VerfGBbg, Beschluss vom 18. März 2011 - VfGBbg 3/11 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 4 S. 1; 53 Abs. 4 - VerfGGBbg, §§ 45 Abs. 2; 46 - StPO, § 140 Abs. 2 |
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Schlagworte: | - faires Verfahren - Rechtswegerschöpfung - Subsidiarität - notwendige Verteidigung |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 18. März 2011 - VfGBbg 3/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 3/11
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
J.
Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt
B.
wegen der Beschlüsse des Amtsgerichts Potsdam vom 4. November 2010 (82 Ds 364/10) und des Landgerichts Potsdam vom 3. Januar 2011 (23 Qs 57/10)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker,Dielitz, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Möller, Nitsche, Partikel und Schmidt
am 18. März 2011
b e s c h l o s s e n :
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
G r ü n d e :
A.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen gerichtliche Entscheidungen, mit denen die Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt wurde.
I.
Die Beschwerdeführerin ist in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Potsdam wegen Betruges und Gebrauchs einer unechten Urkunde angeklagt. Sie wird beschuldigt, bei einer Versicherung im Rahmen einer Schadensmeldung unrichtige Belege eingereicht zu haben, um eine ihr nicht zustehende Versicherungsleistung zu erhalten. Mit Beschluss vom 4. November 2010 lehnte das Amtsgericht die Bestellung des Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger ab. Die Tat sei nicht als schwer einzustufen, die Sach- und Rechtslage überschaubar. Die Angeklagte könne auf der Geschäftsstelle Akteneinsicht nehmen. Beweismittel könnten auf der Geschäftsstelle eingesehen werden. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht Potsdam mit Beschluss vom 3. Januar 2011 zurück. Die Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) lägen nicht vor. Wegen des geringfügigen Vorwurfs sei es hier ausreichend, dass der Angeklagten selbst Akteneinsicht gewährt werde. Das Amtsgericht habe darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin Akten und Beweismittel auf der Geschäftsstelle einsehen könne.
II.
Mit der am 7. Februar 2011 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Rechts auf faires Verfahren und des Rechtsstaatsprinzips. Im Rahmen des Strafverfahrens seien vier Zeugen zu vernehmen. Diese – nach Auffassung der Beschwerdeführerin – umfangreiche Beweisaufnahme und die Auswertung des Beweismittelordners, dessen Inhalt der Beschwerdeführerin und ihrem Verteidiger vollständig verborgen sei, führe zu einem Fall notwendiger Verteidigung, weil die Verteidigung nicht ohne Akteneinsicht möglich sei.
III.
Das Amtsgericht Potsdam und das Landgericht Potsdam haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verfahrensakten sind beigezogen worden.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Sie genügt nicht den Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz ihrer Subsidiarität ergeben. Zwar hat die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Entscheidung des Amtsgerichts vom 4. November 2010 den Rechtsweg im engeren Sinne erschöpft, indem sie dagegen Beschwerde beim Landgericht erhoben hat. Das in § 45 Abs. 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) verankerte Prinzip der Subsidiarität verlangt aber von einem Beschwerdeführer, dass dieser alles im Rahmen seiner Möglichkeiten Stehende getan hat, um eine etwaige Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder von vornherein zu verhindern; vor Anrufung des Verfassungsgerichts muss er alle ihm gegebenenfalls zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung ergreifen (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 21. Januar 2011 - VfGBbg 28/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
Diesen Anforderungen ist die Beschwerdeführerin nicht gerecht geworden. Die Entscheidung des Vorsitzenden nach § 141 StPO über die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist trotz des nach § 304 StPO isoliert zulässigen Beschwerdeverfahrens mit der Revision gegen die Sachentscheidung angreifbar (vgl. Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 140 Rdnr. 27, § 141 Rdnr. 14; Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage 2010, § 338 Rdnr. 41). Es handelt sich damit um eine Zwischenentscheidung, deren unmittelbare Anfechtung mit der Verfassungsbeschwerde grundsätzlich ausgeschlossen ist (vgl. zum Bundesrecht: Bundesverfassungsgericht – BVerfG - Beschluss vom 14. August 2007, - 2 BvR 1246/07 – Ls. in NJW 2007, 3563). Das in bestimmten Fällen verfassungsrechtlich gebotene Recht auf einen Pflichtverteidiger wird nicht um seiner selbst willen gewährt. Verfahrensrechte dienen der Entscheidungsfindung in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren. Eine Beschwer entfalten die Verfahrensverstöße grundsätzlich erst dann, wenn eine Entscheidung ergangen ist, die auf dem Verstoß gegen Verfahrensrechte beruhen kann. Die isolierte Anfechtung kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die Zwischenentscheidung einen bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen hat, der sich später gar nicht oder nicht vollständig beheben lässt (vgl. BVerfGE 101, 106, 120 m. w. N.). Entstünden der Beschwerdeführerin schwere und unabwendbare Nachteile, falls sie zunächst auf den Rechtsweg zu den Fachgerichten verwiesen würde, hinderte das Subsidiaritätsprinzip nicht die Entscheidung über die vorab eingelegte Verfassungsbeschwerde. Für die Beschwerdeführerin ist eine solche Sondersituation aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Geltendmachung des vermeintlichen Verfassungsverstoßes im Revisionsverfahren ist der Beschwerdeführerin nicht unzumutbar. Sollte der von ihr gewählte Verteidiger für den Fall der Nichtbestellung zum Pflichtverteidiger sein Mandat niederlegen, wäre die Beschwerdeführerin im Strafverfahren zwar ohne Verteidiger. Dass sie dann – nach ihrer Auffassung - trotz notwendiger Verteidigung unverteidigt bliebe, kann sie bei einer Verurteilung in der Revision mit einer auf die Verletzung der § 338 Nr. 5 und § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO gestützten Verfahrensrüge geltend machen. Der damit drohende Nachteil der Wiederholung der Hauptverhandlung genügt für sich genommen regelmäßig nicht, die Unzumutbarkeit der Verweisung auf den fachgerichtlichen Rechtsschutz zu begründen (vgl. BVerfG Beschlüsse vom 14. August 2007, a. a. O., vom 25. April 1995 - 2 BvR 62/95, 2 BvR 765/95 – und vom 3. Dezember 2003 - 2 BvR 2000/03 – jeweils zitiert nach juris). Sollte ihr Wahlverteidiger sie weiterhin vertreten, bliebe die Beschwerdeführerin nicht unverteidigt, und es käme – auch unter Zugrundelegung ihrer Auffassung - zu keiner Grundrechtsverletzung.
2. Die Beschwerdeführerin hat darüber hinaus eine Verletzung der Grundrechte auf faires Verfahren (Art. 52 Abs. 4 LV) und auf Verteidigung im Strafverfahren (Art. 53 Abs. 4 LV) in ihrer Ausgestaltung durch § 140 Abs. 2 StPO nicht hinreichend dargetan (§ 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg). Art. 52 Abs. 4 LV gewährleistet dem Beschuldigten das Recht auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren. Der Beschuldigte darf im Rechtsstaat nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein. Ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. Beschluss vom 15. Januar 2009 - VfGBbg 63/07 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Danach hat der Vorsitzende des Gerichts einen Verteidiger zu bestellen, wenn dessen Mitwirkung wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Würdigung aller Umstände das Vorliegen eines schwerwiegenden Falles ergibt und der Beschuldigte die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag (Beschluss vom 15. Januar 2009, a. a. O.).
Das Amtsgericht hat die Pflichtverteidigerbestellung weder wegen der Schwere der Tat noch wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder wegen der mangelnden Fähigkeit der Beschwerdeführerin, sich selbst zu verteidigen, als erforderlich angesehen. Diese Bewertung lässt eine Verkennung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht erkennen. Soweit die Beschwerdeführerin sich darauf beruft, dass ihr keine Akteneinsicht gewährt worden sei und weder ihr noch ihrem Wahlverteidiger der Inhalt des Beweismittelordners bekannt sei und so eine angemessene Verteidigung nicht möglich sei, vermag dies im konkreten Fall keinen Verstoß gegen diese Verfahrensgrundsätze zu begründen. Die Behauptung, der Inhalt des Beweismittelordners sei dem Verteidiger nicht bekannt, trifft nach Lage der Akten nicht zu. Der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin hat als Verteidiger im Strafverfahren während der am 18. Januar 2011 vor dem Amtsgericht Potsdam durchgeführten mündlichen Verhandlung – ausweislich des Protokolls, Blatt 95 ff. der Gerichtsakten - Einsicht in den Beweismittelordner genommen. Ihm wurden Kopien ausgehändigt. Die Sach- und Rechtslage ist auch überschaubar. Es ist ferner nichts dafür vorgetragen, dass die Beschwerdeführerin mittellos sei und die Kosten eines selbst gewählten Verteidigers nicht aufbringen könne.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Postier | Dr. Becker |
Dielitz | Dr. Fuchsloch |
Dr. Lammer | Möller |
Nitsche | Partikel |
Schmidt |