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VerfGBbg, Beschluss vom 19. Januar 2006 - VfGBbg 170/03 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 1
Schlagworte: - kommunale Selbstverwaltung
- Gemeindegebietsreform
- Verhältnismäßigkeit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 19. Januar 2006 - VfGBbg 170/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 170/03



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

Gemeinde Brädikow,
vertreten durch das Amt Friesack,
dieses vertreten durch den Amtsdirektor,
Marktstraße 22,
14662 Friesack,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin M.,

wegen: kommunale Neugliederung;
hier: Eingliederung der Gemeinde Brädikow (Amt Friesack) in die neugebildete Gemeinde Jahnberge

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dawin, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel und Prof. Dr. Will

am 19. Januar 2006

b e s c h l o s s e n :

Die Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im übrigen zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die Beschwerdeführerin, eine bislang dem Amt Friesack angehörende Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Eingliederung in die neugebildete amtsangehörige Gemeinde Jahnberge.

I.

1. Die Beschwerdeführerin, eine Gemeinde im äußeren Entwicklungsraum des Landes Brandenburg im Landkreis Havelland, gehörte zum nach dem sogenannten Modell 1 gebildeten Amt Friesack mit Sitz der Amtsverwaltung in der gleichnamigen Stadt. Das Amt mit im Jahr 2001 insgesamt ca. 6.330 Einwohnern bestand ursprünglich aus der Stadt Friesack (knapp 2.430 Einwohner) sowie zehn Gemeinden. Acht dieser Gemeinden - darunter die Beschwerdeführerin mit ca. 340 Einwohnern und die entlang einer in Süd-Nord-Richtung nach Friesack verlaufenden Landesstraße drei bzw. fünf Kilometer nördlich gelegenen Gemeinden Warsow und Vietznitz mit 240 bzw. ca. 250 Einwohnern - hatten weniger als 500 Einwohner. Die Beschwerdeführerin grenzte im Westen und Süden an die demselben Amt angehörenden Gemeinden Mühlenberge und Paulinenaue, im Westen auch an die Stadt Friesack. Die Gemarkung der Beschwerdeführerin erstreckte sich im Osten bis an die Grenze zum Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Zum 31. Dezember 2002 schlossen sich drei kleine Gemeinden vertraglich zu der neuen amtsangehörigen Gemeinde Mühlenberge zusammen, zwei andere gliederten sich in die Stadt Friesack ein. Die Beschwerdeführerin und die Gemeinden Warsow und Vietznitz hatten in der ersten Jahreshälfte 2001 einen Zusammenschluß angestrebt, aber später die Verhandlungen im Hinblick auf die Kosten des künftigen Ausbaus von Bahnübergängen abgebrochen und wollten im Amt eigenständig bleiben. Das Amtsgebiet und insbesondere der Bereich der Beschwerdeführerin sowie der Gemeinden Warsow und Vietznitz ist ländlich und durch Schutzgebiete (u.a. Trappenschongebiet) geprägt („Ländchen Friesack“).

2. Ende April/Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Innern Anhörungsunterlagen (Referentenentwurf) für eine Anhörung der Beschwerdeführerin zu der beabsichtigten kommunalen Neugliederung und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Gleichfalls im Frühsommer 2002 wurden die Unterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Havelland versandt. Für die Anhörung der Bürger stand ein Monat zur Verfügung.

3. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. § 2 des Entwurfes zum Vierten Gesetz zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Havelland, Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming (4. GemGebRefGBbg) sah u.a. die Eingliederung der Beschwerdeführerin sowie der Gemeinden Vietznitz und Warsow in die neugebildete Gemeinde Jahnberge vor. Zur Anhörung der Beschwerdeführerin vor dem Innenausschuß am 07. November 2002 wurde deren ehrenamtliche Bürgermeisterin geladen, die vornehmlich Anhörungsmängel rügte. Das Gesetz wurde im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. § 2 des 4. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl I S. 73), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. § 37 Satz 1 des 4. GemGebRefGBbg), lautet:
 

§ 2
Verwaltungseinheiten Amt Friesack und Gemeinden Retzow und Selbelang des Amtes Nauen-Land

(1) Aus den Gemeinden Brädikow, Vietznitz und Warsow wird die neue Gemeinde Jahnberge gebildet.

(2) Die Gemeinde Selbelang wird in die dem Amt Friesack angehörende Gemeinde Paulinenaue eingegliedert.

(3) Die Gemeinde Retzow wird dem Amt Friesack zugeordnet.
 

II.

Die Beschwerdeführerin hat am 11. Juni 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, ihre Eingliederung in die neue Gemeinde Jahnberge sei schon deshalb verfassungswidrig, weil weder die Bevölkerung des unmittelbar betroffenen Gebietes noch sie selbst (als Gemeinde) ordnungsgemäß angehört worden seien. Die Anhörungsfehler seien „absolute Nichtigkeitsgründe“. Auf Fragen der Kausalität komme es nicht an. Daß sich von 302 Gemeinden, die der Gesetzgeber aufzulösen versucht habe, 250 mit kommunalen Verfassungsbeschwerden dagegen zu Wehr setzten, sei bereits „ernstes Indiz für die verfassungswidrige Gewalt der gesetzlichen Regelung“. Es fehle an dem Nachweis, daß die Beschwerdeführerin ungeeignet sei, den Anforderungen moderner Selbstverwaltung zu entsprechen. Der Abwägungsvorgang sei fehlerhaft, was u.a. auf Ermittlungsdefiziten beruhe.

Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:

§  2 des Vierten Gemeindegebietsreformgesetzes Brandenburg verletzt die Beschwerdeführerin in ihren verfassungsmäßigen Rechten und ist deshalb nichtig.

III.

Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Gemeinde Jahnberge hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

B.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

I.

 Sie ist in begrenztem Umfang zulässig.

1. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist insofern unzulässig, als sie sich auch gegen die Eingliederung der Gemeinden Vietznitz und Warsow in die neugebildete Gemeinde Jahnberge sowie der Gemeinde Selbelang nach Paulinenaue und die Zuordnung der Gemeinde Retzow zum Amt Friesack richtet. Die Beschwerdeführerin ist insoweit nicht beschwerdebefugt. Gesichtspunkte für eine Beschwer sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

2.   Im übrigen ist die kommunale Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Auflösung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als fortbestehend.
 

II.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich aber als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt.

1. Die Anhörungserfordernisse nach der Landesverfassung sind eingehalten worden. Im Hinblick auf die insoweit von der Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin in einer Vielzahl von Verfahren kommunaler Verfassungsbeschwerden im wesentlichen gleichlautend vorgebrachten Einwände wird auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg (vgl. u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, LVerfGE 14, 203) Bezug genommen. Auch die von der Beschwerdeführerin in Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung vorgebrachten Einwände im Schriftsatz vom 24. Februar 2004 geben keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 24. Juni 2004 - VfGBbg 162/03 -, zuletzt ausführlich: Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 118/03 -).

Zu ergänzen bleibt lediglich, daß die Anhörung der Bevölkerung hier auch nicht deshalb obsolet geworden ist, weil es danach zu einer Änderung des Gesetzentwurfes insofern gekommen ist, als sich durch eine Veränderung des Kreises der einzugemeindenden Gemeinden der vorgesehene Zuschnitt des Amtes Friesack verändert hat. Eine erneute Anhörung ist nur geboten, wenn es zu einer wesentlichen Änderung kommt (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003, a.a.O.; BVerfGE 50, 195, 203). Das war hier nicht der Fall. Die nachträglichen Veränderungen an dem Gesetzentwurf sind sowohl aus der Sicht der Beschwerdeführerin, die ihrerseits von Anfang an in die neue Gemeinde Jahnberge eingegliedert werden sollte, als auch bei Betrachtung der neugegliederten Region unbedeutend. Daß aus dem benachbarten Bereich Nauen die Gemeinde Retzow mit 600 Einwohnern dem Amt Friesack zugeordnet und die Gemeinde Selbelang mit ca. 320 Einwohnern in die amtsangehörige Gemeinde Paulinenaue eingegliedert werden, erhöht die Zahl der von der Neugliederung betroffenen Einwohner im Amtsgebiet nur relativ geringfügig. Auch die Ausdehnung und das Entwicklungspotential des Amtes veränderten sich nicht nennenswert (vgl. insbesondere zum Amt Nauen: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 18. Dezember 2003, a.a.O.).

2. Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neue Gemeinde Jahnberge bleibt auch in der Sache selbst im Einklang mit der Landesverfassung.

a)  In das Gebiet einer Gemeinde sowie - erst recht - in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl“ ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommt, daß er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe festlegen kann.

Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u.a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]).

Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Wertordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N. und vom 29. August 2002 – VfGBbg 34/01 –, a.a.O.; ständige Rechtspr., u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 – VfGBbg 101/03 -, a.a.O.).

b)   In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Eingliederung der Beschwerdeführerin Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im einzelnen:

aa) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den tatsächlichen Verhältnissen befaßt.

Die örtlichen Verhältnisse und wesentlichen Strukturdaten der Beschwerdeführerin, der Nachbargemeinden wie auch des Amtes sind in den Gesetzesunterlagen zutreffend angesprochen (s. sog. Neugliederungssachverhalt in LT-Drucksache 3/4883, S. 102 ff.). Insbesondere erfaßte der Gesetzgeber die Einwohnerzahlen, die wirtschaftliche Lage sowie die Entfernungsverhältnisse und Verkehrsverbindungen im Amt Friesack und darüber hinaus. Die Beschwerdeführerin sowie die Gemeinden Vietznitz und Warsow liegen danach „wie Perlen auf einer Schnur“ entlang einer gut ausgebauten Landesstraße, die nach Friesack und zur Bundesstraße B 5 führt. Die jeweils geringe Nord-Süd-Ausdehnung dieser Gemeinden führte dazu, daß zwischen dem nördlichsten (Vietznitz) und dem südlichsten Zentrum (Beschwerdeführerin) dieser drei Gemeinden nur ca. fünf Kilometer liegen. Der Gesetzgeber stellte fest, daß sich diese drei Gemeinden strukturell stark ähneln, indem sie über keine größeren gewerblichen Ansiedlungen verfügen, sondern durch Landwirtschaft und Kleingewerbe geprägt sind. Ein zusammenhängendes Kiesabbaugebiet nimmt Gebietsteile der Gemeinden Vietznitz und Warsow in Anspruch. Eine direkte Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs gab es in keiner der drei Gemeinden; auch Arztpraxen, eine Apotheke und Pflegeeinrichtungen gab es erst in Friesack. Die meisten Schüler dieser Gemeinden besuchen die Kooperationsschule in Friesack. Der Gesetzgeber sah auch, daß die Gemeinde Vietznitz über eine Kindertagesstätte und einen Jugendclub verfügte und jede der Gemeinden eine dörfliche Begegnungsstätte unterhielt. Die drei Gemeinden organisieren ihre Trinkwasserversorgung im Zweckverband „Havelländisches Luch, Friesack“. Der Gesetzgeber berücksichtigte, daß die Gemeinden zwar in den letzten Jahren einen Haushaltsausgleich erreicht hatten, aber ihre Steuereinnahmen deutlich unter dem Landesdurchschnitt der Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern lagen. Auch die Investitionskraft der Beschwerdeführerin und der Gemeinde Vietznitz lag unter dem Landesdurchschnitt, während die Gemeinde Warsow überdurchschnittlich investierte.

Diese Sachverhaltsermittlung begegnet keinen verfassungsrelevanten Bedenken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob vom Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfaßt und gewürdigt worden sind. Wie verbunden die Gemeinden im Detail jetzt sind, ist bei der Prognoseentscheidung zur Gemeindegebietsneugliederung ersichtlich von untergeordneter Bedeutung. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob der Gesetzgeber die für die Durchführung des gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten und es möglich ist, daß bei Zugrundelegung der behaupteten abweichenden Situation die Neugliederung anders ausgefallen wäre, besteht eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend“; VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, UA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Derartige Tatsachen sind indes weder von der Beschwerdeführerin vorgetragen noch sonst ersichtlich.

bb) Der Gesetzgeber gliedert aus Gründen des öffentlichen Wohls im Sinne von Art. 98 Abs. 1 LV die Beschwerdeführerin neu. Ihre Einbeziehung in die neugebildete amtsangehörige Gemeinde Jahnberge dient dazu, die bisherige Kleingliedrigkeit der Kommunen zu überwinden und erstrebt eine Stärkung ihrer Verwaltungskraft. Nachvollziehbar beruft sich der Gesetzgeber darauf, daß amtsangehörige Gemeinden regelmäßig nicht weniger als 500 Einwohner haben sollen; auch sollen Ämter - vom Ausnahmefall eines Ämterzusammenschlusses abgesehen - aus nicht mehr als sechs Gemeinden bestehen (LT-Drucksache 3/4883, Leitbild I. 2. b) aa) und cc)). Eine diesem Leitbild widersprechende Ausgangssituation hat der Gesetzgeber vorgefunden.

(1) Daß die Stärkung der Verwaltungskraft sowie die Straffung und Effizienzsteigerung der Kommunalverwaltungen Gründe des öffentlichen Wohls sind, welche eine kommunale Neugliederung zu rechtfertigen vermögen, hat das Landesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden, insbesondere zum Unterfall der Behebung von Strukturproblemen im Stadtumland (Urteile vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, a.a.O., und - VfGBbg 97/03 -) sowie zum vorausgegangenen Gesetz zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg vom 13. März 2001 (vgl. Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 - [Kreuzbruch], LVerfGE Suppl. Bbg zu Bd. 13, 116 = LKV 2002, 573, 574). Eine kommunale Neugliederung setzt nicht voraus, daß Mängel in der bisherigen Aufgabenerfüllung bestehen oder eine Gemeinde keine ausreichende Verwaltungs- und Leistungskraft besitzt. Vielmehr kann auch eine weitere Verbesserung der Verwaltung des Gesamtraumes die Neugliederung rechtfertigen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 - und Beschluß vom 18. November 2004 - VfGBbg 167/03 -). Einer solchen Verbesserung dient hier die Umsetzung der Leitbildbestimmungen.

(2) Der Neugliederungsbedarf ergab sich bereits aus der geringen Einwohnerzahl der Beschwerdeführerin von nur ca. 340 Einwohnern. Soweit der Gesetzgeber seine Abwägungsentscheidung maßgeblich darauf gestützt hat, daß die Beschwerdeführerin die im Leitbild unter I. 2. b) cc) festgelegte Regel-Mindestgröße einer amtsangehörigen Gemeinde von 500 Einwohnern unterschreite, ist hiergegen verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. Die Landesverfassung steht der Einschätzung, daß sich aus einer geringen Einwohnerzahl der Gemeinde typisierend Rückschlüsse auf die (verminderte) Leistungsfähigkeit der Gemeinde ergeben, nicht entgegen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.). Der Rückgriff auf die Einwohnerzahl als Indiz für die Leistungsfähigkeit der Gemeinde ist auch bei amtsangehörigen Gemeinden unbeschadet dessen statthaft, daß eine amtsangehörige Gemeinde im Land Brandenburg nicht selbst Träger der „eigentlichen“ Verwaltung ist. Die Gemeindevertretung bleibt nämlich ungeachtet der administrativen Umsetzung durch das Amt für alle Angelegenheiten der Gemeinde zuständig. Nicht das Amt, sondern die einzelne Gemeinde ist Träger der gemeindlichen Einrichtungen und für den Unterhalt dieser Einrichtungen zuständig. Solche Einrichtungen können im Regelfall sinnvoll nur von bestimmten gemeindlichen Mindestgrößen an betrieben werden (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O. und Beschluß vom 18. November 2004 – VfGBbg 167/03 – a.a.O., m.w.N.).

Im übrigen hat der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang geprüft, ob geographische, historische oder soziokulturelle Gesichtspunkte ein Abweichen von der Regelmindesteinwohnerzahl rechtfertigen. Seine Einschätzung, daß dies nicht der Fall sei (vgl. LT-Drucksache 3/4883, S. 108), ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

(3) Auch soweit der Gesetzgeber darauf abstellt, daß bei einem Fortbestand der Beschwerdeführerin als selbständiger Gemeinde die leitbildgerechte Höchstzahl von sechs einem einzelnen Amt angehörenden Gemeinden überschritten wäre (LT-Drucksache 3/4883, S. 109), orientiert er sich an einem dem öffentlichen Wohl dienenden Neugliederungsziel. Die Ausführungen in der Begründung des Gesetzentwurfs, wonach Ämter mit einer größeren Anzahl amtsangehöriger Gemeinden eine Vielzahl und große Verschiedenheit der von einem Amt wahrzunehmenden Verwaltungsaufgaben bedingten, z.B. die Betreuung und Beratung der Vertretungskörperschaften und ihrer Ausschüsse, die Vorbereitung von Satzungs- und Beschlußvorlagen sowie von Wahlen und Abstimmungen, die gemeindebezogene Berechnung von Haushaltsdaten, Steuern, Beiträgen und Gebühren und daß Verrechnungen zwischen den amtsangehörigen Gemeinden etwa für Kindertagesstätten, Schulen oder einen gemeinsam genutzten Bauhof des Amtes einen erheblichen Verwaltungsaufwand erforderten (LT-Drucksache 3/4883, S. 37 f.), sind nachvollziehbar. Eine Straffung und Vereinfachung der Amtsstruktur zwecks Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Amtes anzustreben, ist im Hinblick auf den darin liegenden Vorteil für die Bürger und - gegebenenfalls neugegliederten - Gemeinden des Amtes von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 18. November 2004 - VfGBbg 167/03).

cc) Zur Erreichung dieser Reformziele ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Jahnberge nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, daß das Ziel einer Bereinigung der Klein- und Kleinstgemeindestruktur durch die Eingemeindung der Beschwerdeführerin eindeutig verfehlt würde.

dd) Die Eingliederung ist auch nicht unverhältnismäßig.

(1) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für den Fortbestand der einzugliedernden Gemeinde sprechenden Gründen erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH BayVBl 1981, 399, 400 f.; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW NJW 1975, 1205, 1211). Da die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken, ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls kann der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O.).

(2) Der Gesetzgeber hat die Vor- und Nachteile seines Neugliederungsvorhabens in nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen und ist zu einem verfassungsrechtlich vertretbaren Ergebnis gelangt.

Ihm war die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung gegenwärtig. Er hat die Belange der Einwohner im Blick gehabt und sich damit, ablesbar aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs (s. LT-Drucksache 3/4883, S. 98 ff., 108 ff.) und den Beratungen im Landtag und seinen Ausschüssen (Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu § 2 des 4. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drucksache 3/5550), auseinandergesetzt. Auf der anderen Seite hat er jedoch als gegenläufige Belange in zulässiger und vertretbarer Weise im Bereich des Amtes Friesack namentlich die geringe Größe der Beschwerdeführerin und weiterer Gemeinden des Amtes berücksichtigt. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber von der Notwendigkeit der Bildung einer größeren Verwaltungseinheit durch Zusammenschluß der Beschwerdeführerin mit den kleinen Nachbargemeinden Vietznitz und Warsow ausging. Besonderheiten, die ihren Fortbestand als eigenständige (amtsangehörige) Gemeinde gebieten, hat die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht. Solche sind auch nicht ersichtlich.

Eine vorzugswürdige Alternative gegenüber der vom Gesetzgeber gewollten Neuordnung (vgl. dazu Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 – VfGBbg 34/01 -, a.a.O.) ist nicht erkennbar. Es ist angesichts der unmittelbaren Nachbarschaft sowie der ausgeprägten strukturellen naturräumlichen und wirtschaftlichen Vergleichbarkeit der Beschwerdeführerin und der Gemeinden Vietznitz und Warsow verfassungsrechtlich unbedenklich, daß der Gesetzgeber gerade ihren Zusammenschluß bestimmt hat. Es ist nicht fehlsam, wenn der Gesetzgeber seiner Neugliederungsentscheidung insbesondere zugrundelegte, daß die Entfernung der Zentren der Beschwerdeführerin und der beiden anderen Gemeinden mit maximal fünf Kilometern außerordentlich gering ist und die Gemeinden durch eine Landesstraße untereinander und mit dem Amtssitz in Friesack verkehrsmäßig gut verbunden sind.

Überdies hat der Gesetzgeber auch eine Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Friesack oder in die Gemeinden Paulinenaue oder Mühlenberge erwogen. Dies durfte er aber jeweils ablehnen. Er berücksichtigte, daß weitere Eingliederungen nach Friesack zu einem Ungleichgewicht geführt hätten, indem die Stadt dann allein etwa die Hälfte der Einwohner und des Gebietes des Amtes umfaßt hätte. Auch im Falle der Eingliederung der Beschwerdeführerin nach Paulinenaue oder Mühlenberge sah er keine günstigere Lösung. Schließlich haben die Beschwerdeführerin, die Gemeinden Vietznitz und Warsow und ihre Bürger in Stellungnahmen - außer im Jahr 2001 zunächst dem Streben nach ihrem Zusammenschluß und später einem Festhalten am bisherigen Zustand als Kleinstgemeinde - anderweitige Präferenzen, die insoweit neue Erwägungen hätten veranlassen können, nicht geäußert.

ee) Auch im übrigen läßt die Abwägung des Gesetzgebers keine seine Entscheidung in Frage stellenden Defizite erkennen.

(1) Insbesondere war der Gesetzgeber nicht durch die finanziellen Folgen an einer Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neue Gemeinde Jahnberge gehindert. Für die Beurteilung am Maßstab des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 98 Abs. 1 LV ist nicht ausschließlich oder auch nur in erster Linie entscheidend, welche Lösung für die Einwohner der einzelnen Gemeinde die meisten Vorteile bietet. Entscheidend ist vielmehr, welche Lösung den Interessen des gesamten neu zu gliedernden Verwaltungsraumes und seiner Bevölkerung sowie darüber hinaus der Gesamtbevölkerung des Landes am besten entspricht. Erfahrungsgemäß kann der Wohlstand einer Gemeinde auf Lagevorteilen - etwa einer verkehrsgünstigen Lage an der Schnittstelle zwischen Autobahn und Bundesstraße - beruhen, wenn auch die sich aus der günstigen Lage ergebenden Chancen genutzt werden müssen. Umgekehrt kann Verschuldung jedenfalls teilweise aus Lagenachteilen herrühren, etwa wenn Infrastruktureinrichtungen unterhalten werden müssen, die zugleich den Menschen aus Nachbargemeinden zugute kommen, und gleichzeitig günstige Entwicklungsmöglichkeiten nicht vorhanden sind oder durch bestehende (Wohn-)Bebauung nicht lohnend genutzt werden können. Insoweit kommt die gesetzgeberische Lösung der Beschwerdeführerin zugute, als ihre finanziellen Belastungen und die der Gemeinde Vietznitz, die voraussichtlich jeweils aus dem Ausbau von Bahnübergängen entstehen, nach dem Zusammenschluß auch von der bislang davon nicht belasteten und investitionsfähigen Gemeinde Warsow - die insbesondere wegen dieser künftigen Kostenlast im Jahr 2001 noch den freiwilligen Gemeindenzusammenschluß verhinderte - mitgetragen werden. Unabhängig davon ist die Finanzlage und damit auch der Beitrag, den die Einwohner mit einem neu zugeschnittenen Gebiet und Ressourcen zu leisten vermögen, naturgemäß nicht von Dauer, sondern veränderlich. Die wirtschaftliche Entwicklung des Gesamt-Neugliederungsgebietes ist so oder so nicht sicher einschätzbar.

(2) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich auch, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung gewichtet hat. Die Stellungnahmen aus der Anhörung der Bevölkerung der Beschwerdeführerin und der weiteren Gemeinden des Amtsgebiets (vgl. LT-Drucksache 3/4883, S. 98 ff.) zur beabsichtigten Neugliederung lagen im Landtag vor und sind damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er den für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neue Gemeinde Jahnberge sprechenden Umständen mit dem Ziel, einerseits eine möglichst bürgernahe Selbstverwaltung der Gemeinden in einem Amt des äußeren Entwicklungsraums zu erhalten, zu diesem Zweck andererseits die Struktur des Amtes zu straffen und zu vereinfachen sowie seine Leistungsfähigkeit zu erhöhen, das höhere Gewicht beigemessen hat.

C.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1 2. Alt. VerfGGBbg. Der Beschluß ist unanfechtbar.
 

Weisberg-Schwarz Prof. Dawin
   
Prof. Dr. Harms-Ziegler Dr. Jegutidse
   
Dr. Knippel Prof. Dr. Will