worden sind. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob er die für die Durchführung des gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten und es möglich ist, daß bei Zugrundelegung der behaupteten abweichenden Situation die Neugliederung anders ausgefallen wäre, besteht eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend“; VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, UA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Derartige Tatsachen hat die Beschwerdeführerin indes nicht mitgeteilt.

bb) Dem Gesetzgeber stehen im Sinne von Art. 98 Abs. 1 LV Gründe des öffentlichen Wohls zur Seite. Er beruft sich ausweislich der Gesetzesbegründung und der Beschlußempfehlung des Innenausschusses für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Zehdenick wesentlich auf die Notwendigkeit, die brandenburgische Gemeindestruktur im Umland regionaler Zentren des äußeren Entwicklungsraums zu ändern (vgl. 2. a) bb) des Leitbildes, LT-Drucksache 3/5020, S. 23 f.).

Daß die Behebung von Strukturproblemen im Stadtumland ein Grund des öffentlichen Wohls ist, der eine kommunale Neugliederung zu rechtfertigen vermag, hat das Landesverfassungsgericht bereits in seinen Urteilen vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 - und - VfGBbg 97/03 - (in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Landesverfassungsgerichte, s. etwa SächsVerfGH SächsVBl 1999, 236, 239; ThürVerfGH NVwZ-RR 1997, 639, 643) entschieden. Auch im Schrifttum wird dies grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen (s. etwa Hoppe/Stüer, DVBl 1992, 641, 642 f.; v. Unruh/Thieme/Scheuner, Die Grundlagen der kommunalen Gebietsreform, 1981, S. 116, 118 f.). Das Stadt-Umland-Verhältnis wirft eine Reihe schwieriger Abklärungs- und Koordinationsfragen auf. Planung und Betrieb öffentlicher Einrichtungen - Kindergärten und -krippen, Schulen (einschließlich weiterführender Schulen), Horte, Sportstätten, Bibliotheken, Schwimmbäder, Feuerwehren, Kultureinrichtungen - erfordern Abstimmung und Absprache. Auch für Tourismusentwicklung, Infrastrukturausbau, Wirtschaftsförderung, Abfall- und Abwasserbeseitigung sowie Trinkwasserversorgung empfiehlt sich ein gemeinsames Handeln.

cc) Zur Bewältigung der vom Gesetzgeber benannten Strukturfragen ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Zehdenick nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, daß das Ziel einer Bereinigung der Strukturprobleme im Bereich Zehdenick durch die gesetzliche Neugliederung eindeutig verfehlt würde.

dd) Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Zehdenick ist auch nicht unverhältnismäßig.

Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für den Fortbestand der einzugliedernden Gemeinde sprechenden Gründen erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH BayVBl 1981, 399, 400 f.; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW NJW 1975, 1205, 1211). Dies ist hier - nach der vertretbaren Wertung des Gesetzgebers - der Fall. Da die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken, ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls kann der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.).

Vorliegend besitzen indes nach der vertretbaren Abwägung des Gesetzgebers die für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Zehdenick sprechenden Gründe das größere Gewicht. Dem Gesetzgeber war die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung gegenwärtig. Er hat die Belange der Einwohner durchaus im Blick gehabt und sich damit, ablesbar insbesondere aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs (s. LT-Drucksache 3/5020, S. 351 ff., 361 f.; s. auch S. 73 ff., 84 ff.), auseinandergesetzt. Auf der anderen Seite hat er jedoch als gegenläufige Belange in zulässiger und vertretbarer Weise außer der Bereinigung der Stadt-Umland-Probleme im Raum Zehdenick namentlich die Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung durch die Zusammenführung in einer einheitlichen Kommune sowie Gesichtspunkte der Raumordnung in seine Abwägung eingestellt und ihnen die größere Bedeutung beigemessen.

Der Gesetzgeber durfte seiner Entscheidung auch zugrundelegen, daß die Strukturaussage 2. d) bb) seines Leitbildes für den Regelfall anstrebt, daß Gemeinden nur innerhalb der Grenzen der bestehenden Ämter zusammengeschlossen werden und daß es daher konsequent und leitbildgerecht ist, sämtliche Gemeinden des bisherigen Amtes „Zehdenick und Gemeinden“ zu vereinigen, also unter Einbeziehung auch der Beschwerdeführerin, nachdem ein Abweichungsfall, ähnlich den in 2. d) bb) Satz 2 des Leitbildes angeführten Beispielen (zur Stärkung der Zentralorte nach Landesentwicklungsplan I bzw. nach den Regionalplänen sowie zur Schaffung von Verwaltungseinheiten annähernd gleicher Leistungskraft geboten), nicht ersichtlich ist (vgl. u.a. VfGBbg, Beschluß vom 24. Juni 2004 - 148/03 - [Altglietzen], S. 24 f. des EA; aber zur Nichtanwendbarkeit dieser Leitbildregelung, wenn das bisherige Amt durch das Gesetz ohnehin amtsgebietsüberschreitend neugegliedert wird: VfGBbg Beschlüsse vom 27. Mai 2004 - 63/03 und 138/03 [Herzsprung, Königsberg], S. 18 EA). Es ist von Verfassungs wegen nichts dagegen zu erinnern, wenn der Gesetzgeber unter Meidung einer aufwendigen Vermögensauseinandersetzung (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 4, § 34 des 5. GemGebRefGBBg) an ein regelmäßig seit Jahren stattfindendes Zusammenwirken von Gemeinden eines Amtes anknüpft und eine Fortführung der Gemeinschaft in Gestalt der amtsfreien Gemeinde präferiert, soweit - wie hier - keine besonderen Umstände stärker für eine (gegebenenfalls nur partiell) die bisherigen Amtsgrenzen überschreitende Lösung sprechen. Auch die Beschwerdeführerin hat keine solche Alternativlösung bevorzugt und geltend gemacht.

Den zuletzt lediglich von der Beschwerdeführerin und der Gemeinde Wesendorf vertretenen Vorschlag, das Amt „Zehdenick und Gemeinden“ mit dem Amt „Gransee und Gemeinden“ zusammenzuschließen, durfte der Gesetzgeber ablehnen. Zwar ist seine Erwägung nicht schlüssig, es entstünde leitbildwidrig ein Amt mit achtzehn und damit zu vielen Gemeinden, denn insoweit wäre auch eine gewisse Reduzierung durch Gemeindenzusammenschlüsse - wie etwa im Zuge des Zusammenschlusses der Ämter Lieberose und Oberspreewald - in Betracht gekommen. Darauf kam es aber nicht entscheidend an. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber auch allein dem Ziel der weiteren Stärkung der Stadt Zehdenick durch Eingemeindungen bei der gegebenen Zentralort-Umland-Verflechtung den Vorrang gegenüber einem sich gegebenenfalls erst neu orientierenden und sehr großflächigen „Doppelamt“ zusprach.

ee) Auch im übrigen läßt die Abwägung des Gesetzgebers keine seine Entscheidung in Frage stellenden Defizite erkennen.

Der Gesetzgeber hat die Problematik der Verlagerung der Finanz- und Planungshoheit gesehen und demgegenüber dem Vorteil der Bündelung der finanziellen Möglichkeiten infolge der Neugliederung im Verbund der Gesamtabwägung und mit Blick auf gestärkte Instrumente der Ortschaftsverfassung (§§ 54 - 54 e GO) sowie die Pflicht einer jeden Gemeinde und Stadt, für das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Wohl aller ihrer Einwohner, für eine harmonische Gestaltung der Gemeindeentwicklung, zu sorgen (vgl. u.a. § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 3 Abs. 2 GO), in vertretbarer Weise höheres Gewicht zuerkannt (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 88).

Auch war der Gesetzgeber an einer Eingliederung der zwar über einen ausgeglichenen Haushalt und positiven Finanzsaldo verfügenden aber für Investitionen stark von Zuweisungen abhängenden Beschwerdeführerin in die Stadt Zehdenick nicht durch deren Verschuldung gehindert, zumal die Verschuldung der Stadt jedenfalls teilweise auch darauf beruht, daß (Infrastruktur-)Einrichtungen geschaffen worden sind, die zugleich den Menschen aus dem Umland zugute kommen. Insofern ist eine Beteiligung des Umlandes an der Schuldenlast nicht unangemessen. Unabhängig davon ist die Finanzlage naturgemäß nicht von Dauer, sondern veränderlich, wie sich auch daran zeigt, daß die Stadt Zehdenick seit 1998 mit positiven Salden der Einnahmen und Ausgaben abschloß. Die wirtschaftliche Entwicklung des Gesamt-Neugliederungsgebietes ist so oder so nicht sicher einschätzbar.

Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich auch, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung gewichtet hat. Die aus der Anhörung der Bevölkerung der Beschwerdeführerin, der Stadt Zehdenick und der weiteren bisher amtsangehörigen Gemeinden resultierenden Stellungnahmen und Ergebnisse von Bürgerbefragungen und -entscheiden (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 351 ff.) zur beabsichtigten Neugliederung lagen im Landtag vor und sind damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er nicht dem Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung gefolgt ist, sondern den für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Zehdenick sprechenden Umständen, dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsraumes im Umfeld brandenburgischer Städte, auch hier das höhere Gewicht beigemessen hat.

C.

Das Verfassungsgericht hat - auch unter Berücksichtigung des Schreibens des Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin vom 19. April 2005 - einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1 2. Alt. VerfGGBbg.
 

Weisberg-Schwarz Prof. Dawin
   
Prof. Dr. Dombert Havemann
   
Dr. Jegutidse Dr. Knippel