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VerfGBbg, Beschluss vom 19. Februar 2009 - VfGBbg 7/09 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 4 Satz 1
- StVollzG, § 114 Abs. 2
Schlagworte: - Strafvollzug
- Untätigkeit
- zügiges Verfahren
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 19. Februar 2009 - VfGBbg 7/09 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 7/09



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

S.,

Beschwerdeführer,

wegen Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Prof. Dawin, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Havemann, Dr. Jegutidse, Möller, Schmidt und Dr. Schöneburg

am 19. Februar 2009

b e s c h l o s s e n :

Die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 52 Abs. 4 Satz 1 der Brandenburgischen Landesverfassung werden dadurch verletzt, dass das Landgericht Potsdam noch nicht über den Antrag des Beschwerdeführers vom 29. Juli 2008 entschieden hat.
Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren notwendigen Auslagen zu erstatten.

G r ü n d e :

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer.

I.

Der Beschwerdeführer verbüßt eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel.

Am 29. Juli 2008 widerrief der Vollzugsabteilungsleiter die Gewährung von Vollzugslockerungen mit der Folge, dass der Beschwerdeführer aus dem offenen in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt wurde. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Beschwerdeführer mit einem „Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung i. S. v. § 114 StVollzG“ vom selben Tag. Darin beantragte der Beschwerdeführer unter anderem die sofortige Rückverlegung in den offenen Vollzug und begründete dies näher. Die Justizvollzugsanstalt nahm mit Schriftsatz vom 12. August 2008 zu dem Antrag Stellung.

Mit Schreiben vom 31. Oktober 2008 verwies der Beschwerdeführer darauf, dass er sich bereits vor über drei Monaten an die Strafvollstreckungskammer gewandt habe und bat um Bescheidung. Laut Aktenvermerk erörterte die zuständige Richterin in einer telefonischen Rücksprache mit dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers am 11. November 2008 die „Bearbeitungslage“ in der Kammer. Es seien noch unbearbeitete Verfahren in Vollzugssachen aus dem Jahr 2007 anhängig. Diesen gebühre der Vorrang.

II.

Mit seiner am 13. Januar 2009 bei Gericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der im verfassungsgerichtlichen Verfahren anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer insbesondere die Verletzung des Rechts auf ein faires und zügiges Verfahren gemäß Art. 52 Abs. 4 der Landesverfassung (LV) durch die Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer.

Das Landgericht Potsdam hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten und mitgeteilt, dass es von einer solchen absieht.

Die Verfahrensakten sind beigezogen worden.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 30 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) bezeichnet hat. Damit wollte er nur die besondere Eilbedürftigkeit unterstreichen. Der Beschwerdeführer ist auch beschwerdebefugt, § 45 Abs. 1 VerfGGBbg. Die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten der Landesverfassung ist dem Vorbringen nach nicht ausgeschlossen.

2. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht der Gesichtspunkt der mangelnden Rechtswegerschöpfung, § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg, entgegen. Die Verfassungsbeschwerde ist auch ohne vorherige Erhebung einer Untätigkeitsbeschwerde zulässig. Da die gesetzlich bislang nicht geregelte Untätigkeitsbeschwerde dem in der Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 (BVerfGE 107, 395) besonders hervorgehobenen Gebot der Rechtsmittelklarheit nicht genügt, war der Beschwerdeführer nicht gehalten, gegen die Untätigkeit des Gerichts zuvor mit einer Untätigkeitsbeschwerde vorzugehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, 503 f., m. w. N.).

3. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht ferner nicht entgegen, dass mit ihr die Verletzung von Landesgrundrechten im Rahmen eines bundesrechtlich - durch das StVollzG - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 96, 345, 372), der sich das erkennende Gericht angeschlossen hat (Beschluss vom 16. Juli 2005 - VfGBbg 282/03 -, LVerfGE 16, 149, 153 f.; vgl. auch Beschluss vom 16. April 1998 – VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 f.), aufgestellten Voraussetzungen sind hier gegeben. Die behauptete Beschwer des Beschwerdeführers beruht auf der Entscheidung bzw. der Untätigkeit eines Gerichts des Landes Brandenburg; ein Bundesgericht war nicht befasst. Das der Sache nach als verletzt gerügte Landesgrundrecht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 52 Abs. 4 LV ist inhaltsgleich mit dem entsprechenden aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Grundrecht des Grundgesetzes. Seine Anwendung führt für den vorliegenden Fall zu demselben Ergebnis.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.

1. Die Behandlung des Antrags auf Rückverlegung in den offenen Vollzug durch die Strafvollstreckungskammer verfehlt die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes bei belastenden Maßnahmen im Strafvollzug.

Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV konkretisiert den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes zu einem Grundrecht auf ein zügiges Verfahren vor Gericht (vgl. etwa Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 16. März 2006 - VfGBbg 62/05 – m. w. N.). Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung ergeben sich Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen über den Eilrechtsschutz. Es muss gewährleistet sein, dass der Rechtsschutz sich auch im Eilverfahren nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpft, sondern zu einer wirksamen Kontrolle in angemessener Zeit führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 2003 - 2 BvR 1724/02 -, BVerfGK 1, 201, 204 f.).

Diesen Anforderungen genügt die Verfahrensweise der Strafvollstreckungskammer nicht. Die Kammer kann den Antrag des Beschwerdeführers nicht mit der Begründung unbearbeitet lassen, es seien in der Kammer noch unbearbeitete Verfahren aus dem Jahr 2007 anhängig, denen der Vorrang gebühre.

Dem Gericht steht für die Bearbeitung anhängiger Verfahren grundsätzlich ein Ermessensspielraum zu. Sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, muss das Gericht hierfür zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festlegen (vgl. BVerfGE 55, 349, 369). Dabei darf das Gebot eines wirkungsvollen Rechtsschutzes allerdings nicht unterlaufen werden. Dies wäre regelmäßig der Fall, wenn sämtliche Anträge im Rechtsbehelfsverfahren unterschiedslos in der Reihenfolge des Eingangs bearbeitet würden. Bereits aus der Systematik des Strafvollzugsgesetzes ergibt sich, dass Anträge nach § 114 Abs. 2 StVollzG angesichts der Gefahr der Rechtsvereitelung, der mit dieser Vorschrift begegnet werden soll, gegenüber einfachen Anträgen auf gerichtliche Entscheidung besonders eilbedürftig sind. § 114 Abs. 2 StVollzG gibt dem Strafgefangenen die Möglichkeit, eine irreparable Rechtsverletzung zu verhindern, sofern nicht ein höher zu bewertendes Interesse am sofortigen Vollzug besteht. Während Anträgen auf gerichtliche Entscheidung keine aufschiebende Wirkung zukommt, soll ein Strafgefangener durch einen Antrag an das Gericht nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG die Aussetzung der Vollstreckung einer ihn belastenden Vollzugsmaßnahmen erwirken können. Dies erfordert eine besonders zeitnahe Entscheidung des Gerichts. Bei nicht mehr rückgängig zu machenden, sofort vollziehbaren Disziplinarmaßnahmen oder sonstigen gewichtigen Eingriffen wird das Gericht unverzüglich eine Entscheidung darüber zu treffen haben, ob die Maßnahme auszusetzen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 21. August 2001 – 2 BvR 406/00 – NJW 2001, 3770 f. und vom 27. Mai 2006 - 2 BvR 1675/05 - BVerfGK 8, 118, 122 f.).

Etwas anderes mag gelten, wenn der Antrag rechtsmissbräuchlich gestellt wurde oder die Gefahr einer Rechtsvereitelung offensichtlich nicht besteht. Im Fall des Beschwerdeführers ist dafür nichts ersichtlich. Die Zurückverlegung in den geschlossenen Vollzug ist eine Maßnahmen von erheblicher Grundrechtsintensität. Eine Verfahrensdauer von fast sieben Monaten, ohne dass dem Antragsteller eine baldige Sachentscheidung seitens des Landgerichts auch nur in Aussicht gestellt wird, genügt den Anforderungen des Art. 52 Abs. 4 LV offenkundig nicht.

Ob der Antrag nach § 114 StVollzG im Einzelnen zulässig und begründet ist, ist eine Frage des sogenannten einfachen Recht, dessen Auslegung und Anwendung den Fachgerichten obliegt (zu den Anforderungen an eine sachdienlichen Auslegung des Sachvortrags eines Beteiligten im Rechtsbehelfsverfahren vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. August 1992 - 2 BvR 89/92 -, NJW 1993, 1380 f.).

2. Da eine Entscheidung des Landgerichts Potsdam noch nicht ergangen ist, muss sich das Landesverfassungsgericht auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit gemäß § 50 Abs. 2 VerfGGBbg beschränken. Das Landgericht ist nunmehr unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen gehalten, über das Begehren des Beschwerdeführers umgehend zu entscheiden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.
 

Prof. Dawin Dielitz
     

Dr. Fuchsloch

Havemann
 
Dr. Jegutidse Möller
   
Schmidt Dr. Schöneburg