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VerfGBbg, Beschluss vom 18. Juni 2021 - VfGBbg 38/21 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 1 Satz 2; LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2; LV, Art. 52 Abs. 4
- VerfGGBbg, § 20 Abs. 1; VerfGGBbg, § 21 Satz 1; VerfGGBbg, § 46, VerfGGBbg, § 48
- ZPO, § 114 Abs. 1 Satz 1
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde unzulässig
- Ablehnungsgesuch
- Befangenheit
- Gesetzlicher Richter
- Rechtsschutzbedürfnis
- Verfristung
- rechtliches Gehör
- gesetzlicher Richter
- unzureichende Begründung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 18. Juni 2021 - VfGBbg 38/21 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 38/21




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 38/21
VfGBbg 38/21 (PKH)
VfGBbg 11/21 EA
VfGBbg 11/21 EA (PKH)

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

E.,

Beschwerdeführer,

wegen

Beschlüsse des Sozialgerichts Potsdam vom 6. April 2021 ‌‑ S 46 SF 91/21 AB ‑‌ und ‌‑ S 46 SF 92/21 AB ‑‌; Aussetzung von Verfahren

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 18. Juni 2021

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dresen, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Kirbach, Müller, Richter und Sokoll

beschlossen: 

 

1.    Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

2.    Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.


 

Gründe:

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen erfolglose Richterablehnungen vor dem Sozialgericht Potsdam mit dem Ziel, die Übertragung seiner Verfahren an ein anderes Sozialgericht zu erreichen.

I.

Der Beschwerdeführer führt vor der x. Kammer des Sozialgerichts Potsdam verschiedene Verfahren. Er lehnte mit Schreiben vom 31. März 2021 die Vorsitzende der x. Kammer, Richterin am Sozialgericht A., „wegen Voreingenommenheit, prozessualer Rechtsbeugung, prozessualer Beleidigung, menschenverachtender Behindertendiskriminierung und der prozessualen beruflichen Korruption“ ab. Gleiches gelte für den Präsidenten des Sozialgerichts, die Vizepräsidentin sowie die Richterinnen am Sozialgericht B. und C. Das Ablehnungsgesuch betreffe alle Verfahren des Beschwerdeführers vor dem Sozialgericht Potsdam. Der Präsident des Sozialgerichts Potsdam ist Vorsitzender der 46. Kammer, die gemäß dem Geschäftsverteilungsplan 1/2021 des Sozialgerichts Potsdam vom 17. Dezember 2020 ‌‑ Az. 3213 E‑ ‌, Abschnitt C., Ziffer 1. grundsätzlich für Entscheidungen über die Ablehnung von Gerichtspersonen in Verfahren vor dem Sozialgericht Potsdam für alle Sachgebiete zuständig ist. Richterin am Sozialgericht B. ist die 1. Vertreterin des Vorsitzenden der 46. Kammer, Richterin am Sozialgericht C. die 2. Vertreterin.

Der Beschwerdeführer begründete das Ablehnungsgesuch im Wesentlichen damit, dass die Richterin am Sozialgericht A. allein aus „prozessualer beruflicher Korruption“ handele und die Rechte des Beschwerdeführers zerstöre. Das Sozialgericht Potsdam unterstütze eine Zwangsuntersuchung des Beschwerdeführers zur Überprüfung seiner Erwerbsfähigkeit. Die Richterin begehe „prozessualen Betrug“, indem sie in Gerichtsbescheiden den Sachverhalt durch inhaltslose Worthülsen ersetze. Sie und das beklagte Jobcenter wollten den Beschwerdeführer psychisch terrorisieren, in der Menschwürde verletzen und durch unberechtigte Sanktionen verhungern lassen. Dies ergebe sich aus dem Hinweis der Richterin vom 17. Februar 2021, in dem sie u. a. darauf verweise, dass das beklagte Jobcenter nach § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ohne weitere Ermittlungen die Sozialleistungen ganz oder teilweise versagen oder entziehen könne, wenn und soweit die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen seien und derjenige, der eine Sozialleistung beantrage oder erhalte, seinen Mitwirkungspflichten nach § 60 bis 62, § 65 SGB I nicht nachkomme. Im Ergebnis, so die Richterin, bleibe offen, ob der Beschwerdeführer erwerbsfähig und damit anspruchsberechtigt im Sinne des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II) sei. Daraus ergebe sich grundsätzlich die Notwendigkeit zu Ermittlungen zur Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers. Dies gebe dem beklagten Jobcenter freie Hand für „die perpetuelle Unterdrückung ohne Gründe“, könne das Jobcenter doch nun ohne Grund und in alle Ewigkeit Erwerbsunfähigkeit behaupten und Leistung versagen. Ferner beanstandet der Beschwerdeführer, dass die Richterin eine Klageverbindung unterlassen habe, dadurch eine doppelte Rechtshängigkeit geschaffen habe und ihm deshalb Ansprüche versagt worden seien.

Die 46. Kammer des Sozialgerichts Potsdam wies die Ablehnungsgesuche durch Richterin am Sozialgericht D. mit Beschlüssen vom 6. April 2021 ‌‑ S 46 SF 91/21 AB ‑‌ und ‌‑ S 46 SF 92/21 AB ‑‌ („die Ablehnungsentscheidungen“) als unbegründet zurück.

Bei objektiver Betrachtung bestehe keine Besorgnis der Befangenheit der Richterin am Sozialgericht A. Unter Berücksichtigung und nach Würdigung des Vorbringens des Antragsstellers, der dienstlichen Äußerung der betroffenen Richterin und nach Durchsicht der Gerichts- und Verwaltungsakten ließen sich keine durchgreifenden Anhaltspunkte für die Parteilichkeit oder Voreingenommenheit der abgelehnten Richterin entnehmen. Es lägen insbesondere keinerlei Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit, Rechtsbeugung, prozessuale Beleidigung, menschenverachtende Behindertendiskriminierung, prozessuale berufliche Korruption oder prozessuale Lügen vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Gestaltung des Verfahrens durch die abgelehnte Richterin keine sachlichen Gründe habe, sondern darauf beruhe, dass sie dem Antragsteller nicht mit der gebotenen Neutralität und Unbefangenheit gegenüberstehe, ergäben sich weder aus seinem Vortrag noch aus dem übrigen Akteninhalt. Die Entscheidung über die Art und Weise der Prozessförderung und insbesondere über die für die Sachentscheidung erforderlichen tatsächlichen Grundlagen und das bei deren Ermittlung einzuhaltende Verfahren habe der Richter in eigener Verantwortung und in richterlicher Unabhängigkeit zu treffen; das Ablehnungsgesuch gebe den Beteiligten keine Handhabe, ihre abweichenden Vorstellungen zur Durchsetzung zu bringen. Einwände hiergegen könnten im Zusammenhang mit der Einlegung von Rechtsmitteln geltend gemacht werden.

Den Ablehnungsgesuchen hinsichtlich des Präsidenten des Sozialgerichts, der Vizepräsidentin sowie der Richterinnen am Sozialgericht B. und C. fehle die substantiierte Darlegung der den Ablehnungsgrund ergebenden Tatsachen.

Die Ablehnungsentscheidungen sind der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers im sozialgerichtlichen Verfahren am 6. April 2021 per Telefax zugestellt worden.

II.

In den Nachtstunden des 7. Juni 2021, zwischen 21:51 Uhr und 23:11 Uhr, ist die 147 Seiten umfassende Verfassungsbeschwerdeschrift des Beschwerdeführers per Fax in drei Sendeabschnitten mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, einem Prozesskostenhilfegesuch und einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, für den Fall, dass § 222 ZPO keine Anwendung finde und die Beschwerdefrist am Sonntag, den 6. Juni 2021, abgelaufen sei, beim Verfassungsgericht eingegangen. Die Beschwerdeschrift schließt mit dem maschinenschriftlichen Zusatz „gez. E.“. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass aufgrund des Hinweises auf die fehlende Unterschrift den Formanforderungen für die Einleitung von Verfahren vor dem Verfassungsgericht genügt sei und nimmt Bezug auf die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 5. April 2000 ‌‑ GmS-OGB 1/98.

Mit der Verfassungsbeschwerde beantragt er die Aufhebung der Ablehnungsentscheidungen des Sozialgerichts Potsdam vom 6. April 2021 sowie die Übertragung aller anhängigen Verfahren des Beschwerdeführers vor dem Sozialgericht Potsdam an ein anderes Sozialgericht. Im Wege der einstweiligen Anordnung erstrebt er die vorläufige Aussetzung seiner Verfahren vor der x. Kammer des Sozialgerichts Potsdam bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde. Ferner ersucht er um Prozesskostenhilfe.

Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV sowie des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz „aus Art. 52 Abs. 4“ LV und eine Verletzung seiner Menschenwürde.

Der gesetzliche Richter sei ihm entzogen worden, da die Ablehnungsentscheidungen nicht durch die dafür nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige 46. Kammer getroffen worden seien. Die entscheidende Richterin am Sozialgericht D. gehöre der 46. Kammer nicht an. Das Recht auf den gesetzlichen Richter sei auch dadurch verletzt worden, dass die Fälle des Beschwerdeführers „für das darauffolgende Jahr“ von der y. Kammer des Sozialgerichts Potsdam auf die x. Kammer übertragen worden seien. Der Präsident des Sozialgerichts habe durch Beschluss vom 10. Februar 2020, erklärt, dass das Präsidium die Zuständigkeit für Bestände einer Kammer auf eine andere Kammer mit dem neuen Kalenderjahr übertragen könne. Der Beschwerdeführer meint, für einen „Kammerwechsel“ seien objektive Gründe erforderlich, die nicht vorgelegen hätten. Er beanstandet - „im Vorgriff“ auf eine weitere angekündigte Verfassungsbeschwerde „in den nächsten Tagen“ - die Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. März 2021 ‌‑ L 3 AS 1514/20. Diese lasse eine Rechtsschutzverweigerung des Rechtsmittelgerichts erkennen, da das Landessozialgericht die Begründung des Präsidenten des Sozialgerichts Potsdam ohne Überprüfung und Kommentierung kopiere. Der Beschwerdeführer rügt eine Entwürdigung, Entrechtung und Beseitigung aller seiner Menschenrechte, dadurch, dass Richterin am Sozialgericht A. die „Zwangsuntersuchung“ der Erwerbsfähigkeit seiner Person, eines behinderten Menschen, angeordnet habe, obwohl er 2012 begutachtet worden sei.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) als unzulässig zu verwerfen.

1. Es kann dahinstehen, ob die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die fehlende eigenhändige Unterschrift formgerecht innerhalb der Beschwerdefrist erhoben ist ‌‑ die vom Beschwerdeführer genannte Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 5. April 2000 (GmS-OGB 1/98, BGHZ 144, 160-165, juris) betraf einen hier nicht vorliegenden Sachverhalt, verhält sich nicht zur Auslegung des § 20 VerfGGBbg und bindet gemäß § 16 Rechtsprechungs-Einheitlichkeitsgesetz das vorlegende Gericht, nicht jedoch das Verfassungsgericht (von Coelln, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Stand: Juli 2020, BVerfGG § 23 Rn. 37) - oder sonst unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität wegen des Charakters der Ablehnungsentscheidungen als Zwischenentscheidungen unzulässig ist (vgl. dazu: BVerfG, Beschluss vom 21. November 2018 ‌‑ 1 BvR 436/17 ‑‌, Rn. 10, juris).

2. Jedenfalls genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung. Erforderlich ist nach § 20 Abs. 1, § 46 VerfGGBbg eine Begründung, die schlüssig die mögliche Verletzung des geltend gemachten Grundrechts des Beschwerdeführers aufzeigt. Sie muss umfassend und aus sich heraus verständlich sein. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt und die wesentlichen rechtlichen Erwägungen müssen nachvollziehbar dargelegt werden, um dem Gericht eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Begehren zu ermöglichen (vgl. jüngst Beschluss vom 11. März 2021 ‌‑ VfGBbg 11/21 ‑‌, Rn. 25 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de)

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

a. Zwar nehmen die Anträge des Beschwerdeführers noch hinreichend Bezug auf die Ablehnungsentscheidungen des Sozialgerichts Potsdam vom 6. April 2021, wenngleich falsche Aktenzeichen angegeben werden. Die Beschwerdeschrift befasst sich jedoch weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht mit den beiden Beschlüssen. Eine Auseinandersetzung mit dem vom Sozialgericht Potsdam aufgezeigten rechtlichen Maßstab für die Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit eines Richters, den angeführten Rechtsprechungsnachweisen und den tragenden Argumenten des Sozialgerichts fehlt ebenso, wie Darlegungen zu der behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV und des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1, Art. 5 LV i. V. m. Art. 10 Abs. 1 LV. Nichts anderes gilt, soweit sich der Beschwerdeführer auch in seiner Menschenwürde aus Art. 7 LV verletzt sieht. Letztlich setzt der Beschwerdeführer den Entscheidungen lediglich seine einfach-rechtliche Meinung zur Befangenheit und den vor dem Sozialgericht anhängigen Verfahren entgegen, was die Begründungsanforderungen im verfassungsgerichtlichen Verfahren verfehlt.

b. Das gilt auch bezüglich der auf die Wahrung des gesetzlichen Richters aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV abzielenden Rüge, Richterin am Sozialgericht D. sei für die Entscheidung über die Befangenheitsanträge unzuständig gewesen. Der Beschwerdeführer erläutert nicht, warum Richterin am Sozialgericht D. für die Entscheidung über die Ablehnungsgesuche unzuständig gewesen sein soll, nachdem er den an sich zuständigen Vorsitzenden der 46. Kammer und dessen Vertreterinnen als befangen abgelehnt hatte. Eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter ist in Ansehung der einschlägigen Vertretungsregelungen des Geschäftsverteilungsplan 1/2021 des Sozialgerichts Potsdam vom 17. Dezember 2020 ‌‑ Az. 3213 E‑ ‌, Abschnitt C. auch sonst nicht ersichtlich.

c. Soweit der Beschwerdeführer wohl einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter durch die Übertragung von Verfahren von der y. Kammer des Sozialgerichts Potsdam auf die x. Kammer rügen will, kommt es darauf im hier interessierenden Zusammenhang nicht an.

C.

Mit der Verwerfung der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

D.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nicht in Betracht, da die Verfassungsbeschwerde aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 48 VerfGGBbg i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

E.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

Möller

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Kirbach

Müller

Richter

Sokoll