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VerfGBbg, Beschluss vom 17. September 2009 - VfGBbg 16/09 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3
- VollzG, § 114; VollzG, § 109
Schlagworte: - sachdienliche Auslegung
- Anträge
- anwaltlich vertretener Beschwerdeführer
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. September 2009 - VfGBbg 16/09 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 16/09



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

S.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. H.

gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 04. März 2009

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Prof. Dawin, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Möller, Nitsche, Partikel, Schmidt und Dr. Schöneburg

am 17. September 2009

b e s c h l o s s e n :

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Aussetzung des Vollzuges einer Maßnahme gemäß § 114 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) durch die Strafvollstreckungskammer.

1. Der Beschwerdeführer verbüßt eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel.

a. ) Am 29. Juli 2008 widerrief der Vollzugsabteilungsleiter die Gewährung von Vollzugslockerungen mit der Folge, dass der Beschwerdeführer aus dem offenen in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt wurde. Die Entscheidung ist dem Beschwerdeführer mündlich vom Vollzugsabteilungsleiter mitgeteilt worden. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Beschwerdeführer unter anderem mit einem „Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung i. S. v. § 114 StVollzG“ vom selben Tag.

b. ) Mit Schreiben vom 08. August 2008 legitimierte sich der damalige Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers für das Strafvollzugsverfahren.

c. ) Die JVA Brandenburg a. d. Havel nahm mit Schreiben vom 12. August 2008 in dem Verfahren Stellung und führte unter anderem aus, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei schon deshalb unzulässig, weil der Beschwerdeführer nicht angezeigt habe, auch eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren gemäß § 109 StVollzG anzustreben. Verabsäume ein Antragsteller die Inanspruchnahme des Hauptsacherechtsbehelfs, sei kein Raum für vorläufigen Rechtsschutz.

d. ) Mit einer am 13. Januar 2009 beim Verfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer die Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer. Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg stellte mit Beschluss vom 19. Februar 2009 – VfGBbg 7/09 - fest, dass die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 52 Abs. 4 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) dadurch verletzt werden, dass das Landgericht Potsdam in dem Verfahren 20 Vollz 30/08 noch nicht über den Antrag vom 29. Juli 2008 entschieden hatte.

e. ) Mit Beschluss vom 04. März 2009 wies die Strafvollstreckungskammer – 20a Vollz 30/08 - den Antrag auf Aussetzung des Vollzuges als unzulässig zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Beschwerdeführer habe die Inanspruchnahme des Rechtsbehelfs in der Hauptsache versäumt. Daher sei auch der Antrag auf Erlass einer Eilentscheidung unzulässig. Eine Eilentscheidung sei zudem nicht geboten, weil dem Beschwerdeführer über den belastenden Charakter der Maßnahme hinaus keine irreparablen Nachteile drohten und die Maßnahme nicht offenkundig rechtswidrig sei.

f. ) Mit seiner am 01. April 2009 beim Verfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde begehrte der Beschwerdeführer zugleich im Wege der einstweiligen Anordnung eine Zurückverlegung in den offenen Vollzug bis zur Entscheidung des Landesverfassungsgerichts über die Hauptsache. Mit Beschluss vom 16. Juli 2009 – VfGBbg 3/09 EA – hat das Verfassungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Entscheidung über die Zurückverlegung des Antragstellers in den offenen Vollzug liege bei den Fachgerichten bzw. der Justizvollzugsanstalt. Der Beschwerdeführer habe bei der Strafvollstreckungskammer einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG gestellt und diesen Antrag auf Hinweis des Landesverfassungsgerichts mit Schreiben vom 02. Mai 2009 mit einem erneuten Antrag nach § 114 Abs. 2 StVollzG verbunden. Das Landgericht Potsdam sei – auch vor dem Hintergrund der landesverfassungsgerichtlichen Beschlusses vom 19. Februar 2009, VfGBbg 7/09 – gehalten, über den Eilantrag zeitnah zu entscheiden.

g. ) Das Landgericht hat bisher nicht über den Eilantrag des Beschwerdeführers entschieden.

2. Mit der gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 04. März 2009 gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 52 Abs. 4, Art. 52 Abs. 3 und Art. 54 Abs. 1 LV. Die Strafvollstreckungskammer habe den Eilantrag des Beschwerdeführers nicht sachdienlich ausgelegt. Insbesondere habe sie ihn nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, es sei kein Hauptsachantrag gemäß § 109 StVollzG gestellt worden.

3. Das Landgericht Potsdam hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

II.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.

1. ) Ob ein Antrag nach § 114 StVollzG im Einzelnen zulässig und begründet ist, ist eine Frage des sogenannten einfachen Rechts, dessen Auslegung und Anwendung den Fachgerichten obliegt. Das Landesverfassungsgericht kann nur dann korrigierend eingreifen, wenn spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Entscheidung willkürlich im Sinne des Art. 52 Abs. 3 LV ist. Nach der landesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung dann willkürlich, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und sich deshalb der Schluss aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen (ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, vgl. etwa Beschlüsse vom 17. September 1998 – VfGBbg 18/98 -, LVerfGE 9, 95, 100, vom 20. Januar 1997 – VfGBbg 45/96 -, NJ 1997, 307 und vom 16. April 1998 – VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 86 f.). Die Entscheidung muss ganz und gar unverständlich erscheinen und das Recht in einer Weise falsch anwenden, die jeden Auslegungs- und Bewertungsspielraum überschreitet (vgl. zuletzt Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 20. August 2009 – VfGBbg 39/08 - m. w. N.). Dies ist – soweit es um die Auslegung von Anträgen geht - insbesondere dann der Fall, wenn ein Richter dem Sachvortrag eines Beteiligten in einem Rechtsbehelfsverfahren entgegen Wortlaut und erkennbarem Sinn eine Bedeutung beilegt, die zur Zurückweisung des Rechtsbehelfs als unzulässig führen muss, während bei sachdienlicher Auslegung ohne weiteres eine Sachentscheidung möglich wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. August 1992 - 2 BvR 89/92 -, NJW 1993, 1380 f.). Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer hat seinen Antrag vom 29. Juli 2008 ausdrücklich als „Antrag auf einstweilige Anordnung i. S. v. § 114 StVollzG“ bezeichnet. Das Landesverfassungsgericht kann dahinstehen lassen, ob die Zurückweisung eines solchen Antrags mit der Begründung, es sei kein Hauptsacheantrag gestellt worden, im Fall eines nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers noch eine sachdienliche Auslegung darstellt, wenn – wie hier – der Hauptsacheantrag zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch gestellt werden kann, weil er mangels schriftlicher Bekanntgabe der Maßnahme nicht verfristet ist (vgl. zur Frist § 112 Abs. 1 StVollzG). Der Beschwerdeführer war seit 08. August 2008 anwaltlich vertreten. Die Fürsorgepflichten der Gerichte sind in diesem Fall andere als gegenüber einem nichtanwaltlich vertretenen Bürger (vgl. BVerfGE 93, 99, 108 f.). Die Justizvollzuganstalt hat zudem in ihrer Stellungnahme vom 12. August 2008 auf den ihrer Auffassung nach fehlenden Hauptsachantrag hingewiesen. Wenn hierdurch veranlasst eine Änderung oder Ergänzung des Rechtsbehelfs nicht erfolgt und die Strafvollstreckungskammer von dem ausdrücklich gestellten Antrag ausgeht, handelt sie jedenfalls nicht willkürlich. Ob die Auslegung des Antrags nach einfachrechtlichen Maßstäben richtig ist, hat das Landesverfassungsgericht nicht zu beurteilen.

Soweit der Beschwerdeführer in nachfolgenden Schriftsätzen eine zügigere Behandlung seiner nunmehr gestellten Anträge nach § 109 und § 114 StVollzG anmahnt, geht das Verfassungsgericht von einer unverzüglichen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer aus.

2. ) Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
 

Postier Prof. Dawin
       
Dielitz Dr. Fuchsloch
   
Möller Nitsche
   
Partikel Schmidt
   
Dr. Schöneburg