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VerfGBbg, Urteil vom 21. März 1996 - VfGBbg 18/95 -

 

Verfahrensart: abstrakte Normenkontrolle
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 2 Abs. 1; LV, Art. 2 Abs. 2; Lv, Art. 2 Abs. 4; LV, Art. 2 Abs. 5;
  LV, Art. 22 Abs. 3 Satz 1; LV, Art. 70 Abs. 2; LV, Art. 79;
  LV, Art. 91 Abs. 2; LV, Art. 94 Satz 1; LV, Art. 113 Nr. 2;
  LV, Art. 115; LV, Art. 116
- GG, Art. 20 Abs. 2; GG, Art. 28 Abs. 1; GG, Art. 29; GG, Art. 79;
  GG, Art. 100 Abs. 1;GG, Art. 118 Satz 2; GG, Art. 118a
- EV, Art. 5
- NV, Art. 1; NV, Art. 3; NV, Art. 7; NV, Art. 8; NV, Art. 9; NV, Art. 21;
  NV, Art. 58
- NVG, Art. 1; NVG, Art. 4 Nr. 2 Satz 2
- VerfGGBbg, § 39
Schlagworte: - Gesetzgebungskompetenz
- Gesetzgebungsverfahren
- Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts
- Bundesverfassungsgericht
- Verfahrensaussetzung
- Sondervotum
- Demokratieprinzip
amtlicher Leitsatz: 1. Eine Vereinigung der Länder Brandenburg "durch Vereinbarung dieser Länder" gemäß Art. 118a GG ist nicht von den Vorraussetzungen des Art. 29 GG abhängig.

2. a) Art. 1 des Gesetzes zu den Staatsverträgen über die Neugliederung der Länder Brandenburg und Berlin vom 27. Juni 1995 (Neugliederungsvertragsgesetz - NVG -, GVBl. I S. 150) ist - mit einer Maßgabe zu der Volksabstimmung - mit der Verfassung des Landes Brandenburg vereinbar.

b) In bezug auf die Bildung eines die Länder Brandenburg und Berlin vereinigenden neuen Bundeslandes wirken sich Vorgaben der geltenden Verfassung des Landes Brandenburg nicht aus. Aus der Sicht der geltenden Landesverfassung ist lediglich Art. 116 LV zu beachten.

c) Zur Frage der "Beteiligung" des Landtages im Sinne von Art. 116 LV.

d) Die für eine Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin durch Art. 118a GG eröffnete Vereinbarung dieser Länder kann Vorgaben für das gemeinsame Bundesland enthalten. Sie stellen sich für den Fall, daß die Abstimmungsberechtigten in der vorgesehenen Volksabstimmung der Bildung eines gemeinsamen Landes zustimmen, als Selbstbindungen der verfassunggebenden Gewalt des gemeinsamen Landes dar.
Fundstellen: - LKV 1996, 203
- NVwZ 1996, 784 (nur LS)
- LVerfGE 4, 114
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Urteil vom 21. März 1996 - VfGBbg 18/95 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 18/95



IM NAMEN DES VOLKES
U R T E I L

In dem Verfahren über den Normenkontrollantrag

der Abgeordneten des Landtages Brandenburg

Kerstin Bednarsky, Hannelore Birkholz, Prof. Dr. Lothar Bisky, Ralf Christoffers, Petra Faderl, Christel Fiebiger, Christian Gehlsen, Prof Dr. Bernhard Gonnermann, Stefan Ludwig, Dr. Helmuth Markov, Kerstin Osten, Harald Petzold, Prof. Dr. Michael Schumann, Gerlinde Stobrawa, Anita Tack, Dr. Margot Theben, Andreas Trunschke und Heinz Vietze,

Antragsteller,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. D., H., Dr. A., Dr. H. u.a.,

wegen Uberprüfung des Art. 1 des Gesetzes zu den Staatsverträgen über die Neugliederung der Länder Brandenburg und Berlin vom 27. Juni 1995 (Neugliederungsvertragsgesetz -NVG-, GVBl. I S. 150) auf seine Vereinbarkeit mit der Verfassung des Landes Brandenburg

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburgauf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 1996
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Dr. Knippel, Prof. Dr. Mitzner, Prof. Dr. Schöneburg, Prof. Dr. Schröder und Weisberg-Schwarz

für R e c h t erkannt:

Art. 1 des Neugliederungsvertragsgesetzes ist mit der Verfassung des Landes Brandenburg vereinbar; soweit Art. 1 des Neugliederungsvertragsgesetzes Art. 4 des Staatsvertrages zur Regelung der Volksabstimmungen in den Ländern Berlin und Brandenburg über den Neugliederungs-Vertrag in Bezug nimmt, gilt dies jedoch mit der Maßgabe, daß durch eine dem Stimmzettel beizulegende Information und durch Aushang in den Abstimmungslokalen nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe klarzustellen ist, daß die Zusatzfrage unabhängig von der Abstimmungsfrage zur Abstimmung steht und auch dann beantwortet werden kann, wenn die Abstimmungsfrage mit "Nein" beantwortet wird.

G r ü n d e:

A.
I.

Am 27. April 1995 ist der zwischen den Regierungen des Landes Brandenburg und des Landes Berlin ausgehandelte Staatsvertrag über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes (Neugliederungs-Vertrag - NV -) vom Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg und vom Regierenden Bürgermeister der Stadt Berlin unterzeichnet worden (abgedruckt als Anlage 1 des Gesetzes zu den Staatsverträgen über die Neugliederung der Länder Brandenburg und Berlin - NVG -, GVBl. I S. 150). Der Neugliederungs-Vertrag besteht aus einer Präambel und 60 Artikeln, 13 gemeinsamen Protokollnotizen und zwei Anhängen (Organisationsstatut fur das gemeinsame Land, Wahlgesetz für die Wahl des ersten gemeinsamen Landtages) sowie einem Briefwechsel zur Frage der weiteren Nutzung der Niederlausitzer Braunkohle.

Kapitel I (Art. 1 - 7) enthält die Grundaussagen des Vertrages zur beabsichtigten Neugliederung. Darin heißt es unter anderem:

Artikel 1
Neugliederung, Name, Landeshauptstadt

(1) Das Land Berlin und das Land Brandenburg bilden mit dem Tag der Wahl des ersten gemeinsamen Landtages ein gemeinsames Bundesland.

(2) Das gemeinsame Land führt den Namen Berlin-Brandenburg. Es ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland und gliedert sich in Gemeinden und Gemeindeverbände.

(3) Potsdam ist Landeshauptstadt, Regierungs- und Parlamentssitz.

Artikel 3
Zustimmung der Parlamente und Volksabstimmungen

(1) Dieser Vertrag bedarf zu seiner Ratifizierung der Zustimmung von jeweils zwei Dritteln der Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin und des Landtages Brandenburg sowie in jedem der beiden Länder der Zustimmung in einer Volksabstimmung. Die Zustimmung bedarf in jedem der beiden Länder der Mehrheit der abgegebenen Stimmen; die Mehrheit muß mindestens jeweils ein Viertel der Abstimmungsberechtigten umfassen. Die Volksabstimmungen finden in beiden Ländern am 5. Mai 1996 statt.

(2) Mit den Volksabstimmungen ist die Frage zu verbinden, ob das gemeinsame Land im Jahr 1999 oder im Jahr 2002 gebildet werden soll. Wird die Frage in beiden Landern unterschiedlich beantwortet, so wird das gemeinsame Land mit dem Tag der Wahl des ersten gemeinsamen Landtages im Jahr 2002 gebildet.

(3) Das Nähere bestimmt ein Staatsvertrag zur Regelung der Volksabstimmungen in den Ländern Berlin und Brandenburg über den Neugliederungs-Vertrag.

Artikel 7
Vereinigungsausschuß

(1) Nach Inkrafttreten dieses Vertrages bilden das Abgeordnetenhaus Berlin und der Landtag Brandenburg einen je zur Hälfte aus Mitgliedern jedes der beiden Landesparlamente bestehenden ständigen gemeinsamen Vereinigungsausschuß. Die Mitgliederzahl legen die Präsidenten der beiden Landesparlamente einvernehmlich fest. Die Zusammensetzung der vom jeweiligen Landesparlament aus seiner Mitte gewählten Ausschußmitglieder muß dem Stärkeverhältnis seiner Fraktionen entsprechen; für die Sitzverteilung ist das im jeweiligen Parlament für die Ausschußbesetzung geltende Verfahren anzuwenden. Der Vereinigungsausschuß soll einen ständigen Unterausschuß für Rechtsvereinheitlichung einsetzen, in dem jede Fraktion beider Parlamente mit mindestens einem Mitglied vertreten ist.

(2) Der Vereinigungsausschuß kann sich mit allen Angelegenheiten der Durchführung dieses Vertrages befassen und dazu Stellungnahmen und Empfehlungen beschließen. Der Vereinigungsausschuß hat folgende weitere Aufgaben:

1. Beratung von Regierungsentwürfen und anderen Vorschlägen für die Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften (Artikel 52, 54),

2. Zustimmung zu dem gemäß Artikel 5 Abs. 2 festzulegenden Finanz- und Verpflichtungsvolumen und zu den Durchführungsregelungen zum Ausgleichsprinzip (Artikel 28 Abs. 4),

3. Zustimmung zum Entwurf des ersten Stellenplanes für das gemeinsame Land (Artikel 41 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) und der damit verbundenen Organisationsstruktur

(3) Der Vereinigungsausschuß ist für beide Landesparlamente der für die Durchführung dieses Vertrages federführende Ausschuß. Bei einer von seiner Beschlußempfehlung abweichenden Parlamentsentscheidung kann der Vereinigungsausschuß eine weitere Lesung verlangen, zu der er erneut eine Beschlußempfehlung vorlegt.

(4) Der Vereinigungsausschuß kann die Anwesenheit eines jeden Mitglieds der Vereinigungskommisson und die Erteilung von Auskünften verlangen. Die Mitglieder der Vereinigungskommisson und ihre Beauftragten haben zu den Sitzungen des Vereinigungsausschusses und seiner Unterausschüsse Zutritt; die Mitglieder der Vereinigungskommission müssen jederzeit gehört werden.

(5) Beschlüsse des Vereinigungsausschusses zu Absatz 2 Satz 2 bedürfen jeweils der Mehrheit der Berliner und der Brandenburger Mitglieder. Im übrigen ist das Abstimmungsverfahren in der Geschäftsordnung des Vereinigungsausschusses festzulegen.

(6) Der Vereinigungsausschuß gibt sich eine Geschäftsordnung. Der Beschluß bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder.

(7) Die Rechte beider Landesparlamente bleiben unberührt.

Art. 8 NV enthält im Hinblick auf die Verfassung des gemeinsamen Landes folgende Regelungen:

Verfassung des gemeinsamen Landes

(1) Nach Inkrafttreten dieses Vertrages wird durch das Abgeordnetenhaus von Berlin und den Landtag Brandenburg ein paritätisch besetzter gemeinsamer Ausschuß zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Verfaseung für das gemeinsame Land gebildet. Der Entwurf ist auf der Grundlage der Verfassungen der Länder Berlin und Brandenburg sowie dieses Vertrages bis Mitte des zweiten Jahres vor dem Jahr der Bildung des gemeinsamen Landes zu erarbeiten.

(2) Der Verfassungsentwurf bedarf der Zustimmung von jeweils zwei Dritteln der Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin und des Landtages Brandenburg sowie am Tag der Wahl des ersten gemeinsamen Landtages der Bestätigung in einer Volksabstimmung.

(3) Findet der Verfassungsentwurf im Abgeordnetenhaus von Berlin, im Landtag Brandenburg und in der Volksabstimmung die erforderliche Mehrheit, tritt die Verfassung am Tag nach der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt des gemeinsamen Landes in Kraft. Gleichzeitig treten die Verfassung von Berlin und die Verfassung des Landes Brandenburg außer Kraft.

(4) Findet der Verfassungsentwurf im Abgeordnetenhaus von Berlin oder im Landtag Brandenburg oder in der Volksabstimmung nicht die erforderliche Mehrheit, ist der Verfassungsentwurf dem ersten Landtag des gemeinsamen Landes in seiner konstituierenden Sitzung zu unterbreiten. Kommt ein gemeinsamer Verfassungsentwurf nach Absatz 1 nicht zustande, sind dem Landtag die Beratungsunterlagen des gemeinsamen Ausschusses zu unterbreiten. Die Verfassung des gemeinsamen Landes bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder seines Landtages sowie der Zustimmung in einer Volksabstimmung.

Kommt eine Verfassung nach Art. 8 Abs. 1-3 NV nicht zustande, soll nach Bildung des gemeinsamen Landes gemäß Art. 9 NV ein Organisationsstatut in Kraft treten, bis eine Verfassung des neuen Landes wirksam wird. Art. 9 NV hat folgenden Wortlaut:

Organisationsstatut

(1) Mit der Bildung des gemeinsamen Landes treten die Verfassungen der Länder Berlin und Brandenburg mit der Maßgabe außer Kraft, daß

1. ihre Grundrechtsteile für ihre jeweiligen bisherigen Geltungsbereiche in Kraft bleiben,

2 im übrigen die Bestimmungen dieses Vertrages einschließlich des als Anhang 1 diesem Vertrag beigefügten Organisationsstatuts gelten,

bis eine Verfassung für das gemeinsame Land in Kraft tritt. Zwischenzeitliche Änderungen des Organisationsstatuts bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages des gemeinsamen Landes.

(2) Regelt die Verfassung des gemeinsamen Landes die Zusammensetzung des Landesrechnungehofes, des Richterwahlausschusses und des Verfassungsgerichtshofes oder anderer Gremien für die Zeit zwischen dem Inkrafttreten der Verfassung und der Neubildung der Gremien nicht, gelten insoweit die Regelungen des Organisationsstatuts fort.

Kapitel II des Neugliederungs-Vertrages enthält eine Reihe von Regelungen für die Zeit zwischen Bildung des gemeinsamen Landes und der Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Organe und Behörden. Andere Regelungen befassen sich mit den künftigen Strukturen und Zielen des gemeinsamen Bundeslandes sowie mit der durchzuführenden Rechtsangleichung.

Art. 58 NV enthält Vorschriften über Änderungen des Neugliederungs-Vertrags. Es heißt dort:

Artikel 58
Vertragsänderungen

(1) Die vertraglichen Regelungen können innerhalb von 10 Jahren nach dem Tage der Bildung des gemeinsamen Landes, die Regelungen des Artikels 28 auch darüber hinaus nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages des gemeinsamen Landes aufgehoben oder geändert werden, soweit dieser Vertrag nichts anderes bestimmt.

(2) Änderungen, die die Entscheidung über die Neugliederung und die Ziele dieses Vertrages (Präambel, Artikel 1 und Artikel 2), die Grundstruktur der Stadt Berlin (Artikel 21 Abs. 1 Satz 2) und den Artikel 56 (Rechtswahrung) antasten, sind unzulässig. Änderungen, die die Grundsätze des Artikels 23 und den Wesensgehalt des Artikels 24 antasten, sind für 15 Jahre unzulässig. Danach sind Änderungen mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages zulässig.

(3) Erweist sich eine Änderung dieses Vertrages zwischen seinem Inkrafttreten und der Bildung des gemeinsamen Landes als unabweisbar notwendig, so kann sie vom Abgeordnetenhaus von Berlin und vom Landtag Brandenburg jeweils mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder übereinstimmend beschlossen werden. Änderungen, die den Wesensgehalt des Vertrages antasten, bedürfen zusätzlich in beiden Ländern der Zustimmung durch Volksabstimmung.

Am 27. April 1995 ist auch der Staatsvertrag zur Regelung der Volksabstimmungen in den Ländern Berlin und Brandenburg über den Neugliederungs-Vertrag unterzeichnet worden (abgedruckt als Anlage 2 des Neugliederungsvertragsgesetzes). Er tritt nach seinem Art. 23 an dem Tag in Kraft, an dem das letzte Zustimmungsgesetz zu dem Neugliederungs-Vertrag im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet worden ist.

Art. 4 dieses Staatsvertrages enthält Vorschriften über die Abstimmungsfragen sowie das Ergebnis der Volksabstimmungen. Er hat folgenden Wortlaut:

Artikel 4
Abstimmungsfrage, Zusatzfrage und Ergebnis der Volksabstimmungen

(1) Die Abstimmungsfrage lautet:

"Stimmen Sie dem Vertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes zu?

Ja Nein"

(2) Die Zustimmung zu dem Neugliederungs-Vertrag bedarf in jedem der beiden Länder der Mehrheit der abgegebenen Stimmen; die Mehrheit muß mindestens jeweils ein Viertel der Abstimmungsberechtigten umfassen.

(3) Mit der Abstimmungsfrage wird auf demselben Stimmzettel folgende Zusatzfrage verbunden:

"Soll das gemeinsame Land gebildet werden im Jahr 1990 oder im Jahr 2002?”

(4) Das gemeinsame Bundesland wird nach den Maßgaben des Neugliederungs-Vertrages in dem Jahr gebildet, auf das in jedem der beiden Länder die meisten Stimmen entfallen sind. Wird die Zusatzfrage in den beiden Ländern unterschiedlich beantwortet, so wird das gemeinsame Bundesland nach den Maßgaben des Neugliederungs-Vertrages im Jahr 2002 gebildet.

(5) Stimmen zur Abstimmungsfrage (Absatz 1) sind auch gültig, wenn die Zusatzfrage (Absatz 3) offengelassen wird. Stimmen zur Zusatzfrage sind auch gültig, wenn die Abstimmungsfrage offengelassen oder verneint wird.

Der Brandenburgische Landtag verabschiedete nach Beratung am 27. Juni 1995 das Gesetz zu den Staatsverträgen über die Neugliederung der Länder Brandenburg und Berlin, dessen Art. 1 hier angegriffen wird. Er lautet:

Dem in Berlin am 27. April 1995 unterzeichneten Neugliederungs-Vertrag und dem in Berlin am 27. April 1995 unterzeichneten Staatsvertrag zur Regelung der Volksabstimmungen in den Ländern Berlin und Brandenburg über den Neugliederungs-Vertrag wird zugestimmt. Die Verträge werden nachstehend veröffentlicht.

II.

Ausgangspunkt der beabsichtigten Fusion der beiden Bundesländer ist eine Empfehlung der Vertragsparteien des Einigungsvertrages an die gesetzgebenden Körperschaften. Die Bundesrepublik Deutschland und die DDR empfahlen diesen in Art. 5 Einigungsvertrag, sich innerhalb von zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen, insbesondere

...

- in bezug auf die Möglichkeit einer Neugliederung für den Raum Berlin/Brandenburg abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 des Grundgesetzes durch Vereinbarung der beteiligen Länder,

...

Der Bundesrat setzte eine Kommission ein, um der Empfehlung der beiden Regierungen nachzukommen. Die Kommission wollte den gegenstandslos gewordenen Art. 118 GG neu fassen, der die später durch Bundesgesetz erfolgte Neugliederung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zum Gegenstand hat. Die neue Formulierung sollte lauten: "Die Neugliederung in dem die Länder Berlin und Brandenburg umfassenden Gebiet kann abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 unter Beteiligung ihrer Wahlberechtigten durch Vereinbarung beider Länder erfolgen" (Bundesrats-Drucksache 360/92, Rdn. 93). Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat folgte diesem Vorschlag, wollte aber aus verfassungshistorischen Gründen Art. 118 GG beibehalten. Dementsprechend sollte ein Berlin/Brandenburg betreffender Artikel 118 a GG eingefügt werden. So geschah es durch die Grundgesetzänderung vom 27. Oktober 1994.

Die Regierungen der Länder Brandenburg und Berlin haben seit 1991 ihren politischen Willen bekräftigt, die Fusion ihrer beiden Länder durchzuführen. Sie haben dabei nicht nur ökonomisch-strukturpolitische, sondern auch historische Gründe angeführt, um die beabsichtigte Vereinigung zu rechtfertigen. Berlin war bis 1920 Teil der preußischen Provinz Mark Brandenburg. Die dann vollzogene verwaltungsmäßige Verselbständigung wurde u.a. damit begründet, dem Umland den Anpassungsdruck an Berliner Gegebenheiten ersparen zu wollen. Echte Grenzen zwischen Berlin und Brandenburg wurden erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges gezogen, als Berlin Stadt mit Viermächte-Status wurde, Brandenburg hingegen nach Auflösung des Landes Preußen durch den Alliierten Kontrollrat als "Land Mark Brandenburg" mit Hauptstadt Potsdam und eigener Verfassung neu gegründet wurde. 1952 erfolgte die "Reorganisation des Staatsaufbaus nach dem Prinzip des Demokratischen Zentralismus". Die damit einhergehende Verwandlung in einen zentralistischen Einheitsstaat beendete die Eigenständigkeit Brandenburgs. Das Land zerfiel in die Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus. Gemeinsamkeiten Berlins und Brandenburgs konnten nicht weiter vertieft werden, weil Berlin (West) aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland "elftes Bundesland" war und aus Sicht der DDR eine "besondere politische Einheit" darstellte, die sich tiefgreifend anders entwickelte als die DDR einschließlich Berlin (Ost).

III.

Mit Schriftsatz vom 27. September 1995 haben die Antragsteller - 18 Abgeordnete des Landtages Brandenburg - gemäß Art. 113 Nr. 2 Landesverfassung (LV), § 39 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) beim Landesverfassungsgericht beantragt festzustellen, daß Art. 1 des Gesetzes zu den Staatsverträgen über die Neugliederung der Länder Brandenburg und Berlin vom 27. Juni 1995 wegen seiner sachlichen Unvereinbarkeit mit der Landesverfaseung nichtig ist.

Zur Begründung führen sie u a. aus:

1. Der Vertrag verstoße gegen das Prinzip der Volkssouveränität, das sich aus Art 2 Abs. 2 LV ergebe. Dem Landtag als bloßem Inhaber des “pouvoir constitué" sei es nicht gestattet, eine Verfassung als Ganzes aufzuheben und durch eine neue zu ersetzen. Dieses sei allein Sache des Verfassunggebers, also des Volkes, als Inhaber des "pouvoir constituant". Im Widerspruch dazu entziehe Art 9 NV dem Verfassungsgeber die unmittelbare Entscheidungsgewalt sowohl über die Außerkraftsetzung der geltenden Landesverfassung als auch über die materielle Gestaltung ihres "Ersatzes". Art 8 NV regele das Verfahren der Erarbeitung und Inkraftsetzung einer neuen Landesverfassung entgegen Art 115 LV. Dem Verfassunggeber werde auf diese Weise sein originäres Recht genommen, sich selbst eine neue Verfassung zu geben und auf ihre inhaltliche Gestaltung effektiven Einfluß auszuüben. Er enthalte in Abs. 1 Satz 2 darüber hinaus unzulässige inhaltliche Prämissen. Das vereinbarte und gegebenenfalls an die Stelle der Landesverfassung tretende Organisationsstatut binde den Verfassungsgeber in unzulässiger Weise, u.a. durch Einschränkungen bisher in der Landesverfassung enthaltener plebiszitärer Entscheidungsformen.

2. Art. 1 NVG verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen Art. 79, 115 LV. Diese Normen ließen Verfassungsänderungen durch bilaterale Staatsverträge nicht zu. Raum für Verfassungsänderungen durch Staatsverträge öffne sich nur, wenn die Landesverfassung dies inhaltlich zulasse. Art. 116 LV sei nicht dahin auslegbar, daß die durch Art. 1 NVG zustandekommenden Verfassungsänderungen vom Erfordernis des Art. 79 LV freigestellt würden. Art. 116 LV enthalte keine Ermächtigung zur Verfassungsänderung bzw. Verfassungsaufhebung. Die Vorschriften der Art. 118 a GG und Art. 116 LV vermittelten weder dem Landtag noch dem Ministerpräsidenten die Kompetenz, die Außerkraftsetzung der geltenden Landesverfassung sowie das Verfahren der Verfassungsgebung und den Regelungsgehalt der Verfassung des neu entstehenden Bundeslandes zu bestimmen. Eine solche Kompetenz stehe allein der verfassungsgebenden Gewalt zu. Auch von daher sei Art. 115 LV verletzt. Diese Verfassungsnorm habe die rechtlich gesicherte Möglichkeit zur Durchführung einer Totalrevision der Verfassung schaffen wollen. Es gebe nur einen Weg zu einer neuen Landesverfassung, nämlich den über Art. 115 LV. Deshalb dürfe allein eine verfassungsgebende Versammlung eine neue Verfassung schaffen.

3. Auch Art. 116 LV werde durch Art. 1 NVG verletzt. Der Landtag hätte die Zustimmung zu den in dieser Norm genannten Staatsverträgen verweigern müssen, weil keine ausreichende Beteiligung i.S.v. Art. 116 Abs. 1 LV stattgefunden habe. Der Landtag sei durch die Landesregierung in einer Weise informiert worden, die nicht über dessen allgemein üblichen Rechte hinausgegangen sei. Der Landtag habe insbesondere keinen Einfluß auf die tatsächliche Gestaltung einzelner Formulierungen in den Staatsverträgen gehabt. Aus der von ihnen in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumentation ergebe sich, daß die PDS die Beteiligung des Parlaments bei der Gestaltung der Vereinbarung mit Berlin wiederholt eingefordert habe.

4. Die Antragsteller rügen darüber hinaus auch einen Verstoß gegen Art. 70 Abs. 2 LV. Entgegen dieser Verfassungsnorm, die die Bildung bei der Zusammensetzung der Ausschüsse an eine Entscheidung des Landtages binde, behalte Art. 7 Abs. 1 Satz 2 NV es den Präsidenten der beiden Landesparlamente vor, die Mitgliederzahl des ständigen gemeinsamen Vereinigungsausschusses (einvernehmlich) festzulegen.

5. Art. 1 NVG i.V.m. Art. 9 NV verstoße gegen das in Art. 2 Abs. 1 und 4 LV verankerte Rechtsstaatsprinzip. Die Regelungen in dieser Vertragsnorm zum Organisationsstatut führten zu einem Zustand, der eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtssicherheit darstelle. So sei nicht klar, was unter dem Begriff "Grundrechtsteile" in Art. 9 Abs. 1 Nr. 1 NV gemeint sei und demnach nach Entstehung des neuen Landes weitergelte. Ob damit der gesamte mit "Grundrechte und Staatsziele" überschriebene 2. Hauptteil der Landesverfassung oder nur jene Normen gemeint seien, die dem Einzelnen ein subjektives (einklagbares) Recht gäben, bleibe unklar. Auch werde gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstoßen, weil die beiden vertragsaushandelnden Regierungen materielle Verfassungsvorgaben getroffen hätten, die allein Sache des Verfassungsgebers seien.

6. Art. 8 sowie Art. 58 NV griffen in die Unabhängigkeit der verfassungsgebenden Gewalt des neuen Bundeslandes Berlin Brandenburg ein. Dies betreffe sowohl den Inhalt der künftigen Verfassung als auch ihr Zustandekommen. Dieser Eingriff sei mit Blick auf Art. 28 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 GG, Art. 2 Abs. 5 LV verfassungsrechtlich bedenklich.

7. Schließlich verstoße auch Art. 4 des Staatsvertrages zur Regelung der Volksabstimmung in den Ländern Berlin und Brandenburg über den Neugliederungs-Vertrag gegen die Landesverfassung. Die in Art. 4 formulierte Fragestellung für die Volksabstimmung über die Fusion der beiden Länder lege dem Abstimmenden eine bejahende Antwort nahe. Die im Staatsvertrag fälschlich als Zusatzfrage bezeichnete Frage mache nur Sinn bei einer bejahenden Antwort zur Frage 1.

IV.

Die Landesregierung tritt den verfassungsrechtlichen Bedenken der Antragsteller entgegen. Im Hinblick auf die Zulässigkeit des Antrages hegt sie Zweifel, ob es Aufgabe des Gerichts sein könne, über die Verfassungsmäßigkeit von Normen zu befinden, die bei negativem Ausgang der Volksabstimmung niemals rechtswirksam würden.

Hiervon abgesehen hält die Landesregierung Art. 1 NVG für mit der Landesverfassung vereinbar. Dazu trägt sie im einzelnen u.a. vor:

1. Die von den Antragstellern in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen gestellten Art. 79, 115 LV seien für den hier vorliegenden Sonderfall der Fusion zweier Bundesländer nicht einschlägig. Die Verfassungsmäßigkeit des Neugliederungsvertragsgesetzes beurteile sich allein nach Art. 116 LV.

2. Die Deutung der Bestimmungen der Landesverfassung durch die Antragsteller, insbesondere der Art. 79, 115 LV, stehe in Widerspruch zu Bundesrecht. Art. 118 a GG ändere nichts daran, daß die Neugliederung des Bundesgebietes und damit auch der Region Brandenburg/Berlin Sache des Bundes sei. Art. 118 a GG habe lediglich die Funktion, als lex specialis zu Art. 29 GG die Verfahrensvoraussetzungen für diesen besonderen Fall zu erleichtern sowie den Ländern eine inhaltliche Gestaltungsmöglichkeit einzuräumen. Eine Neugliederung dürfe durch die Verfassung eines Landes nicht erschwert oder unmöglich gemacht werden.

3. Dieser bundesrechtlichen Vorgabe sei durch sachgerechte Auslegung des Art. 115 und des Art. 116 LV Rechnung zu tragen. Art. 115 LV habe nur Bedeutung für eine Verfassungsneuordnung innerhalb des Landes Brandenburg. Eine andere Auslegung verstoße gegen den bundesverfassungsrechtlichen Grundsatz, daß die Länder der Bundesrepublik im Verhältnis zueinander als Staaten anzusehen sind, deren Staatsgewalt legislativ und exekutiv an ihren Grenzen endet. Durch die Verfassungsmaterialien könne belegt werden, daß die Fraktion der Antragsteller ihrerseits im Verfassungsausschuß die Meinung vertreten habe, Art. 115 LV beziehe sich lediglich auf innerstaatliche Entwicklungen in Brandenburg. Sie habe deshalb versucht, in Art. 116 LV eine Regelung einzubringen, wie sie sie jetzt der Landesverfassung entnehmen wolle. Dem sei der Verfassunggeber aber gerade nicht gefolgt.

4. Landesverfassungsrecht könne schon generell dem Zusammenschluß zweier Länder nicht entgegenstehen, weil die Vorschriften des Grundgesetzes und der Landesverfassungen sich auf intakte, nicht aber auf "sterbende und werdende" Länder bezögen. Bei einem solchen Zusammenschluß könne die Verfassung des zu bildenden Landes zwangsläufig nicht in der Übernahme der Verfassung eines der beiden Länder bestehen.

5. Entgegen der Auffassung der Antragsteller habe eine umfassende Beteiligung des Landtages an der Gestaltung des Neugliederungs-Vertragesstattgefunden. Die Landesregierung habe sowohl das Plenum des Landtages als auch seinen Unterausschuß Brandenburg-Berlin stets so früh wie praktisch realisierbar über den Stand der Verhandlungen unterrichtet. Sie sei darüber hinaus in sämtlichen Sitzungen aller mit der Länderfusion befaßten Ausschüsse durch einen oder mehrere sachkundige Referenten, häufig sogar durch Regierungsmitglieder oder Staatssekretäre, vertreten gewesen. Umfassende Unterrichtungen über den Stand der Verhandlungen seien mit Schreiben vom 22. Dezember 1992, 8. Juni 1993, 13. Oktober 1993 und vom 7. Juni 1994 erfolgt. Das letztgenannte Schreiben sei - nach der Wahl des neuen Landtages - am 15. November 1994 wiederholt worden. In einer Reihe von Fällen seien Anregungen des Landtages aufgegriffen und Teil des Neugliederungs-Vertrages geworden. Aufgrund der Landtags-Entschließung vom 22. Februar 1995 sei in Art. 7 NV ein gemeinsamer Vereinigungsauschuß beider Landesparlamente vorgesehen.

6. Der Neugliederungs-Vertrag enthalte keine unzulässigen Bindungen der verfassungsgebenden Gewalt des neu zu bildenden Bundeslandes. Es sei schon zweifelhaft, ob die in diesem Zusammenhang interessierenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung zum Südweststaat allgemeinverbindliche Bedeutung hätten; die Staatspraxis entspreche dem - wie das Grundgesetz lehre- jedenfalls nicht. Unabhängig davon werde jedenfalls durch Art. 118 a GG ein Zusammenschluß durch Vereinbarung eröffnet. Es sei geradezu selbstverständliche Voraussetzung einer solchen Vereinbarung - und müsse dies auch sein -, sich über die Grundzüge der Gestaltung eines aufgrund Vereinbarung zu schaffenden Landes zu verständigen. Zu dieser "Geschäftsgrundlage" gehörten auch die Grundzüge der verfassungsrechtlichen Gestaltung des Landes. Da über diese Frage am 5. Mai 1996 die Staatsvölker der Länder Brandenburg und Berlin - zur gleichen Zeit, zu den gleichen Fragen und zu den gleichen Inhalten - abstimmten, werde eine Legitimation für die nach dieser Vereinbarung vorgesehenen Regelungen geschaffen, wie sie stärker kaum denkbar sei.

7. Die Landesregierung habe bei der Aushandlung des Neugliederungs-Vertrages das rechtlich Gebotene durchaus übertroffen So sei es ihr gelungen, in Art. 8 NV dem Verfassungsausschuß aufzugeben, den Verfassungentwurf auf der Grundlage der bestehenden Verfassungen zu erarbeiten.

B.

Der Normenkontrollantrag ist zulässig (I.), bleibt aber in der Sache selbst ohne Erfolg, soweit Art. 1 NVG die Regelungen des Neugliederungs-Vertrages in Bezug nimmt (II.). Es bedarf auch keiner Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (III.). Soweit Art. 1 NVG allerdings den die Abstimmungsfragen regelnden Art. 4 des Staatsvertrages zur Regelung der Volksabstimmungen in den Landern Berlin und Brandenburg uber den Neugliederungs-Vertrag in den Blick nimmt, hat er lediglich mit der Maßgabe Bestand, daß durch eine dem Stimmzettel beizulegende Information und durch Aushang in den Abstimmungelokalen nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe klarzustellen ist, daß die Frage über den Entstehungszeitpunkt des gegebenenfalls zu bildenden Landes unabhängig von der Haupt-Abstimmungsfrage zur Abstimmung steht und auch dann beantwortet werden kann, wenn die Haupt-Abstimmungsfrage mit "Nein" beantwortet wird (IV.).

I.

Der Antrag ist zulässig.

1. Die Zahl der Antragsteller - 18 Abgeordnete des Landtages Brandenburg - überschreitet das nach Art. 113 Nr. 2 LV, § 39 VerfGGBbg erforderliche Quorum von einem Fünftel der Mitglieder des Landtages, dessen gesetzliche Mitgliederzahl sich auf 88 Abgeordnete beläuft.

2. Der Antrag ist statthaft. Der von den Antragstellern für verfassungswidrig gehaltene Art. 1 NVG stellt Landesrecht i.S.d. § 39 VerfGGBbg dar. Das folgt schon daraus, daß Angriffsgegenstand allein das genannte formelle Gesetz ist, das den Inhalt der beiden Staatsverträge in das brandenburgische Recht inkorporiert. Dieser gesetzliche Transformationsakt (vgl. BVerfGE 90, 60, 87) stellt - anders als die beiden Staatsverträge als solche - einen ausschließlichen Akt der Staatsgewalt des Landes Brandenburg dar. Daß der materiell-rechtliche Inhalt dieses Landesgesetzes sich aus den beigefügten Staatsverträgen ergibt (BVerfGE 4, 157, 163; 12, 205, 220 f.), ändert an dieser Rechtslage nichts.

3. Angesichts des zum Landesrecht zählenden Vertragsgesetzes greifen Bedenken, wie sie in der Literatur gegen die Zuständigkeit der Landesverfassungsgerichte zur Überprüfung solcher gliedstaatlicher Staatsvertrage geäußert worden sind, nicht durch.

a. Selbst wenn man Staatsverträge zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland als solche einer dritten Ebene zwischen Bundes- und Landesrecht zuordnen wollte (so Kopp, JZ 1970, 278, 280), kann das die Einordnung des Vertragsgesetzes als Landesrecht nicht in Frage stellen. Wesentlicher Zweck eines solchen Gesetzes ist es gerade, den Vertrag in Landesrecht zu transformieren. Die Annahme einer dritten Ebene zwischen Bundes- und Landesrecht stößt zudem auf systematische Bedenken. Der Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland besteht nicht aus drei, sondern lediglich aus zwei Ebenen: dem Bund und den untereinander gleichgeordneten Ländern (BVerfGE 13, 54, 77 ff ; BVerwGE 22, 299, 301).

b. Das bundesverfassungsrechtliche Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens, das auch im Verhältnis der Länder untereinander gilt und sie verpflichtet, auf die Interessen der anderen Länder Rücksicht zu nehmen (BVerfGE 34, 216, 232), führt nicht zu einer Einschränkung der Zuständigkeit der Landesverfassungsgerichte (im Ergebnis so auch BayVerfGHE 26, 101, 109 f.). Den etwa von Friesenhahn (Bundesverfaseungsgericht und Grundgesetz, Band 1, Tübingen 1976, S. 748, 754 f.) geäußerten Bedenken gegen die Zuständigkeit von Landesverfassungsgerichten bei der Überprüfung von Staatsvertragsgesetzen folgt das Gericht nicht. Friesenhahns Einwand, daß es dem Vertragspartner nichtzumutbar sei, verfassungsgerichtliche Einwirkungen von Seiten der anderen Vertragspartei gegen sich gelten zu lassen, trägt im gliedstaatlichen Vertragsrecht des Bundes nicht. Die Bundesländer sind sich vielmehr der im eigenen Bundesland wie in den anderen Bundesländern bestehenden Möglichkeit bewußt, Landesrecht von den Landesverfassungsgerichten innerhalb einer bestimmten Frist im Wege der abstrakten Normenkontrolle nachprüfen zu lassen. Auch ist es ihnen ohne nennenswerte Schwierigkeiten möglich, sich über den Inhalt des Verfassungsrechts des Vertragspartners Kenntnis zu verschaffen. Deshalb gebietet es das Prinzip der wechselseitigen Rücksichtnahme der Bundesländer untereinander geradezu, landesverfassungsrechtliche Fehler, die dem Vertragspartner unterlaufen sind, gegen sich gelten zu lassen (so auch Schneider, VVDStRL 19 (1961), 1, 25) und die darauf bezogene Entscheidung eines anderen Landesverfassungsgerichts zu respektieren.

Auch dem Land Berlin als Vertragspartner ist bekannt gewesen, daß im Land Brandenburg seit langer Zeit in der Debatte über die Fusion der beiden Bundesländer (landes-)verfassungsrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des in Rede stehenden Neugliederungs-Vertrages geäußert worden sind. Soweit ersichtlich hat das Land Berlin zu keinem Zeitpunkt Bedenken gegen die sich abzeichnende Überprüfung des Vertragswerks durch das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg geltend gemacht.

Das Gebot “pacta sunt servanda", das gleichermaßen für Gliedstaatsverträge gilt (BVerfGE 34, 216, 232), führt zu keiner anderen Beurteilung. Dies gilt umso mehr, als das Land Berlin zum jetzigen Zeitpunkt schon deshalb nicht mit einem tatsächlichen Wirksamwerden der Staatsverträge rechnen kann, weil es sowohl an der Ratifikation als auch an deren in Art. 3 NV niedergelegten Voraussetzungen, insbesondere der Billigung durch Volksabstimmungen, fehlt. Erst durch die Ratifikation bekundet ein Staat seine Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein. Die dementsprechende völkerrechtliche Vorschrift in Art. 2 Abs. 1 b) im Wiener Ubereinkommen über das Recht der Verträge gilt entsprechend für Gliedstaatsverträge.

c. Die von der Landesregierung geäußerten Bedenken gegen die Prüfung von Normen (der Staatsverträge), die möglicherweise, nämlich bei Nichtbilligung des Vertragswerks in den vorgesehenen Volksabstimmungen, niemals wirksam werden, greifen nicht durch. Entscheidend ist nicht, ob die Normen der Staatsverträge bereits selbst in Kraft sind, sondern allein, daß der angegriffene Art. 1 NVG sich bereits in Kraft befindet (vgl. Art. 4 Nr. 1 NVG) und deshalb gültiges Landesrecht i. S. Art. 113 Nr. 2 LV, § 39 VerfGGBbg darstellt.

4. Daß das Wirksamwerden der Staatsverträge noch fraglich ist, stellt auch nicht etwa das Rechtsschutzbedürfnis für die Anrufung des Verfassungsgerichts in Frage. Das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle ist objektiven Charakters, so daß es auf ein (subjektives) Rechtsschutzbedürfnis nicht ankommt (vgl. BVerfGE 52, 63, 80). Das Interesse an der verfassungsgerichtlichen Uberprüfung wird durch den Antrag eines Fünftels der Mitglieder des Landtags indiziert (vgl. BVerfGE 52, a.a.O.).

II.

Art. 1 NVG ist - bezogen auf die Vorschriften des Neugliederungs-Vertrages - mit der Landesverfassung vereinbar.

1. a. Art. 1 NVG ist in formell ordnungsgemäßer Weise zustandegekommen. Die Zustimmungserklärung zu den beiden dort genannten Staatsverträgen mit dem Land Berlin ist gemäß Art. 91 Abs. 2 LV durch den Landtag erfolgt. Daß dies in Form eines Gesetzes geschehen ist, wobei der Wortlaut des Art. 91 Abs. 2 LV dieses Erfordernis nicht ausdrücklich aufstellt, entspricht der weitreichenden Bedeutung der beiden Verträge.

b. Der Landesgesetzgeber hat sich bei seiner Zustimmung zu den mit dem Land Berlin geschlossenen Staatsverträgen im Rahmen seiner durch das Grundgesetz vorgegebenen Zuständigkeit gehalten. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß das Landesverfassungsgericht bei der Prüfung, ob der brandenburgische Gesetzgeber sich im Rahmen seiner Kompetenzen bewegt, nicht gehalten ist, dies als bundes-rechtliche Vorfrage zu klären und gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG anzurufen. Es hat vielmehr eigenständig und abschließend zu prüfen, ob ein Verstoß gegen bundesrechtliche Kompetenzvorschriften einen Verstoß gegen die Brandenburgische Landesverfassung darstellt. Der landesverfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt für diese Prüfungspflicht liegt im Rechtsstaatsgebot des Art. 2 LV, das es dem Landesgesetzgeber untersagt, Landesrecht zu setzen, ohne dazu befugt zu sein (vgl. auch BayVerfGHE 45, 33, 40 f.).

Die nach Art. 29 GG dem Bund obliegende Zuständigkeit zur Regelung des Gebietsbestandes der Länder der Bundesrepublik Deutschland ist durch Art. 118 a GG in bezug auf den Zusammenschluß Brandenburgs und Berlins durchbrochen worden. Danach kann die Neugliederung in dem die Länder Berlin und Brandenburg umfassenden Gebiet abweichend von den Vorschriften des Art. 29 GG durch Vereinbarung geregelt werden. Es liegt im Ermessen der beiden Länder, ob sie von diesem bundesverfassungsrechtlichen "Angebot" Gebrauch machen wollen. Nach den Verfassungsmaterialien sollte durch Art. 118 a GG eine "Option" für einen vereinbarten Zusammenschluß eingeräumt werden (BTDrs. 12/6000, S. 45 = Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission). Das Land Brandenburg ist deshalb sowohl für den Abschluß des in Art. 118 a GG vorgesehenen Staatsvertrages als auch für das darauf gerichtete Zustimmungsgesetz zuständig.

2. Auch materiell ist das Vertragsgesetz mit der Landesverfassung vereinbar, soweit dieses sich auf die Regelungen des Neugliederungs-Vertrages bezieht.

a. Das Vertragsgesetz verstößt insoweit nicht gegen Art. 116 LV. Diese Verfassungsnorm enthält keine über ihren Wortlaut hinausgehenden materiellen Anforderungen an die Neugliederung der beiden Bundesländer. Solche ergeben sich nicht etwa aus den Vorgaben des Art. 29 Abs. 1 GG. Die dort genannten Voraussetzungen sind nicht in Art. 116 LV hineinzulesen. Sie sind deshalb nicht vom Landesverfassungsgericht - im Rahmen einer bundesverfassungskonformen Auslequng - mit zu überprüfen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß Art. 118 a GG der Bestimmung des Art. 29 GG und damit auch dessen Absatz 1 als speziellere Norm vorgeht. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Bildung des Südweststaates in einem obiter dictum die Auffassung vertreten, "daß jedenfalls die in Art. 29 Abs. 1 GG enthaltenen Grundsätze auch bei der Regelung nach Art. 118 GG anzuwenden sind" (BVerfGE 1, 14, 48). Aus der Entstehungsgeschichte der Norm folgt indes, daß dies für das Verhältnis von Art. 118 a GG zu Art. 29 GG nicht gelten kann: Die Gemeinsame Verfassungskommission, auf deren Vorschlag die endgültige Formulierung des Art. 118 a GG zurückgeht, hat diese Sonderregelung damit begründet, die Neugliederung in diesem Raum solle gerade nicht dem "anspruchsvollen Verfahren" nach Art. 29 GG unterworfen werden. Die Gemeinsame Verfassungskommission wollte damit - aus ihrer (allerdings die verwaltungemaßige Herauslösung Berlins im Jahre 1920 und den Sonderstatus selbst Ost-Berlins zur Zeit der DDR aussparenden) Sicht - der “historischen Verbundenheit von Berlin und Brandenburg” Rechnung tragen, "die auch durch eine 40jährige politische Trennung nicht zerstört worden ist" (BT-Drs. 12/6000, S. 45). Dies kann nur dahin verstanden werden, daß der Verfassungsgeber für eine Neugliederung nach Art. 118 a GG eine Bindung an die Einzelvorgaben des Art. 29 Abs. 1 GG und ihre (nochmalige) Überprüfung durch die Vertragsparteien nicht gewollt hat. Die von ihm angenommene historische Verbundenheit der beiden Bundesländer sollte eine weitere Prüfung, ob die Vereinigung im Rahmen einer Neugliederung des Bundesgebietes sinnvoll ist, entbehrlich machen.

b. Der Landtag Brandenburg hat den Staatsverträgen unter Einhaltung der in Art. 116 LV vorgesehenen Voraussetzungen zugestimmt. Insbesondere ist, wie auch von den Antragstellern nicht in Zweifel gezogen, die nach Art. 116 Abs. 1 LV erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtags zustandegekommen.

Soweit die Antragsteller in bezug auf die weiteren Anforderungen des Art. 116 LV beanstanden, der Landtag sei nicht hinreichend im Sinne dieser Verfassungsnorm an der Gestaltung des Neugliederungs-Vertrages beteiligt worden, läßt das Gericht die Frage offen, ob die Antragsteller etwaige Defizite bei der Beteiligung des Landtages nach seiner Zustimmung zu dem Neugliederungs-Vertrag noch - im Nachhinein - geltend machen können oder ob sie ihre diesbezüglichen Einwände schon im Verfahren der Entstehung des Neugliederungs-Vertrages - unter Umständen auch verfassungsgerichtlich (vgl. BVerfGE 1, 351, 359; 68, 1, 65 f.) - hätten erheben müssen (dazu auch BVerfGE 29, 221, 233). Denn der Landtag Brandenburg ist in einer den Anforderungen des Art. 116 LV genügenden Weise an der Gestaltung des Neugliederungs-Vertrages beteiligt worden.

aa. Art. 116 LV lautete in seiner ursprünglichen, bis zum 3. Juli 1995 geltenden Fassung in dem hier interessierenden Satz 1 wie folgt: "Für den Fall, daß das Grundgesetz eine Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin durch Vereinbarung ermöglicht, ist der Landtag frühzeitig an der Gestaltung der Vereinbarung zu beteiligen" (im folgenden: Art. 116 Satz 1 LV a.F.). Die entsprechende Grundgesetzänderung erfolgte durch Gesetz vom 27. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3146), welches nach seinem Art. 2 Mitte November 1994 in Kraft trat. Art. 116 LV ist sodann durch das Neugliederungsvertragsgesetz vom 27. Juni 1995 - dort in Art. 2 Nr. 3 - in Gänze neu gefaßt worden. Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift lautet nunmehr: "An der Gestaltung einer Vereinbarung zur Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin ist der Landtag frühzeitig und umfassend zu beteiligen" (im folgenden: Art. 116 Abs. 1 Satz 1 LV n.F.). Diese Verfassungsänderung ist gemäß Art. 4 Nr. 2 Satz 2 NVG am Tage nach der Verkündung des Neugliederungsvertragsgesetzes - am 4. Juli 1995 - in Kraft getreten.

bb. Die in der Verfassung vorgeschriebene spezielle Verpflichtung zu einer Beteiligung des Landtages Brandenburg ist frühestens im November 1994 rechtlich faßbar geworden. Nach dem seinerzeit geltenden Art. 116 Satz 1 LV a.F. galt die Verpflichtung zur frühzeitigen Beteiligung des Landtages nur für den Fall, daß das Grundgesetz eine Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin durch Vereinbarung ermöglichen würde. Dieser Fall trat aber erst Mitte November 1994 ein: Erst zu diesem Zeitpunkt trat mit dem genannten Gesetz vom 27. Oktober 1994 Art. 118 a GG in Kraft (vgl. Art. 2 des Gesetzes vom 27. Oktober 1994), der, wie erwähnt, abweichend von Art. 29 GG alternativ zu der an sich dem Bund obliegenden Zuständigkeit für den Raum Brandenburg und Berlin eine Neugliederung durch Vereinbarung dieser beiden Bundesländer zugelassen hat. Zuvor waren - unbeschadet der Empfehlung in Art. 5 des Einigungsvertrages - die Länder Brandenburg und Berlin strenggenommen für eine Neugliederung ihres Raumes nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes noch gar nicht zuständig. Ob die sodann im Sommer 1995 mit dem Neugliederungsvertragsgesetz erfolgte Neufassung des Art. 116, die nunmehr in Abs. 1 Satz 1 LV n.F. neben der "frühzeitigen" auch eine "umfassende" Beteiligung des Landtags vorsieht, noch die Zeit vor dem Inkrafttreten dieser Verfassungsänderung betrifft und weitergehende Beteiligungspflichten für diese vorherige Zeit begründen konnte, mag ebenfalls dahinstehen. Denn jedenfalls ist eine spezielle - über das allgemeine Maß hinausgehende - Verpflichtung zur "frühzeitigen und umfassenden" Beteiligung des Landtags frühestens ab November 1994 wirksam geworden. Daß die Beteiligung nach diesem Zeitpunkt nicht intensiv genug gewesen wäre, machen die Antragsteller aber selbst nicht geltend. Sie sehen vielmehr Defizite für ein früheres Stadium, für das aber, wie ausgeführt, die in Art. 116 LV sowohl in der alten als auch in der jetzt geltenden Faseung aufgestellten Verpflichtungen noch nicht wirksam waren.

cc. Aber auch dann, wenn man nach dem Sinn und Zweck und der Entstehungsgeschichte des - immerhin schon vorhandenen - Art. 116 LV (in seiner ursprünglichen Fassung) eine Verpflichtung zur frühzeitigen und hinreichenden, d.h. bei der Bedeutung der Angelegenheit umfassenden, Beteiligung des Landtages auch schon vor dem Inkrafttreten des Art. 118 a GG annehmen wollte, wäre hiergegen nicht verstoßen. Eine Beteiligung in dem hier in Frage stehenden Sinne beinhaltet sowohl eine "Unterrichtung", wie sie etwa Art. 94 Satz 1 LV vorsieht, darüber hinaus aber auch die Eröffnung der Möglichkeit für den Landtag, auf die Gestaltung der Vereinbarung über die Neugliederung Einfluß nehmen zu können (in diesem Sinne auch: Berlit, in: Simon/Franke/ Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, 1994, § 1, Rdn. 35). Beidem - Unterrichtung, aber auch Mitgestaltungsmöglichkeit - ist in einer der Verfassung genügenden Weise Rechnung getragen worden.

(1.) Die Landesregierung hat den Landtag Brandenburg erstmals durch Übermittlung des Berichts und der Empfehlungen der "Gemeinsamen Regierungskommission zur Klärung von Eckpunkten für die Vereinigung der Länder Berlin und Brandenburg" vom 5. Dezember 1992 - also bereits in einem frühen Stadium der Entstehung der Staatsverträge - informiert (Schreiben des Chefs der Staatskanzlei vom 7. Dezember 1992 an den Vorsitzenden des Unterausschusses “Brandenburg-Berlin" des Landtages Brandenburg und Schreiben vom 22. Dezember 1992 an den Präsidenten des Landtages, an die Vorsitzenden der Fraktionen im Landtag und an den Vorsitzenden des Unterausschusses "Brandenburg-Berlin"). Eine weitere umfassende Unterrichtung erfolgte mit der Ubermittlung der "Struktur für den Entwurf eines Neugliederungs-Staatsvertrages (NV) zwischen den Ländern Brandenburg und Berlin auf der Grundlage der Empfehlungen und des Berichts ihrer Gemeinsamen Regierungskommission". Die Übermittlung dieses Materials (Schreiben des Chefs der Staatskanzlei an den Vorsitzenden des Unterausschusses “Brandenburg-Berlin" des Landtages Brandenburg, abgesandt am 8. Juni 1993) erfolgte mit dem Hinweis, daß der Ministerpräsident und der Chef der Staatskanzlei auf der Grundlage dieses Materials in der gemeinsamen Sitzung des Unterausschusses "Brandenburg-Berlin" mit dem entsprechenden Ausschuß des Abgeordnetenhauses von Berlin am 10. Juni 1993 berichten würden. Entsprechendes gilt für den "Zwischenbericht der Kanzleien über den Stand der Verhandlungen zum Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes" vom 8. Oktober 1993 (Schreiben des Chefs der Staatskanzlei vom 13. Oktober 1993 an den Vorsitzenden des Unterausschusses "Brandenburg-Berlin" des Landtages Brandenburg).

Ebenfalls schon im Jahre 1993 erfolgten mehrere Berichte und Stellunguahmen der Landesregierung vor dem Unterausschuß "Brandenburg-Berlin" (etwa: Bericht des Chefs der Staatskanzlei zum Einsatz einer Gemeinsamen Regierungskommission in der Sitzung vom 14. Januar 1993, UA-Prot. 1/620, S. 2 f.; Bericht des Ministerpräsidenten zur "Struktur für den Entwurf eines Neugliederungsstaatsvertrages” in der Sitzung vom 10 Juni 1993, UA-Prot 1/755, S 6 ff.; Ausführungen des Ministerpräsidenten zum "Zwischenbericht der Kanzleien über den Stand der Verhandlungen zum Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes” in der Sitzung vom 14. Oktober 1993, UA-Prot 1/864, S. 25 ff.) sowie eine Unterrichtung des Plenums des Landtages (73. Sitzung vom 24. Juni 1993, Plen.-Prot 1/73, S 5764 ff.). Im Jahre 1994, und zwar auch noch vor der Grundgesetzänderung (Einführung des Art. 118 a GG) und dem daran anknüpfenden Wirksamwerden des Art. 116 LV (a. F.) Mitte November 1994, fanden weitere Unterrichtungen vor dem Plenum (insbesondere: Äußerungen des Ministerpräsidenten und des Chefs der Staatskanzlei zum Stand der Fusionsverhandlungen im Rahmen der Aktuellen Stunde am 17 Juni 1994, Plen.-Prot 1/97, S. 7928 ff.) und vor dem Unterausschuß “Brandenburg-Berlln” des Landtages Brandenburg (insb.: Bericht des Ministerpräsidenten und des Chefs der Staatskanzlei vom 10. Juni 1994 anläß1ich der Vorlage der Arbeitsentwürfe der Kanzleien für einen Neugliederungs-Vertrag - Stand 1. Juni 1994 - in der 13. Sitzung des Unterausschusses “Brandenburg-Berlin" - UA-Prot. 1/1073, S. 5 ff., 9 ff -) statt, die sich in Unterrrichtungen des Plenums (insb.: Äußerungen des Ministerpräsidenten in der Sitzung vom 15. Dezember 1994, Plen.-Prot. 2/4, S. 257 ff., 263; Reden des Ministerpräsidenten und weiterer Mitglieder der Landesregierung aus Anlaß der Lesungen des Neugliederungvertragsgesetzes in den Plenarsitzungen vom 17. Mai 1995 - Plen.-Prot. 2/14, S. 1102 ff. -, vom 21. Juni 1995 - Plen.-Prot. 2/16, S. 1303 ff. - und vom 22. Juni 1995 - Plen.-Prot. 2/17, S. 1430 ff. -) und vor dem Ausschuß für Brandenburg-Berlin (insb.: Bericht des Ministerpräsidenten zum Stand bei den Verhandlungen zum Neugliederungs-Vertrag in der Sitzung vom 30. November 1994 - Ausschuß-Prot. 2/30, S. 2 ff. -; Äußerungen des Ministerpräsidenten und des Chefs der Staatskanzlei anläßlich der Diskussion zu den Arbeitsentwürfen für einen Neugliederungsvertrag in der Sitzung vom 13. Januar 1995 - Ausschuß-Prot. 2/67, S. 3 ff., 7 ff.; Äußerungen des Ministerpräsidenten und des Chefs der Staatskanzlei aus Anlaß von Änderungsanträgen der Fraktionen zum Entwurf des Neugliederungs-Vertrags in der Sitzung vom 25. Januar 1995 - Ausschuß-Prot. 2/75, S. 4 ff. -; Äußerungen des Ministerpräsidenten anläßlich der weiteren Beratungen zu den Änderungsanträgen der Fraktionen in der Sitzung vom 15. Februar 1995 - Ausschuß-Prot. 2/119 -; Ausführungen des Chefs der Staatskanzlei in der Sitzung vom 3. März 1995 - Ausschu$-Prot. 2/127, S. 4, 7, 8, 10 ff. -; Bericht des Ministerpräsidenten zum Stand der Verhandlungen zum Neugliederungs-Vertrag in der Sitzung vom 29. März 1995 - Ausschuß-Prot. 2/159, S. 2 ff. -) in der anschließenden - sich intensivierenden -Phase der Vertragsverhandlungen fortsetzten.

(2.) Uber diese Unterrichtungen der Parlamentarier hinaus hatte der Landtag Brandenburg die Möglichkeit, auf die Gestaltung des Neugliederungs-Vertrages Einfluß zu nehmen.

Die Landesregierung hat ihrerseits mehrfach für eine Mitgestaltung durch den Landtag geworben. Beispielhaft sei verwiesen auf die Ausführungen des Ministerpräsidenten anläßlich des Berichts der Gemeinsamen Regierungskommission vor dem Plenum des Landtages am 24. Juni 1993; es heißt dort:

“Der Unterausschuß Brandenburg-Berlin hat eben Stellung bezogen zum Bericht der gemeinsamen Regierungskommission vom Dezember 1992. Da dieser Bericht auch weiterhin die Basis für unsere Verhandlungen mit Berlin ist, sind wir für Äußerungen und Hinweise, die Sie uns heute geben, dankbar. Ich hatte am 10. Juni die Möglichkeit, mich vor den Parlamentsausschüssen von Berlin und Brandenburg zum Thema zu äußern. Ich möchte dies heute auch hier tun.

Bei den Ausschüssen hatte ich am 10. Juni bei schwierigen Themen um besondere Mithilfe des Parlaments gebeten und bin gefragt worden, ob ich dies auch ernst meine. Hier noch einmal meine Antwort: Ich meine das sehr ernst. Mir liegt sehr an einer umfassenden Begleitung des Vorhabens durch die Brandenburger Mandatsträger. Hier sind Engagement und Ideen wirklich gefragt" (vgl. Plen.-Prot. 1/73, S. 5766).

Entsprechende Appelle finden sich im Verlaufe der Entstehung des Neugliederungs-Vertrages vielfach wieder (vgl. etwa Äußerungen des Ministerpräsidenten, Plenarsitzung vom 17. Juni 1994 - Plen.-Prot. 1/97, S. 7942 -, des Chefs der Staatskanzlei, Sitzung des Unterausschusses Brandenburg-Berlin vom 4. März 1994 - UA-Prot. 1/998, S. 11 -, des Ministerpräsidenten, Sitzung des Ausschusses für Brandenburg-Berlin vom 30. November 1994 - AusschuB-Prot. 2/30, S. 2 -, dess., Sitzung des Ausschusses für Brandenburg-Berlin vom 13. Januar 1995, AusschuB-Prot. 2/67, S. 4 und S. 25, des Chefs der Staatskanzlei, ebd., S. 7).

Der Landtag Brandenburg hat auch konkret auf die Gestaltung des Neugliederungs-Vertrages EinfluB genommen. Die Entschließung des Landtags vom 23. Februar 1995 (zur LT-Drs. 2/269, vgl. Plen.-Prot. 2/8, S. 557 ff., 566), in der er die für wesentlich gehaltenen Voraussetzungen einer Fusion beider Länder formuliert hat, ist bei einer Reihe von Regelungen des Neugliederungs-Vertrages - ganz oder jedenfalls teilweise - berücksichtigt worden. Dies betrifft z.B. die Empfehlung Nr. 1 (Potsdam als Sitz von Landesparlament und Landesregierung), jetzt Art. 1 Abs. 3 NV, die Empfehlung Nr. 3 Abs. 3 (Aufnahme von Landesgleichstellungsgesetz, Personalvertretungsgesetz und Landesbeamtengesetz), jetzt Art. 52 Abs. 1 S. 3 Nr. 7 NV, die Empfehlung Nr. 7 (Schaffung eines Vereinigungsausschusses), jetzt Art. 7 NV, die Empfehlung Nr. 11 (Vorrangige Nutzung der Lausitzer Braunkohle), berücksichtigt mit dem "Briefwechsel anläßlich der Unterzeichnung des Neugliederungs-Vertrages der Länder Berlin und Brandenburg” und die Empfehlung Nr. 13 (Änderungsschranken des Neugliederungs-Vertrages), teilweise berücksichtigt in Art. 58 NV.

(3.) Eine nicht der Verfassung genügende Beteiligung des Landtages ist auch der von den Antragstellern in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumentation nicht zu entnehmen, in der verschiedene Forderungen und Initiativen vor allem der PDS-Landtagsfraktion aus der Zeit von Februar 1992 bis April 1995 zusammengestellt sind. Hierzu ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, daß Art. 116 LV nicht die Fraktionen, sondern den Landtag als ganzen betrifft. Mit den meisten der aus der Dokumentation ersichtlichen Vorstöße hat sich aber die PDS im Landtag nicht durchsetzen können (z.B. mit den Forderungen nach Einsetzung einer Enquete-Kommission "Berlin und Brandenburg" im Februar 1992, nach der Ermöglichung einer stärkeren Bürgerbeteiligung im Juni 1993 und nach der Erarbeitung einer Neufassung des Neugliederungs-Vertrages im Dezember 1994). "Beteiligung" bedeutet im übrigen nicht, daß alle Vorschläge und Forderungen des Landtags von den die Vertragsverhandlungen führenden Exekutivorgangen umgesetzt werden müßten. Verhandlungen über einen Staatsvertrag bedingen für die verhandlungsführende Exekutive - unbeschadet der Beteiligung des Landtages - einen der organisatorischen und funktionellen Gewaltenteilung geschuldeten Freiraum je nach dem, was verhandlungstaktisch durchsetzbar und sinnvoll ist. Das Gleichgewicht zwischen beiden Gewalten wird dadurch wieder hergestellt, daß nach Art. 116 Abs. 1 S. 2 LV n.F. bzw. Art. 116 S. 2 LV a.F. die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages zu der Vereinbarung erforderlich ist. Dies bliebe, hätte der Landtag die Befugnis, der Regierung während der Verhandlungen zwingende Vorgaben für die Gestaltung der Vereinbarung zu erteilen, ohne inneren Sinn (in diesem Sinne: Vitzthum, Parlament und Planung, 1978, 259 ff., 262).

dd. Art. 116 LV ist auch nicht etwa deshalb verletzt, weil es der Landtag seinerseits versäumt hätte, von sich aus hinreichend an der Gestaltung der Staatsverträge mitzuwirken. Dabei kann offenbleiben, ob in dieser Hinsicht Vorhaltungen gegenüber dem Landtag überhaupt berechtigt wären. Denn verfassungsrechtliche Auswirkungen könnten sich nur für den Fall ergeben, daß Art. 116 Satz 1 LV a.F. bzw. Art. 116 Abs. 1 Satz 1 LV n.F. nicht nur das Recht, sondern - darüber hinaus - auch die Pflicht des Landtages zur Mitgestaltung begründet. Dies freilich läßt sich dieser Verfassungsnorm, vor allem dem oben schon erläuterten Begriff der Beteiligung, nicht entnehmen. Eine Pflicht zur Wahrnehmung eigener Angelegenheiten ist dem geltenden Recht grundsätzlich fremd. Vor allem aber ist nach dem klaren Wortlaut des Art. 116 LV ("... ist der Landtag ... zu beteiligen") Adressat der Bestimmung die die Verhandlungen führende Landesregierung, nicht aber der Landtag Brandenburg selbst.

c. Art. 1 NVG verstößt weder gegen Art. 115 LV noch gegen das Prinzip der Volkssouveränität.

aa. Zwar verbietet es das Prinzip der Volkssouveränität dem Verfassungsgesetzgeber, die geltende, von dem Volk als dem eigentlichen Inhaber des pouvoir constituant gebilligte Verfassung vollständig abzuschaffen und durch eine neue zu ersetzen. Jedoch ist der Inhaber des pouvoir constituant nicht selbst an Vorgaben gebunden, sondern wirkt verfassungsschöpferisch und frei von Vorgaben, soweit sie sich nicht aus übergeordneten Rechtsnormen, für die Länder der Bundesrepublik Deutschland vor allem aus denen des Grundgesetzes, ergeben. Gerade aus diesem Grunde ist aber die Annahme unzutreffend, bei Schaffung einer neuen, das Land Berlin-Brandenburg betreffenden Landesverfassung sei Art. 115 LV einschlägig. Eine derartige Vorgabe würde ihrerseits gegen den Grundgedanken der Volkssouveränität verstoßen. Aus der Freiheit des Volkes als des Trägers der verfassungsgebenden Gewalt folgt nämlich auch, daß eine neue Verfassung nicht rechtlich bindend von einer früheren Verfassung abhängig gemacht werden kann. Kein Verfassungsgesetz, auch keine vorherige Verfassung, kann eine neue verfassunggebende Gewalt begründen und ihr die Form ihrer Betätigung vorschreiben. Das bedeutet, daß eine neue Verfassung weder von Bedingungen abhängig gemacht werden kann, die in einer vorhergehenden Verfassung aufgestellt sind, noch ihre Existenzberechtigung von einer Vorgängerin ableiten kann. Diese auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegende Sicht gilt für den Bereich der Bundesländer mit der Maßgabe, daß der Verfassungsgeber des Landes außer an die "jedem geschriebenen Recht vorausliegenden überpositiven" Rechtsgrundsätze an die Vorgaben des Grundgesetzes gebunden ist (BVerfGE 1, 14, 61). Diese Beschränkung folgt aus Art. 28 Abs. 1 GG. Im übrigen ist die verfassungsgebende Gewalt eines Volkes aber "ihrem Wesen nach unabhängig” (BVerfGE 1, 14, 61).

Hiernach kann der auf die Schaffung eines neuen Bundeslandes gerichtete Neugliederungsvertrag nicht gegen Art. 115 LV verstoßen. Die dort aufgestellten Voraussetzungen für eine Totalrevision der Verfassung betreffen allein das Land Brandenburg, d.h. das Volk des Landes Brandenburg als Träger des pouvoir constituant eines eigenständigen Landes Brandenburg. Das davon zu unterscheidende Staatsvolk eines künftigen neuen Bundeslandes Berlin-Brandenburg vermögen sie dagegen nicht zu binden. Wäre Art. 115 LV diese Absicht zu entnehmen, läge darin eine gegen das Prinzip der Souveränität des neuen Staatsvolkes verstoßende Bindung. In welcher Weise im Falle einer Fusion der Länder Brandenburg und Berlin das neue Staatsvolk seine neue Landesverfassung erläßt, obliegt allein seiner eigenen Entscheidung, zu der es allerdings auch gehören kann, daß sich das Staatsvolk seinerseits bestimmten Vorgaben - etwa des hier in Frage stehenden Staatsvertrages (siehe dazu nachfolgend unter III.) -unterwirft. Das Staatsvolk eines Landes Berlin-Brandenburg ist in diesem Sinne das alleinige Legitimationssubjekt für das neue Bundesland (zum Staatsvolk als Legitimationssubjekt vgl. BVerfGE 83, 60, 74).

Art. 115 LV ist auch insofern für den Fall der Fusion der Länder Brandenburg und Berlin nicht einschlägig, als es zur Souveränität des neuen Verfassungsgebers, nämlich des Staatsvolkes des Landes Berlin-Brandenburg, auch gehört, das Verfahren zu bestimmen, in dem seine Verfassung zustande kommt (BVerfGE 1, 14, 61). Deshalb wurde die Vorgabe des Art. 115 Abs. 1 LV, nach der eine neue Verfassung von einer verfassungsgebenden Versammlung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit zu beschließen und anschließend in einem Volksentscheid von der Mehrheit der Abstimmenden zu billigen wäre, die Verfahrensautonomie des neuen Souveräns verletzen. Ein Volk, das sich eine neue Verfassung gibt, tritt aus dem Rahmen der bisherigen Verfassung heraus; es macht von seiner ursprünglichen Volkssouveränität Gebrauch (Kriele, ZRP 1991, S. 1, 3).

bb. Die im Vorstehenden dargelegte Betrachtungsweise liegt auch Art. 116 LV zugrunde. Dieser Verfassungsartikel stellt sich gegenüber Art. 115 LV als "lex specialis" für den Fall dar, daß sich die Länder Brandenburg und Berlin vereinigen. Für einen solchen "lex speeialis" Charakter spricht bereits die Stellung im Verfassungstext im Anschluß an Art. 115 LV. Schon darin kommt zum Ausdruck, daß hier abweichend von Art. 115 LV ein besonderer Fall geregelt und gleichsam die Tür zu etwas staatsrechtlich Neuem aufgestoßen wird. Weiter ergäbe sowohl die in Art. 116 LV vorgeschriebene Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtags als auch die Aufstellung des Erfordernisses eines Volksentscheids in Art. 116 LV keinen Sinn, wenn Art. 115 LV - mit teilidentischen Voraussetzungen - auch für den in Art. 116 LV geregelten Fall einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin maßgeblich bliebe. Eine zusätzliche Bestätigung ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Art. 116 LV. Als Art. 115 LV formuliert wurde, war von einer Berücksichtigung der Neugliederung des Raumes Brandenburg/Berlin in der Landesverfassung noch nicht die Rede: Der jetzige Art. 115 LV, für dessen Entstehung allein Uberlequngen zu einer Totalrevision der (Brandenburgischen) Verfassung ausschlaggebend waren (vgl. Ausschußprot. VA/UA II/7 v. 22. April 1991, S. 13 f., abgedruckt in: Landtag Brandenburg - Hrsg.-, Dokumentation Verfassung des Landes Brandenburg, Band 2, S. 912 f.), fand - von geringfügigen Modifikationen abgesehen - bereits im Anschluß an die erste Beratungsphase des vorparlamentarischen Verfassungsausschusses Eingang in den Verfassungsentwurf vom 31. Mai 1991 (GVBl. S. 96, 112, dort noch als Art. 118). Erst im Anschluß an diesen Entwurf, als also der jetzige Art. 115 LV in seiner heutigen Fassung bereits weitgehend formuliert war, kam im Unterausschuß 2 des Verfassungsausschusses die Überlequng auf, die mögliche Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin in der Verfaseung aufzugreifen (vgl. Ausschußprot. VA/UA II/16 vom 29. November 1991, S. 6, abgedruckt in: Landtag Brandenburg - Hrsg.-, a.a.O., S. 1022; vgl. auch Franke/Kneifel-Haverkamp, JöR N.F. Bd. 42 (1994), S. 111, 130 unter Hinweis auf eine entsprechende Anregung der Landesregierung in ihrer auf den Verfassungsentwurf vom 31. Mai 1991 erfolgten Stellungnahme vom 10. September 1991). In seiner Sitzung vom 13. Dezember 1991 stimmte der Verfassungsausschuß sodann über die Frage ab, “ob man in der Verfassung überhaupt etwas zu Berlin/Brandenburg sagen solle oder nicht" (Ausschußprot. VA 1/12, S. 16, abgedruckt in: Landtag Brandenburg - Hrsg.-, a.a.O., S. 414). Auch die weitere Entstehungsgeschichte des Art. 116 LV belegt, daß in den Beratungen des vorparlamentarischen und später - ab Ende 1991 - auch des parlamentarischen Verfassungsausschusses nach Regelungen für die Neugliederung gesucht wurde, ohne auf die im wesentlichen bereits vorhandenen Absätze 1 - 5 des heutigen Art. 115 LV zurückzugreifen. So ist u.a. erwogen worden, hierzu einen - eigenständigen - Abs. 6 zu Art. 115 aufzunehmen (Ausschußprot. VA 1/12 v. 13. Dezember 1991, S. 16 ff., abgedruckt in: Landtag Brandenburg - Hrsg.-, a.a.O., S. 414 ff.). Weitere Überlegungen mündeten sodann in Art. 116 des Entwurfs einer Verfassung vom 13. Dezember 1991. Art. 116 Abs. 1 dieses Entwurfs sah u.a. vor, vor der Unterzeichnung des Staatsvertrages einen Volksentscheid herbeizuführen; Art. 116 Abs. 2 des Entwurfs enthielt, wie auch die Landesregierung in ihrer Stellungnahme zum vorliegenden Verfahren dargelegt hat, eine ausdrückliche und an eigenständige Voraussetzungen gebundene Regelung des Außerkrafttretens der Verfassung fur den Fall der Neugliederung. Diese Modalitaten sind dann aus unterschiedlichen Gründen nicht in Art. 116 der Brandenburgischen Verfassung vom 20. August 1992 aufgenommen worden, ohne daß aber etwa Einigkeit darüber bestanden hätte, daß stattdessen - etwa ersatzweise - die für die Totalrevision der Verfassung in Art. 115 LV getroffenen Regelungen gelten sollten (vgl. Ausschußprot. VA II/4 v. 20. März 1992, S. 16; VA II/7 v. 3. April 1992, S. 11 f.; VA II/8 v. 9. April 1992, S. 17 f., abgedruckt jeweils in: Landtag Brandenburg - Hrsg.-, a.a.O., Band 3, S. 626, 877 f., 917 f.). Die Fraktion der PDS-LL hat ihrerseits gegen die Streichung des Art. 116 Abs. 2 des Entwurfs vom 13. Dezember 1991 in ihren "Vorschlägen der Fraktion zur 2. Lesung des Verfassungsentwurfs für das Land Brandenburg" eingewandt, daß die Verfassung "nunmehr keine Regelung mehr zum Schicksal der Brandenburger Landesverfassung im Falle der Vereinigung von Berlin und Brandenburgt” enthalte. Weiter heißt es dazu in dem genannten Papier: "Artikel 115 kann keine Anwendung finden, da er sich nur auf einen konkreten (innerstaatlichen) Fall richtet, nämlich die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung. Diese Regelung kann jedoch nicht in den zwischenstaatlichen Beziehungen Anwendung finden, d.h. für das, was im Rahmen der Vertragsverhandlungen zwischen Brandenburg und Berlin über die Vereinigung der beiden Bundesländer geschieht" (abgedruckt -in: Landtag Brandenburg - Hrsg.-, a.a.O., Band 3, S. 819, 825).

Eines Hearings zum Verhaltnis von Art. 115 zu 116 LV, wie es die Antragsteller in der mündlichen Verhandlung angeregt haben, bedarf es nicht. Es handelt sich um eine Rechtsfrage, die nach dem objektiven Befund der Verfassung zu beantworten ist. Ein Hearing - letztlich eine Art Beweisaufnahme - kommt nur in bezug auf Tatsachen, nicht aber zur Ermittlung des Sachgehalts der Verfassung in Betracht.

d. Aus den zu c. aa. bezüglich Art. 115 LV geltenden Erwägungen kann auch Art. 79 LV nicht als Maßstab für die Überprüfung des Zustimmungsgesetzes herangezogen werden: Wenn das Volk als der eigentliche Souverän auf den Plan tritt, stellt es keine verfaßte Gewalt mehr dar; es ist in dieser Funktion verfassungsgebende Gewalt und kann deshalb schon begrifflich keine Verfassungsänderungen i.S.d. Art. 79 LV mehr vornehmen (vgl. Kriele, a.a.O.).

e. Aus den dargelegten Gründen kann eine neue Verfassung auch sonst nicht von Vorgaben abhängig sein, die in einer vorhergehenden Verfassung enthalten sind. Daher bleibt der Normenkontrollantrag auch insofern ohne Erfolg, als die Antragsteller beanstanden, daß Art. 70 Abs. 2 LV verletzt werde, der bestimmte Anforderungen an die Zusammensetzung von Ausschüssen des Landtages Brandenburg stellt. Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist der Vereinigungsausschuß nach Art. 7 NV diesen Anforderungen schon deswegen nicht unterworfen, weil es sich hierbei um ein Gremium handelt, dessen Tätigkeit dem in Aussicht genommenen neuen Bundesland zugewandt ist. Als solches kann es nicht an Vorschriften der geltenden - und nur für das Land Brandenburg geltenden -Landesverfassung gemessen werden. Unabhängig davon sieht der zugleich mit dem Neugliederungsvertragsgesetz in Kraft getretene Art. 116 Abs. 2 LV als die insoweit gegenuber Art. 70 LV speziellere Norm - und damit die Landesverfassung selbst - vor, daß nach der Vereinbarung nach Art. 116 Abs. 1 LV fur den Ubergangszeitraum Befugnisse des Landtags und der Landesregierung auf gemeinsame Gremien und Ausschüsse der Länder Brandenburg und Berlin ubertragen werden können. Der Vereinigungsausschuß nach Art. 7 NV fällt hierunter. Art. 116 Abs. 2 LV (n.F.) umschließt die Befugnis, seine Zusammensetzung zu regeln.

f. Art. 1 NVG verstößt - unbeschadet der dargelegten Bindungsfreiheit der neuen verfassunggebenden Gewalt von Vorgaben der Landesverfassung - nicht gegen das auch in Art. 2 Abs. 1 und 4 LV verankerte Rechtsstaatsprinzip, soweit über Art. 9 Abs. 1 Nr. 1 NV für eine etwaige Übergangszeit die jeweiligen "Grundrechtsteile" der Verfassungen der Länder Brandenburg und Berlin weitergelten sollen. Daß die Brandenburgische Verfassung einen als solchen bezeichneten "Grundrechtsteil" nicht aufweist, vielmehr - ebenso wie übrigens die Verfaseung von Berlin vom 23. November 1995 (GVBl. S. 779, Art. 6 ff.) - einen mit "Grundrechte und Staatsziele" überschriebenen Hauptteil enthält, führt nicht zu Abgrenzungsproblemen über den geltenden Rechtszustand hinaus. Weitergelten sollen erkennbar nur Grundrechte der jeweiligen Landesverfassungen und nicht anderweitige Verfassungsrechtssätze wie z.B. Staatszielbestimmungen. Daß hierbei im Einzelfall gegebenenfalls verfassungsgerichtlich geklärt werden muß, ob es sich um ein Grundrecht oder etwa eine Staatszielbestimmung handelt, gilt schon heute.

g. Weil - im Falle einer Fusion der Länder Brandenburg und Berlin - das neue Land nicht von Vorgaben der geltenden Landesverfassung abhängig sein kann, vermögen auch die anderen von den Antragstellern aufgezeigten Punkte, in denen der Neugliederungs-Vertrag von der Brandenburgischen Verfassung abweicht oder dahinter zurückbleibt, die Verfassungemäßigkeit des Vertragswerks nicht in Frage zu stellen. Das Gericht hat Verständnis fur die Besorgnis der Antragsteller, daß für den Fall einer Fusion der beiden Länder, wenn nämlich bis dahin eine gemeinsame Verfassung nicht zustandekommt und soweit für diesen Fall nicht der Neugliederungs-Vertrag selbst Vorkehrungen trifft, teilweise ein verfassungsrechtliches Vakuum entsteht. Diese Besorgnis ist indes verfassungspolitischer Natur und kann sich - wegen der prinzipiellen Bindungsfreiheit des pouvoir constituant des neuen Landes - verfassungsrechtlich nicht auswirken.

III.

Das Gericht sieht sich nicht veranlaßt, gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Zwar stellt Art. 1 NVG für den Fall einer Fusion der Länder Brandenburg und Berlin seinerseits Vorgaben für das neue Bundesland auf, indem etwa durch Bezugnahme auf Art. 8, 9 und 58 NV das Zustandekommen der Verfassung für dieses neue Bundesland geregelt, bis zum Inkrafttreten dieser Verfassung ein Organisationsstatut als eine Art Ubergangsverfassung statuiert wird sowie Grundentscheidungen des Vertrages mit besonderen Garantien ausgestattet werden. Dies wird jedoch dadurch gedeckt, daß Art. 118 a GG, insoweit übereinstimmend mit Art. 116 LV, für den Sonderfall der Neugliederung des Raums Brandenburg-Berlin einen Zusammenschluß durch Vereinbarung unter Einbeziehung des neuen Souveräns eröffnet. Von daher verstoßen die durch Art. 1 NVG bewirkten Vorgaben nicht gegen die grundgesetzliche Ordnung, in die das Bundesverfassungsgericht an sich die Bindungsfreiheit des pouvoir constituant einbezieht (vgl. vor allem BVerfGE 1, 14, 61). Sie stehen vielmehr nach der Auffaseung des Gerichts mit dem Grundgesetz in Einklang, so daB sich eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erübrigt (vgl. dazu vor allem BVerfGE 69, 112, 117 f.).

1. Die Stellung der verfassungsgebenden Gewalt eines Bundeslandes der Bundesrepublik Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht unter Bezug auf das Grundgesetz in seiner Entscheidung zur Bildung des Südweststaates wie folgt definiert (BVerfGE 1, 14, 61):

“Eine verfassungsgebende Versammlung hat einen höheren Rang als die auf Grund der erlassenen Verfassung gewählte Volksvertretung. Sie ist im Besitz des "pouvoir constituant". Sie schafft die neue, für den werdenden Staat verbindliche, mit besonderer Kraft ausgestattete Verfassungsordnung. Mit dieser besonderen Stellung ist es unverträglich, daß ihr von außen Beschränkungen auferlegt werden. Sie ist nur gebunden an die jedem geschriebenen Recht vorausliegenden überpositiven Rechtsgrundsätze und - als verfassungsgebende Versammlung eines werdenden Gliedes des Bundesstaates - an die Schranken, die die Bundesverfassung für den Inhalt der Landesverfassungen enthält (Art. 28 Abs. 1 GG). Im übrigen ist sie ihrem Wesen nach unabhängig Sie kann sich nur selbst Schranken auferlegen."

Auch nach diesen Ausführungen ist der hier eingeschlagene Weg der Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin verfassungsrechtlich gangbar. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der vom Bundesverfassungsgericht in den wiedergegebenen Ausführungen beurteilte Sachverhalt sich von dem hier zu entscheidenden sowohl im Tatsächlichen als auch hinsichtlich der heranzuziehenden Verfassungsbestimmungen erheblich unterscheidet. Der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegende Sachverhalt war dadurch gekennzeichnet, daß - entsprechend Art. 118 Satz 2 GG durch Bundesgesetz (Zweites Neugliederungsgesetz vom 4. Mai 1951, BGBl. I S. 284) - das Tätigwerden des pouvoir constituant durch eine verfassunggebende Landesversammlung vorgezeichnet war (§§ 13, 14 des Zweiten Neugliederungsgesetzes). Die Landesversammlung - so das Bundesverfassungsgericht - habe deshalb als Träger des pouvoir constituant des neuen Landes durch Vorschriften eines Bundesgesetzes, also "von außen", keinen Einschränkungen unterworfen werden dürfen (a.a.O., S. 61 f.). Vorliegend soll aber nicht eine verfassungsgebende Versammlung (repräsentativ) tätig werden. Vielmehr bleibt der pouvoir constituant in der Hand des eigentlichen Souveräns, des Volkes selbst. Damit stellen sich die Vorgaben, die der über Art. 1 NVG in Kraft tretende Neugliederungs-Vertrag für das beabsichtigte neue Land enthält, für den Fall, daß die Abstimmungsberechtigten in dem die (heutigen) Länder Brandenburg und Berlin umfassenden Gebiet in der für den 5. Mai 1996 vorgesehenen Volksabstimmung der Bildung eines gemeinsamen Landes zustimmen, zugleich als Selbstbindungen des eigentlichen Souveräns, als, wie es das Bundesverfassungsgericht ausdrückt, selbst auferlegte, also nicht “von außen” vorgegebene, Schranken des pouvoir constituant, dar: Die diesbezüglichen Vorschriften haben - wie überhaupt der Neugliederungs-Vertrag - eine Doppelnatur. Sie stellen nicht nur ein Vertragswerk der Länder Brandenburg und Berlin dar, das ihre eigene "Abwicklung" regelt. Vielmehr gehören sie ihrem Wesen nach auch schon zur - zum Teil vorläufigen, teilweise aber auch schon endgültige Eckpunkte setzenden - Verfassungsordnung des im Werden begriffenen neuen Bundeslandes. Diese Elemente einer Verfassungsordnung erlangen als solche rechtliche Geltung, wenn der Neugliederungs-Vertrag durch die für den 5. Mai 1996 vorgesehenen Volksabstimmungen angenommen wird. In diesem Fall wird das sich im Rahmen der gemeinsamen Volksabstimmung konstituierende Volk des werdenden Landes Berlin-Brandenburg - anders als in dem erwähnten Fall der durch Bundesgesetz angeordneten Bildung des Südweststaats nicht repräsentativ über eine verfassungsgebende Versammlung, sondern plebiszitär in der Form der Volksabstimmung - zugleich als Träger der verfassungsgebenden Gewalt dieses werdenden Landes tätig. Im einzelnen ist auszuführen:

2. a. Grundlage für die Volksabstimmung über den Fusionsvertrag, soweit diese im Lande Brandenburg stattfindet, stellt Art 116 LV dar. Er regelt einen Fall der sogenannten "Verfassungsablösung", hier verbunden mit einer Auflösung auch des bestehenden Staates selbst und - anders als etwa Art. 115 LV, der die Kontinuität des Landes Brandenburg voraussetzt - nicht nur seiner Verfassungsordnung Eine solche - "in die Zukunft gerichtete Überleitungsnorm" (BVerfGE 5, 85, 131) - stellt Bedingungen auf, unter denen eine Verfassung bereit ist, einer neuen Verfassung zu weichen und sich selbst aufzugeben (vgl. statt vieler: Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staaterechts, Band VII, 1992, § 166, Rdn. 13 ff.). Hierin liegt, bezogen nicht nur auf die Verfassung, sondern auch auf den Staat selbst, das Wesen des Art. 116 LV. Diese Bestimmung korrespondiert mit Art. 118 a GG, der, wie schon ausgeführt, den Ländern Brandenburg und Berlin die Möglichkeit eröffnet, durch Vereinbarung und abweichend von dem an die Voraussetzungen des Art. 29 GG gebundenen Verfahren ein neues Bundesland zu schaffen und - wie dem Begriff "Vereinbarung" innewohnt - auch zu gestalten. Damit hat es der Grundgesetzgeber den beiden Ländern selbst überlassen, quasi in Wahrnehmung "staatsrechtlicher Privatautonomie" Bedingungen auszuhandeln, unter denen sie ihre bisherige staatliche Existenz zugunsten eines neuen (gemeinsamen) Bundeslandes aufzugeben bereit sind. Bei diesem Verständnis hat Art. 116 LV nicht nur ein neues Land überhaupt, sondern ein unter den Bedingungen der dort angesprochenen Vereinbarung zustandekommendes und hierüber in gewisser Weise bereits verfaßtes neues Land im Auge. Ist ein Staat nur unter bestimmten Bedingungen bereit, seine eigene Staatlichkeit zugunsten der Bildung eines neuen Staates aufzuheben, muß ihm an einer rechtlichen Absicherung der darauf bezogenen Abmachungen gelegen sein. Dies ist in der Form möglich, daß diesbezügliche Regelungen fur den neuen Staat festgeschrieben und darüber der (neuen) "Staatsfundamentalnorm" einverleibt werden (vgl. etwa Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil, 1956, S. 134). Eben dies wollen die korrespondierenden Art. 118 a GG und Art. 116 LV ermöglichen.

Soweit die Antragsteller in diesem Zusammenhang ausfuhren, die Vorschriften der Art. 118 a GG und Art. 116 LV vermittelten weder dem Landtag noch dem Ministerpräsidenten die Kompetenz, das Verfahren der Verfassungsgebung und den Regelungsgehalt der Verfassung des neu entstehenden Bundeslandes zu bestimmen, verkennen sie, daß diese Organe - bezogen auf den verfassungsrechtlichen Charakter des Neugliederungs-Vertrages - nur als (selbst nicht über verfassunggebende Gewalt verfügende) "Entwurfsorgane" tätig werden, die insoweit lediglich den "Verfassungsentwurf" ausarbeiten, der sodann der verfassunggebenden Gewalt zur Entscheidung über die Frage unterbreitet wird, ob dieser Entwurf Verfassungsordnung werden soll (vgl. zu diesem arbeitsteiligen Verfahren einer Verfassungsentstehung bei Tätigwerden verfassunggebender Gewalt in plebiszitärer Form: Steiner, Verfassungsgebung und verfassungsgebende Gewalt des Volkes, 1966, S. 125 ff.).

b. Die Regelungen des Neugliederungs-Vertrages stellen sich in dem vorerörterten Sinne als dem Verfassungsrecht des neuen Landes - teils vorübergehend, teils auch auf Dauer - einzuverleibende Normen dar. Verfassungsnormen weisen sich durch eine erhöhte Bestandskraft bzw. erschwerte Abänderbarkeit aus (vgl. nur Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band I, 1987, § 13, Rdn. 136). Dies gilt hier nicht zuletzt für Art. 58 NV. Diese Vorschrift enthält - ähnlich Art. 79 GG - Änderungsschranken (Art. 58 Abs. 1 und 3 NV), teils sogar eine "Ewigkeitsgarantie" (Art. 58 Abs. 2 S. 1 NV). Auch materiell erreichen die Vorschriften des Neugliederungs-Vertrages - über ihren Charakter als Regelungswerk eines Gliedstaates hinaus - verfassungsrechtliche Qualität. Freilich wird die Verfassung eines durch Vereinbarung entstehenden und zunächst noch im Werden begriffenen Staates naheliegenderweise vielfach von den klassischen Regelungsmaterien einer Vollverfassung abweichen. Sie muß sowohl der Ausgangssituation - Vereinbarung - als auch dem Zustand des Werdens - dem status nascendi (dazu auch Jerusalem, NJW 1952, S. 45, 48) - Rechnung tragen: Eine Verfassung ist auf den konkreten Staat hin entworfen; Verfassung und Staat sind insoweit als einander zugeordnete Größen zu verstehen (vgl. Isensee, a.a.O. Rdn. 144). Demgemäß enthält der Neugliederungs-Vertrag über weite Strecken Normen, die auf die Übergangssituation zugeschnitten sind (etwa die Art. 5 bis 7 NV, Art. 8 ff. NV) und für den ins Leben tretenden Staat an Bedeutung verlieren werden, freilich auch solche Normen, die - als Gegenstand der gemeinsamen Abmachungen - bereits Bestandteil der endgültigen Verfassungsordnung sein sollen (so etwa Art. 1 Abs. 2 und 3, Art. 21 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 1 NV).

c. Ist Art. 116 LV als Norm einer "Staats- und Verfassungsablösung" im oben dargelegten Sinne zu verstehen, richtet sie sich auch bereits an die verfassungsgebende Gewalt. Nur diese vermag über die Staats- und Verfassungsgebung zu befinden (vgl. etwa Heckel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VIII, 1995, § 197, Rdn. 52). In der Wirklichkeit des modernen Verfassungsstaats stellt Verfassungsgebung aber nicht die Erschaffung des Staates und seiner Normen quasi "aus dem Nichts" dar. Verfassungsgebung ist vielmehr situationsbezogen. "Sie trifft die reale Entscheidung über die politische Existenz des Volkes zwischen bestimmten politischen Alternativen in einer konkreten historischen Situation" (Heckel, a.a.O., Rdn. 53 sowie 65 und 80). Unter Einbeziehung dessen werden hier nicht nur die Staatsvölker der beiden noch bestehenden Länder tätig, indem sie mit der Entscheidung über die Bildung des neuen Landes die Ablösung der bisherigen Rechtsordnungen und die "Abwicklungsphase" in bezug auf die Länder Brandenburg und Berlin in die Wege leiten. Vielmehr treten, soweit es um das neue Land geht, das - bei Zustimmung der Abstimmungsberechtigten zu der Fusion - werdend neben die in das Stadium der “Abwicklung” übergehenden Länder tritt, auch schon die Bürger auf den Plan, die in ihrer Gesamtheit das Volk des werdenden neuen Landes bilden. Das Dasein eines Staates kann rechtlich nur auf seinem eigenen Willen beruhen, nicht aber auf der Grundlage einer fremden Rechtsordnung (vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1928, Nachdr. 1976, S. 274; Nawiasky, a.a.O., S. 132). In diesem Sinne stimmen die beiden Völker, sofern sich die nötigen Mehrheiten ergeben, der Beendigung der bisherigen Länder zu und finden sich gleichzeitig, "uno actu", zum Träger der verfassungsgebenden Gewalt auch des neuen Landes zusammen. Mit der Entscheidung über die Annahme des werdenden Landes bindet sich auf diese Weise das neue Staatsvolk an die in Verfassungsrecht erwachsenden Vorgaben des Neugliederungs-Vertrags. Die so zustandekommenden Bindungen der (neuen) verfassungsgebenden Gewalt sind, als solche auf dem Willen des pouvoir constituant selbst beruhend, unter (bundes-)verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten generell nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 1, 14, 61), vielmehr durch Art. 118 a GG (bundes-)verfassungsrechtlich geradezu vorgezeichnet: Eben diesen Weg wollte Art. 118 a GG, abweichend von Art. 29 GG, für den Raum Brandenburg/Berlin, so eröffnen. Daß das werdende Land bei dieser staatsbildenden Betätigung seines Staatsvolkes juristisch noch nicht in der Welt ist, steht dem nicht entgegen. Der pouvoir constituant, dessen Tätigkeit auf Staats- und Verfassungsschöpfung gerichtet ist (vgl. Zweig, Die Lehre vom pouvoir constituant, 1909, S. 3), muß dem Ergebnis seiner Schöpfung denknotwendig vorausliegen. Träger der verfassungsgebenden Gewalt ist deswegen "das Volk im politischen Sinn oder die Nation, d.h. die (politisch sich zusammenfindende und abgrenzende) Gruppe von Menschen, die sich ihrer selbst als politische Größe bewußt ist und als solche handelnd in die Geschichte eintritt" (Böckenförde, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes - ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, 1986, S. 13 f.). So liegen die Dinge bei der hier zu treffenden Entscheidung über den Fusionsstaatsvertrag.

IV.

Soweit Art. 1 NVG für die in Art. 116 LV vorgesehene Volksabstimmung den - von den Antragstellern ebenfalls beanstandeten - Art. 4 des Staatsvertrages zur Regelung der Volksabstimmungen in den Ländern Berlin und Brandenburg über den Neugliederungs-Vertrag in Bezug nimmt, ist er allerdings nur mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe mit der Landesverfassung vereinbar.

1. Art. 4 des Staatsvertrages zur Regelung der Volksabstimmungen uber den Neugliederungs-Vertrag steht in seinem die sogenannte "Zusatzfrage" regelnden Absatz 3 nicht ohne weiteres in Einklang mit den in Art. 22 Abs. 3 Satz 1 LV abgesicherten überkommenen Grundsätzen der freien Wahl, zu denen es gehört, daß jeder Wähler sein Wahlrecht ohne unzulässige Beeinflussungen von außen ausüben kann (vgl. schon Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich in RGZ 118, Anh., S. 39; BVerfGE 7, 63, 69; 15, 165, 166; 47, 253, 282; 66, 369, 380) und die in gleicher Weise für die Entschließungsfreiheit der Abstimmenden im Rahmen einer Volksabstimmung gelten müssen (vgl. dazu BVerfGE 1, 14, 45; 42, 53, 62); demgemäß sieht Art. 22 Abs. 3 Satz 1 LV den Grundsatz der Wahlfreiheit nicht nur in bezug auf Wahlen, sondern auch für Volksabstimmungen vor. Das Gericht kann und muß diese (landesrechtlichen) Grundsätze hier - trotz des staatsvertraglichen Charakters des Art. 4 - in bezug auf den brandenburgischen Abstimmungsbereich zur Anwendung bringen. Art. 16 Nr. 5 des Staatsvertrages bestimmt seinerseits, daß für die Abstimmung und ihren Schutz vor unzulässiger Beeinflussung die jeweiligen landesrechtlichen Regelungen über Volksabstimmungen entsprechend gelten.

Eine in unzulässiger Weise die Entschließungsfreiheit der Abstimmenden beeinträchtigende Einflußnahme kann sich hier daraus ergeben, daß die Fassung der Frage in Art. 4 Abs. 3 des Staatsvertrages, nämlich "Soll das gemeinsame Land gebildet werden im Jahre 1999 oder im Jahre 2002", bei Abstimmenden den Eindruck vermitteln kann, daß die Abstimmungsfrage über das "Ob" der Fusion schon im Sinne von "Ja" entschieden, die Fusion quasi bereits "beschlossene Sache", sei. Mit der Formulierung der Frage uber den Zeitpunkt der Entstehung des gegebenenfalls zu bildenden gemeinsamen Landes und der Bezeichnung als "Zusatzfrage" wird zudem nicht hinreichend deutlich, daß sie auch dann (noch) zur Abstimmung steht, wenn die erste Frage - über das "Ob" der Bildung des in Aussicht genommenen Landes - mit "Nein" beantwortet wird; die dahingehende Klarstellung in Art. 4 Abs. 5 des Staatsvertrages ist dem einzelnen Abstimmenden kaum präsent. Dies könnte aber dazu führen, daß sich diejenigen Abstimmenden, die die erste Frage mit "Nein" beantworten, veranlaßt sehen, über die zweite Frage nicht (mehr) mitabzustimmen, was zu einer Verschiebung des Abstimmungsergebnisses über den Zeitpunkt des gegebenenfalls zu bildenden Landes führen würde.

2. Eine Beeinflussung der Entschließungsfreiheit der Abstimmenden kann freilich - auch ohne Änderung des Wortlautes der zweiten Frage und damit des Staatsvertrages selbst - durch begleitende Maßnahmen bei Durchführung der Volksabstimmung verhindert werden. Den Abstimmenden kann - und muß - in geeigneter Weise deutlich gemacht werden, daß die Frage über den Entstehungszeitpunkt des gegebenenfalls zu bildenden Landes u n a b h ä n g i g von der Haupt-Abstimmungsfrage zur Abstimmung steht und auch dann beantwortet werden kann, wenn die Frage über das "Ob" der Bildung des in Aussicht genommenen Landes mit "Nein” beantwortet wird. Die in Aussicht genommene Volksabstimmung im Lande Brandenburg ist deswegen mit der Verfassung vereinbar, wenn eine solche Klarstellung dem Stimmzettel (Art. 11 Abs. 2 Satz 1 des Staatsvertrages) beigelegt und zusätzlich im Abstimmungslokal (Art. 11 Abs. 1 des Staatsvertrages) öffentlich ausgehängt wird. In Anlehnung an Art. 4 Abs. 5 des Staatsvertrages kann die Klarstellung etwa folgenden Wortlaut haben:

"Ihre Antwort auf die zweite Frage wirkt sich nur dann aus, wenn sich bei dieser Volksabstimmung die nötige Mehrheit für einen Zusammenschluß der Länder Berlin und Brandenburg ergibt. Sie können die erste Frage auch dann beantworten, wenn Sie die zweite Frage offen lassen. Sie können die zweite Frage auch dann beantworten, wenn Sie die erste Frage offen lassen oder verneinen."

Dr. Macke Prof. Dr. Harms-Ziegler
Prof. Dr. Mitzner Prof. Dr. Schröder
Dr. Dombert Dr. Knippel
Prof. Dr. Schöneburg Weisberg-Schwarz

Sondervotum
des Richters Prof. Dr. Schöneburg

Dem Urteil der Mehrheit des Verfassungsgerichts kann m.E. nicht zugestimmt werden: Art. 1 des Neugliederungs-Vertrages (NVG) ist mit der Verfassung des Landes Brandenburg aus folgenden Gründen nicht vereinbar:

1. Die Verfassung des Landes Brandenburg ist von einem Demokratiebegriff geprägt, der das Volk als tatsächlichen Souverän verfassungsrechtlich ausgestaltet. Diese Position durchzieht die gesamte Verfassung von ihrer Präambel bis zum Art. 116.

Dieses ausgeprägte reale Volkssouveränitätsprinzip basiert nicht zuletzt auf den Erfahrungen aus der brandenburgischen Verfassungsgeschichte und den friedlichen Veränderungen des Herbstes 1989: Das Volk soll und muß Gestalter seines eigenen staatlichen Lebens sein. Das belegen die Beratungen in den Verfassungsausschüssen 1 und II unmißverständlich.

In den Tagungen des Landtages bei der Annahme der Verfassungsentwürfe wurde die übrigens nicht nur von den Antragstellern hervorgehoben, sondern ebenso deutlich z.B. von dem Ministerpräsidenten Dr. Stolpe, dem Justizminister Dr. Bräutigam und dem SPD-Landesvorsitzenden Dr. Reiche unterstrichen.

Genau dieser Inhalt der Brandenburger Verfassung erregt bis heute den Widerwillen konservativer deutscher Politiker.

2. Die Volkssouveränität der Brandenburger Verfassung ist immer Einheit von repräsentativer und direkter Demokratie. Das Volk hat das Verfassungsrecht der direkten Mitgestaltung und Mitbestimmung seines Lebens. Dieses Recht kann sich nicht auf einfache Zustimmung unabhängig vom Volk erarbeiteter Gesetze beziehen. Es bedarf der Mitwirkung des Volkes an der Erarbeitung von Gesetzen, die für sein Leben von existentieller Bedeutung sind. Deshalb wurde die Brandenburger Verfassung mit dem Volk erarbeitet und vom Volk per Volksentscheid angenommen. Es war für den Verfassungsgeber daher nur folgerichtig, daß eine Totalrevision der Verfassung eine effiziente Mitwirkung des Volkes über eine verfassunggebende Versammlung bindend vorschreibt (Art. 115).

Das gleiche muß für den Fall gelten, daß das Land Brandenburg “abgewickelt“ wird, “stirbt“, in ein gemeinsames neues Land Brandenburg-Berlin aufgeht. Es widerspricht daher m.E. dem Geist und Inhalt der Brandenburger Verfassung, den Art. 116 als lex speciales aufzufassen und die spezifische Form der in Brandenburg verfassungsrechtlich gestalteten Volkssouveränität auf diesen Artikel nicht zubeziehen.

3. Diesen Erfordernissen der Volkssouveränität ist mit dem Gesetz zu den Staatsverträgen über die Neugliederung der Länder Brandenburg und Berlin vom 27. Juni 1995 (NVG) in vielfacher Weise nicht entsprochen worden. Dies ist verfassungswidrig.

a) Bei dem NVG handelt es sich um eine Totalrevision der Brandenburger Verfassung. Daher wäre die Regierung bei ihren Verhandlungen verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen, den Souverän und das von ihm gewählte Parlament frühzeitig und in verfassungsrechtlich angemessener Weise an der Gestaltung der Verträge zu beteiligen. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Das Volk selbst blieb bei den Regierungsverhandlungen, in denen letztlich die Brandenburger Verfassung geopfert wurde, unbeteiligt. Es soll nun per Volksentscheid am 5. Mai 1996 lediglich noch das ohne den Volkssouverän Ausgehandelte absegnen. Das widerspricht der Brandenburger Verfassung (Art. 2, Art. 115).

Der Landtag als Gesamtinstitution, also nicht nur Unterausschüsse oder Ausschüsse, wurde weder frühzeitig noch gestaltend an den Regierungsverhandlungen beteiligt wie dies Art. 116 vorschreibt. Die Regierung beschränkte sich weitergehend auf Informationen.

Als der Landtag im Februar 1995 schließlich durch Beschluß die Landesregierung beauftragte, Änderungen zum Arbeitsentwurf des Staatsvertrages der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes einzufordern, kam dem die Regierung nur sehr eingeschränkt nach. Auch in diesem Zusammenhang hat die Regierungsdelegation vielfach gegen die Verfassung verstoßen. Es ist daher erneut zu unterstreichen, daß Art. 116 Landesverfassung weder dem Ministerpräsidenten noch dem Landtag verfassungsgebende Kompetenzen zuspricht.

b) Verfassungsgeber ist und bleibt allein der Souverän, das Volk des Landes Brandenburg. Es durfte also keine mögliche “Notverfassung“ entsprechend Art. 9 NV von der Landesregierung und auch nicht vom Landtag beschlossen werden. Das ist Kompetenzanmaßung.

Die Brandenburger Regierung und das Brandenburger Parlament waren auch nicht berechtigt, dem Art. 8 NV über die Verfassung des neuen Landes zuzustimmen, da der Souverän des Landes Brandenburg nicht in der durch die Verfassung gebotene Weise an dieser Art von Verfassungsgebung beteiligt war. Insofern hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23.10.1951 nach wie vor Gültigkeit: “Eine verfassungsgebende Versammlung hat einen höheren Rang, als die auf Grund der erlassenen Verfassung gewählte Volksvertretung. Sie ist im Besitz des pouvoir constituant“.

Es wäre daher verfassungsrechtlich durchaus geboten gewesen, durch einen gemeinsamen Verfassungsrat der Länder Brandenburg und Berlin vor der Entscheidung über die Fusion eine neue Verfassung unter angemessener Beteiligung der beiden souveränen Völker auszuarbeiten. Es bestand keine Not, von dieser verfassungsrechtlichen Normalität abzuweichen.

Es wäre damit die Gefahr vermieden worden, daß möglicherweise - sollte eine neue Verfassung nach Art. 8 NV nicht zustandekommen - eine in vieler Hinsicht “verfassungsleere Zeit“ über das neue Land hereinbricht mit vielen Unwägbarkeiten und Widersprüchen für das Volk. Es besteht nunmehr die akute Gefahr, daß das Volk seine Qualität als Souverän verliert.

c) Art. 1 NVG stellt für den Fall einer Fusion vielfältige Vorgaben für den verfassungsgebenden Souverän auf. Dies gilt zunächst für den Souverän des Landes Brandenburg. Damit wird die Bindungsfreiheit des pouvoir constituant in Brandenburg verletzt. Dies widerspricht dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Es ist m.E. nicht zulässig, diese Vorgaben als “Selbstbindung des eigentlichen Souveräns“ zu qualifizieren. Mit der Abstimmung am 5. Mai 1996 ist dem Brandenburger Souverän verfassungsrechtlich nicht entsprochen worden, weil nach der Brandenburger Verfassung die alleinige Zustimmung nicht genügt. Der im Urteil des Verfassungsgerichts zusätzlich benannte Grund, am 5. Mai 1996 werde “uno actu“ das souveräne Volk des gemeinsamen Landes geboren und damit Träger der verfassungsgebenden Gewalt, das sich mit der Abstimmung selbst an die Vorgaben bindet, ist m.E. außerordentlich formal. Souveräne Völker entstehen nicht über Nacht.

Insofern wäre es durchaus denkbar gewesen, das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz anzurufen. Die Auslegung, ob Art. 118 a Grundgesetz den Art. 29 Grundgesetz unterworfen ist, wäre vom Bundesverfassungsgericht zu klären gewesen.

Jedenfalls kann Art. 118 a Grundgesetz die Kompetenzen und die Verfassungsrechte des brandenburgischen Souveräns nicht aufheben. Das widerspräche Art. 79 Grundgesetz.

d) In den Verhandlungen und Beratungen über das zu schaffende neue Land wird immer auf die gemeinsame

Geschichte Berlins und Brandenburgs Bezug genommen.

Das Urteil des Verfassungsgerichts betont zu Recht,daß in diesem Zusammenhang wichtige Teile derGeschichte ausgeklammert werden, so die 1920 vollzogene verwaltungsmäßige Verselbständigung Berlins inder Provinz Mark Brandenburg. Bezeichnenderweisewurde damals dafür als Grund angegeben, daß das Umland den Druck Berlins unangemessen ausgesetzt sei. Zur Geschichte gehört auch, daß Berlin 1945 Stadt mit Viermächte-Status wurde, Brandenburg demgegenüber durch den Alliierten Kontrollrat mit Auflösung des Landes Preußen zum Land Mark Brandenburg wurde. Es kann auch nicht daran vorbeigegangen werden, daß in der DDR-Geschichte Ost-Berlin selbständig Hauptstadt der DDR blieb und nun weiterhin ein ständiger ökonomischer Druck auf das übrige Land ausgeübt wurde.

Es bleibt in diesem Zusammenhang auch festzuhalten, daß Berlin Teil der Provinz Mark Brandenburg war. Es ist daher erstaunlich, daß das neue Land unter fälschlicher Berufung auf die Geschichte nunmehr Berlin-Brandenburg heißen soll.