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VerfGBbg, Beschluss vom 20. Oktober 2005 - VfGBbg 43/03 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 1
Schlagworte: - kommunale Selbstverwaltung
- Gemeindegebietsreform
- Verhältnismäßigkeit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 20. Oktober 2005 - VfGBbg 43/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 43/03



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

Gemeinde Schenkendorf,
vertreten durch das Amt Mittenwalde,
dieses vertreten durch den Amtsdirektor,
Bahnhofstraße 3 a,
15749 Mittenwalde,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin M.,

wegen: kommunale Neugliederung;
hier: Eingemeindung der Gemeinde Schenkendorf (Amt Mittenwalde) in die Stadt Mittenwalde

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dawin, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel und Prof. Dr. Schröder

am 20. Oktober 2005

b e s c h l o s s e n :

Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im übrigen zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die Beschwerdeführerin, eine bisher dem Amt Mittenwalde angehörende Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Auflösung durch Eingemeindung in die amtsfreie Stadt Mittenwalde.

I.

1. Die Beschwerdeführerin liegt ungefähr 10 km südlich der Berliner Stadt- und Landesgrenze im Landkreis Dahme-Spreewald. Das nach dem sogenannten Amtsmodell 1 gebildete bisherige Amt Mittenwalde mit den Gemeinden Brusendorf, Gallun, Motzen, Ragow, Telz, Töpchin, der Stadt Mittenwalde und der Beschwerdeführerin lag im engeren Verflechtungsraum zu Berlin (s. Art. 1 Anlage 1 § 4 S. 4 Nr. 1 i.V.m. Anhang B 1 des Staatsvertrages vom 7. August 1997 über das gemeinsame Landesentwicklungsprogramm der Länder Berlin und Brandenburg [Landesentwicklungsprogramm, nachfolgend LEPro] und über die Änderung des Landesplanungsvertrages [GVBl. 1998 I S. 14]). Die Beschwerdeführerin grenzt im Westen unmittelbar an die Gemarkung der Stadt Mittenwalde. Außerdem umgeben die Gemeinden Ragow und Gallun im Nordwesten und Südwesten sowie die amtsfreien Gemeinden Bestensee und Königs Wusterhausen im Süden und Osten die Beschwerdeführerin. Die Flächengröße des Amtes lag mit 98,5 km² deutlich unter dem Landesdurchschnitt vor der kommunalen Neugliederung (161 km²). Die Bevölkerungsdichte entsprach zum 31. Dezember 2001 mit 86 Einwohnern je Quadratkilometer dem Landesdurchschnitt. Zu diesem Zeitpunkt lebten von den etwa 8.500 Einwohnern des Amtsgebietes ca. 2.200 in Mittenwalde, ca. 1.800 in Ragow, ca. 1.150 auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin, ca. 1.100 in Motzen und die übrigen in kleineren Gemeinden. Die einzelnen Gemeinden des Amtes verzeichneten im Jahr 2001 gegenüber dem Jahr 1992 einen Einwohnerzuwachs zwischen 12 und 65 %, die Gemeinden Gallun 100 % und Ragow 300 %. Sitz der Amtsverwaltung war Mittenwalde. Die Gemeinden des Amtes Mittenwalde liegen teils unmittelbar an der Autobahn, im übrigen wenige Kilometer weiter entfernt. Zwischen der Stadt Mittenwalde und der Beschwerdeführerin sowie östlich der Gemeinde Ragow befindet sich jeweils eine Anschlußstelle der Bundesautobahn A 13, über die Gemarkungen der Gemeinden Ragow und Brusendorf verläuft auch die Bundesautobahn A 10 (mit dem Schönefelder Kreuz und der Raststätte „Am Fichtenplan“). Die Bundesstraße 246 verbindet die Gemeinden Gallun und Telz mit der Stadt Mittenwalde; Landstraßen verknüpfen die übrigen Gemeinden miteinander. In allen amtsangehörigen Gemeinden gibt es Gewerbestandorte; zwischen 1991 und 2001 wurden im Amtsbereich ca. 240 ha Gewerbeflächen neu entwickelt und in Nutzung genommen, insbesondere beidseitig der Autobahnanschlußstelle Mittenwalde auf dem Gebiet der Stadt und der Beschwerdeführerin. Die Stadt Mittenwalde hat mehr neue Arbeitsplätze geschaffen als sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in der Stadt wohnen.

2. Bereits Ende April 2002 versandte das Ministerium des Innern Unterlagen für eine Anhörung der Beschwerdeführerin und der anderen Gemeinden des Amtes Mittenwalde zu der für sie beabsichtigten kommunalen Neugliederung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Unterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Dahme-Spreewald versandt. Für die Anhörung der Bürger stand ein Monat zur Verfügung.

3. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. Art. 1 § 6 des Entwurfs zum sechsten dieser Gesetze, zugleich § 6 des Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Oder-Spree, Spree-Neiße (6. GemGebRefGBbg) sah u.a. die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die nunmehr amtsfreie Stadt Mittenwalde vor. Der Innenausschuß des Landtages, an den die Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung verwiesen worden waren, führte am 23. Oktober 2002 vorab eine Anhörung zu grundsätzlichen Fragen durch. Zur Anhörung der Beschwerdeführerin vor dem Innenausschuß am 16. Januar 2003 wurde deren ehrenamtlicher Bürgermeister geladen; die Beschwerdeführerin machte Verfahrensrügen geltend. Das Gesetz wurde sodann im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. § 6 des 6. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl. I S. 93), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. Art. 6 des Artikelgesetzes), lautet:

§ 6
Verwaltungseinheit Amt Mittenwalde

(1) Die Gemeinden Brusendorf, Gallun, Motzen, Ragow, Schenkendorf, Telz und Töpchin werden in die Stadt Mittenwalde eingegliedert.

(2) Das Amt Mittenwalde wird aufgelöst. Die Stadt Mittenwalde ist amtsfrei.

II.

Die Beschwerdeführerin hat am 15. Mai 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, ihre Eingliederung in die Stadt Mittenwalde sei schon deshalb verfassungswidrig, weil weder die Bevölkerung des unmittelbar betroffenen Gebietes noch sie selbst (als Gemeinde) ordnungsgemäß angehört worden seien. Die Anhörungsfehler seien „absolute Nichtigkeitsgründe“. Auf Fragen der Kausalität komme es nicht an. Daß sich von 302 Gemeinden, die der Gesetzgeber aufzulösen versucht habe, 250 mit kommunalen Verfassungsbeschwerden dagegen zur Wehr setzten, sei bereits „ernstes Indiz für die verfassungswidrige Gewalt der gesetzlichen Regelung“. Es fehle an dem Nachweis, daß die Beschwerdeführerin ungeeignet sei, den Anforderungen moderner Selbstverwaltung zu entsprechen. Der Abwägungsvorgang sei fehlerhaft.

Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:

§ 6 des Sechsten Gemeindegebietsreformgesetzes Brandenburg verletzt die Beschwerdeführerin in ihren verfassungsmäßigen Rechten und ist deshalb nichtig.

III.

Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Stadt Mittenwalde hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

B.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

I.

Sie ist in begrenztem Umfang zulässig.

1. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist insofern unzulässig, als sie sich auch gegen die (hier in § 6 Abs. 2 des 6. GemGebRefGBbg bestimmte) Auflösung des bisherigen Amtes sowie zugleich gegen die Eingliederung der anderen amtsangehörigen Gemeinden in die nunmehr amtsfreie Stadt Mittenwalde richtet. Insoweit ist die Beschwerdeführerin nicht beschwerdebefugt. Eine amtsangehörige Gemeinde kann nach der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichtes, die entsprechend der (bloßen) verwaltungsmäßigen Hilfsfunktion des - wie immer zustandegekommenen bisherigen - Amtes für jedwede spätere Änderung der Amtszuordnung zu gelten hat, lediglich beanspruchen, daß ihr überhaupt eine geeignete (Amts-)Verwaltung, nicht aber, daß sie ihr in der bisherigen Form und in dem bisherigen Zuschnitt zur Verfügung steht (Beschluß vom 16. Mai 2002 - VfGBbg 57/01 -, LKV 2002, 515 sowie Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 - [Kreuzbruch], LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 13, S. 116 = LKV 2002, 573, 574). Soweit sich die kommunale Verfassungsbeschwerde einer amtsangehörigen Gemeinde als begründet erweist und sie (folglich) als amtsangehörige Gemeinde fortbesteht, hat das Land dafür zu sorgen, daß ihr eine Verwaltung – durch Zuordnung zu einem Amt oder Bildung eines neuen Amtes, notfalls auch unter Wiederbelebung der früheren Amtsmodelle 2 oder 3 - zur Verfügung steht. Je nach Art der dann getroffenen Regelung, die also gegebenenfalls abzuwarten bleibt, mag Anlaß für eine darauf bezogene gerichtliche Überprüfung bestehen. Festhalten an dem einmal gefundenen Zuschnitt der Amtsverwaltung kann die einzelne Gemeinde das Land aber grundsätzlich nicht. Auch soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Zuordnung der anderen bislang amtsangehörigen Gemeinden wendet, sind Gesichtspunkte für eine Beschwer nicht ersichtlich.

2. Im übrigen ist die kommunale Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Auflösung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als fortbestehend. Ebenso wird die Beschwerdeführerin im kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren weiter durch das bisherige Amt vertreten.

II.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich aber in der Sache selbst als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt.

1. Die nach der Landesverfassung geltenden Anhörungserfordernisse sind eingehalten worden. Im Hinblick auf die von der Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführerin hierzu in einer Vielzahl von Verfahren im wesentlichen gleichlautend vorgebrachten Einwände wird auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes (vgl. u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 - und zuletzt ausführlich Beschlüsse vom 16. September 2004 - VfGBbg 102/03 und 118/03 - www.verfassungsgericht.brandenburg.de) verwiesen.

2. Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Mittenwalde bleibt auch in der Sache selbst im Einklang mit der Landesverfassung.

a) In das Gebiet einer Gemeinde sowie - erst recht - in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl“ ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommt, daß er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe festlegen kann.

Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u.a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]).

Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Werteordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner unter gleichzeitiger Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N. und vom 29. August 2002, a.a.O.; ständige Rechtspr., u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 – VfGBbg 101/03 -, a.a.O.).

b) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Eingliederung der Beschwerdeführerin Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und auf dieser Grundlage eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im einzelnen:

aa) Die allgemeinen vom Gesetzgeber hier herangezogenen Kriterien halten sich im Rahmen des öffentlichen Wohls (Art. 98 Abs. 1 LV). Der Gesetzgeber beruft sich für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Mittenwalde wesentlich auf das Bedürfnis einer Strukturänderung der brandenburgischen Gemeinden in der Nähe zu Berlin (vgl. LT-Drucksache 3/5021, S. 185 ff.), und zwar auf das Leitbild des Zusammenschlusses bislang amtsangehöriger zu amtsfreien Gemeinden im engeren Verflechtungsraum Brandenburg-Berlin (2. a) aa) des Leitbildes).

(1) Die Einteilung des Landes in verschiedene Neugliederungsräume mit der Differenzierung zwischen engerem Verflechtungs- und äußerem Entwicklungsraum einschließlich der Grundsatzentscheidung für amtsfreie Gemeinden in einem Bereich um Berlin ist verfassungsrechtlich zulässig. Der Gesetzgeber hat die Problematik des engeren Verflechtungsraumes ausführlich untersucht und beschrieben (s. Gesetzesbegründung zum 6. GemGebRefGBbg, LT-Drucksache 3/5021, S. 28 ff., 80 f.). Wenn er annimmt, die beiden Teilräume des Landes unterschieden sich in einigen Kennziffern deutlich - etwa Bevölkerungsdichte, Siedlungsdichte, Besiedlungsgrad, durchschnittliche Gemeindegröße, Bevölkerungsentwicklung, Wanderungssaldo, Anteil der Auspendler nach Berlin, Anteil der Einpendler in die Brandenburger Gebiete aus Berlin, Arbeitslosenquote etc. (vgl. LT-Drucksache 3/5021, S. 28 ff.) - und er für diese Teilräume grundsätzlich jeweils eine andere Struktur präferiert, so liegt darin nicht die Entscheidung für offenkundig ungeeignete oder unnötige Maßnahmen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 - [Groß Machnow]).

(2) Es kann auch nicht festgestellt werden, daß der Gesetzgeber grundsätzlich zu Unrecht die Abgrenzung zwischen den beiden Neugliederungsräumen vorgenommen hätte. Er hat im Gesetzgebungsverfahren, ausgehend von der bisherigen landesplanerischen Einordnung nach Anhang B 1 zum Landesentwicklungsprogramm und Anlage 1 zum Landesplanungsvertrag, geprüft, ob die Einordnung einer Gemeinde bzw. eines Amtes in den engeren Verflechtungsraum angesichts der tatsächlichen Entwicklung der letzten Jahre noch trägt. Diese Vorgehensweise ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (eingehend hierzu: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 26. August 2004, a.a.O.).

bb) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den danach maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen befaßt.

Er hat nachvollziehbar dargestellt, daß die Stadt Mittenwalde als größte amtsangehörige Gemeinde - auch angesichts eines Bevölkerungsanteils von einem Viertel im Amt - schon aufgrund ihrer Lage sowie als Verkehrsknotenpunkt und bedeutende Arbeitsstätte einen Kristallisationskern für die bislang amtsangehörigen Gemeinden bildet. Die örtlichen Verhältnisse sowohl mit Blick auf die allgemeinen Strukturprobleme, die sich aus der Nähe zu Berlin ergeben, als auch die Verflechtung der Beschwerdeführerin mit der Stadt Mittenwalde und den weiteren eingegliederten Gemeinden sind in den Gesetzesunterlagen zutreffend angesprochen (s. die Beschreibung der Gemeinden im „Neugliederungssachverhalt“ in LT-Drucksache 3/5021, S. 181 ff.). Es gab keinen Anlaß anzunehmen, die Beschwerdeführerin befinde sich nicht mehr im Umlandbereich zu Berlin. Insbesondere der große Bevölkerungszuwachs um mehr als 50 % binnen zehn Jahren im bisherigen Amtsgebiet zeigt gemäß den Leitbildvorstellungen des Gesetzgebers einen typischen Ausgangsfall für die Neugliederung im engeren Verflechtungsraum an. Auch die weiteren wesentlichen Strukturdaten wurden zutreffend gesehen, etwa die Haushaltssituation der Beschwerdeführerin, der Stadt Mittenwalde und der übrigen Gemeinden des Amtes. Der Gesetzgeber erfaßte die Einwohnerzahlen, Entfernungsverhältnisse und Verkehrsverbindungen im Amtsgebiet und darüber hinaus. In der Stadt Mittenwalde befinden sich neben der bisherigen Amts- und Stadtverwaltung eine Grundschule, ein Kindergarten und eine Mehrzweckhalle (insbesondere für kulturelle Veranstaltungen). Eine kleinere Grundschule besteht in Töpchin, eine weitere Kindertagesstätte in Ragow. Zudem ermittelte der Gesetzgeber die - neben den außerhalb des Amtsgebietes in Anspruch genommenen Angeboten - vorwiegend in Mittenwalde konzentrierten, aber auch in anderen Gemeinden des Amtes vorhandenen Dienstleistungseinrichtungen und Gewerbebetriebe.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfaßt und gewürdigt hat. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob er die für die Durchführung des gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten und es möglich ist, daß bei Zugrundelegung der behaupteten abweichenden Situation die Neugliederung anders ausgefallen wäre, besteht eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend“; VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, UA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Derartige Tatsachen hat die Beschwerdeführerin indes nicht vorgetragen.

cc) Zur Bewältigung der vom Gesetzgeber benannten Strukturfragen ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Mittenwalde nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, daß das Ziel einer Bereinigung der Strukturprobleme im Mittenwalder Bereich durch die Zusammenführung in einem einheitlichen Aufgaben- und Verwaltungsraum eindeutig verfehlt würde.

dd) Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Mittenwalde ist auch nicht unverhältnismäßig.

Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für ihren Fortbestand sprechenden Gründen erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH BayVBl 1981, 399, 400 f.; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW NJW 1975, 1205, 1211). Dies ist hier - nach der vertretbaren Wertung des Gesetzgebers - der Fall. Da die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken, ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls können der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.).

Vorliegend besitzen indes nach der vertretbaren Abwägung des Gesetzgebers die für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Mittenwalde sprechenden Gründe das größere Gewicht. Dem Gesetzgeber war die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung gegenwärtig. Er hat die Belange der Einwohner durchaus im Blick gehabt und sich damit auseinandergesetzt, ablesbar aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs (s. LT-Drucksache 3/5021, S. 178 ff., 185 ff; s. auch S. 68 ff., 85 f.), den Niederschriften über die Beratungen im Landtag und seinen Ausschüssen (Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu § 6 des 6. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drucksache 3/5550). Auf der anderen Seite hat er als gegenläufige Belange in zulässiger und vertretbarer Weise namentlich die Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung durch die Zusammenführung in einer einheitlichen Kommune, ferner die bereits heute - neben denjenigen zum nur wenige Kilometer weiter entfernten Berlin - bestehenden nicht unerheblichen Verflechtungsbeziehungen (z.B. im Schulwesen, beim Arbeitsplatzangebot und bei den Dienstleistungen) sowie Gesichtspunkte der Raumordnung in seine Abwägung eingestellt und ihnen die größere Bedeutung beigemessen (vgl. LT-Drucksache 3/5021, S. 185 ff.). Dies ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

Auch die Einschätzung des Gesetzgebers ist nachvollziehbar, daß sich die hier in Frage stehenden Strukturprobleme im unmittelbaren Wirkbereich Berlins nicht ebenso gut durch interkommunale Zusammenarbeit bewältigen lassen. Interkommunale Zusammenarbeit, in welcher Form auch immer (in Gestalt von Zweck- oder Planungsverbänden, Arbeitsgemeinschaften oder Kapitalgesellschaften oder durch öffentlich-rechtliche Kooperationsverträge), kann typischerweise jeweils nur in Teilbereichen wirken. Sie wirft zudem ihrerseits Abstimmungs- und Kooperations- sowie Rechts- und Personalfragen auf. Im Vergleich zu einer gemeindlichen Neuordnung ist die interkommunale Zusammenarbeit schwächer und instabiler.

ee) Auch im übrigen läßt die Abwägung des Gesetzgebers keine seine Entscheidung in Frage stellenden Defizite erkennen.

(1) Eine mindestens gleich geeignete Alternative zu der Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Mittenwalde ist weder von der Beschwerdeführerin vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Gesetzgeber durfte seiner Entscheidung zugrundelegen, daß die Strukturaussage 2. d) bb) seines Leitbildes für den Regelfall anstrebt, daß Gemeinden nur innerhalb der Grenzen der bestehenden Ämter zusammengeschlossen werden und es daher konsequent und leitbildgerecht ist, sämtliche Gemeinden des bisherigen Amtes zu vereinigen, also unter Einbeziehung auch der Beschwerdeführerin, nachdem ein Abweichungsfall, ähnlich den in 2 d) bb) Satz 2 des Leitbildes angeführten Beispielen (zur Stärkung der Zentralorte nach Landesentwicklungsplan I bzw. nach den Regionalplänen sowie zur Schaffung von Verwaltungseinheiten annähernd gleicher Leistungskraft geboten), nicht ersichtlich ist (vgl. u.a. VfGBbg, Beschluß vom 24. Juni 2004 - 148/03 - [Altglietzen], S. 24 f. des EA; aber zur Nichtanwendbarkeit dieser Leitbildregelung, wenn das bisherige Amt durch das Gesetz ohnehin amtsgebietsüberschreitend neugegliedert wird: VfGBbg Beschlüsse vom 27. Mai 2004 - 63/03 und 138/03 [Herzsprung, Königsberg], S. 18 EA). Es ist von Verfassungs wegen nichts dagegen zu erinnern, wenn der Gesetzgeber unter Meidung einer aufwendigen Vermögensauseinandersetzung (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 4, § 32 des 6. GemGebRefGBbg) bei der Auflösung eines Amtes an das regelmäßig seit Jahren stattfindende Zusammenwirken der bislang amtsangehörigen Gemeinden anknüpft und eine Fortführung der Gemeinschaft in Gestalt der amtsfreien Gemeinde präferiert, soweit - wie hier - keine besonderen Umstände stärker für eine (ggf. nur partiell) die bisherigen Amtsgrenzen überschreitende Lösung sprechen. Zudem bestanden in der Umgebung des bisherigen Amtes Mittenwalde kein zur Aufnahme der Beschwerdeführerin fähiges und bereites Amt (mehr), sondern ausschließlich amtsfreie Gemeinden bzw. Städte. Demnach durfte der Gesetzgeber das Begehren der amtsfreien Stadt Königs Wusterhausen ablehnen, die Beschwerdeführerin zugeordnet zu bekommen, zumal die auf ihre Eigenständigkeit bedachte Beschwerdeführerin auch dieser Alternative nicht zugestimmt hat.

(2) Der Gesetzgeber war auch nicht durch die finanziellen Folgen an einer Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Mittenwalde gehindert. Er hat die Problematik der Verlagerung der Finanz- und Planungshoheit gesehen und demgegenüber dem Vorteil der Bündelung der finanziellen Möglichkeiten infolge der Neugliederung im Verbund der Gesamtabwägung und mit Blick auf gestärkte Instrumente der Ortschaftsverfassung (§§ 54 - 54 e GO) sowie die Pflicht einer jeden Gemeinde und Stadt, für das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Wohl aller ihrer Einwohner und für eine harmonische Gestaltung der Gemeindeentwicklung zu sorgen (vgl. u.a. § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 3 Abs. 2 GO), in vertretbarer Weise höheres Gewicht zuerkannt (vgl. LT-Drucksache 3/5021, S. 89 f.). Für die Beurteilung am Maßstab des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 98 Abs. 1 LV ist nicht ausschließlich oder auch nur in erster Linie entscheidend, welche Lösung für die Einwohner der einzelnen Gemeinde die meisten Vorteile bietet. Entscheidend ist vielmehr, welche Lösung den Interessen des gesamten neu zu gliedernden Verwaltungsraumes und seiner Bevölkerung sowie darüber hinaus der Gesamtbevölkerung des Landes am besten entspricht. Von dieser Erwägung hat sich der Gesetzgeber bei der Ausübung seines Ermessens leiten lassen. Eine Beteiligung aller Gemeinden an den finanziellen Lasten des miteinander verflochtenen Gesamtraumes ist nicht unangemessen. Unabhängig davon ist die Finanzlage naturgemäß nicht von Dauer, sondern veränderlich. Die wirtschaftliche Entwicklung des Gesamt-Neugliederungsgebietes ist so oder so nicht sicher einschätzbar.

(3) Der Gesetzgeber ist sich bei seiner Abwägungsentscheidung auch des Spannungsverhältnisses von Bürgernähe und Verwaltungseffizienz bewußt gewesen. Deshalb ergibt sich eine Fehlerhaftigkeit weder des Abwägungsprozesses noch seines Ergebnisses daraus, daß der Gesetzgeber einerseits anstrebte, beiden Zwecken möglichst weitgehend zu dienen und andererseits in Kauf nahm, bei der Gemengelage unterschiedlicher Zielsetzungen und Maßstäbe nicht gewährleisten zu können, daß sämtliche Reformziele stets gleichermaßen verwirklicht werden (LT-Drucksache 3/5021, S. 23 f.).

(4) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich auch, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung gewichtet hat. Die aus der Anhörung der Bevölkerung der Beschwerdeführerin und der weiteren bisher amtsangehörigen Gemeinden des Amtes Mittenwalde resultierenden Stellungnahmen sowie die Ergebnisse einer Bürgerversammlung, eines Bürgerentscheids und einer Abstimmung (vgl. LT-Drucksache 3/5021, S. 179 ff.) zur beabsichtigten Neugliederung lagen im Landtag vor und sind damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er nicht dem Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung gefolgt ist, sondern den für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Mittenwalde sprechenden Umständen, dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsraumes im Umfeld brandenburgischer Städte sowie Berlins, auch hier das höhere Gewicht beigemessen hat.

C.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1, 2. Alt. VerfGGBbg.
 

Weisberg-Schwarz Prof. Dawin
   
Prof. Dr. Harms-Ziegler Havemann
   
Dr. Jegutidse Dr. Knippel
   
 Prof. Dr. Schröder