Toolbar-Menü
Hauptmenü

VerfGBbg, Beschluss vom 20. November 2020 - VfGBbg 57/19 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 47 Abs. 2 Satz 1
- SGG, § 172; SGG, § 192
Schlagworte: - Rechtswegerschöpfung
- Rechtsweg
- Missbrauchsgebühr
- Verfahrensbevollmächtigter
- Sozialrecht
- Zulässigkeit einer Beschwerde umstritten
- Erfolgsaussicht
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. November 2020 - VfGBbg 57/19 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 57/19




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 57/19

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

Rechtsanwalt
L.,

Beschwerdeführer,

wegen

Kostenentscheidung über die Auferlegung von 150,00 Euro im Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 25. April 2019 - S 2 AS 460/18

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 20. November 2020

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Kirbach, Dr. Lammer, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

 

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.


 

Gründe:

 

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen Verfahrenskosten, die ihm das Sozialgericht Cottbus wegen der Vertagung einer mündlichen Verhandlung auferlegt hat.

B.

I.

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und war als klägerischer Prozessbevollmächtigter in dem sozialgerichtlichen Ausgangsverfahren tätig.

Eine erste Ladung des Sozialgerichts zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 1. April 2019 erhielt der Beschwerdeführer am 8. März 2019. Das nach seinen Angaben am selben Tag zurückgesandte Empfangsbekenntnis lag bei Gericht im Termin am 1. April 2019, bei dem für die Klägerseite niemand erschien, nicht vor. Das Sozialgericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer das Empfangsbekenntnis nicht zurückgesandt habe und vertagte daher den Termin. Allerdings sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die Ladung erhalten habe, da er eine dort enthaltene Auflage am 28. März 2019 erfüllt habe.

An dem zweiten Termin zur mündlichen Verhandlung am 25. April 2019, dessen Verlegung der Beschwerdeführer beantragt hatte, nahm er erneut nicht teil, ließ sich jedoch durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten. Dieser stellte lediglich einen Befangenheitsantrag ohne Begründung. Nach dessen Verwerfung trat für die Klägerseite niemand mehr auf.

Das Sozialgericht verhandelte zur Sache und erlegte dem Beschwerdeführer im am Schluss der Verhandlung ergangenen, dem Beschwerdeführer am 25. Mai 2019 zugestellten Urteil Kosten in Höhe von 150,00 Euro auf. Die Kostenentscheidung beruhe insoweit auf § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 184 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Vertagung sei erforderlich geworden, weil der Beschwerdeführer das am 8. März 2019 ausgefüllte Empfangsbekenntnis erst am 4. April 2019 und damit nach dem ersten Termin an das Gericht gesendet habe. Die Sache sei bereits zu diesem Termin entscheidungsreif gewesen. Ein Empfangsbekenntnis trotz Aufforderung des Gerichts fast vier Wochen nicht zurückzusenden, verletze die im Prozess gebotene Sorgfalt. Die ordnungsgemäße Ladung der Klägerseite habe wegen des fehlenden Empfangsbekenntnisses nicht festgestellt werden können. Die Kosten seien dem Beschwerdeführer selbst aufzuerlegen, da ihn das Verschulden treffe. Ein Prozessbevollmächtigter könne selbst Kostenschuldner sein, was sich aus § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG ergebe.

Die Klägerin erhob, vertreten durch den Beschwerdeführer, gegen das Urteil des Sozialgerichts eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wies die Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 3. Juli 2019 (L 18 AS 1113/19 NZB) zurück. Der Rechtssache komme keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die unterbliebene Terminsverlegung liege nicht vor, da der Beschwerdeführer weder seine Verhinderung noch die Unmöglichkeit einer Vertretung hinreichend glaubhaft gemacht habe. Zu weiterer Sachverhaltsermittlung habe sich das Sozialgericht aufgrund eigener Aussagen der Klägerin hinsichtlich erhaltener Zahlungen nicht gedrängt sehen müssen. Die Auferlegung von Kosten nach § 192 SGG sei nicht mit der Verfahrensrüge angreifbar, weil sie nach § 192 Abs. 3 SGG nicht isoliert angefochten werden und zudem die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache nicht auf einer etwaigen fehlerhaften Anwendung des § 192 SGG beruhen könne.

II.

Mit seiner am 19. Juli 2019 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Auferlegung von Verschuldenskosten im Urteil des Sozialgerichts vom 25. April 2019.

Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Die Kostenentscheidung im Urteil des Sozialgerichts sei nicht durch den Beschluss des Landessozialgerichts erledigt, weil dieses lediglich eine Kostenentscheidung für die zweite Instanz getroffen habe.

Es könne dahinstehen, ob der Beschwerdeführer die Nichtzulassungsbeschwerde für die Klägerin überhaupt habe durchführen müssen. Das habe er jedenfalls erfolglos getan. Das Landessozialgericht habe die Verfahrensrüge hinsichtlich der Kostenentscheidung als unzulässig angesehen. Eine inhaltliche Rüge sei nicht in Betracht gekommen, da die Kostenentscheidung des Sozialgerichts gemäß § 144 Abs. 4 SGG nicht gesondert anfechtbar sei. Eine eigene Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Kostenentscheidung komme nicht in Betracht, da sich diese nur gegen isolierte Beschlüsse, nicht gegen Urteile richten könne, § 172 Abs. 1 SGG. Dieser Ausschluss gelte auch dann, wenn das Gericht, was auf die Kostenentscheidung zutreffe, die Entscheidung durch Beschluss hätte treffen können (unter Verweis auf Berliner Kommentare, Breitkreuz/‌Fichte, SGG, § 172 Rn. 32).

Die Entscheidung verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 52 Abs. 3 Verfassung des Landes Brandenburg (LV). Sie sei willkürlich, da § 192 SGG keine Rechtsgrundlage für die Auferlegung von Kosten an einen Prozessbevollmächtigten darstelle. Es kämen als Adressaten nur Beteiligte im Sinne der Legaldefinition des § 69 SGG in Betracht. Nach § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG sei einem Beteiligten lediglich ein Verschulden und Verhalten seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen. Auch ein Vergleich mit § 34 Bundesverfassungsgerichtsgesetz ergebe nichts anderes.

Jedenfalls sei die Entscheidung des Sozialgerichts im konkreten Fall willkürlich und das Gericht habe das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren aus Art. 52 Abs. 4 LV verletzt. Es erschließe sich nicht, warum das Sozialgericht den Termin überhaupt vertagt habe, obwohl es von einem Zugang der Terminsladung ausgegangen sei und gemäß § 126 SGG in diesem Fall in Abwesenheit von Beteiligten entscheiden dürfe. Das Sozialgericht sei zudem verpflichtet gewesen, ihn auf die drohende Auferlegung von Verschuldenskosten hinzuweisen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren. Er hätte in diesem Fall vorgetragen, das Empfangsbekenntnis unverzüglich zurückgesendet zu haben. Das Sozialgericht habe außerdem keine Bemühungen unternommen, auf eine ordnungsgemäße Rücksendung hinzuwirken. Ein „angebliches Fax“ des Sozialgerichts vom 28. März 2019 habe er nicht erhalten; dies wäre ohnehin zu kurzfristig gewesen, um dem Beschwerdeführer eine adäquate Reaktion zu ermöglichen. Das Sozialgericht habe ohne eine Anhörung des Beschwerdeführers nicht annehmen dürfen, dass er das Empfangsbekenntnis verspätet abgesendet habe.

C.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1, § 50 Abs. 1 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.

Der Beschwerdeführer hat entgegen § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg den Rechtsweg nicht erschöpft. Er hätte vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde ein Beschwerdeverfahren gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegen die Auferlegung der Kosten in Höhe von 150,00 Euro durchführen müssen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts ist eine Ausnahme von dem Gebot der Rechtswegerschöpfung und dem Subsidiaritätsgrundsatz zwar aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten anerkannt, wenn der an sich gebotene Rechtsbehelf von vornherein offensichtlich aussichtslos ist. Dies ist anzunehmen, wenn der Beschwerdeführer über die Unzulässigkeit und mangelnde Erfolgsaussicht seines Rechtsbehelfs nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht im Ungewissen sein kann (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 18. Januar 2019 ‌‑ VfGBbg 63/18 ‑,‌ https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.). Diese Voraussetzungen lagen indes hier nicht vor.

Zwar ist die Auferlegung einer Missbrauchsgebühr gegenüber einem Beteiligten des Verfahrens als Bestandteil der Kostenentscheidung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ihrerseits grundsätzlich weder mit der Berufung noch mit der Beschwerde anfechtbar (BSG, Beschlüsse vom 19. Oktober 2017 ‌‑ B 3 KR 4/17 B ‑,‌ Rn. 11, und vom 28. Oktober 2010 ‌‑ B 13 R 229/10 B ‑,‌ SozR 4‑1500 § 192 Nr 1, Rn. 14, juris). Dass jedoch ein Verfahrensbevollmächtigter, der kein Beteiligter des Verfahrens im Sinne von § 69 SGG (Kläger, Beklagter, Beigeladener) ist und dem im sozialgerichtlichen Verfahren eine gesonderte Gebühr nach § 192 SGG auferlegt worden ist, gegen diese Missbrauchsgebührenentscheidung eine Beschwerde nach § 172 Abs. 1 SGG erheben kann, wird in der Rechtsprechung zumindest teilweise bejaht. Dies gilt nicht nur, soweit es sich um ausschließlich eine solche Kostenentscheidung enthaltende Beschlüsse (z. B. LSG Bln-Bbg, Beschluss vom 10. Mai 2017 ‌‑ L 32 AS 345/17 B ‑,‌ Rn. 15, juris; vgl. Krauß, in: Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 1. Aufl. 2014, § 192 Rn. 63) oder Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (jüngst - nach Erhebung der Beschwerde des Beschwerdeführers zum LSG - auch LSG Bln‑Bbg, Beschluss vom 13. Januar 2020 ‌‑ L 5 AS 1483/19 B ‑,‌ Rn. 10, juris) handelt, sondern auch für den Fall, dass ‌‑ wie hier ‑‌ die Gebühr im Sachurteil selbst neben einer dort ergangenen Kostengrundentscheidung ausgesprochen wird (LSG BW, Beschluss vom 30. November 2017 ‌‑ L 4 P 4479/17 B ‑,‌ Rn. 11, juris). Zur Begründung wird angeführt, dass Entscheidungen gegen nicht am Prozess beteiligte Personen nur durch Beschluss, nicht durch Urteil ergehen dürften und entsprechend dem Meistbegünstigungsgrundsatz auch der Rechtsbehelf gegen die an sich zutreffende Entscheidungsform statthaft sei (LSG BW, ebd.; zustimmend Loytved, jurisPR-SozR 9/2018 Anm. 3, und Stotz, in: Schlegel/‌Voelzke, jurisPK-SGG, § 192, 1. Aufl., Stand: 9. Mai 2019, Rn. 69.1, 76.2). Dass ein anderer als der bereits zitierte Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde in Parallelverfahren des Beschwerdeführers eine andere Auffassung vertreten hat (LSG Bln-Bbg, Beschlüsse vom 6. Mai 2020 ‌‑ L 31 AS 103/20 B, L 31 AS 104/20 B und L 31 AS 102/20 B ‑, nicht veröffentlicht), führt nicht dazu, dass aus der maßgeblichen ex ante-Perspektive eine Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Kostenentscheidung hinsichtlich der ihm auferlegten Kosten im Urteil des Sozialgerichts offensichtlich aussichtslos gewesen wäre. Eine dem Beschwerdeführer günstigere Entscheidung war demnach nicht ausgeschlossen.

Der Beschwerdeführer hat angesichts dieses Meinungsbildes durch die Bezugnahme auf ein einzelnes Kommentar-Zitat nicht mit der erforderlichen Begründungstiefe dargelegt, warum der an sich gebotene Rechtsbehelf von vornherein offensichtlich aussichtslos gewesen sein soll.

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

Möller

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Dr. Lammer

Sokoll

Dr. Strauß