VerfGBbg, Beschluss vom 20. September 2013 - VfGBbg 63/12 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 12 Abs. 2 - StPO, § 473 Abs. 1; StPO, § 473 Abs. 4 |
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Schlagworte: | - Willkürverbot - Kostenentscheidung - Teilerfolg - Billigkeitsgesichtspunkte |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 20. September 2013 - VfGBbg 63/12 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 63/12
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
T.,
Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin B.
wegen des Beschlusses des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 27. Juli 2012 (2 Ws 81/12)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt
am 20. September 2013
b e s c h l o s s e n:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen eine Kostenentscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (Oberlandesgericht).
I.
Das Landgericht Potsdam verurteilte den Beschwerdeführer im Mai 2001 zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und ordnete die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Vom 27. Juli 2000 bis zur Rechtskraft des Urteils am 6. März 2002 (587 Tage) befand er sich in Untersuchungshaft und von der Rechtskraft des Urteils bis zum Beginn der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus am 17. Mai 2002 (72 Tage) in sog. Organisationshaft.
Nachdem im Oktober 2010 das Landgericht Frankfurt (Oder) den Vollzug der (restlichen) Jugendstrafe verfügt hatte, wurde der Beschwerdeführer in die Justizvollzugsanstalt Luckau-Duben überstellt; das Vollstreckungsblatt wies eine Haftzeit von 1.023 Tagen aus.
Der Beschwerdeführer beantragte eine Korrektur der Strafzeitberechnung. Sechs Jahre seiner Zeit im Maßregelvollzug seien auf die neunjährige Jugendstrafe anzurechnen, § 67 Abs. 4 Strafgesetzbuch (StGB). Von der verbleibenden Jugendstrafe von drei Jahren sei die gesamte Zeit der Untersuchungs- und Organisationshaft abzuziehen, so dass eine Reststrafe von 436 Tagen verbleibe.
Nach Nichtabhilfe durch die Staatsanwaltschaft bestätigte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Cottbus mit Beschluss vom 12. März 2012 die Dauer der noch zu verbüßenden Jugendstrafe mit 1.023 Tagen. Von dem verbleibenden Drittel der Jugendstrafe (1095 Tage) seien nur die 72 Tage Organisationshaft abzuziehen, nicht aber die Dauer der Untersuchungshaft, die bereits vorab, nämlich in den verbüßten zwei Dritteln der Jugendstrafe angerechnet worden sei, § 67 Abs. 4 StGB.
Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht unter dem 19. Juni 2012 als unbegründet. Die Anrechnung der Untersuchungshaft sei vorzunehmen, sobald dies möglich sei, also sofort nach Rechtskraft des Urteils. Gleichzeitig beschloss das Gericht, dass die Restjugendstrafe 827 Tage betrage. Bei der konkreten Ermittlung des Zweidrittel-Zeitpunkts dürfe nicht auf die gesamte Jugendstrafe, sondern lediglich auf die um die Untersuchungshaft verminderte Strafe abgestellt werden. Hierdurch verringere sich der Strafrest auf 827 Tage. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens legte das Oberlandesgericht nach § 473 Abs. 1 StPO dem Beschwerdeführer auf. Der Beschluss des Oberlandesgerichts ging dem Beschwerdeführer am 30. Juli 2012 zu.
II.
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner am Montag, den 1. Oktober 2012 eingegangenen Verfassungsbeschwerde, die Kostenentscheidung des Oberlandesgerichts verletze ihn in seinem Gleichheitsgrundrecht in seiner Ausprägung als Willkürverbot aus Art. 12 Abs. 1 der Landesverfassung (LV). Die Nichtanwendung von § 473 Abs. 4 StPO (Gebührenermäßigung und teilweise Auslagenerstattung bei teilweise erfolgreichem Rechtsmittel) sei unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar. Er habe offensichtlich einen Teilerfolg erzielt. Das Verfahren nach § 458 Strafprozessordnung (StPO) diene gerade der Aufdeckung von Strafzeitberechnungsfehlern, zu denen auch Rechenfehler gehörten.
III.
Der Präsident des Oberlandesgerichts hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Er ist der Ansicht, § 473 Abs. 4 StPO sei als Rechtsgrundlage für die Kostenentscheidung nicht in Betracht gekommen; der Beschwerdeführer hätte die Beschwerde auch dann eingelegt, wenn bereits das Landgericht wie das Oberlandesgericht entschieden hätte. Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.
B.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Die angegriffene Kostenentscheidung des Beschlusses vom 19. Juni 2012 verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Gleichheitsgrundrecht aus Art. 12 Abs. 1 LV in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür.
I.
Objektiv willkürlich ist eine Gerichtsentscheidung nicht bereits bei jeder fehlerhaften Anwendung einfachen Rechts, vielmehr erst, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und sich deshalb der Schluss aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 17. September 1998 – VfGBbg 18/98 -, LVerfGE 9, 95, 100; zu Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz: Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluss vom 21. November 2012 - 1 BvR 1711/09 -, zitiert nach juris, Rn. 12). Die Entscheidung muss ganz und gar unverständlich und sachlich schlechthin unhaltbar erscheinen, mithin das Recht in einer Weise falsch anwenden, dass jeder Auslegungs- und Bewertungsspielraum überschritten ist (Beschlüsse vom 16. Dezember 2011 – VfGBbg 16/11 – und 15. März 2013 – VfGBbg 42/12 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2011 – 1 BvR 2490/10 -, FamRZ 2012, 431, 432). Willkür in diesem Sinne kann auch dann gegeben sein, wenn das Gericht eine offensichtlich einschlägige Norm nicht anwendet (vgl. BVerfGE 87, 273, 279).
II.
Hiernach kann nicht festgestellt werden, dass die angegriffene Kostenentscheidung die Voraussetzungen objektiver Willkür erfüllt. Es ist nicht unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt unvertretbar, dass das Oberlandesgericht die Kostenentscheidung auf § 473 Abs. 1 StPO gestützt hat, wonach die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels derjenige trägt, der es eingelegt hat. Die Anwendung von § 473 Abs. 4 StPO, der bei Teilerfolg des Rechtsmittels eine (teilweise) Kostenerstattung für den Fall vorsieht, dass ihr Ausbleiben unbillig wäre, war nach Maßgabe des Willkürverbots nicht zwingend.
1.a. Das Oberlandesgericht hat die tenorierte Verwerfung der sofortigen Beschwerde darauf gestützt, Staatsanwaltschaft und Landgericht seien zutreffend davon ausgegangen, dass bereits mit der Rechtskraft des Urteils die Untersuchungshaft auf die Jugendstrafe anzurechnen sei. Demgegenüber hatte der Beschwerdeführer geltend gemacht, die Anrechnung solle erst am Ende der Jugendstrafe eintreten. Mit diesem rechtlichen Ansatz ist er vollständig erfolglos geblieben.
b. Angesichts des hohen Rangs der Freiheit der Person (Art. 9 Abs. 1 LV) hat es das Oberlandesgericht mit der Prüfung des Beschwerdevortrags nicht bewenden lassen. Es hat, weil das Grundrecht eine bestmögliche Prüfung unter Ausschöpfung aller sich bietenden Erkenntnisquellen verlangt, die Sach- und Rechtslage von Amts wegen über das Petitum des Beschwerdeführers hinaus aufgeklärt. Hierbei ist es zu der Ansicht gelangt, der Zweidrittel-Zeitpunkt sei erst später erreicht, weil nicht die neunjährige Jugendstrafe zu dritteln sei, sondern die vorab um die Dauer der Untersuchungshaft verminderte Strafe. Dieser rechtliche Ansatz führte zugleich dazu, dass als – noch zu verbüßendes - Drittel der 9-jährigen Jugendstrafe nicht drei Jahre sondern ein deutlich kürzerer Zeitraum anzusetzen sei, so das Oberlandesgericht.
Danach hat die Beschwerde den Teilerfolg in der Sache lediglich insofern verursacht, als sie dem Oberlandesgericht die Aufdeckung eines der Vorinstanz unterlaufenen - mit dem Rechtsmittel gar nicht beanstandeten - Fehlers ermöglichte; mit seinem bereits durch die Strafvollstreckungskammer zurückgewiesenen Berechnungsansatz (Anrechnung der Untersuchungshaft auf das nach § 67 Abs. 4 StGB durch den Maßregelvollzug nicht tilgbare Drittel der Strafe) ist der Beschwerdeführer hingegen auch im Beschwerdeverfahren nicht durchgedrungen. Der Teilerfolg des Beschwerdeführers ist damit, nach Ansicht des Oberlandesgerichts, - in einem wertenden Sinne – nicht durch die Beschwerde, sondern nur „bei Gelegenheit“ oder anlässlich der Beschwerde herbeigeführt worden. Hierauf hat das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich abgestellt.
2. Wenn nicht allein der ganz überwiegende Erfolg des Rechtsmittels eine teilweise Kostenerstattung gebietet (Bundesgerichtshof – BGH -, Beschluss vom 21. September 1989 – 3 StR 349/88 -, StV 1989, 401; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 553/86 -, NStZ 1987, 86, 87), ist nach gefestigter höchstricherlicher Rechtsprechung für die Erfüllung des Billigkeitskriteriums in § 473 Abs. 4 StPO maßgeblich, ob Hinweise darauf bestehen, dass der Rechtsmittelführer die infolge des Rechtsmittels errungene Entscheidung hingenommen hätte, wenn sie bereits erstinstanzlich ergangen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 – 1 StR 451/03 - NStZ 2004, 384, 385; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1997 – 1 StR 612/97 -NStZ-RR 1998, 70).
Derartige Billigkeitsgründe mussten sich dem Oberlandesgericht nicht aufdrängen. Der Umfang des Beschwerdeerfolgs von lediglich etwa einem Drittel sowie der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit seiner Rechtsauffassung vom Ansatz zur Berechnung der Reststrafzeit auch vor dem Oberlandesgericht gescheitert ist, lassen vielmehr die Annahme als fernliegend, wenn nicht ausgeschlossen erscheinen, er hätte sich mit einer erstinstanzlichen Entscheidung zufrieden gegeben, die wie die Beschwerdeentscheidung ausgefallen wäre. Dies gilt umso mehr, als das Landgericht zwischenzeitlich aus Gründen des Übermaßverbotes erwogen hatte, einen Teil der Untersuchungshaft (nämlich den ein Jahr überschreitenden Zeitraum, nach zutreffender Berechnung mithin 222 Tage) im letzten Strafdrittel anzurechnen, und der Beschwerdeführer sich nachdrücklich hiergegen gewehrt hatte.
Dass das Oberlandesgericht vor diesem Hintergrund § 473 Abs. 1 StPO als einschlägig angesehen hat, ist gemessen am Willkürverbot nicht zu beanstanden. Nicht jede ungewöhnliche Rechtsansicht ist fehlerhaft und nicht jede fehlerhafte Rechtsansicht ist willkürlich; zumal einfachrechtlich vertreten wird, § 473 Abs. 1 StPO sei Grundlage der Kostenentscheidung, wenn die Billigkeit eine teilweise Kostenerstattung nach § 473 Abs. 4 StPO nicht gebiete (vgl. Löwe/Rosenberg, Kommentar zur StPO, 29. Aufl. 2010, § 473 Rn. 47).
C.
Der Beschluss ist mit 8:1 Stimmen ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Fuchsloch | Dr. Lammer |
Nitsche | Partikel |
Schmidt |