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VerfGBbg, Beschluss vom 19. Juni 2013 - VfGBbg 23/13 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 21 Abs. 1; VerfGGBbg, § 20 Abs. 1; VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2
- VwGO, § 124 Abs. 2 Nr. 1
Schlagworte: - Subsidiarität
- Berufungszulassung
- Zwischenentscheidung
- Willkürverbot

Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 19. Juni 2013 - VfGBbg 23/13 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 23/13




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

     D.,

    

       

Beschwerdeführerin,

 

 

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt D.,

                          

 

wegen des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Februar 2013 (Az.: OVG 12 N 76.12)

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt

 

 

am 19. Juni 2013

 

b e s c h l o s s e n :

 

    Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

 

G r ü n d e :

 

A.

I.

Die Beschwerdeführerin erhielt im November 2006 ihre ärztliche Approbation. Am 1. April 2007 nahm sie eine Tätigkeit als Assistenzärztin an einem Krankenhaus in der Stadt S. auf, seit dem 1. September 2009 arbeitet sie in einem Krankenhaus in B. Unter dem 13. Mai 2007 gab die Beschwerdeführerin in einem Erhebungsbogen der Ärzteversorgung Land Brandenburg an, mit Wirkung ab Januar 2007 von der Angestelltenversicherungspflicht zu Gunsten der Ärzteversorgung Berlin befreit zu sein.

 

Der frühere Arbeitgeber der Beschwerdeführerin führte für den Zeitraum 1. April 2007 bis 31. August 2009 Versorgungsbeiträge in Höhe von 21.963,20 Euro an die Ärzteversorgung Land Brandenburg ab. Nach dem Arbeitgeberwechsel stellte sich heraus, dass die Beschwerdeführerin keinen Befreiungsantrag von der gesetzlichen Rentenversicherung gestellt hatte. Die Ärzteversorgung Land Brandenburg zahlte daraufhin die geleisteten Versorgungsbeiträge an den früheren Arbeitgeber der Beschwerdeführerin mit der Bitte zurück, die Beiträge an die Deutsche Rentenversicherung Bund abzuführen. Mit Bescheid vom 19. November 2009 setzte die Ärzteversorgung Land Brandenburg gegenüber der Beschwerdeführerin zudem eine Versorgungsabgabe in Höhe von 3/10 des im vorgenannten Zeitraum maßgeblichen Pflichtversicherungsbeitrags fest, insgesamt 6.588,96 Euro.

 

Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid Klage beim Verwaltungsgericht Cottbus, das mit Urteil vom 16. August 2012 den angefochtenen Beitragsbescheid aufhob. Der für den streitgegenständlichen Zeitraum gemäß der Satzung der Ärzteversorgung Land Brandenburg entstandene Anspruch auf Zahlung einer Versorgungsabgabe in Höhe von 3/10 des maßgeblichen Pflichtversicherungsbeitrags sei durch Erfüllung erloschen. Der frühere Arbeitgeber habe die Beiträge mit Wirkung für die Beschwerdeführerin an die Versorgungsanstalt geleistet. Die Erfüllungswirkung sei unabhängig von der Höhe des zu leistenden Beitrags eingetreten. Nach § 362 Bürgerliches Gesetzbuch sei zur Erfüllung einer Verbindlichkeit grundsätzlich nur erforderlich, dass die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt werde. Dazu reiche es aus, dass die bewirkte Leistung die allein geschuldete sei und daneben keine andere, gleichartige Schuld bestehe. Die Rückzahlung des geleisteten Betrages an den früheren Arbeitgeber der Beschwerdeführerin habe die forderungstilgende Erfüllungswirkung auch nicht rückwirkend entfallen lassen.

 

Gegen dieses Urteil beantragte der Vorsitzende des Verwaltungsausschusses der Ärzteversorgung Land Brandenburg als Beklagter des Ausgangsverfahrens die Zulassung der Berufung. Zur Begründung machte er u. a. geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Die Entscheidung bewirke im Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin aufgrund falscher Angaben einen Vermögensvorteil in Höhe von rund 21.500 Euro erlangt habe. Die Prämisse des Verwaltungsgerichts, der frühere Arbeitgeber der Beschwerdeführerin habe für diese die Beiträge gezahlt, berücksichtige nicht den Umstand, dass die Zahlungen auf einer falschen Information beruhten. Der Arbeitgeber habe mit den geleisteten Zahlungen der gesetzlichen Pflicht zur Abführung der Rentenversicherungsbeiträge nachkommen wollen. Da die Klägerin unzutreffend behauptet habe, von der Rentenversicherungspflicht befreit zu sein, habe der Arbeitgeber an die Ärzteversorgung Land Brandenburg gezahlt. Diese Zahlungen seien – wie sich nunmehr herausgestellt habe – ohne Rechtsgrund erfolgt. Sie  hätten nach Bereicherungsrecht rückabgewickelt werden müssen. Der Arbeitgeber hätte vorliegend nicht an die Ärzteversorgung Land Brandenburg leisten dürfen, er sei vielmehr gesetzlich verpflichtet gewesen, die Beiträge an die Deutsche Rentenversicherung abzuführen.

 

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ließ mit Beschluss vom 25. Februar 2013 die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu, nachdem die Beschwerdeführerin zum Zulassungsantrag Stellung genommen hatte. Die angegriffene Entscheidung begegne aus den vom Beklagten dargelegten Gründen ernstlichen Zweifeln an ihrer Richtigkeit.

 

II.

Hiergegen richtet sich die am 22. April 2013 erhobene Verfassungsbeschwerde, mit der die Verletzung der Art. 52 Abs. 3 und 41 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) gerügt wird. Der angegriffene Beschluss sei willkürlich. Nach dem Willen des Gesetzgebers diene der Zulassungsgrund „ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils“ dazu, die Einzelfallgerechtigkeit zu verwirklichen und grob ungerechte Entscheidungen korrigieren zu können. Diesen vom Gesetzgeber vorgegebenen Maßstab habe das Oberverwaltungsgericht nicht beachtet. Es sei pauschal und einseitig dem Vorbringen im Zulassungsantrag gefolgt, obwohl dessen Begründung den in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts aufgestellten Darlegungsanforderungen nicht entspreche. Der Zulassungsantrag habe weder einen tragenden Rechtssatz aufgezeigt noch diesem hinreichend schlüssige Argumente entgegengestellt. Der Appell eines Hoheitsträgers an das Gerechtigkeitsempfinden könne noch keine ernsthaften rechtlichen Zweifel begründen. Zugleich stelle sich der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts als unverhältnismäßiger Eingriff in das Eigentum der Beschwerdeführerin dar, da er den vom Verwaltungsgericht gewährten Vollstreckungsschutz in Frage stelle.

 

B.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.

 

Soweit die Beschwerdeführerin sich auf Art. 41 LV (Eigentum) beruft, genügt die Verfassungsbeschwerde schon nicht dem Begründungserfordernis nach § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46       VerfGGBbg. Eine mögliche Verletzung dieses Grundrechts durch den angegriffenen Beschluss ist weder dargelegt worden noch sonst ansatzweise ersichtlich.

 

Darüber hinaus steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität (§ 45 Abs. 2    VerfGGBbg) entgegen. Gegenstand des Berufungszulassungsverfahrens ist allein die Überwindung der Zulassungsschranke, die Zulassungsentscheidung entfaltet auch nur insoweit Bindungswirkung für das Berufungsverfahren (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO Kommentar, 3. Auflage, § 124a Rn. 304). Bei der Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht handelt es sich mithin um eine der Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache vorausgehende Zwischenentscheidung. Verfassungsbeschwerden gegen derartige Zwischenentscheidungen sind grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten nur in Fällen, in denen bereits die Zwischenentscheidung einen bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen zur Folge hat, der sich später gar nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben lässt. Das ist namentlich dann der Fall, wenn in einem selbständigen Zwischenverfahren über eine für das weitere Verfahren wesentliche Rechtsfrage eine abschließende Entscheidung fällt, die später im weiteren Verfahren keiner Nachprüfung mehr unterliegt (st. Rspr., vgl. etwa Beschluss vom 20. Mai 2010 – VfGBbg 1/10 -, www.verfassungs-gericht.brandenburg.de; zum Bundesrecht vgl. BVerfGE 101, 106, 120, m. w. N.).

 

An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die Berufungszulassung hat konstitutive Bedeutung nur, soweit sie die Zugangsschranke zum Berufungsverfahren aufhebt. In diesem prüft das Oberverwaltungsgericht den Rechtsstreit unter allen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten. Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen worden ist, sind hierfür ohne Bedeutung (vgl. Seibert, a. a. O., Rn. 301). Die (vorläufige) Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen, hat damit keine präjudizielle Wirkung für das Berufungsverfahren. Die Beschwerdeführerin wird in diesem umfassend Gelegenheit haben, aus ihrer Sicht zur Sach- und Rechtslage vorzutragen. Auch sonst ist ein dringendes schutzwürdiges Interesse der Beschwerdeführerin daran, bereits die Zulassungsentscheidung zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde machen zu können, nicht zu erkennen. Das Institut der Zulassungsberufung dient nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung allein der Entlastung der Berufungsgerichte und damit öffentlichen Interessen; demgegenüber dient es nicht dem Interesse der im ersten Rechtszug siegreichen Prozesspartei, dass die zu ihren Gunsten ergangene Gerichtsentscheidung nicht von einem Rechtsmittelgericht überprüft und ggf. aufgehoben wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 1988 – 9 CB 19.88 -, NVwZ 1989, 249; VGH Mannheim, Beschluss vom 18. November 1999 – A 14 S 237/99 -, NVwZ 2000, 335).

 

Der Vollständigkeit halber ist schließlich darauf hinzuweisen, dass für die von der Beschwerdeführerin behauptete Willkürlichkeit der Zulassungsentscheidung nichts ersichtlich ist. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO soll die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall gewährleisten. Die Vorschrift eröffnet demgemäß den Zugang zur Berufungsinstanz in den Fällen, in denen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung bei summarischer Prüfung mithin möglich erscheint (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 – 7 AV 4.03 -, DVBl 2004, 838). Ernstliche Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen deshalb schon dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden; ein „vollständiger Begründungskontext“ darf dem Rechtsmittelführer dabei nicht abverlangt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163). Ausgehend von diesen Maßgaben ist hier verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Darlegungen im Zulassungsantrag die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen hat. Der Beklagte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist in seinem Antrag auf Zulassung der Berufung einer Erfüllungswirkung der vom Arbeitgeber geleisteten Zahlungen und damit entscheidungstragenden Gründen des angefochtenen Urteils substantiiert entgegengetreten.

II.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dresen
   
Dr. Lammer Dr. Nitsche
   
Partikel Schmidt