VerfGBbg, Beschluss vom 20. November 2015 - VfGBbg 18/15 EA -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde EA |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - VerfGGBbg, § 30 - ZPO, 765a |
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Schlagworte: | - Einstweilige Anordnung - Rechtsschutzinteresse - Parallele Antragstellung |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 20. November 2015 - VfGBbg 18/15 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 18/15 EA

IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
K.,
Antragstellerin,
wegen Zwangsvollstreckung
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
am 20. November 2015
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt
beschlossen:
Der Antrag wird verworfen.
Gründe:
A.
Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung der Zwangsvollstreckung.
Die Obergerichtsvollzieherin kündigte einem Herrn D. an, sie werde im Zuge der gegen diesen und eine weitere Person betriebenen Zwangsvollstreckung die in der A-Straße in B liegende Wohnung am 9. November 2015 zwangsweise räumen. Einen Antrag auf Gewährung von Vollstreckungsschutz wies das Amtsgericht zurück (21 M 892/15). Dagegen soll sofortige Beschwerde zum Landgericht Frankfurt (Oder) eingelegt worden sein, über die noch nicht entschieden worden ist.
Die Antragstellerin hat am 6. November 2015 den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt und geltend gemacht, sie habe zum 1. November 2015 eine neue Wohnung angemietet, benötige aber noch Zeit für den freiwilligen Umzug. Dennoch solle sie in ein Obdachlosenheim eingewiesen werden. Sie sei 76 Jahre alt und herzkrank. Mietschulden bestünden nicht.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollstreckung einstweilen bis zur Entscheidung des Landgerichts Frankfurt (Oder) auszusetzen.
B.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.
Dem Antrag fehlt das für die Anrufung des Verfassungsgerichts erforderliche Rechtsschutzinteresse. Rechtsschutzinteresse für die Anrufung des Verfassungsgerichts besteht nur dann, wenn der erstrebte Rechtsschutz nicht auf anderem, einfacherem Wege erreichbar erscheint. Das ist hier der Fall. Die Anrufung des Verfassungsgerichts ist nicht erforderlich, da die Antragstellerin nach ihrem eigenen Vorbringen parallel fachgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz vor dem Landgericht erstrebt (vgl. Berkemann, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl., § 32 Rn. 93). Im Hinblick auf die Subsidiarität verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes kommt es vorliegend auch nicht in Betracht, dass das Verfassungsgericht Zwischenentscheidungen trifft, bis das Fachgericht über das dort angebrachte Rechtsmittel entschieden hat. Auch diese Möglichkeit besteht im Übrigen grundsätzlich im fachgerichtlichen Verfahren (§ 765a Abs. 1 Satz 2, § 732 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Zudem ist es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts, die Entscheidungen der Fachgerichte allgemein auf ihre materielle und verfahrensrechtliche Richtigkeit zu überprüfen und sich in dieser Weise an ihre Stelle zu setzen (st. Rspr., vgl. nur Beschlüsse vom 21. November 2014 - VfGBbg 20/14 - und vom 29. August 2014 - VfGBbg 63/13 -).
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen aber auch in der Sache nicht vor. Nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
Die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtungsweise nicht schwer genug im Sinne des Gesetzes sind („schwerer Nachteil“) bzw. keinen gleichwertigen „anderen“ Grund im Sinne des Gesetzes darstellen. Bei der Abwägung sind im Allgemeinen nur irreversible Nachteile zu berücksichtigen (vgl. Beschlüsse vom 14. Oktober 2015 - VfGBbg 17/15 EA -; vom 24. Februar 2015 - VfGBbg 3/15 EA -; vom 22. Februar 2013 - VfGBbg 1/13 EA -; vom 06. Juli 2012 - VfGBbg 5/12 EA -; vom 20. Mai 2010 - VfGBbg 9/10 EA - und vom 30. September 2010 - VfGBbg 8/10 EA -, www.verfassungsgericht.bran-denburg.de). Zusätzlich muss die erstrebte einstweilige Anordnung „zum gemeinen Wohl“ und „dringend geboten“ sein (vgl. Beschlüsse vom 14. Oktober 2015 - VfGBbg 17/15 EA -; vom 24. Februar 2015 - VfGBbg 3/15 EA -; vom 22. Februar 2013 - VfGBbg 1/13 EA -; vom 06. Juli 2012 - VfGBbg 5/12 EA -; vom 20. Februar 2003 - VfGBbg 1/03 EA -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, sowie Urteil vom 4. März 1996 - VfGBbg 3/96 EA -, LVerfGE 4, 109, 112 f m. w. Nachw.).
Auch danach kommt der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht in Betracht. Es kann offen bleiben, ob der Antragstellerin durch die Zwangsräumung ein derart schwerer, irreversibler, die auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes gerichteten Interessen des die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubigers an einem Abschluss des Verfahrens deutlich übersteigender Nachteil entsteht. Jedenfalls sind Auswirkungen auf das „gemeine Wohl“, die abzuwenden „dringend geboten“ wären, bei dieser Einzelfallentscheidung weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Fuchsloch | Dr. Lammer |
Nitsche | Partikel |
Schmidt |