VerfGBbg, Beschluss vom 21. Februar 2014 - VfGBbg 54/13 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 1 Satz 2; LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2; LV, Art. 52 Abs. 4 - VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1 - SGG, § 202 - GVG, §§ 198 ff |
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Schlagworte: | - Gesetzlicher Richter - Anspruch auf rechtliches Gehör - Anspruch auf ein faires und zügiges Verfahren - Rechtsschutzbedürfnis - Subsidiarität - Verzögerungsrüge |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 21. Februar 2014 - VfGBbg 54/13 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 54/13
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
K.,
Beschwerdeführer,
wegen der Beschlüsse des Sozialgerichts Neuruppin vom 29. Januar 2013 (S 1 SV 1/13) und vom 3. April 2013 (S 14 SO 103/12 ER) sowie des Beschlusses des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. August 2013 (L 15 SO 123/13 B ER)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Nitsche, Dr. Becker, Dresen,
Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Partikel und Schmidt
am 21. Februar 2014
b e s c h l o s s e n :
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
G r ü n d e :
A.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind sozialgerichtliche Entscheidungen über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und über ein Befangenheitsgesuch.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist aufgrund eines Gendefekts schwerstbehindert und schwerstpflegebedürftig. Seit dem Sommer des Jahres 2008 besucht er eine Förderschule in N. Nach seiner Darstellung bedarf er auch in den Ferien- und sonstigen unterrichtsfreien Zeiten der Betreuung in einer ihm vertrauten Gruppe. Fehlten ihm die von dieser Gruppe ausgehenden Impulse, entwickele er infolge Reduzierung seiner Aktivitäten Atemwegsinfekte bis hin zu Lungenentzündungen. Seit Beginn des Schuljahres 2012/2013 sei diese Betreuung im Hort der Schule nicht mehr gewährleistet.
Der Beschwerdeführer machte aus diesem Grund gegenüber dem Landkreis O. einen Betreuungsanspruch nach § 55 Sozialgesetzbuch (SGB) IX geltend, woraufhin der Landkreis drei Bewilligungsbescheide über „Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gemäß §§ 53 ff SGB XII“ erließ. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer erfolglos Widerspruch mit der Begründung, er habe Eingliederungshilfe nicht beantragt und sein Zustand schließe die Erfüllung der Aufgaben der Eingliederungshilfe nach SGB XII aus. Daraufhin erhob er im Zeitraum August 2012 bis Februar 2013 drei Klagen gegen die Bescheide beim Sozialgericht Neuruppin mit dem Ziel, dass er eine Ferienbetreuung als Hilfe zur Teilhabe ohne Kostenbeteiligung unmittelbar nach SGB IX erhalte und nicht unter Rückgriff auf Regelungen über die Eingliederungshilfe im SGB XII. Ferner stellte er Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich einer Tagesbetreuung für die Herbstferien 2012 (S 14 SO 69/12 ER) sowie – unter dem 20. Dezember 2012 - für die Winter- und Osterferien 2013 (S 14 SO 103/12 ER).
2. Der Beschwerdeführer lehnte die zuständige Richterin am Sozialgericht in allen genannten Verfahren wegen der Besorgnis der Befangenheit ab; zum einen, weil sie Mitglied im Landkreistag O. sei, zum anderen wegen zögerlicher Bearbeitung der Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das Sozialgericht wies die Befangenheitsgesuche im Januar 2013 zurück, bezüglich des Eilantrages für die Winter- und Osterferien 2013 mit dem (u. a.) angegriffenen Beschluss vom 29. Januar 2013 (S 1 SV 1/13). Gegen diese Entscheidungen erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde, die mit Beschluss vom 17. Mai 2013 verworfen wurde (VfGBbg 11/13).
3. Am 3. April 2013 wies die erfolglos abgelehnte Richterin die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit zwei Beschlüssen zurück (S 14 SO 69/12 ER – Herbstferien 2012, S 14 SO 103/12 ER – Winter- und Osterferien 2013). Es fehle den Anträgen am Rechtsschutzbedürfnis, weil der beklagte Landkreis die begehrte Tagesbetreuung für die Herbstferien 2012 unter dem 7. September 2012 und für die Winter- und Osterferien 2013 unter dem 14. November 2012 dem Grunde nach und ohne Anordnung einer Kostenbeteiligung des Beschwerdeführers bewilligt habe. Gegen diese Entscheidungen legte der Beschwerdeführer Rechtsmittel ein. Das Landessozialgericht als Beschwerdegericht führte in seinen Beschlüssen vom 10. Juni 2013 (L 15 SO 122/13 B ER) und 29. August 2013 (L 15 SO 123/13 B ER) jeweils aus, der Beschwerdeführer habe ihm gegenüber das Verfahren - wegen Zeitablaufs - für erledigt erklärt. Weil das erledigende Ereignis (Zeitablauf: Verstreichen der Herbstferien 2012 sowie der Winter- und Osterferien 2013) bereits vor Erhebung der Beschwerde eingetreten sei, sei eine Belastung des Antragsgegners (Landkreis) mit den Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht gerechtfertigt. Gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts vom 3. April 2013 (S 14 S 69/12 ER) und des Landessozialgerichts vom 10. Juni 2013 legte der Beschwerdeführer ebenfalls Verfassungsbeschwerde ein, die mit Beschluss vom 29. November 2013 verworfen wurde (VfGBbg 37/13).
II.
Mit seiner am 31. Oktober 2013 erhobenen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, die Beschlüsse des Sozialgerichts vom 29. Januar 2013 und vom 3. April 2013 (14 S 103/12 ER) i. V. m. dem ihm am 31. August 2013 zugestellten Beschluss des Landessozialgerichts vom 29. August 2013 verletzten ihn in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 der Landesverfassung (LV). Die Beschlüsse verkennten die Reichweite der Zuständigkeit des Kreistages nach § 131, § 28 Abs. 2 Kommunalverfassung des Landes Brandenburg, aus der sich die Eigenschaft der abgelehnten Richterin als Vorstand des Landkreises im Sinne von § 60 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und deren Befangenheit zwingend ergebe. Darüber hinaus habe sich auch in der zögerlichen Bearbeitung des Eilantrags für die Herbstferien 2012 die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richterin deutlich manifestiert. Ferner verletze ihn der Beschluss des Sozialgerichts vom 3. April 2013 (S 14 SO 103/12 ER) i. V. m. dem Beschluss des Landessozialgerichts vom 29. August 2013 in seinen Grundrechten auf ein faires und zügiges Verfahren, effektiven Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör. Die Richterin habe nach Zurückweisung des Befangenheitsantrags (Beschluss vom 29. Januar 2013) mehr als zwei Monate zugewartet, bis sie am 3. April 2013 eine Sachentscheidung getroffen habe. Zu diesem Zeitpunkt seien die Osterferien 2013 annähernd beendet gewesen. Hätte die Richterin seinen Eilantrag nach dem 29. Januar 2013 unverzüglich abgelehnt, wäre er in der Lage gewesen, noch rechtzeitig vor den Osterferien eine Entscheidung des Beschwerdegerichts zu erwirken. Die Richterin habe sich im angegriffenen Beschluss vom 3. April 2013 zudem mit dem zentralen Streitpunkt und seinem hierzu angeführten Sachvortrag nicht auseinandergesetzt. Das Landessozialgericht habe mit seinem Beschluss vom 29. August 2013 nichts getan, diese Grundrechtsverletzungen oder deren Folgen zu beseitigen.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) als unzulässig zu verwerfen.
I.
Soweit der Beschwerdeführer Verstöße gegen die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV und das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV rügt, fehlt der Verfassungsbeschwerde das Rechtsschutzbedürfnis. Der Gegenstand der einstweiligen Anordnung (Tagesbetreuung für die Winterferien und Osterferien 2013) hat sich durch Zeitablauf erledigt. Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob sein Anspruch auf Ferienbetreuung sich aus den Regelungen des Sozialgesetzbuch IX über die Hilfe zur Teilhabe oder aus den Regelungen des Sozialgesetzbuch XII über die Eingliederungshilfe ergibt, ist grundsätzlicher Natur. Die Klärung derartiger Rechtsfragen erfolgt – entgegen der Erwartung des Beschwerdeführers – nicht, wenn nach Hauptsacheerledigung nur noch eine Billigkeitsentscheidung über die Kosten zu treffen ist (vgl. nur Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl., § 193 Rn. 13; Schenke, in: Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 18. Aufl. 2012, § 161 Rn. 15). Dies gilt umso mehr, als bei Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen der Sachentscheidung der Anordnungsanspruch ohnehin nur summarisch geprüft wird. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist auch nicht im Hinblick darauf anzuerkennen, dass die abgelehnte Richterin in weiteren vom Beschwerdeführer angestrengten und noch nicht erledigten Verfahren tätig ist. Das Verfassungsgericht hat bereits in dem Verfahren VfGBbg 11/13 darauf hingewiesen, dass nach dem Subsidiaritätsgrundsatz ein etwaiger Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters durch unberechtigte Zurückweisung von Befangenheitsanträgen (zunächst) in der gegen die Endentscheidungen der abgelehnten Sozialrichterin eröffneten Rechtsmittelinstanz geltend zu machen ist. Dass sich das Landessozialgericht vorliegend mit diesem behaupteten Verfassungsverstoß nicht näher befasst hat, weil der Beschwerdeführer das Verfahren dort für erledigt erklärt hat, kann kein Grund sein, hiervon abzurücken (vgl. bereits Beschluss vom 29. November 2013 – VfGBbg 37/13 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
II.
Die weitergehende Rüge, die Gerichte hätten gegen sein Recht auf ein faires und zügiges Verfahren aus Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV verstoßen und hierdurch effektiven Rechtsschutz verweigert, ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer insoweit nicht den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde beachtet hat. Nach diesem im Gebot der Rechtswegerschöpfung aus § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg verankerten Grundsatz muss der Beschwerdeführer alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung bereits im fachgerichtlichen Instanzenzug zu verhindern oder zu beseitigen (ständige Rspr., vgl. zuletzt Beschluss vom 29. November 2013 – VfGBbg 48/13 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Vorliegend hat es der Beschwerdeführer unterlassen, nach § 202 SGG i. V. m. §§ 198 ff Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) im Wege der Verzögerungsrüge beim Sozialgericht die Dauer des die Tagesbetreuung für die Winter- und Osterferien 2013 betreffenden Eilverfahrens als unangemessen zu beanstanden und dergestalt auf eine Beschleunigung des Verfahrens und Erlangung effektiven Rechtsschutzes hinzuwirken (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 5. September 2013 - 1 BvR 2447/11 -, NVwZ 2014, 62, 63 f). Dies gilt nach § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch für Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Nitsche | Dr. Becker |
Dresen | Dr. Fuchsloch |
Dr. Lammer | Partikel |
Schmidt | |