VerfGBbg, Beschluss vom 20. Januar 2012 - VfGBbg 57/11 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
|
entscheidungserhebliche Vorschriften: | - VerfGGBbg, § 47 | |
Schlagworte: | - Jahresfrist - Rechtssatzverfassungsbeschwerde |
|
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 20. Januar 2012 - VfGBbg 57/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 57/11
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
L.,
Beschwerdeführerin,
wegen Ärzteversorgung Land Brandenburg, Rentenanspruch schwerbehinderter Mitglieder
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Möller, Nitsche, Partikel und Schmidt
am 20. Januar 2012
b e s c h l o s s e n :
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
G r ü n d e :
A.
I.
Die im Mai 1949 geborene Beschwerdeführerin ist schwerbehindert, spätestens seit dem Jahr 2003 mit einem Grad der Behinderung von 70, als Fachärztin für Allgemeinmedizin tätig und seit dem 1. Januar 1992 Mitglied der Ärzteversorgung Land Brandenburg, einer unselbständigen Versorgungseinrichtung der Landesärztekammer Brandenburg (Körperschaft des öffentlichen Rechts).
Nach § 9 der Satzung der Ärzteversorgung Land Brandenburg vom 24. November 2008, zuletzt geändert durch die Zweite Satzung zur Änderung der Satzung der Ärzteversorgung Land Brandenburg vom 25. Oktober 2010 (veröffentlicht im Brandenburgischen Ärzteblatt 2008, S. 353ff.; i. F.: Satzung), hat jedes Mitglied, welches das 67. Lebensjahr vollendet hat, einen Anspruch auf Altersrente. Mitglieder, die im Jahr 1949 geboren wurden, erlangen diesen Anspruch bereits in einem Alter von 65 Jahren und zwei Monaten. Auf Antrag wird bei Mitgliedschaft vor dem 31. Dezember 2011 nach § 9 Abs. 7 der Satzung bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres Altersrente gewährt. Dabei wird die Rente für jeden bis zur Erreichung der Altersgrenze fehlenden Monat um einen in § 9 Abs. 7 der Satzung ausgewiesenen Prozentsatz gekürzt.
Nach § 10 der Satzung besteht unter dort näher bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente. Tritt dieser Versorgungsfall jedoch nach dem frühestmöglichen Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Altersrente ein, wird eine vorgezogene Altersrente in entsprechender Anwendung von § 9 Abs. 7 der Satzung gewährt (§ 10 Abs. 6 letzter Satz). Nach § 10a der Satzung erfolgt in diesem Fall eine Günstigkeitsprüfung der errechneten Berufsunfähigkeitsrente zur vorgezogenen Altersrente. Einen vorzeitigen Eintritt in die Altersrente ohne Abzüge sieht die Satzung für schwerbehinderte Mitglieder nicht vor.
Die Beschwerdeführerin hat bisher keinen Rentenantrag bei der Ärzteversorgung Land Brandenburg gestellt. Nach deren Auskunft vom 28. April 2011 entstehe bei Weiterzahlung der monatlichen Regelabgabe bis zum Erreichen der persönlichen Altersgrenze (1. Juli 2014) eine Rentenanwartschaft i. H. v. 1.787,00 Euro, bei einer Zahlung bis zum vorzeitigen Rentenbeginn am 1. Juli 2012 i. H. v. 1.468,00 und bei einem Rentenbeginn ab dem 1. Januar 2013 i. H. v. 1.543,00 Euro.
II.
Mit ihrer am 11. November 2011 erhobenen Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 12 Verfassung des Landes Brandenburg – LV) und Art. 45 LV (Soziale Sicherung) sowie grundgesetzliche und unionsrechtliche Gewährleistungen geltend.
Das Sozialgesetzbuch Sechstes und Neuntes Buch (SGB VI und SGB IX) sehe für schwerbehinderte Menschen einen früheren abschlagsfreien Eintritt in die Altersrente vor. Es bestehe eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk, und zwar sowohl für niedergelassene als auch für angestellte Ärzte. Als Ärztin mit Behinderung und Pflichtmitglied der Ärzteversorgung dürfe sie nicht anders behandelt werden als gesetzlich versicherte Angehörige anderer Berufsgruppen, da sie das Versorgungssystem nicht frei wählen könne. Der Gesetzgeber habe seinen allgemeinen Willen im Rentenrecht insbesondere im SGB IX zum Ausdruck gebracht. Die gesetzliche Rentenversicherung diene den gleichen Zielen wie berufsständische Versorgungswerke, lege ebenso Pflichtmitgliedschaften und einkommensabhängige Beiträge fest. Die berufsständischen Versorgungswerke könnten daher nicht außerhalb der Vorschriften der SGB VI und IX, der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, die den Schutz der Menschenrechte für Behinderte konkretisiere, und des Behindertengleichstellungsgesetzes stehen.
Die vorherige Erschöpfung des Rechtswegs sei der Beschwerdeführerin nicht zumutbar. Ihre Lebenserwartung betrage noch ungefähr 10 Jahre, die gleiche Dauer sei ihr für ein fachgerichtliches Verfahren in Aussicht gestellt worden. Sie habe einen monatlichen Rentenverlust von ca. 300 Euro hinzunehmen und werde wahrscheinlich das Ende des Verfahrens nicht mehr erleben, dies sei ein unangemessener Schaden. Die Versagung der Rechte von Menschen mit Behinderung sei auch nicht nur durch eine privat initiierte Normenkontrolle zu verfolgen, sondern es müssten auch die zuständigen Behörden tätig werden. Es bestehe ein allgemeines öffentliches Interesse an der Lösung des Problems.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Frist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde wurde nicht eingehalten.
Nach § 47 Abs. 3 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) kann die Verfassungsbeschwerde, die sich gegen eine Rechtsvorschrift richtet, nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten der Rechtsvorschrift erhoben werden. Die Satzung der Ärzteversorgung Land Brandenburg ist nach deren § 39 zum 1. Januar 2009 in Kraft getreten. Die Beschwerdefrist war bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde am 11. November 2011 abgelaufen.
1. Die Satzung der Ärzteversorgung Land Brandenburg ist eine Rechtsvorschrift im Sinne von § 47 Abs. 3 VerfGGBbg. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen diese Vorschrift. Dass sie rügt, eine dem gesetzlichen Rentenversicherungsrecht (§§ 37 und 236a SGB VI) entsprechende Norm für den vorzeitigen abschlagsfreien Renteneintritt von Menschen mit Behinderungen fehle, ändert daran nichts. Für die Geltendmachung eines Unterlassens des Normgebers wäre die Jahresfrist zwar nicht anwendbar (vgl. BVerfGE 13, 184, 187; 56, 54, 71). Die Beschwerdeführerin macht aber ein solches Unterlassen, das eine gänzliche Untätigkeit des Gesetzgebers voraussetzt, nicht geltend. Sie sieht ihre Grundrechte vielmehr dadurch verletzt, dass die in der Satzung der Ärzteversorgung Land Brandenburg enthaltene Regelung zum Eintritt in die Altersrente, von der (auch) Menschen mit Schwerbehinderung erfasst würden, gleichheitswidrig sei. Der Normgeber war in Bezug auf den Renteneintritt schwerbehinderter Mitglieder nicht etwa untätig, er hat den Sachverhalt vielmehr – wenn auch nicht im Sinne der Beschwerdeführerin – geregelt. Ein Unterlassen ist darin nicht zu sehen (vgl. BVerfGE 13, 184, 187; 56, 54, 71).
2. Die Beschwerdefrist wurde auch nicht durch die Zweite Satzung zur Änderung der Satzung der Ärzteversorgung (bekannt gemacht im Brandenburgischen Ärzteblatt Ausgabe 12, 2010 S. 15), die zum 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, erneut in Lauf gesetzt. Eine bereits bestehende Vorschrift wird nicht dadurch erneut angreifbar, dass der Normgeber sie gelegentlich der Änderung anderer Bestimmungen erneut in seinen Willen aufgenommen hat. Die Änderung einer Rechtsnorm kann die Frist nur dann erneut in Lauf setzen, wenn diese Änderung eine neue Beschwer begründet (LVerfGE 9, 111, 115; BVerfGE 80, 137, 149). Mit der Zweiten Änderungssatzung wurde in § 10 Abs. 6 Satz 2 der Satzung die Aufteilung von Zurechnungszeiten bei der Berufsunfähigkeitsrente auf verschiedene Versorgungsträger geregelt und die Vorschriften zur Witwen-, Witwer- und Lebenspartnerschaftsrenten sowie zum Versorgungsausgleich neu gefasst. Die geltend gemachte Beschwer ist hierdurch nicht neu entstanden; auch deren Vertiefung wird nicht erkennbar.
3. Die Frist ist auch nicht aus anderen Gründen gewahrt.
Nach seinem Wortlaut stellt § 47 Abs. 3 VerfGGBbg für den Beginn der Jahresfrist allein auf den formellen Gesichtspunkt des Inkrafttretens der Rechtsvorschrift ab. Das gilt unabhängig davon, wann die materiell-rechtlichen Wirkungen der betreffenden Vorschrift eintreten, also wann die angegriffene Rechtsnorm allgemein zur Anwendung kommt oder für den einzelnen Beschwerdeführer eine Beschwer entfaltet. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, der Rechtssicherheit zu dienen (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 23, 153, 164; siehe auch Verfassungsgerichtshof Berlin: Beschluss vom 25. Januar 2001 – 89/00 -, zitiert nach juris).
Gegen diese Auslegung wird zwar eingewandt, dass der Beschwerdeführer keine Möglichkeit mehr habe, sich im Rahmen der Verfassungsbeschwerde direkt gegen die Rechtsnorm zu wenden, wenn seine Beschwer erst nach Ablauf eines Jahres nach deren Inkrafttreten entstehe. Hierdurch komme es zu einer Lücke in dem verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz, wenn die Beschwer unmittelbar aus der Rechtsnorm folgt und der Beschwerdeführer keine Möglichkeit hat, sich im Rahmen einer gegen den Vollzugsakt gerichteten Urteilsverfassungsbeschwerde an das Verfassungsgericht zu wenden (zum Bundesrecht vgl. Hömig, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Kommentar, Losebl. Stand: August 2010, § 93 Rdnr. 78 m. w. N.; Lechner/Zuck, BVerfGG, Kommentar, 6. Auflage 2011, § 93 Rdnr. 57 ff.; anders: Gusy, Die Verfassungsbeschwerde 1988, Rdnr. 210). Ob eine solche vom Wortlaut abweichende Anwendung im Einzelfall in Betracht kommen mag, kann hier aber offen bleiben. Denn auch dann hätte die Beschwerdeführerin nicht die Jahresfrist gewahrt. Sie ist seit 1992 Pflichtmitglied in der Versorgungseinrichtung der Landesärztekammer; seit dem Jahr 2003 besteht ein Grad der Behinderung von 70. Die für gesetzlich Versicherte geltende Vorschrift des § 37 SGB VI und die Übergangsregelungen in § 236a SGB VI, gegenüber denen sich die Beschwerdeführerin auf einen Gleichheitsverstoß beruft, sind seit dem 1. Januar 2008 unverändert. Die Beschwerdeführerin hat die Altersgrenze für den nach der Satzung frühestmöglichen Renteneintritt, der nach § 10 Abs. 6 letzter Satz der Satzung den Bezug von Berufsunfähigkeitsrente ausschließt, im Jahr 2009 erreicht. Von da an war ihr ein vorzeitiger Eintritt in die Altersrente unter Hinnahme von Abschlägen möglich. Der nunmehr mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht Gleichheitsverstoß und die Beschwer im Übrigen hätten damit spätestens zu diesem Zeitpunkt von der Beschwerdeführerin geltend gemacht werden können.
Außerdem steht der Beschwerdeführerin der Verwaltungsrechtsweg offen. Eine Feststellungsklage nach § 43 Verwaltungsgerichtsordnung wäre jedenfalls statthaft.
C.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Postier | Dr. Becker |
Dielitz | Dr. Fuchsloch |
Dr. Lammer | Möller |
Nitsche | Partikel |
Schmidt |