Toolbar-Menü
Hauptmenü

VerfGBbg, Beschluss vom 19. November 2010 - VfGBbg 26/10 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 2 Abs. 5 Satz 2; LV, Art. 6 Abs. 2 Satz 1; LV, Art. 10; LV, Art. 52 Abs. 3;
   LV, Art. 52 Abs. 4 Satz 1
Schlagworte: - Vollmacht
- Umfang
- Rechtsanwalt
- Gleichheitssatz
- Willkürverbot
- Rechtliches Gehör
- Faires Verfahren
- Rechtsstaatsprinzip
- Rechtswegverkürzung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 19. November 2010 - VfGBbg 26/10 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 26/10




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

   R.,

 

Beschwerdeführer,

 

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt T.,

 

 

gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Neuruppin vom 30. März 2009, 15. September 2009 und 8. April 2010 (Az.: 82.4 E OWi 22/08)

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Prof. Dawin, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Möller, Nitsche und Partikel

 

am 19. November 2010

 

b e s c h l o s s e n :

 

 

 

Die Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im Übrigen zurückgewiesen.

 

 

 

G r ü n d e:

 

                            A.

 

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verwerfung seines Einspruches gegen einen Bußgeldbescheid.

 

Nach einem Verkehrsunfall am 27. November 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. In diesem Zusammenhang erteilte er seinem Verfahrensbevollmäch­tigten eine formularmäßige Prozess­vollmacht folgenden Wortlauts:

 

                   “Vollmacht

 

Rechtsanwalt T.

 

wird hiermit in Sachen  R.  ./.

wegen  Ermitt­lungs­verfahren wg. fahrl. KV aus Verkehrsunfall v. 07.11.2007; Tgb.-Nr.: UST/ 1008696/2007

 

     Vollmacht erteilt

  1. zur Prozessführung…
  2. zur Antragstellung in Scheidungs- und Scheidungs­folgesachen…
  3. zur Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen (§§ 302, 374 StPO) einschließlich der Vorverfahren...
  4. …”

 

Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde am 8. Januar 2008 gem. § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt.

 

Am 5. Februar 2008 ging dem Verfahrensbevollmächtigten ein gegen den Beschwerdeführer gerichteter Bußgeldbescheid zu. Nachdem der Beschwerdeführer persönlich erst später Kenntnis von dem Bescheid erhalten und daraufhin am 14. August 2008 ausdrücklich Vollmacht für das Bußgeldverfahren erteilt hatte, legte sein Verfahrensbevollmächtigter am 27. August 2008 Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein. Zur Begründung führt er an, es fehle an einer wirksamen Zustellung des Bußgeldbescheides, weil er, der Verfahrensbevollmächtigte, im Februar 2008 mangels Mandatierung für das Bußgeldverfahren nicht zustellungsbevollmächtigt gewesen sei. Der Einspruch wurde von der Zentralen Bußgeldstelle des Landes Brandenburg mit der Begründung verworfen, dass die Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verfahrensbevollmächtigten am 5. Februar 2008 aufgrund der im Strafverfahren eingereichten Vollmacht wirksam sei. Der an das Amtsgericht Neuruppin gerichtete Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung wurde mit Beschluss vom 30. März 2009 mit den gleichen Argumenten zurückgewiesen, Gegenvorstellung und Gehörsrüge, die das Amtsgericht mit den Beschlüssen vom 15. September 2009 bzw. 8. April 2010 beschied, blieben ohne Erfolg. 

 

Mit seiner Verfassungsbeschwerde, die am 10. Juni 2010 bei dem Verfassungsgericht eingegangen ist, rügt der Beschwer­de­­führer eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 12 Abs. 1 Landesverfassung [LV]; Art. 2 Abs. 5 LV i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) sowie des Willkürverbots (Art. 12 Abs. 1 LV), des Grundsatzes des fairen Verfahrens sowie des Anspruches auf das rechtliche Gehör (Art. 52 Abs. 3, 4 LV; Art. 2 Abs. 5 LV i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG), eine  Ver­letzung des Rechtsstaats­prinzips (Art. 2 Abs. 1 LV, Art. 2 Abs. 5 i.V.m. Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 GG) sowie eine unzulässige Verkürzung des Rechtswegs (Art. 2 Abs. 5 LV i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Er hält die Wertung des Amts­gerichts, die in Strafsachen erteilte Vollmacht umfasse auch das Bußgeldverfahren, unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bran­denburgischen Ober­landes­­gerichts vom 4. Dezember 2008 (Az.: 2 Ss [Owi] 121 Z/08) für sachlich und rechtlich unvertretbar und – da sich das Amtsgericht nicht mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts auseinandersetze - für willkürlich. Der Beschluss verstoße als krasse Fehlentscheidung gegen den Gleich­heits­satz, wende das Recht in unverständlicher Weise an und sei deshalb mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Zudem sei sein Anspruch auf ein faires Verfah­ren verletzt, weil das Amtsgericht sein Vorbringen weder zur Kenntnis genommen noch rechtlich gewürdigt habe. Damit werde ihm das Recht abge­schnit­ten, auf das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Gleichzeitig sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör berührt, da das Amtsgericht lediglich die Argumente der Bußgeldstelle wiederhole, ohne sich mit seinen Sachargumenten ausein­ander zu setzen. Die Gehörsrüge sei zudem fälschlich als Antrag auf Zulassung einer gerichtlich ausgeschlos­senen weiteren Beschwerde gewertet worden.

 

 

                        B.  

 

Die Verfassungsbeschwerde ist teils als unzulässig zu verwerfen, teils als unbegründet zurückzuweisen.

 

I. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung grundgesetzlich geschützter Rechtspositionen rügt. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 LV eröffnet die Verfassungsbeschwerde ausschließlich gegen behauptete Ver­letzungen der in der Verfassung des Landes Brandenburg gewährleisteten Grundrechte.

 

Sie ist darüber hinaus unzulässig, soweit sie isoliert auf eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 2 Abs. 5 Satz 2 LV) gestützt wird. Als Staatszielbestimmung begründet dieses keine subjektiv-öffentlichen Rechte des Bürgers (Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, Kommentar, Stand: 2. Lfg. Februar 2008, Art. 2 Ziff. 1) und ist deshalb im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht rügefähig (Beschluss vom 28. September 2006 – VfGBbg 19/06 – www.verfassungsgericht.­bran­­denburg.de).

 

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren rügt, fehlt es an seiner Beschwerdebefugnis. Die angegriffenen Beschlüsse lassen die Möglichkeit eines Verstoßes gegen dieses in Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV garantierte Recht nicht erkennen. Soweit jemand in Gerichtsverfahren einen Anspruch des Inhalts geltend macht, vor einer seine Rechte berührenden Entscheidung zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und die Entscheidung nehmen zu können, ist Rechtsgrundlage das in Art. 52 Abs. 3 LV geschützte Recht auf rechtliches Gehör, nicht das Recht auf ein faires Verfahren.

 

 

II. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

 

1. Ein Verstoß gegen das aus Art. 52 Abs. 3 LV, dem gerichtlichen Gleichheitssatz, abgeleitete Willkürverbot liegt nicht vor. Willkürlich ist ein Richterspruch nicht bereits, wenn die Rechtsanwendung fehlerhaft ist, sondern erst dann, wenn er unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und sich deshalb der Verdacht aufrängt, er beruhe auf sachfremden Erwägungen (Beschluss vom 15. Oktober 2009 – VfGBbg 8/09 - www.verfassungsgericht.­bran­den­burg.­­­de). Denn es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts, Gerichtsentscheidungen nach Art eines Rechtsmittelgerichts zu überprüfen. Das Amtsgericht Neuruppin ist nicht in diesem Sinne willkürlich von dem Beschluss des Brandenburgischen Ober­landes­gerichts vom 4. Dezember 2008 – 2 Ss (OWi) 121 Z/08 – VRS 117, 106 (2009) abgewichen. Es hat in seiner Entscheidung die vom Beschwerdeführer unterschriebene Vollmacht ausgelegt und dabei eine möglicherweise einschränkende Bedeutung des Begriffs „Ermittlungsverfahren“ erörtert. Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht aus sachfremden Erwägungen gehandelt und damit den ihm zustehenden Auslegungs- und Bewertungsspielraum in nicht nachvollziehbaren Weise überschritten hat, bestehen nicht.

 

2. Auch ein Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör liegt nicht vor. Nach Art. 52 Abs. 3 LV sind die Gerichte verpflichtet, den Vortrag der Beteiligen zur Kenntnis zunehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte brauchen jedoch nicht jedes Vorbringen der Beteiligen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden, denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sie den Vortrag der Parteien hinlänglich berücksichtigen (Beschluss vom 15. Januar 2009 – VfGBbg 52/07 - www.­verfas­sungsgericht.­bran­den­burg.­de). Der Anspruch auf Gewährung recht­lichen Gehörs ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall  aufgrund besonderer Umstände klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht zur Kenntnisnahme und zur Erwägung des Vorgetragenen nicht nachgekommen ist (Beschluss vom 10. Mai 2007 – VfGBbg 8/07 - www.­verfassungsgericht.­bran­den­burg.­de). Dies ist nicht der Fall. Denn das Amtsgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 30. März 2009 mit den in dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 3. September 2008 vorgetragenen Argumenten auseinandergesetzt. Dass es dabei der Rechtsansicht des Beschwerdeführers nicht gefolgt ist, stellt keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör dar (vgl. Beschluss vom 18. Juni 2009 – VfGBbg 41/08 – www.­verfas­sungsgericht.­branden­burg.de).

 

Ein Eingriff in das Grundrecht auf rechtliches Gehör ist auch nicht darin begründet, dass das Amtsgericht sich im Rahmen der Entscheidung über die Gegenvorstellung nicht ausdrücklich mit der von dem Beschwerdeführer angeführten Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 2. Dezember 2008 befasst hat. Denn die dort angeführten Argumente hatte der Beschwerdeführer bereits im Wesentlichen mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorgetragen und waren damit Gegenstand des Beschlusses vom 30. März 2009. Im Übrigen bedarf die Entscheidung über eine Gegenvorstellung bereits grundsätzlich keiner Begründung (vgl. dazu Wölfl, Strafverteidigerforum 2003, 222, 227), das Grundrecht auf rechtliches Gehör vermittelt keinen Anspruch auf eine mit Gründen versehene letztinstanzliche Entscheidung (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 104, 1, 7f.). Aus den gleichen Gründen liegt auch in der Zurückweisung der Gehörsrüge keine Verletzung rechtlichen Gehörs.

 

3. Das Amtsgericht hat den Rechtsweg nicht unzulässig verkürzt und dadurch gegen das durch Art. 10 LV in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip garantierte Recht auf effektiven Rechtsschutz verstoßen. Das Gebot effektiven Rechtschutzes beeinflusst die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind. Entsprechend darf der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. für das Bundesrecht: BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2010 – 1 BvR 2643/07 -, FamRZ 2010, 1235). Dass das Amtsgericht den Umfang der von dem Beschwerdeführer unterschriebenen Vollmacht in unvertretbarer Weise ausgelegt, den Einspruch zu Unrecht verworfen und damit eine inhaltliche Überprüfung des Bußgeldbescheides in nicht zu rechtfertigender Weise verhindert hätte, ist nach dem Vorgesagten nicht erkennbar. Auch soweit sich das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 08. April 2010 auf die Überprüfung eines etwaigen Verstoßes gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehörs beschränkt hat, ist eine verfassungswidrige Verkürzung des Rechtswegs nicht zu erkennen. Im Anhörungsrügeverfahren kommt ein Abänderung der angegriffenen Entscheidung nur in Betracht, wenn der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden ist; davon ist aus den vorgenannten Gründen nicht auszugehen.

 

 

C.

 

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

 

 

     Postier                 Prof. Dawin

 

 

     Dielitz                 Dr. Fuchsloch

 

 

     Möller                  Nitsche

 

 

     Partikel